Elbjunker

Elbjunker

Als Junker (von mhd. Juncherre = junger Herr, Jungherr) wurden Rittergutsbesitzer in den ländlich geprägten Gebieten Ostelbiens bezeichnet, die meist (aber nicht unbedingt) zum preußischen Adel gehörten.

Der ursprünglich anders verwendete Begriff Junker wurde im 19. Jahrhundert zunächst zu einer Kampfbezeichnung der Liberalen und später der Sozialisten, um ein wichtiges Rekrutierungsbecken ihrer konservativen Gegner - den ostelbischen Landadel - zu bezeichnen. Die pejorative Bezeichnung Junker setzte sich spätestens seit dem Junkerparlament im liberalen politischen Sprachgebrauch fest. Sie wurde von Seiten der so Bezeichneten ostelbischen Adligen allerdings immer wieder aktiv aufgenommen und zur Selbstbezeichnung verwendet. Als sozialwissenschaftlicher Begriff ist der Terminus Junker schwierig, da eine klare Zuordnung kaum möglich ist. Dass er bis heute immer wieder verwendet wird, liegt vor allem an langfristigen Tradierungslinien von Max Weber über Hans Rosenberg bis zu Hans-Ulrich Wehler, durch die Kampfbegriffe aus den politischen Auseinandersetzungen des Kaiserreiches nahtlos und kaum hinterfragt in sozialgeschichtliche Deutungsmuster übernommen worden.

Die Junker besaßen insbesondere im 19. und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im östlich der Elbe gelegenen, auch Ostelbien genannten Kerngebiet Preußens eine bedeutende politisch-ökonomische Machtstellung, die politisch u.a. durch das preußische Dreiklassenwahlrecht ökonomisch durch ihren erheblichen Großgrundbesitz begünstigt wurde.

Der Landadel stand in dem Ruf, sehr konservativ, antiliberal und antidemokratisch gesinnt zu sein, und galt als reaktionäre Stütze des preußischen Staats- und Militärwesens und der Monarchie der Hohenzollern. Er dominierte praktisch die gesamte politische Elite der preußischen Stammlande mit Ausnahme der durch ihre urbanen Strukturen geprägten Stadt Berlin. Die Herrschaft der Junker wurde durch im ländlichen Raum tief verwurzelte aristokratische Traditionen und die Verbundenheit der Familien mit dem preußischen Militär gestützt, in dem die Söhne seit Generationen als Offiziere dienten. Ihre Einkünfte bezogen die Junker vornehmlich aus der Landwirtschaft, in der sie eine monopolartige Stellung innehatten, welche sie nicht nur in den ostelbischen Gebieten, sondern auch im restlichen Preußen und dann im gesamten Reich erfolgreich zu behaupten wussten (Vgl. Schiller, Großgrundbesitz). Das Wort „Junker“ bekam in liberaleren Kreisen einen negativen Beigeschmack und wurde zu einem polemischen Kampfbegriff, der die Vorstellung eines rückständigen, bornierten und unkultivierten Gutsherrn mit ungehobelten Manieren und autoritärem Gebaren hervorrief. Bereits seit den 1850er Jahren benutzte man in ähnlicher Weise den spöttischen Ausdruck "Krautjunker". In diesem Sinne sprach etwa der selbst aus dem schlesischen Landadel stammende und in seinen Kreisen als „roter Baron“ verschrieene SPD-Politiker Kurt Freiherr von Reibnitz abfällig vom „kleinen ostelbischen Landadel“.[1]

In einem von vielen Prominenten aus dem damaligen Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturbetrieb mitunterzeichneten Aufruf für die Abschaffung des Zensuswahlrechts verlangte der liberale Publizist Theodor Wolff 1909 im Berliner Tageblatt, die „agrarkonservative Vorherrschaft über Preußen“ zu brechen, und sprach von „jener kleinen Oberschicht, die sich in den östlichen Provinzen Preußens dem Eindringen modernen Geistes erfolgreich entgegenstemmt“.[2]

Die Forschung sieht in der reaktionären Gesinnung und einflussreichen Position der Junker und Großagrarier im politischen Leben Preußens ein entschiedenes Hindernis der deutschen Entwicklung und schreibt einigen Junkern, die 1932/1933 zum einflussreichen Kreis der so genannten „Kamarilla“ um den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gehörten, eine Mitverantwortung an der Machtergreifung der NSDAP unter Adolf Hitler zu.[3] Allerdings entstammten auch einige führende Köpfe des späteren deutschen Widerstandes dem preußischen „Junkertum“, so z. B. Erwin von Witzleben und Henning von Tresckow.

In den späten 1940er Jahren stand die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone unter der Devise Junkerland in Bauernhand. Neben den Ostgebieten des Deutschen Reiches jenseits der Oder-Neiße-Linie, die sich damals bereits unter polnischer bzw. unter sowjetischer Verwaltung befanden, war auch die Landwirtschaft Mecklenburgs, Vorpommerns und der Mark Brandenburg sehr stark vom junkerlichen Großgrundbesitz geprägt gewesen. Die Junkergüter wurden zuerst unter Kleinbauern aufgeteilt und im Zuge der späteren Kollektivierung zu landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften (LPG) zusammengefasst. In diesem Zusammenhang sollten mit dem Motto „Junkerland in Bauernhand“ die in Deutschland vorhandenen alten Ressentiments gegen die preußische Junkerherrschaft propagandistisch nutzbar gemacht werden, um die Akzeptanz der bodenpolitischen Ziele der sowjetischen Besatzungsmacht bei der Bevölkerung zu erhöhen.

Nach der Wiedervereinigung kehrten einige ehemals dem ostelbischen Landadel angehörende Familien wieder in ihre frühere Heimat zurück. Aufgrund der sowjetischen Enteignungen mussten sie ihre ehemaligen Besitzungen zurückkaufen oder pachten.

Prominente Vertreter des ostelbischen Landadels sind Otto von Bismarck, Elard von Oldenburg-Januschau, Paul von Hindenburg, Marion Gräfin Dönhoff und Vera (Veruschka) Gräfin von Lehndorff.

Die literarische Karikatur eines typischen ostelbischen Junkers findet sich in der Figur des großspurigen preußischen Regierungspräsidenten von Wulckow in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ (1914). Eindrucksvolle Schilderungen der Verhältnisse und Mentalitäten im Landadel der damals zu Preußen gehörenden Mark Brandenburg finden sich auch in Theodor Fontanes Roman „Der Stechlin“ (1898).

Literatur

  • Bruno Buchta: Die Junker und die Weimarer Republik. Charakter und Bedeutung der Osthilfe in den Jahren 1928-1933, Berlin 1959.
  • Walter Görlitz: Die Junker: Adel und Bauer im deutschen Osten. Geschichtliche Bilanz von 7 Jahrhunderten. Glücksburg/Ostsee 1956.
  • Francis L. Carsten: Geschichte der preußischen Junker. Frankfurt/Main 1988, ISBN 3-518-11273-2.
  • Francis L. Carsten: Der preußische Adel und seine Stellung in Staat und Gesellschaft bis 1945. In: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen 1989, S.112-125, ISBN 3-525-36412-1.
  • Heinz Reif (Hrsg.): Ostelbische Agrargesellschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Agrarkrise - Junkerliche Interessenpolitik - Modernisierungsstrategien. Berlin 1994, ISBN 3-05-002431-3.
  • Johannes Rogalla von Bieberstein: Preußen als Deutschlands Schicksal. Ein dokumentarischer Essay über Preußen, Preußentum, Militarismus, Junkertum und Preußenfeindschaft, München 1981, ISBN 3-597-10336-7.
  • Hans Rosenberg: Die Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse. In: ders.: Machteliten und Wirtschaftskonjunkturen: Studien zur neueren deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Göttingen 1978, S. 83-117, ISBN 3-525-35985-3.
  • René Schiller: Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Ökonomische uns soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert., Berlin 2003.
  • Hanna Schissler: Die Junker. Zur Sozialgeschichte und historischen Bedeutung der agrarischen Elite in Preußen. In: Hans-Jürgen Puhle/ Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.): Preußen im Rückblick. Göttingen 1980 (= Reihe Geschichte und Gesellschaft: Sonderheft 6), S. 89-122, ISBN 3-525-36405-9.
  • Cornelius Torp: Max Weber und die preußischen Junker. Tübingen 1998, ISBN 3161470613.
  • Patrick Wagner: Bauern, Junker und Beamte. Der Wandel lokaler Herrschaft und Partizipation im Ostelbien des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2005, ISBN 3-89244-946-5.

Anmerkungen

  1. Vgl. Stephan Malinowski: Vom König zum Führer: Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. Akademie-Verlag, 3. Aufl., 2003 (ISBN 3-05-004070-X). S. 467
  2. Für die Preußische Wahlreform. Kundgebung im Berliner Tageblatt, Nr. 620 vom 7. Dezember 1909. Abgedruckt in: Horst Baier u. a. (Hg.); Max Weber: Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik: Schriften und Reden, 1900-1912. Veröffentlicht Tübingen, 1998 (Bd. 8 der Max-Weber-Gesamtausgabe), S. 458. Zur ersten Gruppe der Unterzeichner gehörten neben Theodor Wolff und Max Weber unter anderem Lujo Brentano, Franz von Liszt, Ignaz Jastrow, Karl Lamprecht, Hugo Preuß, Alfred Weber, Georg Simmel, Engelbert Humperdinck, Frank Wedekind, Ludwig Ganghofer, Gerhard Anschütz, Ferdinand Tönnies, Friedrich Meinecke, Edgar Jaffé, Gerhart Hauptmann, Hans Gregor, Walther Schücking, Max Slevogt, Lovis Corinth und Eugen Diederichs (vgl. ebda. S. 455).
  3. Vgl. Heinrich August Winkler: Die Revolution von 1918/19 und das Problem der Kontinuität in der deutschen Geschichte. In: Historische Zeitschrift, 250 (1990), S. 303-319, hier S. 317.

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