Ein stolzes Schiff

Ein stolzes Schiff

Heinrich Schacht 1817-1863 schrieb den Text zu dem heute bekannten Lied mit dem Titel: "Die deutschen Auswanderer" Seemanns Liedertafel, Hamburg, 1860. Er war Arbeiterdichter, kein Musiker. So textete er auf bereits bekannte Melodien und ersetzte die bei bekannten Lieder vorhandenen Texte durch seine eigenen. Ein Vorgehensweise, wie man sie im Volkslied sehr häufig bis heute findet. Als Melodie gab er dort für seinen Text der deutschen Auswanderer „Die Liebe schlang das heiligste der Bande“ an. Sie wurde vonJohann Albert Gottlieb Methfessel 1828 in Hamburg komponiert, allerdings nicht zum Text von Schacht, sondern zu dem Text „Die Liebe schlang das heiligste der Bande“. Text und Melodie waren also zwei völlig eigenständige Werke, die historisch unabhängig voneinander und zu völlig unterschiedlichen Zeiten entstanden. Was sie letztlich verbindet ist lediglich der Hinweis von Schacht in seiner Liedertafel. Wahrscheinlich sogar ohne das Wissen von Methfessel, denn es gibt in dessen Werk keinen Hinweis auf Schachts Text.

Das heute durch Zupfgeigenhansel sehr populär gewordene Lied „Ein stolzes Schiff“ ist allerdings nur mit der Melodie von Erich Schmeckenbecher zu verbinden, die mit der von Methfessel nichts zu tun. Zupfgeigenhansel entdeckte den unvollständigen, anonymen Text bereits Anfang der 70er Jahre im Volksliedarchiv in Freiburg als Flugblatt. Die fehlenden Textstellen wurden von ihnen sinngemäß ergänzt und von Schmeckenbecher in der heute gängigen Weise vertont. Der Autor des Textes war unbekannt ebenso wie Schachts Liedertafel.

Das Volksliedrevival der 1970er Jahre, wesentlich geprägt durch die Arbeit von Zupfgeigenhansel, stetzte eine Art Liedersuchwelle in Gang, die viele bis dato unbekannte Lieder zutage förderte. Liederbücher von Hein und Oss Kröher "Das sind unsere Lieder" 1977, "Es wollt ein Bauer früh aufstehn" von Zupfgeigenhansel 1978, das mit einer Auflage von über 250 000 Exemplaren seinerzeit bekannteste Liederbuch, haben dazu angeregt. "Das kleine dicke Liederbuch - 1980" von Heide Buhmann und Hans Peter Haeseler sowie viele später erschienene Anthologien bezogen sich im Wesentlichen auf diese beiden Bücher, abgesehen von den durch die Bewegung inzwischen bekannt gewordenen historischen Volksliedersammler wie Wolfgang Steinitz, Erk-Böhme, Ditfurth, Herder u.v.a. in denen bis heute immer noch "versunkene Schätze" ruhen.

Erst 1995 entdeckte der Liedermacher -, Sammler und Volksliedforscher Jochen Wiegandt den bis dahin als anonym geglaubten Text mit Heinrich Schacht als Autor in einem antiquarischen Buch unter dem Namen "Seemanns Liedertafel". Veröffentlicht wurde dies von ihm in seinem Liederbuch "An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband" (Dölling und Galitz Verlag - 1995) mit vorwiegend Hamburger Liedern.

Hier der Text von Heinrich Schacht: "Die deutschen Auswanderer"

Ein stolzes Schiff streicht einsam durch die Wellen,
Es führt uns uns're deutschen Brüder fort!
Die Flagge weht, die weißen Segel schwellen,
Amerika ist der Bestimmungsort.
Auf dem Verdecke stehen,
noch einmal anzusehen,
das Vaterland, das heimatliche Grün,
Mann, Weib und Kind, eh' sie von dannen ziehen.
Dort zieh'n sie hin, wer wagt es, noch zu fragen
Warum verlassen sie ihr Vaterland?
O, altes Deutschland, kannst du es ertragen,
daß deine Völker werden so verbannt?
Schaut her. Ihr Volksbeglücker,
schaut her, Ihr Unterdrücker,
seht eure besten Arbeitskräfte flieh'n,
seht, wie sie über's große Weltmeer zieh'n.
Wir stehen hier am heimatlichen Strande
und blicken unsern deutschen Brüdern nach.
Nicht Hochmuth treibt sie aus dem Vaterlande,
Nein, Nahrungslosigkeit und Noth und Schmach.
Was hier nicht war zu finden,
wollen sie sich dort begründen;
Sie segeln von dem deutschen Boden ab
und suchen in Amerika ein Grab.
Dort zieh'n sie hin auf wilden Meereswogen,
arm kommen sie im fernen Welttheil an,
und unter'm fremden, weiten Himmelsbogen
erwartet sie ein neues Schicksal dann:
Elend, Armuth und Kummer
wiegt sie gar oft in Schlummer.
O altes Deutschland, kannst du ohne Grau'n
die Flucht der armen Landeskinder schau'n?“

(Aus: Jochen Wiegandt "An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband", Dölling und Galitz Verlag, 1995)


hier der Text des Flugblattes (DVA) mit Ergänzung von Zupfgeigenhansel: "Ein stolzes Schiff"

Ein stolzes Schiff streicht einsam durch die Wellen
und führt uns uns're deutschen brüder fort.
Die Fahne weht, die weißen segel schwellen,
Amerika ist der Bestimmungsort.
Seht, auf dem verdeck sie stehen,
Sich noch einmal umzudrehen,
Ins vaterland, ins heimatliche Grün.
Seht, wie sie übers große Weltmeer zieh'n.
Sie zieh'n dahin auf blauen Meereswogen.
Warum verlassen sie ihr Heimatland?
Man hat sie um ihr leben schwer betrogen;
Die Armut trieb sie aus dem Vaterland.
Schauet auf, ihr Unterdrücker,
Schauet auf, ihr Volksbetrüger!
Seht, eure besten Arbeitskräfte flieh'n.
Seh't, wie sie übers große Weltmeer zieh'n.
Sie zieh'n dahin, wer wagt sie noch zu fragen?
Warum verlassen sie ihr heimatland?
O, armes Deutschland, wie kannst du es ertragen,
Daß deine Brüder werden so verbannt:
Was sie hofften, hier zu gründen,
Suchen sie dort drüben zu finden.
Drum ziehen sie von deutschem Boden ab
Und finden in Amerika ihr Grab.“


Ein weiterer Text aus: Helmut Glagla, Hamburg im plattdeutschen Drehorgellied des 19. Jahrhunderts, Hamburg 1974, DVA: V1 4812.

Ein stolzes Schiff streicht einsam durch die Wellen,
Es führt uns uns're deutschen Brüder fort!
Die Flagge weht, die weißen Segel schwellen,
Amerika ist der Bestimmungsort.
Auf dem Verdecke stehen,
noch einmal anzusehen,
das Vaterland, das heimatliche Grün,
Mann, Weib und Kind, eh' sie von dannen ziehen.
Dort zieh'n sie hin, wer wagt es, noch zu fragen
Warum verlassen sie ihr Vaterland?
O, altes Deutschland, kannst du es ertragen,
daß deine Völker werden so verbannt?
Schaut her. Ihr Volksbeglücker,
schaut her, Ihr Unterdrücker,
seht eure besten Arbeitskräfte flieh'n,
seht, wie sie über's große Weltmeer zieh'n.
Wir stehen hier am heimatlichen Strande
und blicken unsern deutschen Brüdern nach.
Nicht Hochmuth treibt sie aus dem Vaterlande,
Nein, Nahrungslosigkeit und Noth und Schmach.
Was hier nicht war zu finden,
wollen sie sich dort begründen;
Sie segeln von dem deutschen Boden ab
und suchen in Amerika ein Grab.
Dort zieh'n sie hin auf wilden Meereswogen,
arm kommen sie im fernen Welttheil an,
und unter'm fremden, weiten Himmelsbogen
erwartet sie ein neues Schicksal dann:
Elend, Armuth und Kummer
wiegt sie gar oft in Schlummer.
O altes Deutschland, kannst du ohne Grau'n
die Flucht der armen Landeskinder schau'n?“


Hier die leicht veränderte Version des Liedes von 1925.

„Ein stolzes Schiff streicht langsam durch die Wellen
Und führet unsre deutschen Brüder fort;
Der Ostwind weht, die weißen Segel schwellen
Amerika ist ihr Bestimmungsort.
So auf dem Verdeck zu stehen,
Nach der Heimat hinzusehen:
Amerika, zu fernen Kolonien
Seht ihr sie übers große Weltmeer ziehn?
Da ziehn sie hin! Wer wagt's danach zu fragen,
Warum verlassen sie ihr Heimatland?
Du armes Deutschland, kannst du es ertragen,
Wie deine Söhne man so hart verbannt?
Schauet her, ihr Volksbeglücker,
Schauet her, ihr Unterdrücker,
Seht eure besten Arbeitskräfte fliehn!
Seht ihr sie übers große Weltmeer ziehn?
Da ziehn sie hin auf blaue Meereswogen
Was schauen wehmutsvoll sie noch zurück?
Sind in der Heimat sie so arg betrogen?
Daß sie im fremden Land nun suchen jetzt ihr Glück?
Was sie hier nicht konnten finden,
Suchen sie sich dort zu gründen,
Sie segeln hier vom deutschen Boden ab
Und finden in der Fremde dann ihr Grab.“

(Aus: Louis Mosberg, Frohes Lied. Handwerker- Wander- u. Volkslieder. Bielefeld 1925.)

Das Lied in den 70er Jahren

Seit Anfang der 70er Jahre waren die Liedermacher Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz unter dem Namen „Zupfgeigenhansel“ darum bemüht, alte deutsche Volkslieder für die heutige Zeit aufzugreifen und mit ihren Instrumenten „Lieder von Demokraten, aufsässigen Bauern und lüsternen Pfaffen, denen Volkes Mund nur gar zu gern mal eins aufs geheiligte Haupt gab [...] Musikantenstadln, Bierzelten und Vereinsmeiereien“ entgegenzusetzen (Musikwoche). Sie griffen u.a. auch den nicht vollständigen Text eines von ihnen im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) aufgefundenen Flugblattes „Ein stolzes Schiff“ (ohne Melodie) bei ihren Recherchen auf, zu dem Erich Schmeckenbecher eine neue Melodie schrieb. Die dort fehlenden Textzeilen wurden von ihnen sinngemäß ergänzt. Das Lied wurde mit „Zupfgeigenhansel“ über die Jahre sehr populär. In dieser neuen Version brachte es die Thematik "48er Auswanderung" Mitte der 70er (Zupfgeigenhansel: Volkslieder III) wieder ins Bewusstsein der Menschen und wurde später von vielen Kollegen (Liederjan, Gerhard Gundermann, Paul Bartsch, Grenzgänger u.a.) thematisch aufgegriffen.

Das Lied in der Nachwendezeit

Pauls Bartsch, ein Liedermacher aus den neuen Bundesländern, der das Lied von Zupfgeigenhansel aufgriff, vergleicht die Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts, welche in diesem Lied beschrieben wird, mit der gegenwärtigen Auswanderungswelle von jungen Menschen in Ostdeutschland. Das hat er in einer vierten Strophe, ergänzend zu den Zupfgeigenhanseln zum Ausdruck gebracht:

„Das Schiff bleibt hinterm Horizont verschwunden,
das Aug' läuft über und das Herz ist schwer.
Der Schmerz der hundert Jahre alten Wunden
flammt wieder auf bei dieser Wiederkehr:
Wieder zieht's die Jungen in die Ferne,
wieder leuchten drüben hell die Sterne
und wieder merken wir's erst, wenn's zu spät,
dass uns am End' die Heimat untergeht.“

Fragwürdig ist hier die Vermengung von gesellschaftspolitischen Prozessen,(1848 einerseits und 1989 andererseits) deren unterschiedliche politische wie wirtschaftliche Wahrheiten historisch nicht zu vergleichen sind.

Auch der rechtsextreme Liedersänger Fank Rennicke u. a. benutzen das Lied in der Fassung von Zupfgeigenhansel, allerdings auch ohne den entsprechenden historisch belegten Bezug. Sie möchten lediglich durch ihre Art der Geschichtsklitterung beweisen, dass ihre politischen Ziele richtig sind. Ein in dieser Szene längst bekanntes und an die Lächerlichkeit grenzendes Mittel politischer Agitation.

Immer wieder werden neue abenteuerliche Verbindungen und eigenartig Wissensstände angeblich "historischer Zusammenhänge" vor allem im Internet kolportiert, die einer seriösen Recherche letztlich nicht standhalten. Besonders auffällig ist, was die beiden Melodien von Schmeckenbecher und Methfessel betrifft, die gerne verwechselt werden, die allerdings nur der Musik- und Notenunkundige nicht auseinanderhalten kann.

Hörbeispiele


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