Gerald Bull

Gerald Bull

Gerald Vincent Bull (* 9. März 1928 in Ontario, Kanada; † 22. März 1990 in Brüssel, Belgien) war ein kanadischer Ingenieur, der durch seine Arbeiten an Artilleriegeschützen bekannt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Erste Forschungen

Gerald Bull schloss 1951 sein Studium erfolgreich ab und graduierte im selben Jahr an der Universität von Toronto. Er verbrachte die 50er Jahre in Kanada und forschte an der Überschallaerodynamik von Raketen. Man hatte zu dieser Zeit sehr spärliche Kenntnisse über das Flugverhalten von Flugzeugen und Raketen im Überschallbereich. Überschallwindkanäle waren noch in der Entwicklung und brachten nicht die erforderliche Leistung.

Überschallflug

Bull ging dieses Problem von einer anderen Seite her an. Anstatt Wind mit Überschallgeschwindigkeit an einem stehenden Raketenmodell vorbeizuführen, schoss er maßstabsgerechte Modelle mit Überschallgeschwindigkeit entlang einer Teststrecke. Das Flugverhalten wurde mit Hochgeschwindigkeitskameras gefilmt und anschließend ausgewertet. Er benutzte hierzu Marinekanonen vom Kaliber 40,6 cm. Die Raketen und Flugzeugmodelle wurden von hölzernen, mehrfach in Längsrichtung geteilten Treibspiegeln getragen, die den Raum zwischen Modell und Innenwand der Kanone abdichteten. Sie wurden nach Verlassen des Rohres abgeworfen und das Modell flog im Überschallflug die Teststrecke entlang.

Da der Überschallbereich bereits bei mehr als ca. 350 m/s beginnt (die normale Mündungsgeschwindigkeit der Marinekanonen lag bei ca. 820 m/s) und die Modelle mit Treibspiegel (55–85 kg) nur einen Bruchteil des Gewichts einer Granate (1000–1200 kg) hatten, waren keine weiteren Umbaumaßnahmen am Geschützrohr erforderlich. Kostengünstiger konnte kein Überschallwindkanal arbeiten.

Allerdings war diese Methode mit zwei Nachteilen gegenüber Höhenforschungsraketen verbunden: Erstens war die Messzeit auf wenige Sekunden beschränkt, zweitens und schwerwiegender gab es wegen der starken Beschleunigung und des geringen Volumens starke Limitierungen bei der Instrumentierung der Versuchskörper. Aus diesem Grund wurden die Tests und damit auch die Fördergelder Mitte der 1950er Jahre eingestellt. Zudem war man nun in der Lage, in Überschallwindkanälen das Flugverhalten von Jets und Raketen ausführlich zu testen.

Hoch hinaus mit HARP

Anschließend arbeitete er an einem Projekt, um Satelliten mit riesigen Kanonen in den Orbit zu schießen. Für dieses High Altitude Research Project errichtete man auf der Karibikinsel Barbados ein Testzentrum. Zu Beginn der Versuche herrschte Geldknappheit, denn zur gleichen Zeit forschte Wernher von Braun mit hohem Budget an ballistischen Raketen.

Bull benötigte leistungsstarke Kanonen, um mit seinen Geschossen auch nur annähernd in die Nähe des Orbits zu gelangen. So stellte er ab 1960 Versuche mit ausgemusterten Marinekanonen der U.S. Navy an, die ein Kaliber von 40,6 cm (16 Zoll), 20 Meter Rohrlänge und ein Gewicht von 125 Tonnen hatten. Er verlängerte die Läufe auf 36 Meter, entwickelte Spezialgeschosse (Martlets) von nur 84 kg Gewicht, bzw. bis 210 kg bei der Martlet 2 (die Original-Geschosse wogen ca. 1.200 kg), verbesserte die Treibladungspulver.

Man erreichte damit eine Mündungsgeschwindigkeit von 3600 m/s, gegenüber ca. 825 m/s der Originalgeschosse. Mit der Kanone wurde fast senkrecht nach oben geschossen, mit leicht östlicher Richtung auf das Meer hinaus. Die erreichte Schusshöhe betrug schließlich 100 Kilometer. Diese Steigerung der Geschützleistung gegenüber der Originaltechnik wurde von Bull mit nur 10 Mio. Dollar erreicht – im Vergleich zur Raketenentwicklung ein sehr kleines Budget.

Die erreichten Geschwindigkeiten waren jedoch zu gering, um einen Orbit zu ermöglichen, denn hierfür ist die erste kosmische Geschwindigkeit von 7.900 m/s notwendig.

Langstreckenkanonen für Südafrika

Trotzdem wurden anschließend alle Regierungsgelder zugunsten der Raketenforschung gestrichen. Bull arbeitete nun im Ausland und entwickelte Ende der 1970er Jahre für das Südafrikanische Militär die G-5 155 mm Haubitze mit 41 Kilometer Reichweite. Im Vergleich zur damaligen amerikanischen 155 mm Haubitze, die 28 Kilometer Reichweite aufwies, war dies eine Steigerung von fast 50%. Erreicht wurde dies durch die von Bull entwickelten Spezialgeschosse und -läufe. Hierbei wurde außen am besonders geformten Geschossboden ein Glimmsatz angebracht, welcher beim Abschuss der Granate im Kanonenrohr gezündet wurde. Der Satz verbrannte unter Gasentwicklung während des Flugs und verminderte so den bremsenden Sog, der sich hinter dem Geschoss bildet – derlei Geschosse werden auch als Base-Bleed-Geschosse bezeichnet.

Diese Haubitzen kamen z. B. 1983 bei Gefechten der südafrikanischen Armee mit Rebellen der SWAPO in Angola zum Einsatz. Jedoch wurden u. a. diese Waffenlieferungen an Südafrika von den Industrienationen, vor allem von den USA, im Nachhinein als illegal deklariert, was Gerald Bull nun jegliche Geldmittel aus den westlichen Ländern versagte.

Projekt Babylon

sichergestellte Komponente des Projekts Babylon

Um seine Forschungen weiter zu finanzieren, nahm Bull den Auftrag an, für den Irak unter Saddam Hussein eine riesige Kanone zu entwickeln, ähnlich der früheren deutschen V3-Kanone. Sie sollte in der Lage sein, auch Israel zu erreichen.[1][2] Das Geschütz mit dem Decknamen Baby Babylon sollte bei einem Kaliber von 35 cm einen ca. 46 m langen Lauf besitzen. Als Stellung für die Kanone wurde der Jabal Hamrayn-Berg (etwa 200 km nördlich von Bagdad) ausgewählt.

Das Projekt wurde Anfang 1990 durch den britischen Geheimdienst Secret Intelligence Service vereitelt, der die Lieferung verschiedener Teile stoppte. Das weitere im Irak verfolgte Projekt „Babylon“, die Konstruktion einer noch größeren „Supergun“ (Kaliber 1000 mm), um Ladungen bis zu 600 kg in eine Umlaufbahn (Orbit) oder einen Sprengkopf über Distanzen bis 1000 km zu befördern, wurde ebenfalls nicht weiter verfolgt. Laut Aussage des irakischen Generals Hussein Kamel al-Maschid sollte die Waffe verwendet werden, um feindliche Satelliten lahm zu legen:

“It was meant for long-range attack and also to blind spy satellites. Our scientists were seriously working on that. It was designed to explode a shell in space that would have sprayed a sticky material on the satellite and blinded it.”

„Es war für Angriffe auf große Entfernung und für die Blendung von Spionagesatelliten ausgelegt. Unsere Wissenschaftler haben tatsächlich daran gearbeitet. Es wurde so entworfen, dass eine Granate im All explodieren und ein haftendes Material auf den Satelliten versprühen sollte, um ihn zu blenden.“

Ermordung

Am 22. März 1990 wurde Bull vor der Tür seiner Wohnung in Brüssel mit fünf Schüssen in Kopf und Rücken getötet. Der Täter ist unbekannt, einige Berichte spekulierten, dahinter stehe der israelische Geheimdienst Mossad.[3][4][5][6]

Acht Wochen nach Bulls Ermordung verhinderte der britische Zoll den Export der letzten benötigten Rohrelemente von England in den Irak. Nach dem ersten Golfkrieg von 1991 wurden die noch unvollständigen Geschütze von den Alliierten demontiert.

Mediale Verwertung

Die Vorgänge von Projekt Babylon wurden in dem Kinofilm Doomsday Gun von 1994 verfilmt, mit Frank Langella in der Hauptrolle als Gerald Bull, sowie Kevin Spacey, Alan Arkin, und Clive Owen in Nebenrollen. Sie bilden auch den Hintergrund des Romans Die Faust Gottes von Frederick Forsyth. Des Weiteren verarbeitete David Michaels in seinem Roman Babylon Phoenix, der auf der Spielereihe Splinter Cell aufbaut, Details des Projektes zu einer fiktiven Geschichte.

Literatur

  • Gerald V. Bull, Charles H. Murphy: Paris Kanonen. The Paris Guns (Wilhelmgeschutze) and Project HARP. E. S. Mittler, Herford 1988
  • William Lowther: Arms and the Man. Dr. Gerald Bull, Iraq, and the Supergun. Presidio, Novato 1991
  • James Adams: Bull's Eye. The Assassination and Life of Supergun Inventor Gerald Bull. Times Books, New York 1992

Weblinks

Einzelnachweise

  1. "Melodie in Blei". Der Spiegel, 7. Februar 1994, abgerufen am 9. Dezember 2009.
  2. "Akte Saddam (II): Der gefährlichste Mann der Welt". Der Spiegel, 3. Februar 2003, abgerufen am 9. Dezember 2009.
  3. "Irak: Gigantisches Geschütz". Der Spiegel, 23. April 1990, abgerufen am 9. Dezember 2009.
  4. Jürgen Krönig: "Irak: Gigantisches Geschütz". Die Zeit, 23. April 1990, abgerufen am 1. September 2011.
  5. "Belgien im Zwielicht". die tageszeitung, 9. Mai 1990, abgerufen am 9. Dezember 2009.
  6. Reiner Luyken: "Gezielte Morde". Die Zeit, 14. September 2006, abgerufen am 9. Dezember 2009.

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