Akedah

Akedah
Rembrandt: „Der Engel verhindert die Opferung Isaaks“
Caravaggio: „Die Opferung Isaaks“

Die Erzählung von der Beinahe-Opferung Isaaks (Gen 22,1-19 EU) –  die rabbinische Theologie spricht von der „Bindung“ (hebr. akedah) – spielt in der Hebräischen Bibel eine wichtige Rolle. Sie findet sich im 1. Buch Mose im Rahmen der Erzvätergeschichten (Gen 12-50), hier wiederum innerhalb der Abraham-Erzählungen (Gen 12-25). Sie nimmt darin mit ihrer Aussagedichte und reflektierenden Hintergründigkeit eine Ausnahmestellung ein. Im Neuen Testament wird Abrahams Glaube und sein Gehorsam Gott gegenüber hervorgehoben und er wird der Vater des Glaubens genannt.

Menschenopfer werden in der Bibel durchweg abgelehnt. Der Text veranschaulicht für die Religionsgeschichte diese Ablehnung, indem das Opfer Isaaks durch ein Tieropfer ersetzt wurde. Er thematisiert zudem das ethische Problem zwischen Handeln und Gewissen und dem geforderten Gehorsam gegen ein Gebot Gottes.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Abraham ist in der Bibel Israels Stammvater, der bei seiner Berufung die Zusage Gottes erhielt (Gen 12,2f EU):

„Und ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die die verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Generationen auf Erden.“

Diese Heilszusage bildet das Leitmotiv der im Folgenden breit ausgeführten Frühgeschichte Israels, die das Werden dieses Volkes im Zeichen der Führung Gottes darstellt. Mit der Rettung Sarahs aus Königshand, der Geburt Isaaks und dem Friedensabkommen mit Abimelech, dem Herrn des fremden Landes, schien sich die Verheißung zu erfüllen: Abraham hatte Land, Sicherheit und einen Erben. In diese Situation hinein stellte ein Redaktor der Vätergeschichten die Erzählung von einer radikalen Gehorsamsprobe, der Abraham durch Gott unterzogen wird.

Wie zu Beginn, als er in das unbekannte Land aufbrechen sollte, in dem er nun friedlich wohnt, wird Abraham angerufen und erhält den Befehl:

„Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir sagen werde.“

So lässt der Text keinen Zweifel, dass für Abraham alles auf dem Spiel steht. Er sieht sich vor die äußerste vorstellbare Zerreißprobe gestellt: Der Verlust des Liebsten, das er hat, seiner ganzen Zukunftshoffnung des verheißenen Sohnes Isaak , steht gegen seine Treue zu dem Gott, der ihn bis hier geführt hat und nun völlig unerwartet eine Prüfung des Glaubens Abrahams herbeiführt.

Detailliert und prosaisch beschreibt der Text dann Zug um Zug Abrahams Ausführung des göttlichen Befehls. Drei volle Tage ist er mit Isaak und seinen Knechten unterwegs, bis er diese zurücklässt, Isaak das Feuerholz aufbürdet und seine quälende Frage aushalten muss: Wo ist denn das Schaf zum Brandopfer? Erst im letzten Moment, als Abraham das Messer schon gereckt hat, unterbricht der Anruf eines Engels vom Himmel her die Prozedur:

„Nun weiß ich, dass Du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“

Daraufhin entdeckt Abraham einen Widder, der sich im Gestrüpp verfangen hat und den er an seines Sohnes statt zum Opfer darbringt. Er gibt dem Ort dieses Ereignisses den Namen: JHWH sieht. – An diesen Schluss hängte der Redaktor eine nochmalige Engelsrede an: Die ursprüngliche Völkerverheißung an Abraham wird wiederholt und sogar noch überboten, so dass der verbindende Faden der Erzvätergeschichten wieder aufgenommen wird.

Einzeldeutung

„Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: 'Abraham!' Und er antwortete: 'Hier bin ich.' “

Der erste Vers lässt sich als Überschrift für das Folgende verstehen: „Gott prüft Abraham“. Das „Hier bin ich“ erscheint im Text dreimal und verklammert Gottes Anrede mit der des fragenden Sohnes („Mein Vater!“, v. 7) und des Engels („Abraham! Abraham!“, v. 11), dessen Doppelung den Anruf noch steigert und die sorgfältige Komposition des Ganzen sichtbar macht. So rückt Abrahams Antwort auf die Glaubensprobe ins Zentrum.

Dieses Thema weicht bereits von allen nicht-priesterschriftlichen Abrahamerzählungen ab. Angelpunkt für seine Deutung ist, dass Abraham das ganze Volk Israel repräsentiert. Dadurch macht der „Autor“ Hörer wie Leser aufmerksam: In dieser Erzählung geht es nicht um ein Ereignis aus der Geschichte des Erzvaters, sondern um das Thema der Versuchung, mit der Gott sein Volk prüft.

Das spiegelt Israels konkrete historische Lage: Sie war wohl schon durch den Verlust des Tempels 587 v. Chr. und die radikale Krise der älteren Verheißungen im babylonischen Exil geprägt. Dies wollte der Text zu verarbeiten helfen, indem er die Geschichte von der Erprobung Abrahams erzählt. Er ist also jüngeren Datums. Sein historisches Fundament ist nicht die Zeit der Erzeltern, sondern die Gegenwart seiner Adressaten, die mit einer scheinbar zurückgenommenen Heilsgeschichte JHWHs mit seinem Volk konfrontiert waren.

Die Reflexion darauf durchzieht auch andere Erzeltern-Geschichten. So stellt Gen 18,17-33 in Form einer Erzählung die theologische Frage nach JHWHs Gerechtigkeit. Die spät eingefügten Verheißungen von Land und Nachkommen versuchen auf die Erfahrung zu antworten, dass diese Verheißungen durch das babylonische Exil für das Volk Israel gerade radikal in Frage gestellt waren. Diese Erfahrung wird in unserer Geschichte Gen 22 folgendermaßen erzählt:

JHWH befiehlt Abraham, seinen einzigen Sohn zu opfern. Er selbst nimmt damit die schon erfüllte Verheißung der Nachkommenschaft scheinbar zurück. Das durch das babylonische Exil im „Väterglauben“ irre gewordene Israel projiziert seine eigene reale Situation – den Verlust seiner Zukunftshoffnung – auf die Gestalt des Erzvaters. Der Befehl an Abraham, seine Zukunft zu „opfern“, setzt die „vernichtende“ Erfahrung der Tempelzerstörung schon voraus. Der Tempelkult hatte Israels Vertrauen in seine Erwählung garantiert. Mit dem Zentralheiligtum auf dem Zion zerbrach die Möglichkeit, JHWHs Gegenwart unter seinem Volk sichtbar zu erfahren. Demgemäß wurde die Vertreibung Israels ins Exil als Verlust der von JHWH gegebenen Landverheißung erlebt. Diese Erfahrungen wurden im Exil wiederum als eine Erprobung durch JHWH selbst gedeutet: Abrahams Brandopfer auf Gottes Befehl repräsentiert das von JHWH gnädig ermöglichte Selbstopfer Israels. (G. Steins S. 218f).

Das Handeln ihres Ahnen bietet den Hörern des Textes ein Modell an, wie sie in ihrer Gegenwart und näheren Zukunft Hoffnung und Handlungschancen gewinnen können: nämlich, indem sie wie Abraham wieder auf JHWHs Stimme hören, vertrauen und ihn allein fürchten, also seine Tora (Weisung) treu befolgen und auf seinen Wegen gehen, selbst wenn die Zukunft völlig im Dunkeln liegt. Wenn Israel sich selbst zum Opfer bringt, also auf eigenmächtige Existenzsicherung verzichtet und seine Zukunft erneut ganz in Gottes Hand legt, dann – so will der Text verkünden – wird es ganz unvermutet Gottes Gegenwart neu entdecken: Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.

Der Widder erfüllt dieses Vertrauen, nachdem Abraham seinen Sohn neu geschenkt erhielt. So verheißt das Brandopfer, das er darbringt, obwohl Gott dies gar nicht verlangt hat, indirekt bereits einen neuen Kult: Dieser kann nur gewonnen werden, wenn Israel den alten Kult aufgibt und seinen bisherigen Ungehorsam opfert. So werden Gesetz und Kult, die beiden Hauptformen des israelitischen Gottesdienstes, neu miteinander verknüpft: Die Treue zum Gesetz wird Gottes Gegenwart erneuern, nicht umgekehrt. Dann und nur dann wird Gottes Volk jenseits des Exils eine Zukunft haben: auch in dem Land, das ihm von JHWH einst zugesprochen worden ist.

Kontextuelle Deutung

Neuere exegetische Entwürfe (siehe Literatur) deuten diesen Text nicht isoliert, sondern im Kontext einer Reihe verwandter, aber nicht unbedingt direkt benachbarter Bibeltexte, die repräsentativ für die Bundes- und Opfertheologie im bereits kanonisierten Pentateuch (1. - 5. Buch Mose) sind. Dazu gehören:

  • Gen 12,1-9: Berufung Abrahams, Aufbruch und Durchzug durch Kanaan
  • Gen 21,1-21: Geburt Isaaks, Vertreibung Hagars und Ismaels
  • Ex 3-4: Berufung Moses
  • Ex 19-24: Offenbarung am Sinai, Gesetzesverkündigung
  • Lev 1-9.16: Brand-, Speis-, Dankopfergesetze
  • Ex 29,38-46: Das tägliche Schafsopfer
  • Dtn 8,2-6: Summarum: Gedenke des ganzen Weges, den dich der Herr, dein Gott, geleitet hat...
  • Dtn 12: Der exklusive Gottesdienst an der Opferstätte, die Gott sich erwählt.

Die kanonisch-intertextuelle Lektüre zeigt viele verwandte Motive, die eine einseitige Deutung von Gen 22 ausschließen und seine Bedeutungsvielfalt erschließen. Traditionelle Exegese hat bereits früh Verwandtes mit Gen 12 und Gen 21 (Verheißungsthematik) erkannt. Hinzu kommt die Opferthematik mit Aspekten wie heiliger Ort, Details des Opfervorgangs, Präsenz Gottes. Diese Motive sind für die Sinaiperikope in Ex 19-24 zentral, die die kompositorische Mitte des Pentateuch bildet. Auch das Thema der Gehorsamsprobe taucht dort sowie in Dtn 8 schon auf. Wie sich Abrahams Handeln hier zu den kultischen Opfergesetzen dort verhält, kann daraufhin genauer festgestellt werden.

Demnach war diese Episode wahrscheinlich kein länger mündlich tradiertes „Erzähl-Produkt“ aus der Zeit der Erzväter, sondern ein sehr später Text, der erst beim oder nach Abschluss des Pentateuch entstand und zu dessen jüngster Überarbeitungsschicht gehört. Denn er setzt dessen wichtige Themen schon voraus, nimmt ständig darauf Bezug und wurde offenbar bewusst daraufhin gestaltet. Es handelt sich also wohl um die Komposition eines späten einzelnen „Autoren“, der hier eine Art theologische „Summe“ der ihm vorliegenden Abraham-Sara-Erzählungen zog und diese gezielt als theologischen Höhepunkt in den Kontext von Gen 12-25 eintrug. Darüber hinaus verband er vor allem die nachfolgende Sinaiperikope mit der Gestalt Abrahams. Diese Hypothese kann vieles einfacher erklären, was sonst unverständlich und für moderne Menschen nicht akzeptabel bliebe.

Die neuere Forschung konnte die vielfach beobachtete Vielschichtigkeit von Gen 22 bisher nicht von einem einheitlichen theologischen Ausgangspunkt her erklären. Vermutet wurden Abhängigkeiten von religionsgeschichtlichen Parallelen (Menschenopfer-Motiv) einer ursprünglich selbstständigen Episode, die ein Redaktor übernommen, umgeformt und in den jetzigen Kontext gestellt habe. Dies knüpft an den früheren Schluss an, der die Herkunft einer als bekannt vorausgesetzten Opferstätte erklären will („JHWH sieht“). Andererseits lässt sich die Geschichte zwar ohne die redaktionell angehängte Neuverheißung, nicht aber ohne den ersten Vers erzählen, so dass Redaktor und Verfasser wohl als identisch anzusehen sind.

Setzt man dies voraus, dann ergibt sich für die Exegese, dass Gen. 22 die zwei wichtigsten Konzeptionen der Tora für Israels Gottesverhältnis verbindet und auf Abraham bezieht: die Begegnung mit Gott im Gesetz und die Gotteserfahrung im Kult. Die Gehorsamsforderung gegen das Gesetz ist ein Grundgedanke des Deuteronomiums, die sich im Tempelgottesdienst konzentriert, während die zahlreichen Opferformen, Opferregeln und religiösen Feste das priesterliche Modell darstellen.

Die priesterliche Endgestalt der Sinaiperikope führt diese beiden Konzepte schon zusammen und macht Abraham zum Modell Israels: Er repräsentiert wesentliche Grundzüge der Gottesbeziehung dieses Volkes. Diese Tendenz prägt die späten Bearbeitungen der Abraham-Sara-Erzählungen und war Motor der Pentateuchentstehung. Der Autor von Gen. 22 verlagert wichtige Themen vom Sinai weiter nach „vorn“ in die Erzelterngeschichten hinein. Er bündelt sie noch mehr und leistet damit eine erstaunliche Integration theologischer Grundmotive des gesamten Pentateuch. Denn anders als Gen 18, 19 und 26, 3-5 erweiterte er nicht bloß vorhandene Erzählstoffe, sondern schuf eine eigene Erzählung („Makroglosse“) extra für den vorliegenden Zusammenhang und lehnte sich eng daran an. Diese kommentiert nicht nur punktuell die Nachbartexte, sondern stellt einen großräumigen Horizont her: Von Beginn an hat Gott Israel zu seinem „Opfer“ bestimmt und erwählt, damit dieses Volk Gehorsam lernt und ihm in allen späteren Generationen dient. Dieser Gedanke umgreift die riesige Stofffülle im Pentateuch, die sich von den Ätiologien (Herkunftslegenden) der Halbnomadensippen bis zu Staatswerdung und Tempelbau über gut 1000 Jahre erstreckt.

Der Bezug zum Sinai, aber auch zum Jerusalemer Tempel ist zum Verstehen von Gen. 22 konstitutiv. Letzterer wird auf einer anderen Ebene bedeutsam: Am Ort der Gottesoffenbarung fügen sich die verschiedenen Themen theologisch zusammen, aber erst im Zentralheiligtum wird die gemeinsame Gottesbegegnung in Israel örtlich möglich. Der Autor von Gen. 22 setzt den Tempelbau schon voraus, da er die Brandopfergesetze kennt und dem um ein Heiligtum „auf dem Berg“ zentrierten Israel eine entsprechende Theologie anbietet. Damit stellt sich die Frage seiner Entstehungszeit, die die Forschung bisher nicht eindeutig entschieden hat.

Die Opferung Isaaks als ethisches Problem

An Gen 22 erörterte Sören Kierkegaard ein zentrales Problem der christlichen Ethik: das Verhältnis von autonomer und heteronomer Gesetzgebung. Spätestens seit Immanuel Kant ist das Gute als ein Handeln definiert, das sich zu einer allgemeinen Regel verallgemeinern lässt. So ist etwa Diebstahl verwerflich, da, wenn niemand mehr das Eigentum Anderer achten würde, die Gesellschaft zur Auflösung drängen würde. Die Tötung von Kindern durch ihre Eltern gilt als ethisch besonders verwerflich, da sie der natürlichen Familiensolidarität widerspricht und – würde sie zur allgemeinen Regel – den Fortbestand der Gattung Mensch gefährden würde.

Abraham brach aber mit der Absicht von zuhause auf, Isaak auf dem Berg Morija zu opfern. Für ihn stand hier sein Gehorsam gegen Gottes Gebot über allem. Dabei stellt der Kontext ihn durchaus als einen Menschen dar, der an Gottes Gerechtigkeit appelliert, um andere vor ungerechter Kollektivstrafe zu bewahren (Gen 18,16-33). Dieser Maßstab für Gerechtigkeit scheint in Gen 22 außer Kraft gesetzt zu sein: Gott erscheint als finsterer Moloch, der Menschenopfer verlangt und seine Zusagen ohne Grund revidiert. Abraham erscheint als widerspruchslos Gehorsamer, der bereit zum Opfer des eigenen Kindes gewesen wäre, das er besaß.

Kierkegaard folgerte daraus, dass autonome Ethik nicht in allen Lebenslagen Richtschnur sein und absolute Geltung beanspruchen könne. Vielmehr könne es unter Umständen nötig werden, um eines übergeordneten Zieles willen – auf Geheiß Gottes – etwas Unethisches zu tun. Die autonome Ethik sei letztlich nicht die höchste Messlatte für das gute Leben; es gebe Situationen, in denen sie versagen muss. – Auch für Dietrich Bonhoeffer war der Tyrannenmord an Adolf Hitler mit der Bereitschaft, dafür das eigene Leben zu opfern, eine mögliche gute Tat, die formal im Widerspruch zu biblischen Geboten steht – Morde nicht! (Ex 20,13) –, aber ihre Sinnrichtung dennoch erfüllen kann, indem sie weitaus schlimmeres Massenmorden im Krieg und im Holocaust verhindert und den Willen zu seiner Beendung deutlich macht. Diese Ansicht kann allerdings nicht zur Rechtfertigung von Abrahams Verhalten herangezogen werden, da durch die beabsichtigte Opferung Isaaks kein schlimmeres Geschehen verhindert wird.

Deutung der Opferung aus Sohn-Perspektive

Die Aufforderung Gottes an Abraham, seinen einzigen Sohn zu opfern, hat noch einen weiteren Aspekt aus der Opferperspektive des Sohnes. Der erste Aspekt (aus Sicht des Vaters, der das Opfer bringen soll), ist das man Gott an erster Stelle haben sollte. Am Beispiel Abrahams kann die Bereitschaft selbst zum höchsten Opfer als Vorbild für den Gehorsam gegenüber Gott gesehen werden. Es zeigt die absolute Höherstellung Gottes in einer monotheistischen Religion.

Der zweite Aspekt (aus der Sicht des Sohnes, der geopfert werden soll) ist der absolute Gehorsam gegenüber den Eltern, denn als Abraham seinem Sohn erzählte, er müsse ihn für seinen Gott opfern, hat dieser ohne Zögern eingewilligt: „Wenn du befiehlst: Sterbe!, so sterbe ich, Vater, wenn du befiehlst: Lebe!, so lebe ich, Vater.“ (nach Islamischer Überlieferung). Eine Steigerung dieses Gehorsams finden wir dann später bei Jesus Christus, der nach dem Willen Gottes den Tod am Kreuz erleidet.

So kann man also die Opfer-Geschichte als ein Vorbild der Gehorsamkeit sehen, einerseits gegenüber Gott und andererseits gegenüber den Eltern. Beide werden so auch verglichen.

In der Tat fordert Gott schließlich nicht das Leben des Sohnes – lehnt also sein freiwilliges Opfer ab, ebenso wie er die Opferung von Menschen generell ablehnt.

Neutestamentliche Deutung

Abraham wird im Neuen Testament als Stammvater Jesu Christi genannt (Mt 1,2 EU). In Christus erfüllt sich für die Urchristen die Segensverheißung für alle Völker, die Abraham gegeben wurde (Apg 3,25 EU). Alle, die an Christus glauben, sind daher für das NT Abrahams Nachkommen.

Abrahms Glaubensgehorsam ist für Paulus von Tarsus vorbildlich für den Glauben der Christen (Gal 3,6-9 EU):

„Von Abraham wird gesagt: Er glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet. Daran erkennt ihr, dass nur die, die glauben, Abrahams Söhne sind. Und da die Schrift vorhersah, dass Gott die Heiden aufgrund des Glaubens gerecht macht, hat sie dem Abraham im Voraus verkündet: Durch dich sollen alle Völker Segen erlangen. Also gehören alle, die glauben, zu dem glaubenden Abraham und werden wie er gesegnet.“

Dem widerspricht der Jakobusbrief mit Berufung auf die Bindung Isaaks (Jak 2,21ff EU):

„Wurde unser Vater Abraham nicht aufgrund seiner Werke als gerecht anerkannt? Denn er hat seinen Sohn Isaak als Opfer auf den Altar gelegt. Du siehst, dass bei ihm der Glaube und die Werke zusammenwirkten und dass erst durch die Werke der Glaube vollendet wurde. So hat sich das Wort der Schrift erfüllt: Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet, und er wurde Freund Gottes genannt. Ihr seht, dass der Mensch aufgrund seiner Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein.“

Paulus betont also den Glauben Abrahms an Gottes Segenszusage als Motiv seines Handelns – Jakobus betont dagegen die tatsächliche Bereitschaft zur Opferung Isaaks als Grund der Rechtfertigung des Menschen vor Gott.

Der Hebräerbrief sieht in dieser Bereitschaft einen impliziten Auferstehungsglauben Abrahams (Heb 11,17ff EU):

„Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak, als er versucht wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, als er schon die Verheißung empfangen hatte und ihm gesagt worden war (1. Mose 21,12): „Was von Isaak stammt, soll dein Geschlecht genannt werden.“ Er dachte: Gott kann auch von den Toten erwecken; deshalb bekam er ihn auch als Gleichnis dafür wieder.“

Aber nicht nur Glaube und Werk der Christen, sondern Gottes eigenes Handeln, nämlich das Dahingeben bzw. Ausliefern (griech. paradidnoai) seines „geliebten Sohnes“ (Mk 1,11 EU) deuteten die Urchristen mit dem Modell der Opferung Isaaks: Wie Abraham seinen Sohn nicht verschonte, als Gott unbegreiflich seinen Verzicht auf sein Liebstes forderte, so handelte nun Gott selbst. Sein Opfer übersteigt das Abrahams, denn Christus wurde tatsächlich getötet. Im Kontrast zu Gen 22,12.16 formuliert Röm 8,32ff EU:

„Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? […]“

Was Gott von Abraham letztlich nicht zu tun verlangte, tat er selber, indem er seinen einzigen Sohn Jesus zur Vergebung der Sünden opferte. In diesem Opfer Gottes zugunsten des Heils aller Menschen findet Paulus Trost für die aktuell Verfolgten:

„In der Schrift steht: Um deinetwillen sind wir den ganzen Tag dem Tod ausgesetzt; wir werden behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat. Doch all das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Literatur

Überblick

  • Michael Krupp: Den Sohn opfern? Die Isaak-Überlieferung bei Juden, Christen und Muslimen. Kaiser, Gütersloh 1995, ISBN 3-579-00289-9

Jüdische Auslegungen

  • Albert H. Friedlander: Medusa und Akeda. In: Michael Brocke u.a. (Hrsg.): Wolkensäule und Feuerschein. Jüdische Theologie des Holocaust. Kaiser, Gütersloh 1993, ISBN 3-579-05131-8, S. 218-239
  • Roland Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen. Calwer Verlag, Stuttgart
    • 1. Die alttestamentlichen Predigttexte des 3. und 4. Jahrgangs. 1986, ISBN 3-7668-3346-4, S. 75-87
  • Verena Lenzen: Jüdisches Leben und Sterben im Namen Gottes. Studien über die Heiligung des göttlichen Namens (Kiddusch HaSchem). Pendo-Verlag, München 2002, ISBN 3-85842-460-9
  • Rolf-Peter Schmitz: Die Aqedat Jishaq. Die mittelalterliche jüdische Auslegung von Genesis 22 in ihren Hauptlinien. Olms, Hildesheim 1979, ISBN 3-487-06822-2 (zugl. Dissertation, Universität Köln 1976)
  • Shalom Spiegel: The Last Trial. On Legends and Lore of the Command to Abraham to offer Isaac as a Sacrifice. Jewish Lights Publication, Woodstock, Vt. 1993, ISBN 1-879045-29-X
  • T. Vejola: Das Opfer des Abraham. Paradigma des Glaubens aus dem nachexilischen Zeitalter. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche Jg. 85 (1988), S. 129-164
  • Willem Zuidema (Hrsg.): Isaak wird wieder geopfert. Die „Bindung Isaaks“ als Symbol des Leidens Israels. Versuche einer Deutung. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1987, ISBN 3-7887-0797-6

Christliche Auslegungen

  • Lukas Kundert: Die Opferung/Bindung Isaaks. Bd. 1: Gen 22,1-19 im Alten Testament, im Frühjudentum und im Neuen Testament. (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, Bd. 78) Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1998, ISBN 3-7887-1668-1
  • Lukas Kundert: Die Opferung/Bindung Isaaks. Bd. 2: Gen 22,1-19 in frühen rabbinischen Texten. (Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, Bd. 79) Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1998, ISBN 3-7887-1680-0
  • Georg Steins: Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre (Herders Biblische Studien; Bd. 22). Herder, Freiburg 1999, ISBN 3-451-26916-3
  • Søren Kierkegaard: Furcht und Zittern. Verlag Ruff, Simmerath 2004, ISBN 3-936762-13-9 (Repr. d. Ausg. Köln 1950)
  • Eugen Drewermann: Abrahams Opfer. Gen 22,1-19 in tiefenpsychologischer Sicht. In: Bibel und Kirche Jg. 41 (1986), S. 113-124
  • Klaus Hedwig: Das Isaak-Opfer. Über den Status des Naturgesetzes bei Thomas von Aquin, Duns Scotus und Ockham. In: Albert Zimmermann u.a. (Hrsg.): Mensch und Natur im Mittelalter. De Gruyter, Berlin 1992, ISBN 3-11-013164-1, S. 645 ff.
  • Rudolf Kilian: Isaaks Opferung. In: Bibel und Kirche Jg. 41 (1986), S. 98-104
  • Gerhard von Rad: Das Opfer des Abraham. Mit Texten von Luther, Kierkegaard, Kolakowski und Bildern von Rembrandt. Kaiser, München 1976, ISBN 3-459-00784-2
  • Herbert Schmid: Die Gestalt des Isaak. Ihr Verhältnis zur Abraham- und Jakobtradition. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991, ISBN 3-534-10414-5
  • Magda Szabo: 1. Moses 22. Roman. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1988, ISBN 3-518-38052-4

Sonstiges

  • Marion Keuchen: Die „Opferung Isaaks“ im 20. Jahrhundert auf der Theaterbühne. Auslegungsimpulse im Blick auf „Abrahams Zelt“ (Theater Musentümpel – Andersonn) und „Gottesvergiftung“ (Choralgraphisches Theater Heidelberg – Grasmück) (Altes Testament und Moderne; Bd. 19). LIT-Verlag, Münster 2004, ISBN 3-8258-7196-7 (zugl. Dissertation, Universität Paderborn 2002)
  • Elisabeth Paneli: Die Ikonographie der Opferung Isaaks auf den frühchristlichen Sarkophagen, Tectum Verlag, 2001, ISBN 3-8288-1152-3

Siehe auch

Weblinks


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