Editio Princeps

Editio Princeps

Als editio princeps wird die gedruckte Erstausgabe eines Werks bezeichnet. Von der editio princeps spricht die Editionswissenschaft meist in Bezug auf Klassikerausgaben.

Inhaltsverzeichnis

Rechtslage

Seit 1965 kennt das deutsche Urheberrecht in § 71 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG), der die sogenannten Nachgelassenen Werke regelt, eine rechtliche Regelung über den Schutz der editio princeps. Mit der Schutzdauerrichtlinie der EU von 1993 wurde dieses 25-jährige Leistungsschutzrecht EU-weit eingeführt. Die Schweiz kennt bis dato kein solches Recht.

Anders als § 70 UrhG, der wissenschaftliche Ausgaben schützt, verleiht § 71 UrhG ein Recht am entdeckten Werk, das es ermöglicht, dieses in gleicher Weise zu monopolisieren wie ein urheberrechtlich geschütztes Werk. Voraussetzung ist nach obergerichtlicher Rechtsprechung, dass derjenige, der sich auf die 'editio princeps beruft, nachweist, dass das Werk bisher nicht erschienen ist.

Beispiel: In einer Familie wird das Foto eines Seemanns aufbewahrt, der den Eisberg fotografierte, der die Titanic sinken ließ. Sofern dieses Bild nach Ablauf der Regelschutzfrist (bei einem Lichtbildwerk 70 Jahre nach dem Tod des Fotografen) erstmals veröffentlicht wird, kann derjenige, der diese Veröffentlichung vornimmt, für 25 Jahre ein Urheberrecht an dem Foto beanspruchen. Das gemeinfrei gewesene Bild wird also zugunsten des Entdeckers erneut geschützt.

Der Fall Himmelsscheibe

die Himmelsscheibe von Nebra

Praktische Bedeutung besaß § 71 UrhG bislang vor allem im Bereich der Musikedition. Neuerdings wurde aber auch die vom Land Sachsen-Anhalt veranlasste Veröffentlichung der Himmelsscheibe von Nebra vom Landgericht Magdeburg als editio princeps gewertet mit der Folge, dass das Land Sachsen-Anhalt bis 25 Jahre nach dem ersten Erscheinen von Abbildungen, die von ihm als Eigentümer autorisiert wurden, wie ein Urheber jegliche Verwertung der Himmelsscheibe kontrollieren kann. Das Landgericht hat dem Land Sachsen-Anhalt als Eigentümer solche Rechte für die am 4. Juli 1999 entdeckte, gut 3600 Jahre alte Himmelsscheibe von Nebra zugesprochen, obwohl deren Urheber tausende Jahre tot ist (LG Magdeburg, Urteil vom 16. Oktober 2003, Az. 7 O 847/03; Berufung vor dem Oberlandesgericht Naumburg, Az. 7 U 136/03 am 8. April 2004 nach außergerichtlichem Vergleich zurückgezogen). Einer früheren öffentlichen kultischen Nutzung der Scheibe wurde der Charakter des „Erscheinens“ im Sinne des Urheberrechts abgesprochen. Hintergrund des Rechtsstreits war, dass das Land nach § 12 Abs. 1 des Denkmalschutzgesetzes Sachsen-Anhalts Eigentümer der Scheibe war, sich die Stadt Querfurt jedoch Markenrechte hatte sichern wollen.

In einem zweiten Verfahren entschied ebenfalls das LG Magdeburg im April 2005, dass auch eine der Himmelsscheibe nachgebildete Illustration auf dem Titel eines Buches die Rechte des Landes Sachsen-Anhalt aus der editio princeps und der Bildmarke verletzt[1].

Der Fall Motezuma

Im Juli 2005 ließ die Sing-Akademie zu Berlin mittels einstweiliger Verfügung unter Berufung auf § 71 UrhG die Aufführung einer jüngst in ihrem Archiv wiederentdeckten Vivaldi-Oper Motezuma verbieten. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob dieses Verbot jedoch im August 2005 wieder auf [2].

Entscheidend war dabei, dass das Gericht es als nicht erwiesen ansah, dass das Werk nicht erschienen ist. Als Ausnahme von der grundsätzlichen Benutzungsfreiheit sei § 71 UrhG eng auszulegen. Die Beweislast, dass die Oper nicht erschienen sei, liegt bei der Partei, die sich auf die editio princeps beruft. Als Erscheinen im Sinne des Gesetzes hat das Gericht auch anerkannt, dass das Werk wie zur Entstehungszeit bei anderen vergleichbaren Opern üblich, von Kopisten für das interessierte Publikum vervielfältigt und versandt wurde.

Am 22. Januar 2009 entschied der Bundesgerichtshof letztlinstanzlich, dass die Sing-Akademie keine Urheberrechte an der Partitur genießt, da davon auszugehen ist, dass die Komposition bereits 1733 erschienen ist.[3]

Rechtslage in Österreich

§ 76b des österreichischen Urheberrechtsgesetzes spricht nur von der Veröffentlichung, nicht vom Erscheinen: Wer ein nichtveröffentlichtes Werk, für das die Schutzfrist abgelaufen ist, erlaubterweise veröffentlicht, dem stehen die Verwertungsrechte am Werk wie einem Urheber zu. Dieses Schutzrecht erlischt fünfundzwanzig Jahre nach der Veröffentlichung; die Frist ist nach § 64 zu berechnen. Ein Werk ist gemäß § 8 veröffentlicht, wenn es mit Einwilligung des Berechtigten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Darunter fallen auch öffentliche Wiedergaben (z.B. Opernaufführungen) und Ausstellungen.

Kritik

Kritiker verweisen auf die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch § 71 UrhG und darauf, dass trotz des Fehlens einer einschlägigen Vorschrift, vom Darniederliegen des Editionswesens in der Schweiz nichts zu bemerken ist [4].

Belege

  1. LG Magdeburg vom 19. April 2005, AZ 5 W 32/05
  2. Oberlandesgericht Düsseldorf, Motezuma
  3. BGH-Entscheid I ZR 19/07 - Motezuma vom 22. Januar 2009, Pressemitteilung vom 23. Januar 2009
  4. http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg20555.html

Weblinks


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