Erec

Erec

Der Erec ist eine mittelhochdeutsche Verserzählung von Hartmann von Aue und entstand um 1180/90. Er gilt als der erste Artusroman in deutscher Sprache und ist eine Adaptation des altfranzösischen Erec et Enide von Chrétien de Troyes. Die einzige fast vollständige Fassung des Erec ist im Ambraser Heldenbuch erhalten, die erst gegen 1510 für Kaiser Maximilian I. abgeschrieben wurde.

Daneben existieren kurze Fragmente einer deutlich abweichenden und möglicherweise älteren Übersetzung aus dem Französischen, die der Vorlage erheblich genauer folgt. Für die freiere Bearbeitung Hartmanns mag Chrétien nicht die einzige Quelle gewesen sein (vielleicht auch die norwegische Erex saga). Der Anfang der Dichtung ist weder in den Fragmenten noch im Ambraser Heldenbuch überliefert.

Hartmanns Schaffenszeit wird etwa zwischen 1180 und 1205 angesetzt. Der Erec hat auf Grund stilistischer Beobachtungen als der erste seiner Romane zu gelten, dem dann Gregorius, Der arme Heinrich und Hartmanns zweiter Artusroman Iwein folgten.

Thematisch ist der Artusroman, nach dem von Jean Bodel geprägten Begriff, der Matière de Bretagne zuzuordnen.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Erec, ein junger und unerfahrener Ritter am Hof des Königs Artus, Sohn des Königs Lac, wird vor den Augen der Königin von dem Zwerg eines umherziehenden Ritters durch einen Schlag entehrt. Ohne Umschweife und Ausrüstung nimmt Erec die Verfolgung auf und gelangt zur Burg Tulmein des Herzogs Imein. Auf der Suche nach einer Unterkunft gerät Erec an den verarmten Edelmann Koralus. Von diesem erfährt er von dem bevorstehenden Sperberkampf in Tulmein und dass Iders, der Ritter, dessen Zwerg Erec gedemütigt hat, bereits zweimal in Folge den Schönheitspreis für seine Freundin entscheiden konnte. Erec beschließt, ebenfalls an dem Turnier teilzunehmen. Er verspricht Koralus, dessen Tochter Enite zu heiraten, falls sie ihn zum Sperberkampf begleiten sollte. Erec gewinnt das Turnier und die Hand Enites. Die Hochzeit wird am Artushof abgehalten.

Danach zieht er mit Enite nach Karnant, dem Hof seines Vaters (der zugunsten Erecs auf die Herrschaft verzichtet). Dort vernachlässigt Erec seine Herrscherpflichten, weil er aus Liebe zu Enite die Tage mit ihr im Bett verbringt (in der Literaturwissenschaft wird dieses Vergehen Erecs meist als verligen bezeichnet, ein Begriff, der unmittelbar Vers 2971 unz daz er sich sô gar verlac entnommen ist). Als er durch Enite erfährt, dass er zum Gespött des Hofes geworden ist, beschließt er heimlich den Hof zu verlassen und aventiure zu suchen. Enite, der er bei Todesstrafe zu sprechen verbietet, muss ihn begleiten. Als diese ihn entgegen seines Gebots vor nahenden Räubern warnt, behandelt er sie fortan wie einen Knecht: Sie muss schließlich acht Pferde führen, die Erec Angreifern abgerungen hat. Dabei bricht sie abermals das Sprechverbot, das durch Erec bis zum Schluss nicht explizit aufgehoben wird. Er besteht eine Reihe von Abenteuern (In doppelter aventiure-Reihung: Zunächst kämpft er gegen unhöfische Räuber, dann für Enite gegen einen namenlosen Grafen; der Kampf gegen den König Guivreiz beendet die erste aventiure-Reihe. Nach der Zwischeneinkehr am Artushof und kurzer Erholung, beginnt die zweite aventiure-Reihe: Er rettet einen Edelmann vor zwei unhöfischen Riesen, verteidigt seine Frau gegen den Grafen Oringles und kämpft schließlich abermals gegen den König Guivreiz). Im letzten Abenteuer - Des Hofes Freude (Joie de la curt) kämpft Erec gegen den riesenhaften Mabonagrin, der wegen eines Versprechens seiner Freundin gegenüber gezwungen ist, Eindringlinge aus ihrem gemeinsamen Baumgarten zu vertreiben. Im Verlauf der aventiure-Fahrt, hat Erec - vor allem wegen Enites treuer Beharrlichkeit - das rechte Maß zwischen Liebe und Herrschaft erkannt, eine Einsicht, die er schließlich an den besiegten Mabonagrin weitergeben kann. Schlussendlich kehren Erec und Enite nach Karnant zurück, wo sie fortan als vorbildliches Herrscherpaar leben. (10135 Verse plus 57 Verse, die nach Vers 4629 eingeschoben sind)

Quellen

Französischer Artusroman – Chrétien de Troyes

Chrétien de Troyes setzt mit seinem Werk im 12. Jahrhundert neue Maßstäbe für höfisches Erzählen. Sein Erec et Enide (ca. 1170, der erste großangelegte Artusroman der Literaturgeschichte) bildet nach gegenwärtigem Forschungsstand die einzige Vorlage für Hartmann von Aue. Der Erec ist wiederum der erste Artusroman in der deutschsprachigen Literatur, stellt also eine Adaption von Chrétiens Werk dar. Die nicht unerheblichen inhaltlichen Unterschiede im Vergleich zu dem französischen Original hängen wohl mit dem Rückgriff auf die mündliche Tradition oder aber mit bewussten Akzentverschiebungen Hartmanns zusammen. Ein Einfluss anderer schriftlicher Quellen (Mabinogion, nordische Erex-Saga) erscheint dagegen unwahrscheinlich.

Überlieferung

Vom Erec sind nur überraschend wenige Textzeugen erhalten: Nur eine annähernd vollständige Handschrift in südbairischer Schreibsprache jedoch aus dem 16. Jahrhundert (Ambraser Heldenbuch, Wien Cod. Ser. nova 2663[1]) ist erhalten geblieben. Daneben sind noch drei Fragmente aus dem 13. und 14. Jahrhundert bekannt, ein Doppelblatt aus der 1. Hälfte des 13. Jhdts. in rheinfränkischem Mittelhochdeutsch, das heute in Koblenz liegt[2], zwei mitteldeutsche Doppelblätter von ca. 1250-75 in Wolfenbüttel[3] und ein bairisch-österreichisch verfasstes Blatt in St. Pölten vom Ende des 14. Jahrhunderts[4]. Das entspricht nicht der Wirkung, die der Text gehabt haben muss und die auch durch die breite geographische und zeitliche Streuung der vier Überlieferungsträger wahrscheinlich wird. Über die Gründe der spärlichen Überlieferung lässt sich nur spekulieren.

Der von Hans Ried für Kaiser Maximilian I. angefertigten Romanabschrift im Ambraser Heldenbuch (um 1510) fehlt der Prolog, und auch keines der Fragmente füllt diese Lücke, so dass wir nichts über die Umstände der Entstehung dieses ersten deutschen Artusromans wissen.

Fragmentfunde haben in jüngster Zeit neue Fragen zur Überlieferungsgeschichte aufgeworfen. Das sogenannte Zwettler Fragment aus dem Stift Zwettl (Niederösterreich), dessen Fund 2003 als vermeintliches Fragment des Nibelungenliedes aus dem 12. Jahrhundert durch die internationale Presse ging, stellte sich als Erec-Fragment aus dem 2. Viertel des 13. Jahrhunderts heraus. Der mitteldeutsche Text geht von Hartmann unabhängig auf Chrétiens Version zurück und bildete eine Parallelversion, die der französischen Vorlage näher steht als der Text des Ambraser Heldenbuches. Ob diese Version, die auch als Mitteldeutscher Erec bezeichnet wird, jemals den gesamten Roman umfasste, bleibt unklar.

Auch Teile des Wolfenbütteler Fragments aus der Mitte oder dem 3. Viertel des 13. Jahrhunderts überliefern mit einiger Wahrscheinlichkeit denselben mitteldeutschen Erec.

Deutung

Der Erec ist nicht ohne die von Hugo Kuhn im Jahr 1948 erstmals formulierte „Doppelwegstruktur“ zu verstehen. Bei den einzelnen Aventiuren handelt es sich nicht um eine bloße Episodenreihung, sondern um ein Arrangement mit programmatischer Aussagequalität, um eine sog. Symbolstruktur. Die beiden Aventiuresequenzen (= „doppelter Kursus“, Hugo Kuhn) mit der Zwischeneinkehr am Artushof (= soziale Ortsbestimmung) sowie der Schlusseinkehr und dem Krönungsfest zeigen Erecs schrittweisen Weg zum vorbildhaften Ritter, der seine Liebe zu Enite und die Existenz als verantwortungsvoller Herrscher in Einklang gebracht hat (V. 9438: wan bî den liuten ist sô guot).

Textausgaben

  • Erec, herausgegeben von Albert Leitzmann, (= Altdeutsche Textbibliothek; Band 39), 7. Auflage besorgt von Kurt Gärtner, Tübingen 2006 ISBN 3-484-20139-8 und ISBN 3-484-21139-3
  • Erec. Mittelhochdeutscher Text und Übersetzung, herausgegeben von Thomas Cramer, Frankfurt am Main 1999 ISBN 3-596-26017-5
  • Hartmann von Aue. Erec. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch , herausgegeben von Volker Mertens, (= Reclams Universal-Bibliothek; Nr. 18530), Stuttgart 2008 ISBN 978-3-15-018530-8

Sekundärliteratur

  • Joachim Bumke: Der „Erec“ Hartmanns von Aue. Eine Einführung, Berlin, New York 2006 ISBN 3-11-018979-8
  • Christoph Cormeau und Wilhelm Störmer: Hartmann von Aue. Epoche - Werk - Wirkung, (= Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte), 2. Aufl München 1993
  • Brigitte Edrich-Porzberg: Studien zur Überlieferung und Rezeption von Hartmanns Erec, (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik; Band 557), Göppingen 1994 ISBN 3-87452-797-2
  • Rolf Endres: Studien zum Stil von Hartmanns Erec, München 1961
  • Gudrun Haase: Die germanistische Forschung zum Erec Hartmanns von Aue, Frankfurt am Main 1988
  • Günter Mecke: Zwischenrede, Erzählerfigur und Erzählhaltung in Hartmanns von Aue „Erec“. Studien über die Dichter-Publikums-Beziehung in der Epik, München 1965
  • Erika Oh: Aufbau und Einzelszenen in Hartmanns von Aue höfischen Epen „Erec“ und „Iwein“, Hamburg 1972
  • Werner Schröder: Irrungen und Wirrungen um den Text von Hartmanns Erec, Stuttgart 1996 ISBN 3-515-06991-7
  • Wolfgang Wetzlmair: Zum Problem der Schuld im „Erec“ und im „Gregorius“ Hartmanns von Aue, (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik; Band 643), Göppingen 1997 ISBN 3-87452-889-8
  • Peter Wiehl: Die Redeszene als episches Strukturelement in den Erec- und Iwein-Dichtungen Hartmanns von Aue und Chrestiens de Troyes, (= Bochumer Arbeiten zur Sprach- und Literaturwissenschaft; Band 10), München 1974
(Eine umfassende Aufstellung von 1927 bis 1997 bieten die bei Hartmann von Aue aufgeführten Bibliographien)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Marburger Repertorium: Wien, Österr. Nationalbibl., Cod. Ser. nova 2663
  2. Marburger Repertorium: Koblenz, Landeshauptarchiv, Best. 701 Nr. 759,14b
  3. Marburger Repertorium: Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., zu Cod. 19.26.9 Aug. 4°
  4. Marburger Repertorium: St. Pölten, Landesarchiv, Hs. 821

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