Flugreisefall

Flugreisefall

Der Flugreisefall ist ein juristischer Lehrbuchfall, den der Bundesgerichtshof 1971 entschied.[1]

Inhaltsverzeichnis

Fall

Der Minderjährige M gelangt nach einem Flug von München nach Hamburg mit Transitpassagieren ohne Flugschein an Bord eines Flugzeugs in Richtung New York. Dort wird ihm die Einreise verweigert. Die Fluggesellschaft lässt M eine Zahlungsverpflichtungserklärung unterzeichnen und befördert ihn zurück zu seinen Eltern nach München.

Entscheidung

Hinflug

Vertragliche Ansprüche

Ein Vertrag durch Angebot und Annahme wurde nicht geschlossen. Auch ein konkludenter Vertragsschluss oder ein faktischer Vertrag kommen nicht in Frage, da die Fluggesellschaft (anders evtl. im ÖPNV) von vornherein nur Personen mit Flugschein befördern will, und nicht jeden, der das Flugzeug mit besteigt. Außerdem ist M minderjährig, so dass ohne Genehmigung der Eltern auch von daher kein Vertragsschluss zustande kommt.

Deliktische Ansprüche

Die Schadensersatzansprüche aus §§ 823 ff. BGB scheiden aus, weil die Fluggesellschaft keinen Schaden hat. Durch die Mitnahme des M waren keine im Einzelnen bezifferbaren tatsächlichen Mehrkosten entstanden. Da das Flugzeug nicht ausgebucht war, musste auch kein Passagier zurückgewiesen werden, so dass der Gesellschaft auch insoweit kein Gewinn entgangen ist. (Ein Schaden wegen zusätzlich verbrauchten Treibstoffs bzw. Essens wird hier - vermutlich wegen fehlender Quantifizierbarkeit - nicht erörtert, könnte aber ein Schaden sein.)

Bereicherungsrechtliche Ansprüche

M muss aber den Wert des Fluges nach § 812, § 818 Abs. 2 BGB ersetzen. M hat die Beförderungsleistung Hamburg-New York durch Leistung (str., a. A.: durch Eingriff, arg.: bewusste Zulassung zum Flug nur bzgl. der Passagiere mit Flugschein) der Fluggesellschaft erlangt. (Der BGH diskutiert hier noch die Frage, ob der M überhaupt etwas erlangt hat und sieht das Erlangte im Vermögensvorteil durch die ersparten Aufwendungen; heute hat sich eine faktische Betrachtung durchgesetzt, nach der auch unkörperliche Vorteile "erlangt" werden können.)

Allerdings handelt es sich hier für M zum einen um eine so genannte Luxusaufwendung, zum anderen könnte M durch den Rücktransport nach München entreichert sein, da er von seinem Flug nach New York nun keinen Vorteil mehr hat, § 818 Abs. 3 BGB. Wegen § 819 BGB haftet M aber dennoch, weil er wusste, dass er die Leistung ohne rechtlichen Grund empfängt. Im Rahmen des § 819 BGB ist wegen der Deliktsähnlichkeit (arg. § 828 BGB, hier nämlich zugleich Vergehen der Beförderungserschleichung) auf die Kenntnis des Minderjährigen und nicht die der Erziehungsberechtigten abzustellen.

Rückflug

Vertragliche Ansprüche

Ansprüche aus Vertrag scheiden aus, da M einen Vertrag auch durch Unterschreiben der Zahlungsverpflichtungserklärung nicht wirksam abschließen konnte und die Eltern den schwebend unwirksamen Vertrag nicht genehmigt haben.

Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag

Das auch-fremde Geschäft der Rückbeförderung lag im objektiven Interesse und entsprach damit auch dem mutmaßlichen Willen der Eltern, da dem M die Inhaftierung auf dem Flughafen drohte. (Strittig ist jedoch, ob überhaupt auf den Willen der Eltern abgestellt werden kann, denn die Vorschriften der §§ 106 ff. BGB gelten prinzipiell nur für Willenserklärungen, welche bei der GoA nicht vorliegen (gesetzliches Schuldverhältnis). Allerdings kommt man auch bei Ablehnung der Anwendbarkeit zum gleichen Ergebnis, da es wohl nicht dem Willen des Minderjährigen entspricht, im Transitbereich des New Yorker Flughafens zu verweilen.)

Ergebnis

M hat damit die Kosten des Hinflugs, die Eltern haben die Kosten des Rückflugs zu begleichen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. BGHZ 55, 128

Weblinks

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