Emotionsregulation

Emotionsregulation

Der Begriff Emotionsregulation bezeichnet innerhalb der Theorie der Emotionalen Intelligenz die Fähigkeit, seine Emotionen aktiv und zielorientiert zu beeinflussen und sie nicht als unabänderliche Folge von Aktionen anderer Personen oder des Umfeldes zu interpretieren, denen man passiv ausgeliefert ist. Um dies zu praktizieren, ist es notwendig, das erlebte Gefühl zunächst akzeptierend zu verstehen, darüber zu reflektieren, welche Reaktion angemessen erscheint und reflexartige, impulsive Handlungen zu vermeiden.[1] Die Regulation von Emotionen ist ein Kernthema sowohl der Theorie der Emotionalen Intelligenz als auch der Psychoanalyse.

Inhaltsverzeichnis

Mechanismen

Nach psychoanalytischer Sichtweise erfolgt die Regulation von Emotionen vorwiegend unbewusst mit Hilfe von Abwehrmechanismen wie z. B. Verdrängung, Verleugnung oder Projektion, die von Sigmund Freud beschrieben und später von seiner Tochter Anna Freud (1936) differenziert wurden. Diese Mechanismen richten sich gegen unangenehme Gefühlszustände, die durch mentale Konflikte zwischen unterschiedlichen inneren Motiven ausgelöst werden (wie z. B. Wünsche bzw. „Triebregungen“ einerseits und Bewertungen der Vernunft oder des Gewissens andererseits). Aus der Perspektive der modernen "emotionsbezogenen Psychotherapie" geht es in erster Linie darum, dass Patienten in der Regel ihre belastenden Emotionen nicht korrekt wahrnehmen bzw. nicht verstehen, sondern sie ablehnen, bekämpfen oder vermeiden. Deshalb sollte der Therapeut eine akzeptierende und wertschätzende Haltung einnehmen. Nur so kann eine Validierung der belastenden Emotionen gelingen.[2]

Forschungsansätze

Moderne Forschungsansätze untersuchen Emotionsregulation auch mit neurowissenschaftlichen Methoden. Sie greifen die Vorstellung mentaler Konflikte und deren Bewältigung u. a. durch Abwehrmechanismen auf, untersuchen aber z. B. auch die Unterdrückung, also das Nichtzeigen oder -ausdrücken von Emotionen[3] bzw. die Unterdrückung des Handlungsimpulses. Dem wird die integrative Form der Emotionsbewältigung gegenübergestellt, bei der Emotionen zugelassen werden, indem das zur Emotion führende Erlebnis bewertet und die Angemessenheit bzw. „Berechtigung“ der Emotion auf Grundlage bisheriger Erfahrungen und möglicher Folgen abgeschätzt wird.[4] Die Neu- oder Umbewertung des Emotionsauslösers mildert die emotionale Wirkung der Situation ab. Ein Beispiel für die Messung der Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, ist der „Cognitive Emotion Regulation Questionnaire“.[5]

Emotionsregulation und Psychopathologie

Personen, die über gute Mechanismen zur Regulation ihrer Emotionen verfügen zeigen seltener Anzeichen für psychische Erkrankungen[6]. Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation erhöhen dagegen die Gefahr einer psychischen Erkrankung sowohl bei Erwachsenen[7] als auch bei Kindern und Jugendlichen.[8] Für die weit verbreiteten affektiven Störungen wird aufgrund des deutlichen Zusammenhangs zwischen ihrer Symptomatik und Emotionsregulation ein einheitliches Behandlungskonzept mit Schwerpunkt Emotionsregulation erforscht.[9] Auch konnten Zusammenhänge zwischen einer gestörten Emotionsregulation und posttraumatischen Belastungsstörungen[10] und zwischen Emotionsregulation und generalisierten Angststörungen [11] nachgewiesen werden. Es existieren darüber hinaus auch Belege für einen Einfluss von Emotionsregulation auf Schmerzstörungen[12] und Essstörungen.[13]

Forschungsgeschichte der Emotionsregulation

Bereits Freud beschreibt in seinem Strukturmodell der Persönlichkeit zwei Arten der Regulation von Angst: Die Unterdrückung von bestimmten Verhaltensweisen und die Vermeidung von ängstigenden Situationen.[14] Eine tiefere Beschäftigung mit Emotionsregulation kam in der psychologischen Forschung danach aber erst wieder in Arbeiten von Richard Lazarus und Hans Selye zum Thema Stressbewältigung und Coping ab 1966 auf.[15] Seit den 80er Jahren beschäftigte sich aber zunehmend zunächst die Entwicklungspsychologie und später auch Forschungen der Erwachsenenpsychologie mit dem Thema Emotionsregulation.[16] Nachdem das Thema auch in Arbeiten die sich eigentlich zentral mit Emotion beschäftigten immer mehr Aufmerksamkeit fand[17] ist die Forschung rund um das Thema Emotionsregulation in den letzten 20 Jahren stark angewachsen.[18] In Deutschland sind hier vor allem Arbeiten von Berking und Znoj[19][20] zu nennen. Basierend auf diesen Arbeiten wurde ein Trainingsprogramm zur Verbesserung der Emotionsregulation entwickelt.[21] Aber auch in neu entwickelten Therapieprogrammen für psychische Erkrankungen werden Übungen zur Verbesserung der Emotionsregulation eingesetzt (z.B. im Rahmen der Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie oder der Dialektisch Behavioralen Therapie)[22][23]

Siehe auch

Literatur

  • Egloff, B. (2009). Emotionsregulation. In V. Brandstätter & J. H. Otto (Eds.), Handbuch der Allgemeinen Psychologie: Motivation und Emotion (S. 714–722). Göttingen: Hogrefe.
  • Egloff, B. (2009). Emotionsregulation. In G. Stemmler (Ed.), Enzyklopädie der Psychologie: Motivation und Emotion: Band 3. Psychologie der Emotion (S. 487–526). Göttingen: Hogrefe.
  • Fonagy, Peter u.a. (2004). Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst, Klett-Cotta.
  • Gross, J.J. (Ed.)(2007), Handbook of Emotion Regulation. New York: Guilford.
  • Gross, J. J., & John, O. P. (2002). Wise emotion regulation. In L. F. Barrett & P. Salovey (Eds.), The wisdom in feeling: Psychological processes in emotional intelligence. (pp. 297-319). New York, NY, US: Guilford Press.
  • Kring, A.M., Sloan, D.M. (2009). Emotion Regulation and Psychopathology. New York: Guilford Press. ISBN 978-1-60623-450-1
  • Lammers, C.-H. (2006). Emotionsbezogene Psychotherapie. Schattauer. ISBN 978-3794524990
  • Leahy, R.L., Tirch, D., Napolitano, L.A. (2011). Emotion Regulation in Psychotherapy. New York: Guilford Press. ISBN 978-1-60918-483-4
  • Ochsner, K.N., Gross, J.J. (2004). Thinking makes it so: a social cognitive neuroscience approach to emotion regulation. In: Vohs / Baumeister, The handbook of self-regulation.
  • Schechter, D.S., Zeanah, C.H., Myers, M.M., Brunelli, S.A., Liebowitz, M.R., Marshall, R.D., Coates, S.W., Trabka, K.T., Baca, P., & Hofer, M.A. (2004). Psychobiological dysregulation in violence-exposed mothers: Salivary cortisol of mothers with very young children pre- and post-separation stress. Bulletin of the Menninger Clinic, 68(4), 319–337.

Einzelnachweise

  1. C-H. Lammers, Emotionsbezogene Psychotherapie, Stuttgart 2008
  2. C-H. Lammers: Emotionsbezogene Psychotherapie. Stuttgart 2008, S. 126
  3. Gross & Levenson, 1993
  4. Gross & John, 2002; Kuhl, 2001
  5. Siehe zum Beispiel: F. Jermann u. a.: Cognitive Emotion Regulation Questionnaire. In: European Journal of Psychological Assessment, Vol. 22 (2006) und die dort angegebene Literatur
  6. Gross, J. J., & Munoz, R. F.: Emotion regulation and mental health.. In: Clinical Psychology: Science and Practice. 2, Nr. 2, 1995.
  7. Ehring, T., Fischer, S., Schnulle, J., Bosterling, A., & Tuschen-Caffier, B: Characteristics of emotion regulation in recovered depressed versus never depressed individuals.. In: Personality and Individual Differences. 44, Nr. 7, 2008.
  8. Trosper, S. E., Buzzella, B. A., Bennett, S. M., & Ehrenreich, J. T.: Emotion regulation in youth with emotional disorders: Implications for a unified treatment approach.. In: Clinical Child and Family Psychology Review. 12, Nr. 3, 2009.
  9. Barlow, D. H., Allen, L. B., & Choate, M. L.: Toward a Unified Treatment for Emotional Disorders.. In: Behavior Therapy. 35, Nr. 2, 2004.
  10. Müller, C., Teschner, M., Assaloni, H., Kraemer, B., Schnyder, U., & Rufer, M.: Eine ambulante Stabilisierungsgruppe zur Verbesserung der Emotionsregulation bei komplexen posttraumatischen Störungen.. In: Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie. 57, 2007.
  11. Mennin, D. S.: Emotion Regulation Therapy for Generalized Anxiety Disorder.. In: Clinical Psychology & Psychotherapy. 11, Nr. 1, 2004.
  12. Hamilton, N. A., Zautra, A. J., & Reich, J. W.: Affect and Pain in Rheumatoid Arthritis: Do Individual Differences in Affective Regulation and Affective Intensity Predict Emotional Recovery From Pain?. In: Annals of Behavioral Medicine. 29, Nr. 3, 2005.
  13. Hilbert, A., & Tuschen-Caffier, B.: Maintenance of binge eating through negative mood: A naturalistic comparison of binge eating disorder and bulimia nervosa.. In: International Journal of Eating Disorders. 40, Nr. 6, 2007.
  14. Freud, S. (1933). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.
  15. Gross, J. J. (1999). Emotion regulation: Past, present, future. Cognition and Emotion, 13 (5), 551-573.
  16. Gross, J. J. (1999). Emotion and Emotion Regulation. In L. A. Pervin, & O. P. John (Hrsg.), Handbook of Personality: Therory and Research (2nd ed.). New York: Guilford.
  17. Frijda, N. H.: The Emotions. Cambridge University Press, Cambridge 1986.
  18. Koole S. L.: The psychology of emotion regulation: An integrative review. In: Cognition & Emotion. 23, Nr. 1, 2009, doi:10.1080/02699930802619031.
  19. Berking, M., & Znoj, H.: Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zur standardisierten Selbsteinschätzung emotionaler Kompetenzen (SEK-27). In: Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie. 56, Nr. 2, 2008.
  20. Znoj, H.: Formen der Bewältigung emotionaler Zustände als Prädiktoren ungünstiger und günstiger Therapieverläufe. In: Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin. 25, Nr. 4, 2004.
  21. Berking M.: Training emotionaler Kompetenzen. Springer, Heildelberg 2008, ISBN 978-3540716822.
  22. Segal, Z. V., Williams, J. M., & Teasdale, J. D.: Mindfulness-based cognitive therapy for depression: a new approach to preventing relapse.. Guilford, New York 2002.
  23. Linehan, M. M.: Cognitive behavioral treatment of borderline personality disorder.. Guilford, New York 1993.

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