Edouard Calic

Edouard Calic

Edouard Calic (* 14. Oktober 1910 in Marčana[1] bei Pula, damals Österreich-Ungarn[2]; † 29. August 2003 in Salzburg[1]) war ein jugoslawischer Journalist, Publizist und Historiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Frühes Leben

Calic wurde 1910 als Sohn einer kroatischen Familie geboren. In den 1930er Jahren kam er als Auslandskorrespondent einer in Zagreb erscheinenden jugoslawischen Tageszeitung nach Berlin. Am 29. Januar 1940 immatrikulierte er sich an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität.

Im Sommer 1942 wurde Calic von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen in Oranienburg verbracht.[3] Als Begründung wurde angegeben, dass er in Verdacht geraten sei „als Ausländer und Angehöriger einer befreundeten Nation“ an „komplottähnlichen Verschwörungen von Ausländern“ beteiligt zu sein. Daher sei er als Risiko für die Staatssicherheit in Vorbeugehaft genommen worden.

Da die Staatspolizei Berlin ihn ohne Schutzhaftbefehl einlieferte, wurde er dort zunächst keiner der gängigen Häftlingsgruppen (Kommunisten, Homosexuelle etc.) zugeordnet. Später kategorisierte man ihn als „Sonderhäftling“ beziehungsweise „Ausweisungshäftling“. Als Ausweisungshäftlinge galten nach den NS-Verwaltungsrichtlinien Häftlinge, die die Staatsbürgerschaft eines mit Deutschland befreundeten Staates besaßen und bei nächster Gelegenheit an diesen ausgeliefert werden sollten.

Während seines Aufenthaltes in Sachsenhausen arbeitete Calic in den Büros des Arbeitseinsatzes und der Verwaltung der Effektenkammer. 1945 soll er am Todesmarsch der Sachsenhäuser KZ-Häftlinge von Sachsenhausen nach Schwerin teilgenommen haben.[4]

Nachkriegszeit

In den ersten Nachkriegsjahrzehnten lebte Calic abwechselnd in Paris und Berlin. Nachdem er sich bereits seit den 1950er Jahren publizistisch betätigte begann er in den 1960er Jahren durch Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte, zumal zur Geschichte des Nationalsozialismus hervorzutreten.

Calics erste größere Arbeit auf diesem Gebiet war das 1966 in Frankreich veröffentlichte Buch Himmler et son Empire, eine Annäherung an Heinrich Himmler und den SS-Apparat, das Calic als ersten Teil einer Trilogie seiner Auseinandersetzung mit dem Machtkomplex SS-Gestapo interpretierte. Als zweiter Teil sah er einen Forschungsbericht zum Reichstagsbrand, den er 1978 publizierte, und als dritten eine 1984 erschienene Biographie von Himmlers Adlatus Reinhard Heydrich. Das Himmler-Buch hat bis heute keine Übertragung ins Deutsche gefunden.

Größere Resonanz fand Calic mit der von ihm 1968 herausgegeben Quellensammlung Ohne Maske. Hitler-Breiting Geheimgespräche 1931. Dieser Band enthielt zwei bis dahin unbekannte Protokolle von Interviews die der Leipziger Journalisten Richard Breiting 1931 mit Hitler geführt haben soll und die Calic im Nachlass von Breiting aufgefunden haben will. Die Interviews geben Einblick in Hitlers damalige politische Gedankenwelt und Zielsetzung. Das Vorwort zu dem Buch steuerte der Historiker Golo Mann bei. Das Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und fand zunächst ein überwiegend positives Echo in der Fachwelt und in den Zeitungen: Der Journalist Sebastian Haffner nannte es in seiner Besprechung etwa „ein historisches Dokument ersten Ranges“, die vieles zur Person Hitlers bereits Bekanntes bestätigten würden und einige neue Details bieten würden. In den 1970er Jahren traten allerdings einige Forscher und Publizisten auf den Plan, die Zweifel an der Authentizität der von Calic präsentierten Dokumente äußerten: So der britische Historiker Hugh Trevor-Roper und vor allem Calics Widersacher in der Reichstagsbrand-Kontroverse Hans Mommsen und Fritz Tobias (siehe unten). In späteren Jahren verdichtete sich die Kritik an dem Breiting-Buch in dem impliziten oder sogar ausgesprochenen Vorwurf, Calic sei einer Quellenfälschung aufgesessen oder habe diese sogar selbst angefertigt. Als Argumente für diese Auffassung wurden vor allem sprachliche Ungewöhnlichkeiten in den Äußerungen Hitlers im Interviewtext (so spricht Hitler etwa von „Domination der Meere“ oder „Diskretionsrecht“ anstatt der im Deutschen gängigen Begriffe Seeherrschaft und Ermessensspielraum) sowie vermeintlicher Anachronismen (so wird der Politiker Franz von Papen in dem Text von 1931 sehr häufig erwähnt, obwohl dieser damals ein recht obskurer Landtagsabgeordneter war, der erst 1932 eine größere Rolle zu spielen begann). Calic Verteidiger hielten dem entgegen, dass kleinere Fehler sich aus Übertragungsfehlern bei der Entzifferung der handschriftlichen Unterlagen ergeben hätten. Nach 1990 konnte mit Hilfe der Akten der Stasiunterlagenbehörde, in deren Akten sich die Überwachung der Korrespondenz der Familie Breiting mit Calic fand, zudem gezeigt werden, dass Calic zumindest in Kontakt mit den Erben Breitings gestanden und von diesen Unterlagen aus dem Nachlass erhalten hatte.

1968 beteiligte Calic sich an der Gründung des Internationalen Komitees zur wissenschaftlichen Erforschung der Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkrieges, das seinen Sitz in Luxemburg hatte, weswegen es auch als Luxemburger Komitee bezeichnet wurde.[5] Zum Teil wurde Calic auch als die treibende Kraft hinter der Gründung dieser Einrichtung gesehen, in der er die Rolle eine Generalsekretär übernahm. Als Ehrenvorsitzende des Komitees konnte er Willy Brandt, der sich aber bald wieder zurückzog, Frankreichs Staatsminister für kulturelle Angelegenheiten André Malraux und den luxemburgischen Parlamentspräsidenten Pierre Grégoire gewinnen. Das Komitee organisierte wissenschaftliche Symposien und Wanderausstellungen zur Geschichte und Aufarbeitung verschiedener Aspekte der NS-Zeit. Publizistisch trat das Komitee überwiegend durch zwei, 1972 und 1978 erschienene, Bände vor, die eine Alleintäterschaft der Nationalsozialisten beim Reichstagsbrand auf der Grundlage neuaufgefundener Dokumente beweisen sollten.[6] Die beiden Dokumentationsbände des Komitees sowie ein ebenfalls 1978 veröffentlichter, von Calic verfasster und von Pierre Gregoire herausgegebener, Forschungsbericht führten zu einer Neubelebung der Reichstagsbrand-Kontroverse. Die folgenden Auseinandersetzung spielten sich zwischen den Angehörigen des Luxemburger Komitees und ihren Befürwortern – die eine Inbrandsetzung des Reichstages durch Täter aus den Reihen der Nationalsozialisten als erwiesen oder zumindest als plausibel ansahen – auf der einen Seite und den Vertretern der Alleintäterschaftsthese – die es für erwiesen hielten, dass der Niederländer Marinus van der Lubbe den Brand alleine und aus eigenem Antrieb verursacht habe – auf der anderen Seite ab. Die Debatte geriet bald zu einem Glaubenskrieg, der in einem sehr scharfen Ton und mit großer Aggressivität geführt wurde. Dabei wurde auch vor wechselseitigen Polemiken und persönlichen Angriffen nicht zurückgeschreckt. Das Hauptangriffsziel in den Reihen der Luxemburger war dabei Calic, dem die Vertreter der Alleintäterthese schließlich unterstellten, er habe die in den Dokumentationsbänden enthaltenen „neuen Dokumente“ nicht aufgefunden, sondern selbst erstellt, i.e. gefälscht. Außer dem Privatforscher Fritz Tobias und dem Historiker Hans Mommsen, als den Hauptvertretern der Alleinthäterthese, wurde diese Auffassung vor allem von einer Gruppe von Politologen vertreten. In organisierter Form wurde der Fälschungsvorwurf in einer 1986 veröffentlichten Aufsatzsammlung erhoben. Der Berliner Historiker Henning Köhler fasste die Prämisse des Bandes mit den Worten zusammen, es ginge ihm darum, nachzuweisen, dass die Komitee-Dokumente „samt und sonders Fälschungen“ seien.[7] Die Zeit sprach dem gleichen Tenor folgend von einer der „unverfrorensten Geschichtsfälschungen dieses Jahrhunderts“. Eine Widerrufsklage Calics wurde Ende 1982 durch das Landgericht Berlin kostenpflichtig abgewiesen.[8] Der Berliner Historiker Jürgen Schmädeke wies die Fälschungsvorwürfe bereits 1979 als in der Sache unbegründete Diffamierungsversuche zurück.[9]

Schriften

  • Le Prophète et L'Atome. Le Réveil de l'Islam vu du Pakistan, du Cachemire, de l'Égypte, Paris 1956.
  • La Chine. Grande Puissance, Paris 1960.
  • Amundsen, le Dernier Viking, Paris s.a. (auf Deutsch als: Roald Amundsen. Der Letzte Wikinger, Düsseldorf 1960; In der DDR als: Kapitän Amundsen, Rostock 1961; auf Spanisch: Amundsen, el Ultimo Vikingo, Madrid 1962; auf Norwegisch: Roald Amundsen, s.l. 1960; auf Tschechisch: Amundsen – Poslední Viking, Prag 1971; auf Slowenisch: Roald Amundsen, Poslednji Viking, Ljubljana 1977; auf Japanisch als: Amunzen. Kyokuchi Tankenka no Eikō to Higeki, Tokyo 2002.)
  • J'ai vu Vivre la Sibérie, Paris 1962.
  • Die Roten Söhne des Himmels, Hannover 1962.
  • Bulgarie Pittoresque et Moderne, Sofia 1964. (auf Deutsch als: Romantisches und Modernes Bulgarien, Sofia 1964; auf Englisch als: Life in Bulgaria as Seen by Édouard Calic, Sofia 1964.)
  • Himmler et Son Empire, Paris 1965. (auf Kroatisch: Himmler i Njegovo Carstvo, Zagreb 1982.)
  • Ohne Maske. Hitler-Breiting-Geheimgesprächen 1931, Frankfurt am Main 1969. (auf Französisch: Hitler Sans Masque, Paris 1969; auf Englisch: Secret Conversations with Hitler. The two Newly-Discovered 1931 Interviews, New York 1971; auf Italienisch als: Hitler Senza Maschera. Le Interviste Segrete Hitler-Breiting del 1931, Florenz 1969; auf Spanisch als: Hitler Sin Máscara, Barcelona 1970; Hitler bez Maske. Tajni Razgovori Hitler-Breiting iz 1931, Pula 1985.)
  • Le Reichstag Brûle!, Paris 1969.
  • Treffpunkt Politik. Erlebnisse und Eindrücke im Hohen Norden, Leipzig 1969. (zusammen mit Friedrich W. Stöcker)
  • Der Reichstagsbrand. Die Provokation des 20. Jahrhunderts. Forschungsergebnis. Mit Stellungnahmen über das Historische Ereignis des 27. Februar 1933, Luxemburg 1978. (zusammen mit Pierre Gregoire)
  • Der Zweite Weltkrieg und der Völkermord. Legenden um Hitler und das Deutsche Volk. Gedenkschrift zum 40. Jahrestag des Kriegsausbruchs, Oberhausen 1979. (zusammen mit Pierre Grégoire und dem Kulturamt der Stadt Oberhausen)
  • Reinhard Heydrich. Schlüsselfigur des Dritten Reiches, Düsseldorf 1982
  • Hache, Zagreb 1982.
  • Evropska Trilogija. Marseille i Drugi Svjetski Rat, Zagreb 1993.
  • Europa Gledana s Balkana. Kritika Koncepcije Globalističkog Revizionizma, Zagreb 2000.
  • Od Hitlera do Bin Ladena. S čovječanstvom k Vječnom Miru, Pula 2002.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Danko Plevnik: Krunski svjedok 20. stoljeća. In: SDMagazin, 6. September 2003
  2. Alexander Bahar, Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand: Wie Geschichte gemacht wird. Edition q, Berlin 2001, ISBN 3-86124-513-2, S. 840 (Ausschnitt).
  3. Die Zeit 48/1979, S. 43.
  4. http://www.ahriman.com/autoren/edouard_calic.htm
  5. Der Spiegel Nr. 04/1970.
  6. Walther Hofer, Edouard Calic, Karl Stephan, Friedrich Zipfel (Hrsg.): Der Reichstagsbrand. Eine wissenschaftliche Dokumentation. Band 1, Berlin 1972; Walther Hofer, Edouard Calic, Christoph Graf, Karl Stephan, Friedrich Zipfel (Hrsg.): Der Reichstagsbrand. Eine wissenschaftliche Dokumentation. Band 2, München 1978.
  7. Henning Köhler, Der „dokumentarische Teil“ der „Dokumentation“ – Fälschungen am laufenden Band, in: Uwe Backes/Karl-Heinz Janßen/Eckhard Jesse/Henning Köhler/Hans Mommsen/Fritz Tobias: Reichstagsbrand – Aufklärung einer historischen Legende, Piper 1986, S. 167 (hier das Zitat) – 216.
  8. Heinrich Zankl: Der grosse Irrtum: Wo die Wissenschaft sich täuschte 2004, S. 37.
  9. Jürgen Schmädeke: „Kabalen um den Reichstagsbrand“. In: Der Tagesspiegel vom 31. Oktober 1979; Ders.: Reichstagsbrand und „Eigentore“. In: Der Tagesspiegel vom 30. November 1979; Ders.: Die Reichstagsbrandkontroverse geht weiter – Fälschungsvorwürfe und dokumentarische Fakten. In: Reichstagsbrandforum der Zentral- und Landesbibliothek Berlin 1999.

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