Einwohnerwehr

Einwohnerwehr
Festakt der Einwohnerwehren 1920 am Königsplatz

Einwohnerwehren bildeten sich nach dem Ende des Ersten Weltkrieges besonders im monarchistisch-konservativen Bayern.

Inhaltsverzeichnis

Einwohnerwehren auf Reichsebene

Nachdem in Reaktion auf den Spartakusaufstand in Berlin im Januar 1919 bereits erfolgreich Bürgerwehren zu Stabilisierung der Lage auf den Straßen beitrugen, wies das Reichswehrministerium am 22. März 1919 alle Generalkommandos an, lokale Bürgerwehren zu zentral gelenkten Einwohnerwehren auf Landesebene nach einheitlichen Muster auszugestalten. Die neu geschaffenen Einwohnerwehren sollten über eine Reichszentrale dann direkt der Reichswehrführung unterstellt werden. Als Aufgabenbereich wurde ein lokaler Ordnungsdienst im Zusammenwirken mit der örtlichen Polizei definiert. Im Notfall sollten die Einwohnerwehren jedoch als stille Heeresreserve dienen. Infolge der alliierten Entwaffnungsgebote wurden die Einwohnerwehren auf Reichsebene aus ihrer militärischen Unterstellung gelöst und den einzelnen Länderministerien unterstellt. Die Alliierten verstanden die Einwohnerwehren jedoch weiterhin als Wehrersatzformation, die gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages aufzulösen seien. Nach dem gescheiterten Kapp-Putsch verfügte der preußische Innenminister die Auflösung der Einwohnerwehren. Dieser Verfügung schlossen sich im Sommer 1920 die übrigen Länder des Reiches und das Reich an. Lediglich Bayern weigerte sich seine Einwohnerwehren aufzulösen und hielt den Selbstschutzapparat ein weiteres Jahr am Leben.[1]

Die Bayerischen Einwohnerwehren

Entstehung

Nachdem die bayerische Staatsregierung, aufgrund der revolutionären Ereignisse, im Zuge des Ausrufes der Münchner Räterepublik nach Bamberg fliehen musste, ließ sich der bayerische Ministerpräsident Hoffmann vom Reichswehrminister Noske überzeugen, eine Bürgerwehr nach preußischen Vorbild aufzubauen und rief bereits am 14. April 1919 Arbeiter, Bauern und Bürger auf, zu den Waffen zu eilen und eine freiwillige Volkswehr zu bilden.[2] In Folge dessen kam auch Rudolf Kanzler in den Besitz einer Generalvollmacht "zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung" , welche verbunden war mit einer Finanzierungszusage von 500.000 Mark. Diese und weitere Vollmachten nutzte Kanzler zum Aufbau eines Freikorps, welches an der Befreiung der "Spartakistenhochburg" Kolbermoor mitwirkte.[3] In der Folgezeit nutzte Kanzler das von ihm aufgebaute und bewaffnete Freikorps, um flächendeckend Einwohnerwehren zu organisieren. Von Rosenheim ausgehend, begann Kanzler Ableger seiner Einwohnerwehrorganisation in den umliegenden Gemeinden zu gründen. Schritt für Schritt vergrößerte sich sein Einflussgebiet, wobei er sternförmig vorging.[4] Auch in Isen begann der Forstrat Georg Escherich, welcher über zahlreiche Kontakte zur Politik und zum Militär verfügte, mit dem Aufbau einer Einwohnerwehr. Mitte April 1919 hatte er bereits die Ortswehr seines Bezirks Isen aufgestellt. Von dort aus gründete er, wie Kanzler, in den umliegenden Gemeinden weitere Einwohnerwehren, welche er im "Isengau" zusammenschloss und sich am 14. Mai 1919 auf einer Versammlung in Haag zu deren Gauhauptmann wählen ließ.[5] Eine weitere Urzelle bildete sich in Wasserburg am Inn, wo vom Freikorpsführer Heinrich Schneider am 6. Mai die Organisation der Einwohnerwehren an alle Gemeinden des Bezirksamtes verkündet.[6] Am 21. Juni 1919 berief der Regierungspräsident von Oberbayern Gustav Ritter von Kahr die sämtlichen Bezirksvorstände von Oberbayern zu einer Besprechung der Einwohnerwehrangelegenheit ein. Diese Besprechung, welche zum Ziel hatte sämtliche Bezirksvorstände für den Zusammenschluss und weiteren Ausbau der Einwohnerwehren für zunächst ganz Oberbayern zu gewinnen, war von Erfolg gekrönt.[7] In der Folge kam es jedoch zu Streitigkeiten zwischen Escherich und Kanzler bezüglich der Struktur des aufzubauenden Wehrapparates und der Abhängigkeit von der bayerischen Staatsregierung. Escherichs Konzept, was rein bürgerlich und antisozialdemokratisch angelegt war und somit beim Beamtenklüngel um von Kahr sehr viel mehr Gehör fand, konnte sich letztendlich durchsetzen. Um die Differenzen jedoch aus dem Weg zu räumen, bot man Kanzler die Stelle des stellvertretenden Vorsitzenden der bayerischen Einwohnerwehren an.[8] Nachdem Escherich ende August 1919 in Franken erfolgreich für die Einwohnerwehr werben konnte, so dass Würzburg, Bayreuth, Nürnberg und Bamberg Gaue der Einwohnerwehren Bayerns wurden, folgte am 27. September 1919 die Gründung des Landesverbandes der Einwohnerwehren Bayerns. Zum Landeshauptmann wurde am 16. Dezember Georg Escherich und zu dessen Stellvertreter Rudolf Kanzler gewählt. Um wenigstens formell dem Konflikt mit dem Versailler Vertrag aus dem Weg zu gehen, erfolgte am 4. März 1920 die Umgliederung in einen privatrechtlichen Verein.[9]

Stärke

Für Anfang 1919 schätzte der bayerische Innenminister Endres die personelle Stärke der bayerischen Einwohnerwehren auf rund 200.000 Wehrmänner. Für Januar 1920 gab Kanzler den Mitgliederbestand mit rund 260.000 und für Mai 1920 mit schon über 300.000 Wehrleuten an.[10]

Bewaffnung

Grundsätzlich sollte jeder Wehrmann mit einem Gewehr 98 und 50 Patronen und jede Ortswehr mit einem M.G. und 2000 Patronen ausgerüstet sein.[11] Beschafft wurden die Waffen größten Teils über die Reichswehrbrigade 21 (Brigade Epp) dessen Waffenreferent Ernst Röhm eine unvorstellbare Menge an Waffen an die Einwohnerwehr lieferte.[12] Man wollte mit den Waffentransfers den Zugriff der Siegermächte auf die Reichswehrwaffen unterbinden und den Grundstock für eine Neuaufrüstung legen. Bis Oktober 1919 konnten alle südbayerischen Gaue mit ausreichend Waffen, Munition und Wehrmaterial versorgt werden. Escherich gab in seinem unveröffentlichte Manuskript an, dass bis zu diesen Zeitpunkt über "2,5 Mio. Infantriegewehre, 130.000 leichte M.G., 3000 schwere M.G., 100 leichte Feldartillerie-Batterien, eine ganze Reihe 15-cm-Haubitzen und 13-cm-Langrohrkanonen sowie 30 Flugzeuge neuster Bauart nach Bayern" geliefert wurden.[13] Zu diesem Zeitpunkt war die Bewaffnung Nordbayerns noch nicht abgeschlossen. Da aber in ganz Bayern die transferierbaren Waffenbestände zur Neige gingen, wurde der Versuch unternommen die fehlenden Bestände beim Preußischen Inneministerium anzufordern. Daraufhin setzten sich im Februar 1920, 200.000 Gewehre, 10 Mio. Patronen, 3 Panzerwagen und weiteres Wehrmaterial, mittels Zug in Bewegung, Richtung der beiden Einwohnerwehr-Waffengroßlager Wasserburg und Erlangen. Somit war es möglich ganz Bayern mit Waffen auszurüsten.

Literatur

  • Richard Bauer (Hrsg.): München – „Hauptstadt der Bewegung“. Bayerns Metropole und der Nationalsozialismus. Klinkhardt und Biermann, München 1993, ISBN 3-7814-0362-9 (Katalog zu einem Ausstellungsprojekt des Münchner Stadtmuseums), S. 98.
  • Hans Bernhard Eden: Die Einwohnerwehren Ostfrieslands von 1919 bis 1921. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Bildende Kunst und Vaterländische Altertümer zu Emden 65, 1985, ISSN 0341-969X, S. 81–134.
  • Kurt Frotscher: Der 9. November 1923 - Marschbeginn in eine nationale Katastrophe. In: Kurt Frotscher: Der 9. November. Ein deutsches Geschichtsdatum. GNN-Verlag, Schkeuditz 2003, ISBN 3-89819-142-7, S. 29–53, bes. S. 41.
  • Harold J. Gordon: Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923–1924. Bernard & Graefe, Frankfurt am Main 1971, ISBN 3-7637-5108-4, S. 198f.
  • Jürgen Jensen: Einwohnerwehren und Selbstschutzorganisationen in Schleswig-Holstein 1918–1921. Kiel 1991 (Kiel, Univ., Hausarbeit zur Wissenschaftlichen Prüfung für das Lehramt an Gymnasien, 1991).
  • Rudolf Kanzler: Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus. Geschichte der bayerischen Einwohnerwehren. Parcus & Co., München 1931.
  • Erwin Könnemann: Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände. Ihre Funktion beim Aufbau eines neuen imperialistischen Militärsystems. (November 1918 bis 1920). Deutscher Militärverlag, Berlin-Ost 1971.
  • Hannsjörg Zimmermann: Die Einwohnerwehren. Selbstschutzorganisationen oder konterrevolutionäre Kampforgane? In: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 128, 2003, ISSN 0072-4254, S. 185–212.

Einzelnachweise

  1. Bruno Thoß, Einwohnerwehren, 1919-1921, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44363> (14. Oktober 2009)
  2. Aufruf der bayerischen Regierung zum Schutz des Landes, abgedruckt in: Weichmann, Martin: "Ruhe und Ordnung um jeden Preis". Weißenburger und Weißenburg zwischen Räterepublik und Hitlerputsch, in: Villa Nostra 1/2008, S. 7.
  3. Kanzler Rudolf: Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus, S. 21-23.
  4. Nußer, Horst: Konservative Wehrverbände in Bayern, Preußen und Österreich 1918-1933, S. 88.
  5. Schneider, Heinrich: Geschichte der Einwohnerwehren des Inngaues, Wasserburg am Inn 1928, S. 57-58.
  6. Schneider: Die Einwohnerwehren des Inngaues, S. 57., sowie Nußer: Konservative Wehrverbände, S. 90
  7. Schneider: Die Einwohnerwehren des Inngaues, S. 57-58.
  8. Nußer: Konservative Wehrverbände, S. 100-101.
  9. Christoph Hübner, Landesverband der Einwohnerwehren Bayerns, 1920/21, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44542> (9. Oktober 2009)
  10. Fenske: Konservatismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918, S. 86.; sowie Kanzler: Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus, S. 161.
  11. Kanzler: Bayerns Kampf gegen den Bolschewismus, S. 176.
  12. Wächter, Katja-Maria: Die Macht der Ohnmacht. Leben und Politik des Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1946), Frankfurt am Main 1999, S. 81.
  13. Zit. nach Nußer: Konservative Wehrverbände, S. 131.

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