Eva von Tiele-Winckler

Eva von Tiele-Winckler
Eva von Tiele-Winckler - Mutter Eva
Mutter Eva Haus in Miechowitz.

Eva von Tiele-Winckler (* 31. Oktober 1866 auf Schloss Miechowitz, heute Bytom-Miechowice, Oberschlesien; † 21. Juni 1930 ebenda) war eine Diakonisse und eine der ersten Frauen in einer Führungsposition bei der Diakonie. Sie war weithin bekannt unter dem Namen "Mutter Eva".

Inhaltsverzeichnis

Leben

Die Tochter aus reichem Elternhaus, der nobilitierten Industriellenfamilie Tiele-Winckler, ihr Bruder war Franz Hubert von Tiele-Winckler, entschied sich durch ein frühes Erweckungserlebnis, Menschen ihrer oberschlesischen Heimat, die durch agrar- und industrierevolutionäre Umwälzungen in Armut und Not geraten waren, zu helfen. Nachdem sie Krankenpflege in den Bodelschwingh'schen Anstalten im westfälischen Bethel bei Bielefeld gelernt hatte, gründete sie in ihrer Heimat ohne Unterstützung ihres Vaters eine eigene diakonische Einrichtung für Arme und Alte, Behinderte und Nichtsesshafte, den "Friedenshort". Sie schuf eine evangelische Schwesternschaft, in der sie als Vorsteherin und zugleich als Schwester unter Schwestern "gebunden und doch frei" den Lebensberuf der Diakonisse ausübte[1].

Einen wichtigen Aufgabenbereich sah Eva von Tiele-Winckler darin, heimatlosen Kindern eine Heimat zu schaffen. Entgegen noch vorherrschender Tradition, hilfsbedürftige Kinder in großen Anstalten wie Rettungs-, Besserungs- oder Waisenhäusern sowie in der Familienpflege unterzubringen, gründete sie über Dörfer und Städte verstreute Kinderheimaten. Hier fanden verlassene Kinder in gemeindenahen, überschaubaren, familienähnlichen und von einer Schwester geleiteten Lebensgemeinschaften ein Zuhause. Eva von Tiele-Winckler und ihre Mitschwestern vertrauten dabei auf die geborgenheitsstiftende Kraft dieser von Frauen gestalteten Gemeinschaften, der sie den Namen "Heimat" und nicht "Familie" gaben. Sie waren davon überzeugt, dass sich das Wesentliche in der Erziehung "ereignet" und sich damit wissenschaftlicher Erklärung und menschlicher Darstellung letztlich entzieht. Das, was sie als das Wesentliche betrachteten, nämlich zu helfen, im Kinde das Bild Gottes herauszugestalten, sei nicht "machbar", weder durch pädagogische Handlungen noch durch fürsorgerische Eingriffe. Es bleibe Geheimnis, der göttlichen "Rettungsbarmherzigkeit" anheimgestellt. Grundlegend dafür war jedoch der Lebenseinsatz der Schwestern: Für die Kinder "mit den kleinen wunden Seelen" tatkräftig, fröhlich, wagemutig und gottvertrauend arbeiten, liebevolle und verlässliche Beziehungen anbahnen und so durch verantwortliches menschliches Tun das göttliche Rettungswerk ermöglichen.

Finanzielle und materielle Grundlagen dieser Einrichtungen bildeten die GmbH "Heimat für Heimatlose", Schenkungen von Grundstücken und Gebäuden, Sach- und Geldspenden aus Freundeskreisen sowie vereinzelte Pflegegelder der öffentlichen Hand.

Wie zahlreiche Persönlichkeiten aus den Gründerjahren der Inneren Mission war auch Eva von Tiele-Winckler in umfassender Weise publizistisch tätig. Sie verfasste Schwesternbriefe, religiöse Betrachtungen, Bibelauslegungen, Erfahrungstexte, Spruchweisheiten, Gedichte und geistliche Lieder. Unbeeindruckt von akademisch-theologischer Gelehrsamkeit und wissenschaftlicher Bibelkritik wollte sie als schreibende Laientheologin zur Entfaltung einer religiösen Innerlichkeit beitragen und zugleich Anweisungen zu einem gottwohlgefälligen äußeren Leben geben. Ihre frömmigkeitsgeschichtlichen Wurzeln gründen in mittelalterlicher Mystik, im Pietismus und in unterschiedlichen Strömungen der zeitgenössischen internationalen Erweckungsbewegung.

In einer Epoche deutscher Geschichte, in der die Moderne kraftvoll durchgesetzt wurde, verkörperte Eva von Tiele-Winckler als Diakonisse und Angehörige der Inneren Mission auch deren Widersprüche: Sie hat innerhalb der historischen Grenzen dieser Organisation, an beharrenden politischen und sozialen Ordnungen festzuhalten, Beachtliches geleistet, sich jedoch modernen Emanzipationsbewegungen gegenüber, die für einen umfassenden gesellschaftlichen Strukturwandel eintraten, verschlossen. Gleichwohl lebte Eva von Tiele-Winckler in ihrem Versuch der Nachfolge Jesu eine bewahrenswerte Botschaft. In diesem Sinne schrieb sie in einer ihrer geistlichen Betrachtungen: "Die Liebe muß lieben, sonst stirbt sie. Sie muß geben, sonst wird sie arm".

Werke

Literatur

  • Witte, Margot: Das große Wagnis. Erinnerungen an Eva von Tiele-Winckler. Berlin, Evangelische Verlagsanstalt, 1957
  • Alex Funke: Eva von Tiele-Winckler: "Mutter Eva" Hamburg/Freiburg (Schweiz) 1986
  • Margret Hahn: Jugendhilfe. Die "Heimat für Heimatlose GmbH" in: Diakonissenmutterhaus Stiftung Friedenshort: 100 Jahre Friedenshort. Liebe macht sehend Lahr 1996
  • Paul Toaspern: Eva von Tiele-Winckler: Mutter Eva. Ein Leben aus der Stille vor Gott Neuhausen 1995
  • Arkadiusz Kuzio-Podrucki: Tiele-Wincklerowie. Arystokracja węgla i stali Bytom 2006 ISBN 83-923733-0-8 (polnisch)
    • deutsch: Die Tiele-Wincklers. Eine Oberschlesische Kohle- und Stahlaristokratie Tarnowskie Góry, Kiel 2007 ISBN 978-83-924291-5-9
  • Barbara Rohr: "...mich selbst und alles, was ich war und hatte, hineinwerfen in den Jammer der Zeit" Dissertation, 2005, urn:nbn:de:gbv:46-diss000101314
  • Gertrud Frischmuth:Glaube und Leben bei Eva von Tiele-Winckler Bertelsmann, Gütersloh 1938, Neuaufl.: Linea, Bad Wildbad 2007 ISBN 978-3-939075-15-8
  • Walter Thieme: Mutter Eva. Das Leben Eva von Tiele Wincklers Linea, Bad Wildbad 2007 ISBN 978-3-939075-04-2

Einzelnachweise

  1. Selbstdarstellung der Friedenshort-Schwesternschaft; abgerufen am 15. November 2009

Weblinks


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