Ernst Hadermann

Ernst Hadermann

Ernst Hadermann (* 22. Mai 1896 in Schlüchtern; † 2. Januar 1968 in Halle (Saale)) war ein deutscher Soldat, Gymnasiallehrer, Humanist, Widerständler und Germanist.

Hadermann, Sohn eines Mühlenbesitzers, machte 1914 am Gymnasium in Fulda das Abitur, meldete sich zu Beginn der Ersten Weltkrieges freiwillig zur Artillerie. Er wurde mehrfach verwundet und mit dem Eisernen Kreuz I. und II.Klasse ausgezeichnet. Nach dem Waffenstillstand und seiner Entlassung als Leutnant wurde er in den Arbeiter- und Soldatenrat der Garnison Fulda gewählt.

Während des Studiums der Germanistik und der Geschichte an mehreren Universitäten betätigte er sich politisch und unterstützte sozialrevolutionäre Strömungen. 1923 promovierte er zum Dr.phil. Nachdem Hadermann 1924 das Staatsexamen für Germanistik und Altsprachen abgelegt hatte, war er ab 1926 als Studienreferendar und -assessor am Staatlichen Oberlyceum, danach am Staatlichen Gymnasium Philippinum (beide in Marburg) und am Oberrealgymnasium in Melsungen tätig. Im Herbst 1930 wurde er zum Studienrat ernannt und an das Wilhelmsgymnasium in Kassel berufen. Er unterrichtete dort Griechisch, Deutsch, Latein, Französisch und (bis 1934) Geschichte. Die nun folgenden neun Jahre wurde die Zeit seines pädagogischen Erfolges, obwohl er 1933 denunziert und 1934 nach dem sogenannten Röhm-Putsch zeitweise inhaftiert wurde. Erstaunlicherweise - auch für ihn selbst - blieb er im Amt, nur das Fach Geschichte durfte er nicht mehr unterrichten. Einen Tag vor Beginn des Zweiten Weltkrieges erhält er die Einberufung; von seiner letzte Schulstunde am Wilhelmsgymnasium wird der Ernst und die „untergründige Trauer“ im Gedächtnis bleiben. Ab 1939 leistete Hadermann Kriegsdienst, währenddessen er mit der Spange zum EK I ausgezeichnet wurde. Am 18. Juli 1941 geriet er als Hauptmann bei Rogatschew am Dnjepr in sowjetische Kriegsgefangenschaft.In Jelabuga an der Kama, im Kriegsgefangenenlager für deutsche Offiziere, konnte Hadermann eine kleine Bibliothek nutzen und eine Rede ausarbeiten, die Aufsehen erregen sollte. Er trug sie am 21. Mai 1942 seinen ca. 1000 Mitgefangenen vor; bis auf wenige Ausnahmen reagierten sie mit eisiger Ablehnung. Aber sie passte offenbar insofern ins Konzept der Kriegsführung, als dass sie gedruckt und in einer halben Million Exemplare über den deutschen Stellungen abgeworfen wurde. Gemeinsam mit Walter Ulbricht wurde Hadermann zur Lautsprecherpropaganda an der Front eingesetzt. Der Inhalt seiner Rede „Wie ist der Krieg zu beenden ? - Ein Manneswort eines Hauptmanns“ wollte die Soldaten der Wehrmacht von ihrer geistig-moralischen Verfasstheit und Prägung her erreichen: Einen besonderen Platz nahm die Frage des militärischen Eides ein, sich von diesem loszusagen, „ ist uns schwer geworden, sehr schwer; jedoch den Eid, den wir Hitler geleistet haben, haben wir ihm nur geleistet als dem Führer des deutschen Volkes. Hitler aber hat das Recht verwirkt, sich Führer des deutschen Volkes zu nennen.“ Der Sturz Hitlers sollte das deutsche Volk vor der ungeheuersten Katastrophe seiner Geschichte retten. Im Schlussteil seiner Rede knüpft Ernst Hadermann, geradezu beschwörend, an die Antike an. Da die „Schicksalsstunde“ nahe sei, stehe auch der Wehrmachtsangehörige vor einer Schicksalsfrage. „Sehen Sie zu, meine Herren, dass Sie die rechte Entscheidung fällen.“

An Hadermanns Argumentation sind wenigstens drei Gesichtspunkte bemerkenswert:

  1. sie datiert deutlich vor der Zeit, in der der deutsche militärische Eroberungsplan für die Sowjetunion zum Stillstand kam (der Kampf um Stalingrad begann erst im November 1942);
  2. sie datiert eindeutig vor der Gründung des Nationalkomitees 'Freies Deutschland' am 12./13. Juli 1943, das dann zwar mit Hadermanns Unterstützung, aber zeitlich später aufgebaut wurde;
  3. sie ist überhaupt nicht kongruent zur marxistischen Theorie; konsequenterweise wurde sie dann auch von der Moskauer KPD-Führung strikt abgelehnt.

Hadermanns wertkonservative, christlich-humanistische, klassische Bildungsideale ließen es zwar zu, dass er 1937 in die NSDAP eintrat, aber er war sicher kein Anhänger im engeren Sinn. Er zählte sich zu den Stillen im Lande, zu jenen, die meinten, zu einer Minimalloyalität verpflichtet zu sein, zu jenen, die hofften, einfach durch ihr Vorhandensein den Ungeist niederhalten zu können; ein Denkfehler, den Hadermann offenbar zum Teil nach der Reichspogromnacht 1938, aber in seiner Totalität erst in der Kriegsgefangenschaft 1942 erkannte. Von den Nationalsozialisten wurde Hadermann im Dezember 1944 formell „aus dem Wehrdienst entlassen“, um ein Verfahren vor dem „Volksgerichtshof“ einzuleiten. Dieses Verfahren war bei Kriegsende noch anhängig.

Das Engagement Hadermanns während des Krieges im Nationalkomitee ‚Freies Deutschland‘ setzte sich in den letzten Kriegsmonaten und auch direkt danach übergangslos in seinem Einsatz für ein besseres Deutschland fort. Anfang Februar 1945 war er Mitautor der „Auswahl und Deutung des Deutschen Schrifttums in der höheren Schule (Oberklassen)“, Ende Juli 1945 (formell immer noch Kriegsgefangener) war er Mitautor der „Richtlinien für den Unterricht in deutscher Geschichte“. Von August 1945 an leitete er drei Jahre lang die Schulabteilung der ‚Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung‘ in Berlin (die ersten anderthalb Jahre als stellvertretender Leiter). Von 1948 bis 1950 war er Mitglied der SED. 1950 sondierte er die Möglichkeiten einer Rückkehr in seine hessische Heimat, an der er Zeit seines Lebens hing. Der Preis erschien ihm jedoch inakzeptabel hoch zu sein; sein Engagement in Moskau machte ihn im Westen zu einer ‚persona non grata‘. Auch seine westdeutschen Familienangehörigen halfen ihm ausdrücklich nicht, die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Hürden zu verkleinern. Alle Beziehungen zur Verwandtschaft in Westdeutschland wurden abgebrochen. Diesen Verlust seiner Heimat hat er Zeit seines Lebens nicht mehr verwunden. Hadermann wollte Schuld abtragen, meinte, seine Fehler wieder gut machen zu müssen, und er engagierte sich mit der ihm gegebenen Lauterkeit und Redlichkeit in der Bildungspolitik der jungen DDR. Aber die marxistische Geschichtsauffassung teilte nicht sein Bildungsverständnis.

„Ich ernte von jüngeren Parteigenossen nur ein herablassendes Lächeln, wenn ich ihnen erzähle, dass mein schönster und erfolgreichster Unterricht an den Gymnasien in Marburg und Kassel mein Platon-Unterricht war. [ . . . ] Heute muss ich verstummen und das Feld rabiat gewordenen Spießern überlassen.“

Hadermann war von 1950 bis 1955 Prodekan der Allgemeinwissenschaftlichen Fakultät der Brandenburgischen Landeshochschule Potsdam und von 1955 bis zu seiner Emeritierung 1962 Direktor des Instituts für Germanistik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle (Saale). Kurz vor Erreichung der Altersgrenze flammte 1961 ein langwährender Konflikt mit Parteistellen wegen seiner ‚individualistischen Einstellung‘ wieder auf. Er kündigte am 16. September 1961 und beendete seinen Dienst im darauf folgenden Jahr. Ungeachtet dieser Konflikte blieb aber die Universität Halle bis zu seinem Tod sein Wissenschafts- und Lebensmittelpunkt. In seinen letzten Lebensjahren fühlte er sich zunehmend vereinsamt, gering geschätzt und um seine Loyalität betrogen.

Literatur

  • Prof. Dr. Ernst Hadermann – ein deutscher Humanist. Zu seinem 100. Geburtstag. Postsdam 1996
  • Bernd-Rainer BarthErnst Hadermann. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 1.
  • Kirchhöfer, Dieter / Uhlig, Christa (Hrsg.) (2008): Ernst Hadermann. Bildungsdenken zwischen Tradition und Neubeginn. Frankfurt am Main : Peter Lang.
  • Plat, Wolfgang (1990): Das Nationalkomitee Freies Deutschland. In: Sowjetunion heute, 35. Jg. H. 11 (November) S. 60 - 63.

Weblinks



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