Durchgangslager 39

Durchgangslager 39

Das Durchgangslager 39 war eines von mehreren Dutzend Lagern seiner Art im Deutschen Reich, das von den Landesarbeitsämtern im Nationalsozialismus u. a. zur Internierung und "Abfertigung" von ausländischen Zivilarbeitern genutzt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Errichtung und ursprünglicher Zweck

Das Durchgangslager 39, das aufgrund seiner Lage im Linzer Stadtteil Bindermichl auch Durchgangslager Bindermichl genannt wurde, wurde 1942 durch das Arbeitsamt Linz von den Reichswerken Hermann Göring käuflich erworben. Das Lager bestand ursprünglich aus zwölf Baracken mit einer Belegungszahl von rund 1300 Personen, nach dem Verkauf an das Arbeitsamt wurde die Zahl jedoch auf rund 1800 Personen erhöht. So wie in zahlreichen anderen Durchgangslagern wurden auch im Lager Bindermichl ausländische Zivilarbeiter, die aus ihren Heimatländern mit Gewalt oder „freiwillig“ zur Arbeit im Deutschen Reich gebracht wurden, medizinisch untersucht, desinfiziert und entlaust. Anschließend erfolgte die Abholung der Zwangsarbeiter durch ihre späteren Arbeitgeber (z. B. Bauern oder Firmen).[1]

Schwangere Zwangsarbeiterinnen

Auch schwangere polnische und sowjetische Zwangsarbeiterinnen wurden während ihrer „Mutterschutz“-Zeit von (formal) zwei Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes im Durchgangslager untergebracht.[2] Sollte ein Schwangerschaftsabbruch in einer Klinik durchgeführt werden, wurden diese Frauen ebenfalls zuvor in das Lager gebracht.[3] Möglicherweise gab es sogar im Lager eine gesonderte Baracke für Abtreibungen und Entbindungen.[4]

„Fremdvölkische Kinderheime“ bestanden u. a. in Spital am Pyhrn und Pichl bei Wels. In letztgenanntem Heim starben 13 Kinder an mangelnder Pflege und Ernährung.[5]

Krankensammellager bzw. Sterbelager und Verlegungen von Kranken

Das Durchgangslager 39 dürfte ab Herbst 1942 auch als Krankensammellager genützt worden sein. Nachdem die Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Betreuung sowie die hygienischen Verhältnisse wie in ähnlichen Lagern völlig unzureichend waren, kamen hunderte Menschen zu Tode. Dies kann als bewußtes Sterbenlassen von den als "rassisch minderwertig" deklarierten Zwangsarbeitern und deren Kindern gewertet werden. Im Zeitraum von September 1942 bis Kriegsende verstarben mindestens 331 – vor allem aus Polen und der Sowjetunion stammende – Personen, die offiziell im Lager wohnhaft waren. Während 1942 (ab September) nur 5 Personen verstarben, lag die Zahl der Verstorbenen 1943 bei 77 Personen, 1944 bei 168 und 1945 bei 81 Menschen. Die Zahl der Toten inkludiert 138 Kinder und 10 Jugendliche.[6]

Im Zeitraum von November 1944 bis Ende Jänner 1945 wurden 31 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in die Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling gebracht, die ab September 1944 als "Sammelstelle" für psychisch kranke Zwangsarbeiter diente. 18 der 31 Personen waren zuvor in der Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart in Linz eingewiesen. Neun der nach Mauer-Öhling verlegten Personen kamen in der Anstalt zu Tode, der Großteil von ihnen wurde im April 1945 im Rahmen der "dezentralen Euthanasie" ermordet.[7]

Im Frühjahr 1945 befanden sich im Durchgangslager 39 rund 250 Personen, die als "arbeitsunfähig" (etwa aufgrund von "Geisteskrankheit" oder Tuberkulose) galten - darunter auch Säuglinge und Kinder.[8]

Einzelnachweise

  1. Hauch Gabriella: Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder: Zum Geschlecht der Zwangsarbeit. In: Rathkolb Oliver (Hg.): Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938-1945 I - Zwangsarbeit – Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien. Wien/ Köln/ Weimar 2001, S. 370-371
  2. Ebd. S. 418
  3. Hauch Gabriella: Ostarbeiterinnen – Vergessene Frauen und ihre Kinder. In: Mayrhofer Fritz/ Schuster Walter (Hg.): Nationalsozialismus in Linz II. Linz 2001, S. 1285
  4. Rafetseder Hermann: Der 'Ausländereinsatz' zur Zeit des NS-Regimes am Beispiel der Stadt Linz. In: Mayrhofer Fritz/ Schuster Walter (Hg.): Nationalsozialismus in Linz II. Linz 2001, S. 1175
  5. Ernst Gansinger: Die Suche nach der Mutter - Kinder von Zwangsarbeiterinnen in der NS-Zeit wissen wenig über ihr Woher. Kirchenzeitung der Diözese Linz, Ausgabe 2004/48 (Online)
  6. Markus Rachbauer: Die Ermordung von psychisch und physisch kranken ausländischen ZivilarbeiterInnen im Rahmen der NS-"Euthanasie" – unter schwerpunktmäßiger Betrachtung des Gaues Oberdonau. Diplomarbeit an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg, 2009. S. 167ff
  7. Ebd. S. 139f
  8. Ebd. S. 174f

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