Enteignungsgleicher Eingriff

Enteignungsgleicher Eingriff

Der Enteignungsgleiche Eingriff ist ein Institut des deutschen Staatshaftungsrechts.

Inhaltsverzeichnis

Grundsätzliches

Gerichtet ist der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff auf die Entschädigung für Eigentumsverletzungen durch rechtswidrige hoheitliche Eingriffe.

Der enteignungsgleiche Eingriff wurde vom Bundesgerichtshof 1952 erstmalig im Wege der Rechtsfortbildung aus Art. 14 GG angewandt. Eine gesetzliche Normierung ist bis heute nicht vorhanden, vielmehr basiert dieses Rechtsinstitut auch weiterhin auf richterlicher Rechtsbildung. Aktuell wird der enteignungsgleiche Eingriff aus der gewohnheitsrechtlichen Fortgeltung des Aufopferungsentschädigungsanspruch (§§ 74, 75 Einleitung PrALR) hergeleitet, findet seine Wurzeln aber auch weiterhin im Eigentumsschutz aus Art. 14 GG.

Durch das Institut des enteignungsgleichen Eingriffs soll die Haftungslücke geschlossen werden, die sich aus rechtswidrig-schuldlosem Handeln ergibt, wobei diese Begründung nicht unumstritten ist. Die Ansprüche aus Eigentumsverletzung aufgrund rechtswidrigen hoheitlichem Handelns können nicht im Wege des Amtshaftungsanspruchs gem. § 839 BGB, Art. 34 GG geltend gemacht werden, da es an einem Verschulden des handelnden Hoheitsträgers fehlt. Bei rechtswidrig-schuldhaftem Handeln wird jedoch der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff nicht vom Amtshaftungsanspruch verdrängt, sondern steht neben diesem als Anspruchsgrundlage zur Verfügung.[1]

Schutzgut des enteignungsgleichen Eingriffs sind die durch Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter der betroffenen Grundrechtsträger.

Anwendungsbereich

Der enteignungsgleiche Eingriff kommt u.a. zur Anwendung, wenn durch die Verwaltung ein formell verfassungsgemäßes Gesetz rechtswidrig vollzogen und somit die Eigentumsbeeinträchtigung hervorgerufen wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn durch die Verwaltung Tatbestandsvoraussetzungen der zugrunde liegenden Eingriffsermächtigung verkannt werden oder ein fehlerhaftes Ermessen zur Anwendung kommt. Beispielhaft für einen solchen rechtswidrigen Vollzug eines verfassungsgemäßen Gesetzes ist die Verzögerung einer Baugenehmigung die auf Grundlage des Bebauungsplans durch die Bauverwaltung zu erteilen ist. Weiterhin findet der enteignungsgleiche Eingriff Anwendung, wenn durch die Verwaltung durch rechtswidriges schlichtes Verwaltungshandeln (Realakt) Eigentumsverletzungen verursacht werden. So wurde z.B. durch den Bundesgerichtshof entschieden, dass auch für Schäden die im Rahmen eines Manövers der Bundeswehr entstanden sind, Entschädigung zu leisten ist.[2] Zwar war die Abhaltung des Manövers und die im Rahmen dieses Manövers getätigten Schießübungen rechtmäßig, dennoch war der Schaden rechtswidrig durch hoheitliches Handeln, hier das Schießen mit Kanonen, verursacht worden und somit im Wege des enteignungsgleichen Eingriffs zu entschädigen, da andere Anspruchsgrundlagen nicht ersichtlich waren. Auch im Falle feindlichen Grüns, also einem gleichzeitigen Grünzeichen für sich kreuzende Straßen, hat der Bundesgerichtshof einen Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff anerkannt.[3]

Typischerweise wird der enteignungsgleiche Eingriff auch bei sog. normativem Unrecht (rechtswidriger Erlass untergesetzlicher Normen) angewandt. Eine Haftung für legislatives Unrecht (rechtswidrige Parlamentsgesetze) lehnt der Bundesgerichtshof dagegen ab, weil dies der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber unterliege.

Anspruchsvoraussetzungen

Wie bereits oben dargelegt, werden durch den enteignungsgleichen Eingriff Eigentumsbeeinträchtigungen die auf einen rechtswidrig schuldlosem oder auch rechtswidrigen schuldhaften Realakt der öffentlichen Verwaltung fußen, entschädigt. Für eine Geltendmachung von Eigentumsbeeinträchtigungen im Rahmen des enteignungsgleichen Eingriffs müssen jedoch die Tatbestandsmerkmale vorliegen:

Eingriff in ein vermögenswertes Recht i.S.d. Art. 14 Abs. 1 GG

Der enteignungsgleiche Eingriff kommt nicht nur dann zum Tragen, wenn das Eigentum in seiner Substanz verletzt wurde, sondern immer dann, wenn eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition betroffen wird.

Hoheitliche Maßnahme

Ferner muss diese Beeinträchtigung durch eine hoheitliche Maßnahme bewirkt worden sein. Hier ist vor allem der Verwaltungsakt als klassisches hoheitliches Instrument zu nennen. Wenn die Verwaltung durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt in das Eigentum eingreift, handelt es sich insbesondere nicht um einen Fall der Administrativenteignung nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 Alt. 2 GG, der gegebenenfalls nach der Junktimklausel zu entschädigen wäre. Auch (rechtswidrige) Realakte können einen enteignungsgleichen Eingriff auslösen.[4] Unterlassen reicht grundsätzlich nicht aus, um einen Anspruch aus enteignungsgleichen Eingriff zu begründen. Ausnahmsweise wird dies dennoch angenommen, wenn es sich um ein sogenannten qualifiziertes Unterlassen handelt. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn dem Bürger ein Recht auf das Handeln zusteht und dieses von der Behörde nicht gewährt wird, wie im Falle von rechtswidrig versagten oder mit großer Verzögerung erteilter Baugenehmigungen. Auch der Erlass untergesetzlicher Normen ist als hoheitliche Handlung in diesem Sinne zu verstehen, während rechtswidrige Parlamentsgesetze keinen Entschädigungsanspruch auslösen können.

Unmittelbarkeit

Der Eingriff muss auch unmittelbar von der hoheitlichen Maßnahme ausgegangen sein. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes genügt hierfür keine rein adäquat-kausale Verbindung zwischen der hoheitlichen Maßnahme und der Beeinträchtigung[5], vielmehr muss zwischen Maßnahme und Beeinträchtigung ein "innerer Zusammenhang"[6] bestehen. Dieser "innere Zusammenhang" sei über eine "wertende Zurechnung der Schadensfolgen nach Verantwortungs- und Risikobereichen" zu ermitteln.[7] Kurz gesagt stellt sich dabei die Frage, ob sich in der Beeinträchtigung das durch den handelnden Hoheitsträger konkret gesetzte Risiko realisiert hat. Dies ist zwar abstrakt über Fallgruppen der Zurechnung konkretisierbar, ist aber im Einzelfall schwer zu bestimmen.

Sonderopfer

Die Beeinträchtigung des Eigentums muss sich auch als Sonderopfer darstellen. Dies wird jedoch nach allgemeiner Auffassung[8] durch die Rechtswidrigkeit der Maßnahme indiziert und ist daher zumeist nicht problematisch.

Subsidiarität

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Nassauskiesungsbeschluss[9] von 1981 ferner gefordert, dass der Geschädigte vorher versucht hat, im Wege des Primärrechtsschutzes den Schaden abzuwehren. Dies gilt jedoch nur dann uneingeschränkt, wenn der Primärrechtsschutz überhaupt möglich und dem Geschädigten zumutbar ist.

Siehe auch

Literatur

  • Andreas von Arnauld: Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff heute. In: VerwArch. Bd. 93, 2002, S. 394–417.
  • Manfred Baldus, Bernd Grzeszick, Sigrid Wienhues: Staatshaftungsrecht – das Recht der öffentlichen Ersatzleistungen. C.F. Müller, Heidelberg 2005, ISBN 3-8114-1836-X.
  • Steffen Detterbeck, Kay Windhorst, Hans-Dieter Sproll: Staatshaftungsrecht. C.H. Beck, München 2000, ISBN 3-406-45837-8.
  • Fritz Ossenbühl: Staatshaftungsrecht. 5. Auflage. C.H. Beck, München 1998, ISBN 3-406-41809-0.
  • Rudolf Steinberg, Andreas Lubberger: Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung. Nomos-Verlag, Baden-Baden 1991, ISBN 978-3-7890-2427-6.
  • Bernd Tremml, Michael Karger: Der Amtshaftungsprozeß – Amtshaftung, Notarhaftung, Europarecht. 2. Auflage. Franz Vahlen, München 2004, ISBN 3-800-63116-4.

Einzelnachweise

  1. BGHZ 7, 296 (297)
  2. BGHZ 37, 44
  3. BGH NJW 1987, 1945
  4. BGH MDR 1964, 656; BGHZ 37, 44 (46)
  5. BGHZ 55, 229
  6. BGH NJW 1987, 2573 (2574)
  7. BGHZ 125, 19
  8. BGHZ 32, 208
  9. BVerfGE 58, 300
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