Exarchat Ravenna

Exarchat Ravenna
Das Exarchat von Ravenna um 750 n. Chr.

Das Exarchat von Ravenna (auch Exarchat von Italien genannt) war ein oströmischer/byzantinischer Verwaltungsbezirk in Italien, mit dessen Gründung Kaiser Maurikios im Jahr 584 die zivilen und militärischen Befugnisse des Prätorianerpräfekten und des magister militum in der Hand des Exarchen bündelte. Das Exarchat von Ravenna war bis zu seiner Eroberung durch die Langobarden 751 der Eckpfeiler der byzantinischen Macht in Italien. Es war jedoch nicht die einzige oströmische Provinz in der westlichen Hälfte des antiken Imperiums. Sizilien bildete eine eigene Verwaltungseinheit; Korsika und Sardinien gehörten bis 698 zum Exarchat von Karthago.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Ravenna wurde 402 unter Kaiser Flavius Honorius wegen seines ausgezeichneten Hafens Classis an der Adria und seiner idealen Verteidigungsmöglichkeiten inmitten von unwegsamen Sümpfen die Hauptstadt des Weströmischen Reiches. Es blieb Hauptstadt bis zur Auflösung des Imperiums 476, wurde dann die Residenz von Odoaker und unter König Theoderich Hauptstadt der Ostgoten. Während des Ersten Gotenkriegs besetzte der oströmische Feldherr Belisar die Stadt. 555 wurde sein Nachfolger Narses Statthalter Ostroms in Ravenna. Zu diesem Zeitpunkt entsprach die Verwaltungsstruktur Italiens, mit einigen Änderungen, der Aufteilung, die von Kaiser Diokletian vorgenommen worden war und sowohl von Odoaker als auch von den Goten beibehalten wurde.

Die Invasion der Langobarden und die byzantinische Reaktion

568 eroberten die Langobarden unter ihrem König Alboin, zusammen mit anderen germanischen Verbündeten, im Zuge der letzten Phase der Völkerwanderung Norditalien. Das Gebiet war erst seit wenigen Jahren befriedet und hatte während des langen Gotenkrieges stark gelitten. Die vor Ort stationierten oströmischen Truppen waren schwach, und so konnten, nach der Einnahme mehrerer Städte, die Langobarden 569 Mailand erobern. Sie nahmen Pavia nach einer dreijährigen Belagerung im Jahr 571 ein, und machte es zu ihrer Hauptstadt.[1] In den folgenden Jahren besetzten sie die Toskana. Andere Gruppen der Langobarden unter Faroald I. von Spoleto und Zotto, drangen in Mittel- und Süditalien ein, und gründeten dort die Herzogtümer von Spoleto und Benevent.[2] Nach Alboins Ermordung im Jahr 573 zerfiel das Gebiet der Langobarden in mehrere selbstständige Dukate (Herzogtümer).

Kaiser Justin II. versuchte dies zu nutzen und sandte 576 seinen Schwiegersohn, Baduarius, nach Italien. Dieser wurde jedoch besiegt und in der Schlacht getötet.[3] Die anhaltenden Krisen auf dem Balkan und im Osten machten weitere intensive Anstrengungen zur Rückeroberung unmöglich. Wegen der Einfälle der Langobarden zerfielen die oströmischen Besitzungen in mehrere isolierte Gebiete. 580 ordnete Kaiser Tiberios I. sie in fünf Provinzen, die jetzt auf griechisch eparchiai genannt wurden: die Annonaria in Norditalien rund um Ravenna, Calabria, Campania, die Emilia mit Ligurien, sowie die Urbicaria um die Stadt Rom (Urbs ).[4]

Das Exarchat

Die Grenzen des byzantinischen Reiches von 650 n. Chr. unter Kaiser Konstans II.

584 reorganisierte Kaiser Maurikios die Verwaltung der verbliebenen Gebiete Italiens. Sie wurden in die sieben Dukate Istria, Venetia, das eigentliche Exarchat von Ravenna mit Calabria, die Pentapolis mit Rimini, Pesaro, Fano, Senigallia, und Ancona, das Dukat Rom, Neapel und Ligurien aufgeteilt,[5] die vor allem die Küstenstädte umfassten, da die Langobarden die Vorherrschaft im Hinterland erlangt hatten. Alle Gebiete an der östlichen Flanke des Apennin standen unter der direkten Verwaltung des Exarchen und bildeten das Exarchat im engeren Sinn. Die anderen Gebiete wurden durch duces und den magister militium kontrolliert und standen mehr oder weniger direkt unter der Autorität des Exarchen. Die Langobarden hatten ihre Hauptstadt in Pavia und kontrollierten das große Tal des Po. Das Piemont, die Lombardei, das Festland von Venetien, die Toskana und das Hinterland von Neapel gehörten den Langobarden. Zum eigentlichen Herrscher in Rom entwickelte sich der Papst.

Die Notwendigkeit der Verteidigung des Exarchats gegen die Langobarden führte zur Bildung lokaler Milizen, die zuerst den Truppen des Kaisers zugeordnet waren, zunehmend aber selbstständig agierten, da sie an ihren Heimatstandorten rekrutiert wurden. Diese bewaffneten Männer bildeten die exercitus romanae militiae, sie waren die Vorläufer der freien bewaffneten Bürger der italienischen Städte des Mittelalters.

Am Ende des 6. Jahrhunderts bestand das Exarchat noch aus Istrien, einem schmalen Küstenstreifen Venetiens an der Adria, dem Gebiet um Ravenna, der anschließenden Küstenregion mit Ancona, dem Dukat von Rom mit einem schmalen Korridor durch Umbrien zum Exarchat und der unmittelbaren Umgebung von Gaeta und Neapel; sowie (bis 650) der Umgebung von Genua.[6]

Während des 6. und 7. Jahrhunderts machte die wachsende Bedrohung durch die Langobarden und die Franken, die Spaltung zwischen der östlichen und der westlichen Christenheit durch den Byzantinischen Bilderstreit und die erbitterte Rivalität zwischen dem Papst und dem Patriarchen von Konstantinopel die Position des Exarchen zunehmend unhaltbar.

Dem zweiten Exarchen Smaragdus gelang es 585 einen Waffenstillstand mit den Langobarden zu schließen. 588 ließ er den Bischof Severus von Aquileia ein Jahr lang in Ravenna festhalten und erzwang die Wiedervereinigung mit der römischen Kirche. 616 wurde Eleutherius von Kaiser Herakleios zum Nachfolger des bei einem Aufstand getöteten Exarchen Johannes von Ravenna ernannt. Eleutherius unternahm einen Versuch, sich selbst vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen, wurde aber von seinen eigenen Truppen ermordet.[7] Unter seinem Nachfolger Isaacius trat eine kurze Periode des Friedens ein. Kaiser Konstans II. als Anhänger des Monotheletismus schickte 649 den Exarchen Olympius nach Rom um Papst Martin I. verhaften zu lassen. Olympius schlug sich jedoch auf die Seite des Papstes. Er hielt die Macht im Exarchat drei Jahre lang, in denen Martin sein Amt unbehelligt ausüben konnte.

Der Exarch Paulus soll auf Befehl Kaiser Leos III. versucht haben, Papst Gregor II. töten bzw. verhaften zu lassen. Wie im Liber Pontificalis berichtet, schlug dieser Anschlag fehl, was in Italien zu einer neuen Welle von Aufständen und zur weiteren Aushöhlung der byzantinischen Herrschaft führte. 726/727 verbündete sich der letzte Exarch Eutychius mit dem langobardischen König Liutprand gegen Papst Gregor, ohne dass es ihnen gelang, diesen zu stürzen. Nach der ersten Einnahme Ravennas 723 durch die Langobarden konnte Eutychius, diesmal mit päpstlicher und venetianischer Unterstützung, die Stadt zurückgewinnen. Ravenna blieb bis zum Aufruhr wegen des Bilderstreits 727 Sitz des Exarchen. Im Jahr 751 eroberte der Langobardenkönig Aistulf die Stadt, womit das Exarchat von Ravenna endete.

Nachwirkung

Als 756 die Franken die Langobarden vertrieben, beanspruchte Papst Stephan II. das Exarchat für sich. Sein Verbündeter Pippin der Jüngere, König der Franken, schenkte die eroberten Gebiete des ehemaligen Exarchats 756 dem Papsttum; diese Pippinische Schenkung, die von seinem Sohn Karl 774 bestätigt wurde, markierte den Beginn der weltlichen Macht der Päpste, das Patrimonium Petri.

Nach dem Ende des Exarchats wurden die Reste der byzantinischen Besitzungen auf dem Festland, Neapel und Kalabrien, dem Katepanat Italien unterstellt. Als Sizilien von den Arabern im 9. Jahrhundert erobert wurde, wurden aus den Resten die Themen Langobardia und Calabria geschaffen. Istrien wurde Dalmatien zugeschlagen.

Siehe auch

Liste der Exarchen von Italien

Literatur

  • Charles Diehl: Etudes sur l'Administration byzantinischen dans l "exarchat de Ravenne. Paris 1888.
  • A. Guillou, F. Burgarella (Hrsg.): L’Italia bizantina. Dall’esarcato di Ravenna al tema di Sicilia. Turin 1988.
  • Ludo Moritz Hartmann: Untersuchungen zur Geschichte der byzantinischen Verwaltung in Italien. Leipzig 1889.
  • Jon R. Martindale: The Prosopography of the Later Roman Empire. Bd. 3, Cambridge 1992.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paulus Diaconus: Historia Langobardorum 2.26-27.
  2. Thomas Hodgkin: Italy and her Invaders. Bd. 6, Oxford 1885, S. 71-73
  3. Johannes von Biclaro (Iohannis Biclarensis chronicon. Hrsg. von Carmen Cardelle de Hartmann, in: Corpus Christianorum, Series Latina Bd. 173A, Turnhout 2001.)
  4. http://www.italiamedievale.org/sito_acim/contributi/bisanzio.html Ornella Mariani: Bisanzio, storia di un Impero
  5. http://infomotions.com/etexts/gutenberg/dirs/1/2/5/4/12542/12542.htm Hutton, Edward: Ravenna, a Study. The Project Gutenberg
  6. http://www.phil.uni-passau.de/histhw/italien/kapitel.html Wolfgang Altgeld (Hrg.): Kleine italienische Geschichte. Reclam-Verlag, Stuttgart 2002. Ergänzungskapitel zu Kleine italienische Geschichte.
  7. http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=947&kapitel=66&cHash=68583d9c462#gb_found Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter.

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