Fred von Hoerschelmann

Fred von Hoerschelmann

Fred von Hoerschelmann (* 16. November 1901 in Hapsal, Estland; † 2. Juni 1976 in Tübingen) war ein deutscher Schriftsteller und Hörspielautor.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Fred von Hoerschelmann wurde als zweites Kind des Arztes Martin von Hoerschelmann und seiner Frau Elisabeth, geborene Sevecke geboren. Nach dem Besuch der Domschule in Reval (Tallinn) studierte er von 1921 bis 1925 an den Universitäten Dorpat (Tartu) und München zunächst Chemie, später Philosophie, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft.

Seine schriftstellerische Laufbahn begann 1927 mit der Veröffentlichung zahlreicher Erzählungen in der "Vossischen Zeitung", im "Berliner Tageblatt", in der "Berliner Zeitung" und der "Frankfurter Zeitung".

In Hapsal entstand Hoerschelmanns erstes Hörspiel "Flucht vor der Freiheit", das deutschlandweit Erfolg hatte. Von dem Hörspiel existieren vier Fassungen: die Erstfassung aus den Jahren 1928/29, eine revidierte zweite Fassung von 1932, eine Bearbeitung Arnolt Bronnens, die unter dem Titel „Der Weg in die Freiheit“ am 3. Januar 1933 bei der "Berliner Funkstunde" gesendet wurde und eine auf Grundlage der Bronnen-Fassung entstandene vierte Fassung aus Anlass einer Neuproduktion des "Norddeutschen Rundfunks" Hamburg von 1959.

Die Ankündigung seines zweiten, 1933 gesendeten Hörspiels "Urwald" machte die damals 15-jährige Elisabeth Noelle-Neumann, die spätere Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, auf Fred von Hoerschelmann aufmerksam. Sie schrieb ihm einen Brief, in dem sie - nicht wie zu erwarten gewesen wäre - um ein Autogramm bat, sondern den Autor kennenlernen wollte. Dieser Vorgang bildete den Auftakt für eine mehr als 40 Jahre währende Korrespondenz und enge Freundschaft mit dem fünfzehn Jahre älteren Autor. Im selben Jahr schrieb er "Die wirkliche Unschuld".

Nachdem die Tätigkeit für verschiedene Zeitschriften und den Rundfunk in Anbetracht der politischen und strukturellen Veränderungen immer schwieriger wurde, entschloss sich Hoerschelmann 1936, endgültig nach Estland zurückzukehren, wo ihn 1939 die nationalsozialistische Machtpolitik einholte. Im gleichen Jahr wurde er nach Hohensalza (Inowrocław) in das kurze Zeit zuvor von den deutschen Truppen besetzte polnische Wartheland umgesiedelt. Dort war er in einer Schulbehörde angestellt. In den darauffolgenden Jahren entstanden die beiden Dramen "Die zehnte Symphony" (Uraufführung Aussig (Usti nad Labem) 1941) und "Wendische Nacht" (Uraufführung Hamburg 1942).

Trotz Unabkömmlichstellung wurde Hoerschelmann 1942 zur Wehrmacht eingezogen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ließ Hoerschelmann sich als freier Schriftsteller in Tübingen nieder.

Im Jahre 1950 erschien Fred von Hoerschelmanns erster Erzählungsband "Die Stadt Tondi". Die darin gesammelten Erzählungen spielen in einem Estland der Erinnerung. Vor diesem Hintergrund werden in zumeist monologischen oder sich auf eine Figur konzentrierenden Erzählungen dissoziierte Menschen porträtiert. Hoerschelmann wird darin als erfindungsreicher Erzähler mit einem Scharfblick für menschliche Abgründe erkennbar. Die meisten dieser Erzählungen sind zutiefst tragisch angelegt und lassen einen melancholischen Grundton gemischt mit nihilistischen Zügen nicht verkennen. Im Mittelpunkt dieser Erzählungen stehen existentielle Fragen des menschlichen Lebens, Konflikte, die um Schuld, Verantwortung und Gewissen kreisen. Dabei handelt es sich um Stoffe, deren Substrate auf selbst Beobachtetem oder Erlebtem fußen, so dass eine Gefühlswelt, ein geistiger Zustand in diesem Band lebendig wird. Die in der "Stadt Tondi" gesammelten Erzählungen bilden nicht nur die Historiographie eines imaginären Baltikums, sondern zeichnen zugleich ein Psychogramm menschlicher Dissoziation.

Von 1949 bis zu seinem Tod 1976 entstanden mehr als 20 Hörspiele und etwa 30 Funkbearbeitungen literarischer Vorlagen. Zu den bekanntesten Hörspielarbeiten zählen "Die verschlossene Tür" (1952), "Das Schiff Esperanza" (1953) und "Dichter Nebel" (1961). Gemessen an der Zahl der Übersetzungen und Produktionen im In- und Ausland gilt "Das Schiff Esperanza" als erfolgreichstes deutsches Hörspiel. Im Mittelpunkt des Hörspielwerkes Fred von Hoerschelmanns stehen Generationenkonflikte, endzeitliche Szenarien, die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod und historische Stoffe.

Werke

Erzählungen

  • "Die Stadt Tondi", 1950
  • "Sieben Tage, sieben Nächte", 1963

Theaterstücke

  • "Das rote Wams", Komödie, 1935
  • "Die X. Symphonie", Drama, 1941
  • "Wendische Nacht", Drama, 1942

Hörspiele

  • "Die Flucht vor der Freiheit" (1928/29/1932/1933/1959)
  • "Urwald" (1932)
  • "Die wirkliche Unschuld" (1932/33), nicht gesendet
  • "Amtmann Enders" (1949)
  • "Was sollen wir denn tun?" (1950)
  • "Die verschlossene Tür" (1952)
  • "Eine Stunde Aufenthalt" (1952)
  • "Der Hirschkäfer" (1952)
  • "Sabab und Illah" (1952)
  • "Ich bin nicht mehr dabei" (1952)
  • "Das Schiff Esperanza" (1953)
  • "Ich höre Namen" (1954)
  • "Caro" (1954)
  • "Ein Weg von acht Minuten" (1955)
  • "Timbuktu" (1955)
  • "Aufgabe von Siena" (1955)
  • "Fröhliches Erwachen" (1955)
  • "Der Palast der Armen" (1956)
  • "Die Saline" (1958)
  • "Dichter Nebel" (1961)
  • "Der Käfig" (1962)
  • "Sizilianischer Frühling" (1967)
  • "Die blaue Küste" (1970)

Funkbearbeitungen

  • "Der Spieler" (Fjodor Dostojewskij) (1956)
  • "Auferstehung"/"Katjuscha" (Lew Tolstoj) (1960)
  • "Sperrzonen" (Stefan Andres) (1958)
  • "Der Walzer der Toreros" (Jean Anouilh) (1958)
  • "Tante Lisbeth" (Honoré de Balzac) (1951)
  • "Die Brücke am Kwai" (Pierre Boulle) (1957)
  • "Die Asche des Sieges" (Georges Conchon) (1963)
  • "Frevel in Äthiopien" (Ennio Flaiano) (1957)
  • "Ein ausgebrannter Fall" (Graham Greene) (1962)
  • "Der Goldbrunnen"/"Die schickliche Wehmut des Hühnerkönigs" nach "Der Eisenhans" (Brüder Grimm) (1966)
  • "Die Affenpfote" (William Wymark Jacobs)
  • "Die Heideschuster" (Aleksis Kivi) (1958)
  • "Doña Rosita oder Die Sprache der Blumen" (Federico García Lorca) (1960)
  • "Bluthochzeit" (Federico García Lorca) (1960)
  • "Mariana Pineda" (Federico García Lorca) (1960)
  • "Die wundersame Schustersfrau" (Federico Garcíca Lorca) (1961)
  • "Yerma" (Federico García Lorca) (1961)
  • "Madame Legros" (Heinrich Mann)
  • "Das Wunder des Malachias" (Bruce Marshall) (1953)
  • "Regen" (John Colten/Clemence Randolph) (1956)
  • "Die Reisenden" (Edmund Niziurski) (1959)
  • "Cosî è (se vi pare)" (Luigi Pirandello)
  • "Die Pariser Komödie" (William Saroyan) (1961)
  • "Das Spiel ist aus" (Jean-Paul Sartre) (1961)
  • "Maigret und die schrecklichen Kinder" (George Simenon) (1958)
  • "Der Passagier vom 1. November" (Georges Simenon) (2 Teile, 1956)
  • "Jahrmarkt des Lebens"/"Vanity Fair" (W.M. Thackeray) (5 Teile, 1958)
  • "Das Lied von Bernadette" (Franz Werfel) (1959)
  • "Der veruntreute Himmel" (Franz Werfel) (1951)
  • "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein" (Wladimir Dmitrijewitsch Dudinzew) (3 Teile, 1958)

Literatur

  • Heinz Schwitzke: Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte. Kiepenheuer u. Witsch, Köln u.a. 1963. Online-Version
  • Heinz Schwitzke (Hrsg.): Reclams Hörspielführer. Stuttgart 1969. [1]
  • Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg (Hrsg.): Fred von Hoerschelmann (1901 - 1976). Annäherungen an einen Hörspielautor. Ein fast vergessenes Kapitel deutscher Rundfunkgeschichte [2]
  • Hans-Ulrich Wagner: Fred von Hoerschelmann. Ein Romancier des Radios [3] (mp3-Datei)
  • Hans-Ulrich Wagner: Radio-Romancier: Fred von Hoerschelmann und die Entstehung des Hörspiels "Das Schiff Esperanza" [4]
  • Hagen Schäfer: Ein seltsamer Ausbruch des Backfischhaften. Der Briefwechsel zwischen Elisabeth Noelle-Neumann und Fred von Hoerschelmann, FAZ 16. August 2010 [5]
  • Hagen Schäfer: Historiographie eines imaginären Baltikums und Psychogramm menschlicher Dissoziation. Das Prosawerk Fred von Hoerschelmanns. In: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 2012, Lüneburg 2011, S. 142-164.

Weblinks


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