Eingliederungshilfe

Eingliederungshilfe

Teilhabe bedeutet nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2001 [1] das „Einbezogensein in eine Lebenssituation“. „Behinderung“ bedeutet nach dieser Definition neben der medizinisch diagnostizierbaren „Schädigung“ eine „Beeinträchtigung der Teilhabe als Wechselwirkung zwischen dem gesundheitlichen Problem (ICD) einer Person und ihren Umweltfaktoren“. Letztere ist nicht vollständig objektivierbar (Beispiel: Es ist schwer anzugeben, wie stark jemand, der stottert, in der „Domäne mündliche Kommunikation in großen Gruppen“ beeinträchtigt ist, da das auch von seinem Selbstbewusstsein und der Toleranz der Mitdiskutanten abhängt).

Inhaltsverzeichnis

Die verschiedenen Facetten des Begriffs „Teilhabe“

Soziale Inklusion

In einem umfassenden Sinne bedeutet Teilhabe, unter normalen (Wettbewerbs-)Bedingungen am Arbeitsleben oder am Leben in der Gesellschaft teilnehmen zu können. Hierfür ist es erforderlich, eine Barrierefreiheit zu schaffen, d.h. Faktoren zu beseitigen, die dem Unvermögen des behinderten Menschen (vgl. auch den englischen Begriff "disability") in einem Kontext Bedeutung verleihen.

Beispiele:

  • Rollstuhlfahrer können ohne fremde Hilfe an einer Veranstaltung teilnehmen, weil der Veranstaltungsort nicht nur über eine Treppe oder enge Türen erreichbar ist.
  • Blinde Menschen können ohne fremde Hilfe Informationen in Brailleschrift oder als Tonaufnahme rezipieren.
  • Kognitiv beeinträchtigte Menschen können Texte ohne Interpretationshilfen verstehen, wenn sie in Leichter Sprache verfasst sind.

Verwirklicht wird Teilhabe im Sinn von Inklusion vor allem durch eine Politik der Gleichstellung.

Soziale Integration

Georg Feuser[2] definiert­ Integration als „die gemeinsame Tätigkeit (Spielen/Lernen/Arbeit) am gemeinsamen Gegenstand/Produkt in Kooperation von behinderten und nichtbehinderten Menschen.“ Behinderte Menschen sind demzufolge in eine Kommunikations- oder Arbeitsgemeinschaft einbezogen; für sie gelten aber reduzierte Anforderungen oder Sonderbedingungen (z.B. in Form verlängerter Bearbeitungszeiten bei Prüfungen für sehbehinderte Menschen).

Förderung in Sondereinrichtungen

Teilhabe findet auch in Sondereinrichtungen und bei Veranstaltungen ausschließlich für behinderte Menschen statt (z.B. in „Werkstätten für behinderte Menschen“, in Sonder- bzw. Förderschulen oder Tagesbildungsstätten, in Behinderten-Sportvereinen usw.). Ein bekanntes Beispiel für diese Art der Teilhabe sind die „Paralympics“, an denen nur behinderte Menschen als Aktive teilnehmen. Im Hinblick auf die Beschulung in Förderschulen stellte der Unterausschuss des Menschenrechtsausschusses für die Prävention vor Diskriminierung und des Schutzes von Minderheiten der Vereinten Nationen 1993 fest, die getrennte Schulerziehung sei akzeptabel, wenn die „Natur“ oder die „Schwere der Behinderung“ die betroffene Personen daran hindere, „normale“ Klassen zu besuchen[3].

Bei den Beratungen zur Behindertenrechtskonvention der UNO setzte sich allerdings ab 2001 die Position durch, wonach der integrative Unterricht für die ganz überwiegende Mehrzahl der Schüler mit Behinderungen, darunter auch Schüler mit geistiger Behinderung, sich vorteilhaft für den Erwerb von Bildungsabschlüssen, die spätere Berufsausbildung und die Einkommenshöhe auswirke[4].

Leistungen zur Teilhabe

Als Leistungen zur Teilhabe, früher Eingliederungshilfe, werden in Deutschland sachliche Leistungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen bezeichnet. Alle rechtlichen Bestimmungen zur Teilhabe lassen sich letztlich auf die aktuelle Fassung des Art.3 des Grundgesetzes zurückführen, der ausdrücklich eine Benachteiligung von Menschen auf Grund ihrer Behinderung verbietet.

Der SGB IX Paragraph § 4 "Leistungen zur Teilhabe" besagt:

(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung

  • die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
  • Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
  • die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
  • die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.

(2) Die Leistungen zur Teilhabe werden zur Erreichung der in Absatz 1 genannten Ziele nach Maßgabe dieses Buches und der für die zuständigen Leistungsträger geltenden besonderen Vorschriften neben anderen Sozialleistungen erbracht. [...]

(3) Leistungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder werden so geplant und gestaltet, dass nach Möglichkeit Kinder nicht von ihrem sozialen Umfeld getrennt und gemeinsam mit nicht behinderten Kindern betreut werden können. [...]

Leistungsarten

Das Sozialgesetzbuch IX ist hierbei das Hauptwerk, auf das sich andere Sozialgesetzbücher beziehen. Z.B. SGB III (Arbeitsförderung §97-§115), SGB XII (Grundsicherung - Eingliederungshilfe §53-§60), Kraftfahrzeughilfe nach § 40 SGB VII.

Nach SGB IX stehen behinderten Menschen folgende Arten von Leistungen zur Teilhabe zu:

  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§§ 26 bis 32 SGB IX)
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (früher „Berufliche Rehabilitation“ genannt)(§§ 33 bis 43 SGB IX)
  • Unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen (§§ 44 bis 54 SGB IX), darunter fallen z.B. Sozialhilfe und Grundsicherung
  • Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§§ 55 bis 59 SGB IX)

Siehe auch Kraftfahrzeughilfe-Verordnung

Grundsätzliches Ziel ist dabei, durch die zu erbringenden Leistungen die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden.

Leistungsträger

Rehabilitationsträger sind die Bundesagentur für Arbeit, die Rentenversicherungsträger, die gesetzlichen Krankenkassen, die Unfallversicherungsträger, die Sozialhilfeträger, die Träger der Kinder- und Jugendhilfe und die Versorgungsverwaltung.

Leistungen zur Teilhabe haben grundsätzlich Vorrang vor Rentenleistungen nach dem SGB VI, BVG, SGB VII und vor anderen Sozialleistungen sowie vor Pflegeleistungen (§ 8 SGB IX).

Siehe auch

Weblinks

  • [2] GEW: Gutachten zu den völkerrechtlichen und innerstaatlichen Verpflichtungen aus dem Recht auf Bildung nach Art. 24 des UN-Abkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und zur Vereinbarkeit des deutschen Schulrechts mit den Vorgaben des Übereinkommens, erstellt im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung

Einzelnachweise

  1. in der "International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF)", auf Deutsch 2005 erschienen, veröffentlicht unter [1]
  2. http://www.feuser.uni-bremen.de/publik/integration.html
  3. Max-Traeger-Stiftung: Gutachten zu den völkerrechtlichen und innerstaatlichen Verpflichtungen aus dem Recht auf Bildung nach Art. 24 des UN-Abkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und zur Vereinbarkeit des deutschen Schulrechts mit den Vorgaben des Übereinkommens. S.19f. http://www.gew.de/Binaries/Binary42647/080919_BRK_Gutachten_finalKorr.pdf
  4. Max-Traeger-Stiftung: Gutachten zu den völkerrechtlichen und innerstaatlichen Verpflichtungen aus dem Recht auf Bildung nach Art. 24 des UN-Abkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und zur Vereinbarkeit des deutschen Schulrechts mit den Vorgaben des Übereinkommens. S.20 http://www.gew.de/Binaries/Binary42647/080919_BRK_Gutachten_finalKorr.pdf

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