François Rabelais

François Rabelais
François Rabelais, anonymes Porträt aus dem 17. Jahrhundert

François Rabelais (* ca. 1494, vielleicht aber auch schon 1483 in La Devinière bei Chinon/Touraine; † 9. April 1553 in Paris) gilt als der bedeutendste Prosa-Autor der französischen Renaissance.

Sein wohl fast jedem Franzosen bekannter Name, der sich in Ausdrücken wie „une plaisanterie rabelaisienne“ verselbständigt hat, ist verknüpft vor allem mit dem mehrbändigen humoristischen Romanzyklus um die beiden Riesen Gargantua und Pantagruel, die ihrerseits ebenfalls Adjektive gezeugt haben: pantagruélique (un appétit pantagruélique) und gargantuesque (un repas [Mahl] gargantuesque). Rabelais war jedoch auch als humanistischer Gelehrter aktiv. Seine äußerst mobile Existenz im Gefolge fürstlicher Gönner und auf der ständigen Suche nach Weiterbildung, zumal im Kontakt mit anderen Gelehrten, ist typisch für viele europäische Intellektuelle der Epoche. Als Zeitgenosse von Martin Luther und Jean Calvin war er betroffen von den heftigen religiösen Querelen der Epoche.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Schaffen

Über seine Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Geboren wurde er vermutlich auf einem Landgut bei Chinon, und zwar als jüngster von drei Söhnen eines wohlhabenden Grundbesitzers und Juristen, der nacheinander verschiedene Ämter in Chinon bekleidete. Er erhielt, vielleicht in der nahen Benediktiner-Abtei von Seuilly, eine passable Bildung gemäß den damals gängigen Methoden (die er später im Roman karikiert). 1510 oder 1511 wurde er Novize bei den Franziskanern, wohl in La Baumette nahe Angers. Um 1520 ist er als Ordensbruder in Fontenay-le-Comte (Vendée) bezeugt.

Hier war er inzwischen durch einen älteren Mitbruder in Berührung mit dem von Italien her ausstrahlenden Humanismus gekommen und hatte (Alt-)Griechisch zu lernen begonnen, was mangels kompetenter Lehrer und geeigneter Lehrbücher nicht einfach war. Auch hatte er Anschluss an den kleinen Zirkel gebildeter Leute gefunden, die es in Fontenay als regionalem Verwaltungs- und Justizzentrum gab. Darüber hinaus hatte er begonnen, briefliche Kontakte zu Gelehrten zu knüpfen, wie ein erhaltenes, 1521 datiertes, offenbar schon zweites Schreiben an den bekannten Humanisten Guillaume Budé beweist, den Initiator des 1530 in Paris gegründeten Collège Royal. Im Rahmen seiner griechischen Studien verfasste Rabelais gegen 1522 eine nicht erhaltene Übertragung von Buch I der Geschichte der Perserkriege des Herodot (5. Jh. v. Chr.) ins Lateinische.

In den 1520er Jahren wurde auch er, wie so viele humanistisch interessierte Zeitgenossen, von den Reformideen Luthers erfasst. Als 1523 alle Griechischstudien von der reformfeindlichen Pariser theologischen Fakultät, der Sorbonne, als Vorstufe zur Ketzerei gebrandmarkt wurden, bekam Rabelais von seinen Oberen die griechischen Bücher entzogen. Durch Vermittlung des Bischofs von Poitiers, Geoffroy d’Estissac, der zugleich Abt eines Benediktinerklosters war, erhielt er 1524 die päpstliche Erlaubnis, in dieses zu wechseln, und konnte damit die eher bildungsfeindlichen Franziskaner zugunsten der traditionell bildungsfreundlichen Benediktiner verlassen. Offenbar lebte er aber meistens im Gefolge von Estissac in der Abtei von Ligugé bei Poitiers, wobei er ihm als Sekretär und vielleicht auch als Hauslehrer eines Neffen diente. Als sein Begleiter auf Reisen durch das Bistum kam er sichtlich in Kontakt mit Menschen verschiedenster Art und Herkunft. Möglicherweise besuchte er in diesen Jahren auch juristische Vorlesungen an der Universität Poitiers.

Wohl 1526 erschien sein erstes gedrucktes Werk, eine lateinische Versepistel an einen befreundeten Dichter-Juristen aus Ligugé. Von den französischen Versen, die er als junger Mann ebenfalls schrieb, ist so gut wie nichts erhalten.

1528 findet man ihn in Paris, vermutlich nach Zwischenstationen an den Universitäten Bordeaux, Toulouse und Orléans. Anscheinend hatte er unter der Hand den Status eines Weltgeistlichen angenommen, als der er freier war, seine Studien, nunmehr vor allem der Medizin, fortzusetzen und gelehrte Kontakte zu pflegen. Aus dem Kontakt mit einer Witwe gingen zwei uneheliche Kinder hervor, François und Junine.

Dies hielt ihn nicht in Paris, vielmehr schrieb er sich im September 1530 an der berühmten medizinischen Fakultät in Montpellier ein, wo er schon im November Baccalaureus wurde. Die Medizin war damals ein fast reines Buchstudium mit insbes. den Schriften von Hippokrates und/oder Galen als Quasi-Bibeln. Der Humanist Rabelais scheint sich denn auch vor allem philologisch mit der Medizin beschäftigt zu haben, denn in einer Vorlesung kommentierte er im Frühjahr und Sommer 1531 Texte der genannten Koryphäen, wobei er in revolutionärer Weise die griechischen Originale zugrunde legte.

Im Sommer 1532 findet man ihn in Lyon, wo er sich als Arzt betätigte und zugleich bei dem Drucker und Verleger Gryphe (Greiff) diverse gelehrte Werke herausgab. Hiervon ließ er sich jedoch nicht absorbieren, sondern verfasste auch einen Roman, der Ende 1532, ebenfalls in Lyon, erschien: Les horribles et épouvantables faits et prouesses du très renommé Pantagruel, Roi des Dipsodes, fils du grand Gargantua. Composés nouvellement par maître Alcofrybas Nasier (= die schrecklichen und Furcht erregenden Taten und Mutbeweise des sehr berühmten P., Königs der Dipsoden, Sohnes des großen Riesen G. Kürzlich verfasst von Magister A. N.). Das Werk war also schon am Titel als Parodie, vor allem der Gattung Ritterroman, erkennbar. In der Tat hatte Rabelais sich an ein kurz zuvor anonym erschienenes Volksbuch angehängt: Les grandes et inestimables croniques du grand et énorme géant Gargantua (= die großen und unschätzbaren Chroniken des großen und enormen Riesen G.), wobei er einen Sohn zu dem Riesen erfand. Der kuriose Autorname war ersichtlich ein witziges Pseudonym (gebildet als Anagramm aus f-r-a-n-c-o-y-s-r-a-b-e-l-a-i-s).

In Pantagruel schildert Rabelais in der Rolle des Ich-Erzählers und Domestiken Alcofrybas die Kindheit und Jugend, die Studienjahre sowie die erste militärische Bewährung des Protagonisten, doch führt er zu Beginn der Studienzeit eine zweite, zunehmend wichtige Figur in die Handlung ein, den ewigen Studenten und Tausendsassa Panurge, mit dem er sich offensichtlich mehr identifiziert als mit dem Ich-Erzähler. Am Ende macht er auch diesen selbst zur handelnden Person, die im Mund des jungen Riesen eine ganze Welt entdeckt, die der unseren ähnelt. Der Erfolg des locker strukturierten, mit zahllosen burlesken Anekdoten, witzigen Zitaten und satirischen Seitenhieben gewürzten Werkes war unmittelbar und beachtlich. Es wurde allein 1533 und 34 acht Male, z. T. in Raubdrucken, neu aufgelegt. Die Theologen der Sorbonne allerdings stießen sich an Passagen, in denen ihre scholastische Haarspalterei karikiert und Positionen vertreten wurden, die dem „Evangelismus“ der Reformatoren nahe standen. Auch die hohen Richter des Parlements fühlten sich verspottet. Die Reaktion war eine Verurteilung des Buches durch die Sorbonne. Rabelais dagegen nutzte den Erfolg, indem er sogleich einen witzigen, z.T. horoskopartigen Almanach für das Jahr 1533 nachschob: La Pantagruéline Pronostication [=Vorhersage], die bei späteren Nachdrucken des Pantagruel oft an diesen angefügt wurde..

Ende 1532 erhielt Rabelais eine Anstellung am Lyoner Krankenhaus, dem Hôtel Dieu. Neben seiner ärztlichen Tätigkeit frequentierte er die intellektuellen Zirkel der Stadt, die es zu dieser Zeit wirtschaftlich und auch geistig mit Paris aufnehmen konnte.

Wohl Anfang 1534 lernte er den Bischof von Paris und Mitglied des Kronrates Jean du Bellay kennen, einen hochgebildeten Mann, der auf einer diplomatischen Reise nach Rom in Lyon Station machte und ihn, den wenig Älteren, als Leibarzt und Gesellschafter-Sekretär engagierte.

Bei seinem Aufenthalt in Rom (Febr. bis Apr. 34) erhielt Rabelais Einblicke in die Verhältnisse am päpstlichen Hof, wo man zwischen Frankreich und Kaiser Karl V. lavierte, mit dem Papst Klemens VII. seit der Eroberung und Plünderung Roms durch kaiserliche spanische Truppen 1530 unfreiwillig verbündet war. Vor allem interessierte er sich aber für die zahlreichen Spuren der Antike in der Stadt und ihrer Umgebung. Zurück in Lyon edierte er ein gelehrtes lateinisches Werk eines Italieners über die Topographie des antiken Rom.

Im Schlusswort des Pantagruel hatte Rabelais eine Fortsetzung mit weiteren Abenteuern seines Helden angekündigt. Statt dessen ließ er Ende 34 oder Anfang 35 anonym einen Roman erscheinen, dessen Handlung umgekehrt eine Vorgeschichte enthält: La Vie inestimable du grand Gargantua, père de Pantagruel, jadis composée par l’abstracteur de quinte essence. Livre plein de Pantagruélisme (= das unschätzbare Leben des großen G., Vaters von P., einst verfasst vom Quintessenz-Abstraktor). Sichtlich hoffte Rabelais mit den Verweisen auf den Pantagruel dessen Erfolg fortzusetzen, was allerdings, sieht man die geringe Zahl der Nachdrucke, nur mäßig gelang. Zugleich jedoch vernebelte er seine Identität als Autor noch stärker und verlegte er die Entstehungszeit des Buches auf ein vages „einst“. Sichtlich fürchtete er (zu Recht, wie sich zeigte) eine erneute Verurteilung der Sorbonne. Denn dezidierter noch als im Pantagruel karikiert er anhand des Bildungsganges, den er seinen Protagonisten Gargantua durchlaufen lässt, die überkommenen scholastisch geprägten Lerninhalte und –methoden und propagiert er die neuen humanistischen Bildungsideale. Und auch der Schlussteil über die Abtei Thélème, einen idealen utopischen Ort, an dem eine geistige und soziale Elite von jungen Personen beiderlei Geschlechts ein Leben führt, das nur durch Vernunft, Selbstbeherrschung und die Lehren des Evangeliums geregelt ist, wirkt alles andere als orthodox katholisch.

Anfang 1535, soeben hatte er wieder einen Almanach drucken lassen, verschwand Rabelais aus Lyon, vielleicht um sich einer möglichen Verfolgung als Sympathisant des Protestantismus zu entziehen. Denn König Franz I. hatte Ende Oktober 34 entschlossen Partei gegen die Reformatoren ergriffen und grünes Licht für Ketzer-Prozesse gegen sie gegeben, was eine Fluchtwelle auslöste. Glücklicherweise konnte Rabelais, der vielleicht bei Estissac untergeschlüpft war, wieder in den Dienst Du Bellays treten und ihn, der im Mai zum Kardinal erhoben worden war, erneut nach Rom begleiten. Bei einem Aufenthalt in Ferrara traf er auf Clément Marot und andere dorthin geflüchtete Sympathisanten der Reformation, die Asyl bei der Herzogin, einer Tochter von König Ludwig XII., gefunden hatten, die dem „Lutherismus“ nahestand.

Anschließend verbrachte Rabelais 1535/36 sieben Monate mit Du Bellay in Rom. Zweifellos über ihn erhielt er 1536 die Zustimmung des Papstes (inzwischen Paul III.), pro forma in den Benediktinerorden zurückzukehren, und zwar als Mönch einer Abtei nahe Paris, deren Prior Du Bellay war. Dort sollte er nach der beabsichtigten Umwandlung der Abtei in ein Stift eine Pfründe als Stiftsherr mit regelmäßigen Einkünften bekommen, was noch 1536 geschah. Allerdings wehrten sich die anderen Nutznießer der Umwandlung gegen den Quereinsteiger. Rabelais musste eine Eingabe an den Papst richten. Der Ausgang der Angelegenheit ist nicht bekannt.

Anfang 1537 erwarb er, da ihm der Papst zugleich gestattet hatte, als Arzt tätig zu bleiben, in Montpellier auch den Doktortitel und hielt anschließend Vorlesungen über die Schriften des Hippokrates. Erneut legte er hierbei das griechische Original zugrunde und kritisierte die gängige lateinische Version als fehlerhaft. Im Sommer erregte er Aufsehen in Lyon, als er bei einem Besuch dort die Leiche eines Gehenkten sezierte. Im Winter 37/38 hielt er wieder Kurse in Montpellier.

1538 finden wir ihn in Aigues Mortes mit Du Bellay, der hier an einem Treffen teilnahm zwischen König Franz I. und Kaiser Karl V., die soeben einen Waffenstillstand ausgehandelt hatten in ihrem seit Jahren andauernden Ringen um die Vorherrschaft in Italien. Anschließend folgte Rabelais seinem Gönner nach Lyon.

François Rabelais (Anonymus, Anfang 17. Jh.)

Vermutlich 1539 (oder schon 1536?) wurde ihm ein Sohn geboren, Théodule, der jedoch zweijährig starb.

Ende 1539 wurde er von Du Bellay an dessen kränkelnden älteren Bruder Guillaume de Langey weitergereicht, einen hohen Militär, der zum Gouverneur im norditalienischen Herzogtum Piemont ernannt worden war, das von franz. Truppen besetzt gehalten wurde. Von ihm wurde er nach Turin mitgenommen, die piemontesische Hauptstadt, wo er, unter dem Titel Stratagemata, eine lateinische Geschichte seiner Feldzüge verfasste, die aber verloren ist. Die nächsten drei Jahre bis zum Tod Langeys Anfang 1543 pendelte Rabelais mit ihm zwischen Norditalien und Frankreich.

1541 und 1544 brachte er erneut je einen Almanach heraus, letzteren unter dem Titel Grande et vraye pronostication nouvelle pour l’an 1544 (=große und wahre neue Vorausschau für das Jahr 1544).

1542 reagierte Rabelais, sicher um sich als linientreuer Katholik zu erweisen und seine Ruhe zu haben, auf die Vorwürfe, der Pantagruel und der Gargantua seien obszön und theologisch bedenklich, und publizierte in Lyon Versionen beider Bücher, deren Text etwas gereinigt und leicht überarbeitet war. Auch die Titel wurden, der eine stark, der andere etwas verändert, nämlich zu Pantagruel, Roi des Dipsodes. Restitué à son naturel, avec ses faits et prouesses épouvantables. Composés par feu M. Alcofribas, abstracteur de quinte essence (= P., König der Dipsoden. Naturgetreu wiederhergestellt (?), mitsamt seinen Furcht erregenden Taten und Mutbeweisen. Verfasst von dem verstorbenen M. A., Quintessenz-Abstraktor) bzw. zu La Vie très horrifique [= Schrecken erregend] du grand Gargantua [etc.]. Etwa gleichzeitig druckte allerdings der pro-protestantische Drucker Étienne Dolet, ein einstiger Freund Rabelais’, sehr zu dessen Ärger eigenmächtig nochmals die ursprünglichen Versionen nach, wobei erstmals der Gargantua als erster Band und der Pantagruel als ihn fortsetzender (und seinerseits noch weiter fortzusetzender) zweiter figurierte.

Rabelais übernahm sofort diese Praxis und brachte noch 1542 ebenfalls eine zweibändige Ausgabe heraus unter dem Titel Grands annales ou chroniques très véritables des gestes merveilleux du grand Gargantua et Pantagruel son fils, roi des Dipsodes, enchroniqués par feu Maistre Alcofribas, abstracteur de quinte essence (= Große Annalen oder sehr wahrhaftige Chroniken der wundersamen Taten des großen G. und seines Sohnes P., Königs der Dipsoden, inchronisiert vom verstorbenen Magister A, Quintessenz-Abstraktor). Im Vorwort der Neuausgabe (deren Text heute i.d.R. den kritischen Editionen zugrunde liegt) attackierte er Dolet, dennoch wurde sie von der Sorbonne verurteilt.

Trotz der Verurteilung schrieb Rabelais einen Fortsetzungsband, mit dem er offensichtlich auf ein quasi pro-feministisches Erfolgsbuch von 1542 reagierte, La parfaite amie (= die perfekte Freundin) eines gewissen Hérouet. Hierin meidet er politisch brisantere Themen und auch sein Humor ist weniger derb. Im Zentrum steht die Frage, ob Panurge, die neben oder gar vor Pantagruel zentrale Figur der Handlung, heiraten soll, oder – so sichtlich die Tendenz des Autors - besser nicht. Als er das Buch 1545 fertig hatte, durfte er es sogar der Schwester von Franz I., Marguerite de Navarre, widmen und mit einem königlichen Privileg in Paris drucken lassen. Es erschien 1546, sogar unter dem Namen des Autors, als Le tiers livre des faits et dits héroïques du noble Pantagruel, composés par M. Franc. Rabelais, docteur en médicine (= das dritte Buch der heldenhaften Taten und Worte des edlen P. [etc.]).

Dennoch wurde es erneut verurteilt. Rabelais verließ deshalb für eine Weile Frankreich und schlüpfte in der damaligen freien Reichsstadt Metz bei einem Klienten Du Bellays unter. Dort verdingte er sich als städtischer Arzt und begann zugleich einen weiteren Fortsetzungsband. Dieser parodierte die neue Modegattung der Berichte von Entdeckungsreisen und schildert eine fiktive Seefahrt, die Pantagruel und Panurge zu dem Orakel der „göttlichen [Wein-]Flasche“ (dive bouteille) unternehmen, das die Frage Heirat oder nicht beantworten soll.

Nach dem Tod von König Franz I. (1547) reiste Du Bellay einmal mehr in diplomatischer Mission nach Rom und nahm Rabelais mit. Auf der Durchreise übergab dieser in Lyon einem Drucker die ersten elf Kapitel des neuen Bandes, die 1548 als Le Quart livre des faits et dits héroïques [etc.] erschienen. In Rom, wo er mit Du Bellay zwei Jahre bis 1549 blieb, stellte er das Buch dann fertig. Hierbei verarbeitete er in mehreren satirischen Passagen seine Beobachtungen der Politik des Papstes und unterstützte damit indirekt den neuen französischen König Heinrich II., der die Etablierung einer nationalen „gallikanischen“ Kirche anstrebte. Als Anfang 1552, nunmehr in Paris, das Quart livre als Ganzes herauskam, hatte sich allerdings der politische Wind gedreht: König und Papst hatten sich arrangiert, Kritik am Letzteren war nicht mehr erwünscht. Entsprechend zögerte die Sorbonne nicht, das Buch zu verurteilen. Das Pariser Parlement zog nach und verbot es. Dass ein Kardinal, Odet de Châtillon, die Widmung Rabelais' angenommen hatte, zog offenbar nicht.

Dem Erfolg des Buches tat das Verbot keinen Abbruch. Rabelais selbst musste allerdings Anfang 1553 eine Pfründe in Meudon bei Paris und eine weitere im Bistum Le Mans aufgeben, die er über Du Bellay erhalten hatte. Hiernach ist nichts mehr von ihm bekannt. Offenbar aber hatte er noch bis kurz vor seinem Tod im April 53 an einem weiteren Fortsetzungsband gearbeitet. Dieser wurde, vermutlich auf Initiative seines Druckers, von unbekannter Hand zu einem Abschluss gebracht. Er kam 1563 unter dem Titel Le cinquième livre (= das fünfte Buch) heraus und wurde in die Gesamtausgaben des Zyklus aufgenommen, die kurz nach dem Tod des Autors zu erscheinen begannen und weiterhin in großer Regelmäßigkeit erschienen.

Letzteres erstaunt umso mehr, als Rabelais sowohl den Katholiken als auch den Protestanten theologisch suspekt war und zugleich, wegen seiner freimütigen Darstellung aller menschlichen Lebensäußerungen, zunehmend auch als unmoralisch gerügt wurde, und zwar ebenfalls sowohl von den prüder werdenden katholischen Theologen als auch von ihren ohnehin prüden protestantischen Kollegen, deren Vordenker Calvin ihn schon 1550 in seinem Traité des scandales heftig angegriffen hatte.

Vom zeitgenössischen Lesepublikum dagegen wurden seine Romane vermutlich als erheiterndes Evasionsangebot genutzt in einer Zeit, wo es wenig zu lachen gab angesichts einer Realität, die beherrscht war von einer enormen religiösen und ideologischen Polarisierung. Denn diese reichte bis in die Familien hinein, bewirkte eine zunehmende Intoleranz der konfessionellen Parteien und ihrer Propagandisten und führte zu einer brutaler werdenden Unterdrückung der Protestanten durch den Staat, der ab Ende 1534 ja offen die katholische Partei unterstützte. Den Ausbruch der Religionskriege 1562 erlebte Rabelais nicht mehr.

Rabelais heute

Heute gilt Rabelais, obwohl er aufgrund seiner archaisch gewordenen Sprache und seiner oft kaum mehr verständlichen Wortspiele und Anspielungen wenig gelesen wird, als der größte französische Autor des 16. Jahrhunderts, als einer der Großen der französischen Literatur überhaupt und speziell als Galionsfigur des moralisch häufig unkorrekten, dafür aber volkstümlich-heiteren „esprit gaulois“ oder eben „rabelaisien“.

Werke

König Ludwig Philipp als Gargantua (Lithographie von Daumier)
  • Les horribles et épouvantables faits et prouesses du très renommé Pantagruel, Roi des Dipsodes, fils du grand géant Gargantua. Composés nouvellement par maître Alcofrybas Nasier (dt.: Die schrecklichen und erschreckenden Taten und Mutbeweise des sehr berühmten P., König der Dipsoden, Sohn des großen Riesen G. Kürzlich verfasst von Magister A. N.), 1532
  • La Vie inestimable du grand Gargantua, père de Pantagruel, jadis composée par l’abstracteur de quinte essence. Livre plein de Pantagruélisme (dt.: Das unschätzbare Leben des großen G., des Vaters von P., einst verfasst vom Qunitessenz-Abstraktor. Ein Buch voller Pantagruelismus) , 1534 oder 1535
  • Le tiers livre des faits et dits héroïques du noble Pantagruel, composés par M. Franc. Rabelais, docteur en médicine (dt.: Das dritte Buch der Taten und Worte des edlen P., verfasst von M[agister] F. R., Doktor der Medizin), 1546
  • Le quart livre des faits [etc.] (dt.: Das vierte Buch der Taten etc.), 1548 u. 1552
  • Le cinquième livre [etc.] (dt.: Das fünfte Buch (etc.), postum 1563; dieser Band ist zumindest im zweiten Teil nicht mehr authentisch.
  • Eine deutsche Ausgabe der fünf Bücher ist unter dem Titel Gargantua und Pantagruel im Insel Verlag erschienen: ISBN 3458317775.

Die erste deutsche Teil-Übertragung des Zyklus wurde von dem Straßburger Humanisten Johann Fischart verfasst und erschien 1575 unter dem Titel: Abenteuerliche und ungeheuerliche Geschichtsschrift vom Leben, Raten und Taten der Herren Grandgusier, Gargantua und Pantagruel.

Literatur

  • Michail Bachtin: Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur. Suhrkamp, Frankfurt 1987, ISBN 3-518-04708-6.
  • Henning Mehnert: Melancholie und Inspiration. Begriffs- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zur poetischen „Psychologie“ Baudelaires, Flauberts und Mallarmés. Mit einer Studie über Rabelais. („Democritus ridens und Heraclitus flens - Zur thematischen Tiefenstruktur der Rabelaisschen Bücher“, S. 311 ff). Heidelberg 1978, ISBN 3533026116.
  • Wolfgang Schwarzer: François Rabelais 1494 - 1553. in Jan-Pieter Barbian (Red.): Vive la littérature! Französische Literatur in deutscher Übersetzung. Hg. & Verlag Stadtbibliothek Duisburg. ISBN 9783892796565 S. 29 mit Abb.

Weblinks

 Wikisource: François Rabelais – Quellen und Volltexte (Französisch)
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