Geschichte Ungarns

Geschichte Ungarns
Wappen Ungarns

Die Geschichte Ungarns umfasst die Geschehnisse vor der Landnahme der Magyaren Ende des 9. Jahrhunderts und die Entwicklung des gesamten Königreichs Ungarn sowie des verkleinerten Ungarns seit 1918/20.

Nach Beendigung der Bedrohung Mittel- und Westeuropas durch die magyarischen Reiterarmeen nach der Schlacht auf dem Lechfeld kam es im Anschluss an die Christianisierung und Gründung des Königreichs Ungarn zur Konsolidierung und Sesshaftwerdung der nomadisierenden Magyaren in der pannonischen Tiefebene südlich und westlich des Karpatenbogens. Im 12. Jahrhundert begann eine Personalunion mit Kroatien, auch Bosnien und die kleine Walachei waren längere Zeit unter ungarischer Herrschaft. Unter Matthias Corvinus erreichte Ungarn seine größte Ausdehnung, Ostösterreich, Mähren und Schlesien waren kurzzeitig ungarisch.

In der Schlacht von Mohács 1526 gegen die Osmanen verlor Ungarn durch den Tod König Ludwig II. und eines großen Teils des Adels seine Selbständigkeit. Mehr als zwei Drittel des Landes wurden osmanisch, darunter Siebenbürgen als Vasall der Pforte. Das restliche Königliche Ungarn, bestehend aus einem schmalen Streifen im Westen, Oberungarn und dem Westen Kroatiens, fiel als Erbe an die Habsburger. Ungarn blieb lange Zeit Schlachtfeld zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburger Monarchie. Weite Landstriche wurden dadurch entvölkert, einige Gebiete sind später durch deutsche und serbische Siedler neu bevölkert worden.

Nach der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 gelang es der habsburgischen Armee mit deutscher und polnischer Unterstützung das osmanische Ungarn zurückzuerobern. Gegen die habsburgische Herrschaft gab es immer wieder langwierige, letztlich erfolglose Aufstände wie die Kuruzenaufstände oder die Revolution von 1848/49. Durch die äußere Schwäche des Kaisertums Österreich war Kaiser Franz Josef 1867 gezwungen, einen Ausgleich mit Ungarn einzugehen. Als Teil Österreich-Ungarns erhielt das Land weitgehende Selbständigkeit, war jedoch ein Vielvölkerreich, da die Magyaren nur rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachten. Nach der Niederlage der Doppelmonarchie im Ersten Weltkrieg, verlor Ungarn im Frieden von Trianon etwa zwei Drittel seines Territoriums und seiner Bevölkerung. Darunter waren auch drei Millionen Magyaren in Siebenbürgen, der Südslowakei und der Vojvodina.

Die Revision der Grenzen von Trianon wurde das bestimmende Element in der ungarischen Politik. Im Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland wurden ungarisch besiedelte und weitere Gebiete in den Jahren 1938 bis 1941 wieder dem Staatsgebiet einverleibt. Als sich die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg abzeichnete, versuchte die Regierung auf die Seite der Alliierten zu wechseln, worauf die deutsche Armee die Kontrolle übernahm und rund 500.000 ungarische Juden dem Holocaust zum Opfer fielen. Nach dem Einmarsch der Roten Armee fiel Ungarn der sowjetischen Einflusssphäre zu; die Ungarische Volksrepublik wurde ausgerufen, wieder in den Grenzen von Trianon. Nach der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes 1956 entstand im Land unter János Kádár das System des so genannten Gulaschkommunismus. 1989 ging unter anderem von Ungarn der Fall des Eiserenen Vorhangs und damit das Endes des Warschauer Paktes 1991 aus. Heute ist Ungarn Mitglied der EU, hat aber mit schweren wirtschaftlichen und politischen Problemen zu kämpfen.

Ungarische Vor- und Frühgeschichte

Inhaltsverzeichnis

Ungarische Vor- und Frühgeschichte (2000 v. Chr. bis 800 n. Chr.)

Auflösung der finnougrischen Gemeinschaft

Ungarische Bilderchronik: Hunor und Magor auf der Jagd nach dem Wunderhirschen

Der ugrische Zweig der finno-ugrischen Sprachfamilie setzte sich einst aus den Sprachen der beiden obugrischen Völker Chanten (Ostjaken) und Mansen (Wogulen) sowie den Vorfahren der heutigen Magyaren zusammen. Nach der Auflösung der finno-ugrischen Gemeinschaft zog der ugrische Zweig aus seinem westsibirischen Siedlungsgebiet in süd-/südöstliche Richtung. Dort bildete er von 1900/1800 bis 800 v. Chr. die Andronovo-Kultur, wobei es auch zu intensiven Kontakten mit den hier ansässigen Uriranern kam. Eine besondere Rolle in der Viehzucht nahm die Pferdezucht ein. Dies lässt sich heute anhand archäologischer Funde nachweisen. Die Ugrier übernahmen von den Uriranern auch die festen Siedlungsplätze, wo sie sich von nun an aufhielten. Sie sammelten damals auch erste Erfahrungen in der Metallverarbeitung. Um 1000 v. Chr., etwa am Ende der Bronzezeit, kam es erneut zu einer Klimaerwärmung, durch die sich die Vegetationszonen noch weiter Richtung Norden ausdehnten. Dieser Klimawandel führte dazu, dass sich die Siedlungsräume der Ugrier langsam von Waldsteppen in Richtung Trockensteppen wandelten. In dieser Situation spalteten sich die Ugrier zum einen in die Vorfahren der heutigen Obugrier und zum anderen in die Vorfahren der heutigen Magyaren. Die Obugrier zogen nach Norden in die Region des unteren Ob und wichen so der zunehmenden Versteppung aus. Die Vorfahren der heutigen Magyaren blieben in ihrem Siedlungsgebiet, änderten allerdings ihre Lebensweise und wurden zu einem Nomadenvolk. Etwa 500 v. Chr. kamen die Magyaren in Kontakt mit den iranischen Völkern der Skythen und Sarmaten, nachdem sie durch eine Klimaabkühlung gezwungen wurden, in die Richtung des südlichen Ural zu wandern. Zu belegen ist dies durch vielseitige archäologische Funde, die eine Ähnlichkeit der Kulturen zu dieser Zeit belegt. Ferner wurden auch einige Lehnwörter wie tej („Milch“), fizet („zahlen“) und tíz („zehn“) aus dem Iranischen übernommen.

Wissenschaftler nehmen an, dass die Zeit um 1000 v. Chr. bis 500 v. Chr. die Zeit war, in der sich ein ethnisches Bewusstsein der Urungarn herausbildete. Wichtige Elemente dieser Entwicklung stellten die Sprache, Bräuche, Trachten und der Glaube dar. So stammt auch die berühmte ungarische Sage von einem Wunderhirschen wohl aus dieser Zeit, die sich dann im Laufe der Zeit zu der Sage von Hunor und Magor veränderte.

Von Magna Hungaria nach Levedien

Ungarische Bilderchronik: Die 7 Stammeshäuptlinge

Wissenschaftler gehen davon aus, dass etwa um 500 n. Chr. die magyarischen Stämme das Steppengebiet am südöstlichen Ural verließen und in Richtung Westen in das Gebiet des heutigen Baschkiriens zogen. Über die Gründe dieser Wanderung weiß man heute sehr wenig, obgleich viele Indizien dafür vorliegen, dass die Magyaren diese Wanderung unternommen haben. So machte sich 1235 n. Chr. der Dominikanermönch Julianus im Auftrag von Béla IV. auf den Weg in das später von Julianus Magna Hungaria („Großungarn“) genannte Gebiet. Bei seiner Rückreise berichtete Julianus davon, einige Nachfahren der Urmagyaren in dem Gebiet zwischen Wolga und Uralgebirge gefunden zu haben. Doch bei seiner zweiten Reise 1237 n. Chr. in das Gebiet fand er das Siedlungsgebiet zerstört durch Mongolen und ohne Magyaren vor. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich Magyaren in Magna Hungaria aufgehalten haben, sind archäologische Funde in dem Gebiet. Man stieß dort auf Totenmasken, die bereits von den Obugriern benutzt wurden und ebenfalls in Gräbern aus Zeiten der Landnahme auf dem Gebiet des heutigen Ungarns gefunden wurden. Auf dem weiteren Weg Richtung Karpaten machten die Magyaren etwa 800 n. Chr. Halt in Levedien. Levedien (ungar.: Levédia), das wahrscheinlich nach Levedi, einem Stammesfürsten Ungarns benannt wurde, lag in etwa zwischen Don und Asowschem Meer. In unmittelbarer Nähe ihres neuen Siedlungsgebietes befand sich zu dieser Zeit das Khanat der Chasaren, ein Verband aus turkischen und mongolischen Stämmen, die von einem Khan regiert wurden und dessen Territorium die Steppe nördlich des Kaukasus umfasste. Auch die Magyaren unterwarfen sich diesem Khan und begannen teilweise von ihrem Nomadentum Abschied zu nehmen. Dies lässt sich heute in erster Linie durch das Herangehen aus sprachwissenschaftlicher Sicht nachvollziehen. So gibt es in der ungarischen Sprache etwa 200 Lehnwörter aus dem Bereichen Ackerbau (z. B.: búza, „Weizen“; eke, „Pflug“), Wein- und Gartenbau (z. B.: gyümölcs, „Obst“; szőlő, „Weintraube“), Viehzucht (z. B.: ökör, „Ochse“; gyapjú, „Wolle“; sajt, „Käse“) und Handwerk, die zu dieser Zeit in die Sprache eingeflossen sind und auf das langsame Sesshaftwerden der Ungarn hinweisen.

Der byzantinische Kaiser Konstantin VII. erwähnt als Erster um 950 n.Chr. in seinem Werk De administrando imperio die Namen der sieben ungarischen Stämme: Nyék, Megyer, Kürtgyarmat, Tarján, Jenő, Kér und Keszi. Außerdem beschreibt er: Die Magyaren „hatten … nie einen eigenen oder einen fremden Fürsten über sich, sondern es gab unter ihnen irgendwelche Wojewoden, von denen der erste Lewedi war.“

Weiter berichtet Kaiser Konstantin, dass Levedi als Heerführer, heute würde man seinen Titel mit dem einen Herzogs vergleichen, als Zeichen der Verbundenheit zum chasarischen Khan, unter anderem auch eine Chasarin als Frau vom Kagan geschenkt bekam. Aus Konstantins Bericht und aus anderen Quellen kann man heute ableiten, dass die Magyaren zu diesem Zeitpunkt sowohl eine Stammesorganisation als auch ein Doppelfürstentum besaßen. In diesem sogenannten Doppelfürstentum gab es ein religiöses Oberhaupt (kende) und einen Fürsten (gyula), der die faktische Macht in Händen hielt.

Zwischenstromland und die Chasaren

Ungarische Bilderchronik:Eroberung des Karpatenbeckens durch die Magyaren

In den Jahren zwischen 820 und 839 kam es bei den Chasaren zu Aufständen, an denen sich auch die Ungarn beteiligten. Der Versuch der aufständischen Kabaren, den Khan zu stürzen und die Macht im Khanat zu erlangen, scheiterte jedoch. Viele der Aufständischen flüchteten danach zu den Magyaren, wo die Kabaren als achter Stamm zusammengefasst wurden. In der folgenden Zeit gewannen die Chasaran schnell wieder an Macht und Einfluss, daher waren die Magyaren gezwungen weiter zu ziehen.

Die Magyaren gingen weiter Richtung Westen in das Zwischenstromland (ungarisch Etelköz), wie es Konstantin VII. in seinem Bericht nannte. Die genaue Lage von Etelköz ist bis heute nicht vollständig geklärt, aber man vermutet, dass es sich nordöstlich des Schwarzen Meeres und östlich der Karpaten befunden haben muss. Obwohl das Gebiet ideal für die Lebensweise der Magyaren mit intensiver Viehhaltung und ausgeprägtem Ackerbau war, mussten sie weiter mit Angriffen der Chasaren rechnen. Um sich davor zu schützen, unterhielten sie gute Kontakte zum Byzantinischen Reich, den Bulgaren, den Mährern sowie den Franken. In dieser Zeit lernten die Magyaren auch erstmals die Pannonische Tiefebene kennen: durch die Auseinandersetzungen, an denen sie sich beteiligten und die Streifzüge Richtung Westen, die sie mit ihren bis zu 20.000 Mann starken Reitertrupps unternahmen. Daher gehen Historiker davon aus, dass die Flucht aus Etelköz, die zwischen 894 und 897 stattfand, eine geplante Flucht war. Diese Flucht hatte verschiedene Gründe. So verbündeten sich die Magyaren mit den Byzantinern, die sich zu dieser Zeit mit den Bulgaren im Krieg befanden. Nach mehreren Erfolgen von Byzanz mussten die Bulgaren aufgeben und schlossen Frieden mit dem Byzantinischen Reich. Allerdings verbündeten sie sich gleichzeitig mit den aus Osten kommenden Petschenegen, die 894 von den Oghusen aus ihrer Heimat vertrieben worden waren.

Die Bulgaren und Petschenegen zogen daraufhin gegen die Magyaren in den Krieg, indem die Bulgaren die Kriegstruppen der Magyaren angriffen und die Petschenegen die kaum geschützten Wohnorte der Magyaren stürmten. Dieser Übermacht konnten die Magyaren nicht lange standhalten, und so entschied sich der Stammesverband, die Flucht über die Karpaten, nach der Legende über den Verecke-Pass, anzutreten.

Viele Faktoren waren für die erfolgreiche Einnahme und langfristige Etablierung der Magyaren im Karpatenbecken entscheidend. So war es leicht zu erobern, da es sich am Rand drei großer Reiche (Mährisches Reich, Ostfränkisches Reich, Bulgarisches Reich) befand, die einander bekämpften. Das Gebiet war nur relativ dünn besiedelt. Die strategische Lage der Landschaft, fast komplett umschlossen von einer Bergkette, begünstigte die Verteidigung des Territoriums. Obwohl diese Gründe für die Magyaren sprachen, vollzog sich die Einnahme des gesamten Karpatenbeckens nur schrittweise. Etappen der Landnahme waren das Gebiet auf der Westseite der Ostkarpaten, später das Gebiet bis zur Donau, und 899, nach der erfolgreichen Schlacht an der Brenta gegen den italienischen König Berengar I., besetzten die Magyaren ganz Pannonien.

Karpatenbecken vor der Landnahme durch die Magyaren

Hauptartikel: Ungarn vor den Magyaren

Die ältesten archäologischen Funde bei Ausgrabungen im Karpatenbecken stammen aus dem Paläolithikum, der Altsteinzeit. Einer der wichtigsten Fundorte wurde in dem Zusammenhang der Ort Vértesszőlős, wo Geröllindustrien des Homo erectus entdeckt wurden. Für die Zeit bis zur frühen Eisenzeit gibt es bis heute kaum verlässliche Hinweise und Funde, die auf die Bewohner des Karpatenbeckens hindeuten. Die ersten schriftlichen Überlieferungen über Völker, die auf dem Gebiet des heutigen Ungarns siedelten, sind frühestens aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Herodot – ein griechischer Historiker, Geograph und Völkerkundler – erwähnte in dieser Zeit erstmals Völker, die eine nordiranische Sprache sprachen und zur Gruppe der mit den Skythen verwandten Steppenvölkern gehörten. Später versuchten die Kelten, Fuß im Karpatenbecken zu fassen, was ihnen auch bis zur 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. gelang. Vom Karpatenbecken aus starteten die Kelten von da an ihre weitläufigen Eroberungszüge.

Südosteuropa zu Zeiten der Römer

Ab 29 v. Chr. betraten erstmals römische Legionen das Karpatenbecken. Durch die folgenden Dakerkriege wurden große Teile Pannoniens verwüstet, und Rom eroberte weite Teile Illyriens bis zur Drau. Wenig später, im ersten Pannonischen Krieg von 12 bis 9 v. Chr., eroberten die Brüder Tiberius und Drusus Pannonien vollends. Ausschlaggebend für den Expansionsdrang des Römischen Reiches in Richtung Karpaten war einerseits die Notwendigkeit, die Grenzen des Reichs gegen die Daker und die Germanen zu sichern. Auf der anderen Seite waren es wirtschaftliche Abwägungen, da die Region Pannonien bekannt für ihre Eisenproduktion und den Ertrag ihrer Landwirtschaft war. Jedoch gelang es Rom erst nach der Niederschlagung des Pannonischen Aufstandes durch Tiberius, Pannonien zu einer ihrer Provinzen machen. Hauptstadt der neuen Provinz, die sich auf das heutige Gebiet Transdanubien sowie auf das Gebiet zwischen Drau und Save erstreckte, wurde die östlich von Wien gelegene Stadt Carnuntum. Bis 103/6 n. Chr. war Pannonien in zwei und später unter Diocletian in vier Provinzen geteilt. Pannonien genoss viele Vorteile durch die Eingliederung in das Römische Reich und dessen Organisation. So wurden Städte wie Savaria (Szombathely), Sopianae (Pécs) und Aquincum mit groß angelegten Bauwerken, mit Zentralheizung und Thermen sowie Amphitheatern aufgestattet. Im Zuge der Einführung des römischen Rechtssystems verbreitete sich auch das Schrifttum rasant, weil die öffentlichen Angelegenheiten von nun an auf der Grundlage schriftlich festgelegten Rechts abgewickelt wurden. Auch das Christentum hielt um 400 Einzug in Pannonien.

Reich der Hunnen 450

Das nächste größere Ereignis im Karpatenbecken fand in den 430er Jahren statt, als das Römische Reich die Herrschaft über Pannonien an die Hunnen abtrat. Attila, König der Hunnen, verfolgte ehrgeizige Pläne, die er 451 durch die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern gegen das Römische Reich umzusetzen versuchte. Die Schlacht endete aber mit Attilas Niederlage, woraufhin sich die Hunnen zurückziehen mussten. Nach dem Tod Attilas 453 zerfiel das Hunnenreich rasch, zumal in Pannonien die Völker des Karpatenbeckens begannen, sich gegen die Hunnen aufzulehnen. Die Vorherrschaft über das westliche Karpatenbecken übernahmen ab diesem Zeitpunkt die Gepiden, ein germanischer Stamm, der 455 unter Ardarich in der Völkerschlacht am Fluss Nedoa die Hunnen besiegte und diese dadurch zwang, das Karpatenbecken zu verlassen. Das westliche Karpatenbecken wurde zu dieser Zeit von den Ostgoten, später von den Langobarden beherrscht. Bald kam es jedoch zu Konflikten zwischen den im Osten lebenden Gepiden und den Langobarden, die von den Awaren ausgenutzt wurden, die sich in den 560er Jahren im gesamten Karpatenbecken ausbreiteten. Die Awaren waren ein zentralasiatisches Reitervolk, das über die nächsten 200–250 Jahre von der Pannonischen Tiefebene aus Eroberungszüge gegen Mitteleuropa führte und in dieser Zeit einen wichtigen Machtfaktor zwischen dem Frankenreich und dem Byzantinischen Reich darstellten. Weil es im Awarenreich öfters zu Aufständen der Slawen und der Bulgaren kam, die sich mit der Zeit von den Awaren lösen konnten, fiel es Karl dem Großen und dem bulgarischen Khan Krum leicht, die Awaren in ihren Feldzügen zwischen 791 und 803 vernichtend zu schlagen. Nachdem das Awarenreich untergegangen war, zogen vorwiegend Slawen in das Karpatenbecken und bildeten bis zur Landnahme der Ungarn dort die dominierende Ethnie.

Landnahmezeit

Gesellschaftsaufbau

Die ungarischen Stämme waren vor der Landnahme in einem Stammesverbund organisiert, der durch Doppelfürsten (übernommen von den Chasaren) geführt wurde. Die beiden Fürsten, der „kende“ und der „gyula“, teilten sich dabei Regierungs- und Militäraufgaben. Dieses System löste sich allerdings im ersten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts, kurz nach der Landnahme auf. Hauptsächlicher Grund war der Tod des damaligen Gyula Kurszán, den der Kende Árpád benutzt, um die Alleinherrschaft zu übernehmen.

In der folgenden Zeit veränderte sich die Organisation der Stämme, so dass die einzelnen Stämme in politischen Angelegenheiten mehr und mehr ihren eigenen Interessen folgten. Dies kann man daran erkennen, dass die Streifzüge zu Beginn des 10. Jahrhunderts nicht gemeinsam unternommen wurden und die einzelnen Stämme nach erfolglosen Steifzügen auch jeweils für sich nach neuen Mitteln suchten, um ihre Streifzüge effizienter zu gestalten. Auch die Reise eines Fürsten des zur damaligen Zeit auf dem Gebiet des heutigen Siebenbürgen siedelnden Stammes nach Konstantinopel im Jahre 950 ist ein Beleg dafür, dass die Stämme nun zunehmend auch in religiösen Angelegenheiten ihre eigenen Wege gingen. Unternommen hatte der Fürst die Reise in die Hauptstadt des damaligen byzantinischen Reiches, um sich dort griechisch-orthodox taufen zu lassen und so seinen Stamm an die griechisch-orthodoxe Kirche und an das byzantinische Reich zu binden. Dafür brachte er auch einen Missionsbischof aus Konstantinopel mit zurück in seine Heimat.

Auf der anderen Seite gab es die Árpáden, welche die alleinige Herrschaft über alle Ungarn beanspruchten. Diesen Anspruch konnten sie allerdings erst nach der verlorenen Schlacht auf dem Lechfeld 955 allmählich durchsetzen, indem sie auf politischem Wege ihre Macht allmählich auch auf die anderen ungarischen Stämme ausdehnten und so bis zum Ende des Jahrtausends weite Teile des westlichen Karpatenbeckens beherrschten. Nördlich des Herrschaftsgebietes der Árpáden befand sich der Einflussbereich der Kabaren. Im Osten wechselten die Herrscher immer wieder, da sich Stämme zusammenschlossen und wieder trennten. All diese Stämme waren in vier Ständen ähnlich organisiert:

  • Adel: Reiche, vornehme Familien und „Sippen“, die Führungspositionen innehatten
  • Bürger oder Mittelschicht: Im Dienst des Adels stehende Familien, teilweise wohlhabend
  • Unterschicht: Freie, die auch über Gemeineigentum verfügten, kaum wohlhabend
  • Knechte: Unfreie, im Besitz des Adels

Die Grenzen zwischen den verschiedenen Schichten und Gruppen waren fließend, und sie verband ein kompliziertes Gefüge aus Pflichten und Rechten. Die Heirat war für alle Gruppen von Bedeutung. Vor allem der Adel nutzte die Gelegenheit zu Machtausbau durch Hochzeiten, um länger anhaltende „Bündnisse“ mit anderen Familien und Sippen zu begründen und zu festigen. Die Angehörigen der Mittelschicht waren als Bewaffnete oft für den Schutz des Adels zuständig. Dieser Dienst war freiwillig, allerdings bekam die Mittelschicht für ihre Dienste Unterhalt und Unterkunft vom Adel. Die Unterschicht hatte die Last der Ausgaben des Adels zu tragen, die es in Form von Naturalien und Arbeitsdienst ableistete. Arbeitsdienst leisteten vor allem die „Gemeinen“, die zu verschiedenen Diensten gegenüber ihren Herren verpflichtet waren. Obwohl diese unteren Schichten, genauso wie die Mittelschicht und der Adel frei und dazu auch formell gleichberechtigt waren, gerieten sie immer mehr in Abhängigkeit zum Adel, viele verloren die Freiheit und sanken in die Gruppe der Knechte ab. Zu dieser Gruppe gehörte auch die von Streifzügen mitgebrachten Gefangenen, wie auch die im eroberten Karpatenbecken ansässigen Slawen, von denen die Ungarn die Landwirtschaft lernten und etwa 1500 grundlegende Wörter aus dem Bereich der Staatsverwaltung (Komitat, König), Landwirtschaft (Kirsche), Religion (Priester, Engel), Handwerk (Müller, Schmied) und andere (Mittwoch, Donnerstag, Straße, Fenster, Teller, Mittagessen, Abendessen) in ihre Sprache übernahmen. Im Südosten der Pannonischen Tiefebene gab es vereinzelt noch Überreste der Awaren.

Auf politischer Ebene war es Fürst Géza, Urenkel Árpáds zu Verdanken, dass sich nach der Schlacht auf dem Lechfeld die Beziehungen mit Deutschland wieder verbesserten und stabilisierten. Er war es auch, der erstmals christliche Missionare nach Ungarn holte um sein Land näher an das christlich geprägte Europa anzubinden. Auch ließ er sich als erster ungarischer Herrscher im christlichen Glauben Taufen. Gleichzeitig schwor er jedoch nicht vollständig dem heidnischen Glauben seiner Vorfahren ab. Er verfolgte eine Doppelstrategie: Zum einen bemühte er sich um Frieden mit dem christlichen Europa, vor allem mit dem damaligen Kaiserreich. Andererseits verleugnete er nicht seine Wurzeln. Am Ende seiner Bemühungen stand schließlich das Erbe für seinen Sohn Vajk, welcher im christlichen Glauben auf den Namen Stephan I. (ung.: István) getauft wurde und später die Herzogin Gisela von Bayern heiratete.

Streifzüge, Landnahme und Aufbau eines Staates

Ungarische Streifzüge

In der romantisch geprägten ungarischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts werden die Streifzüge oft unrealistisch als große Abenteuer („kalandozások“) dargestellt. Doch bis heute wird kalandozások mit den Streifzügen in Verbindung gebracht, die bis weit nach Mittel- und Westeuropa hinein reichten und mit denen die Ungarn damals sehr erfolgreich waren. Wenn man alle heute zur Verfügung stehenden Berichte betrachtet, kann man von mindestens 50 Streifzügen der ungarischen Stämme in der Zeit von 900 bis 970 ausgehen. Die ersten Streifzüge trafen die Nachbargebiete im Westen der ungarischen Stammesgebiete.

Ab 862 tauchten die nomadisierenden Ungarn (Magyaren), die damals noch aus der Region hinter den Karpaten ihre sporadischen Feldzüge im Westen unternahmen, zum ersten Mal im Karpatenbecken auf. Ein zweites Mal fielen sie 881 ein. In diesen beiden Feldzügen unterlagen sie dem Ostfrankenreich. 889 waren die Ungarn erfolgreicher, als sie Großmähren und Teile des Ostfränkischen Reiches plünderten. 892 wurden sie von den Ostfranken gegen Großmähren angeworben.

Die Ungarn ließen sich erst ab 895/896 im heutigen Ungarn nieder. Sie drangen zunächst 895 in das mittlere und obere Theißgebiet nach Großmähren vor. Nördlich und nordwestlich dieses Gebietes war das Gebiet des Neutraer Fürstentums, das Teil von Großmähren war, westlich davon die ostfränkischen Herzogtümer Bayern und Franken, die weiterer Expansion Einhalt boten. Auch archäologische Funde lassen die obere Theißgegend als anfängliches fürstliches Siedlungsgebiet vermuten.

Um 900 zogen die Ungarn nach Transdanubien und brachten es unter ihre Herrschaft, wobei ihnen mehrere Ereignisse die Eroberung erleichterten. So starb 894 der großmährische König Sventopluk. Die darauf folgenden Thronstreitereien schwächten sein Reich zunehmend, so dass noch im selben Jahr Großmähren nach ungarischen Plünderungen das Gebiet Transdanubiens an das Ostfrankenreich verlor. Der ostfränkische König Arnulf ging mit den Ungarn sogar 892 ein Bündnis gegen die Langobarden unter Guido von Spoleto ein, die gemeinsam geschlagen wurden. Als kurze Zeit später auch König Arnulf starb, sahen die Ungarn den richtigen Zeitpunkt für Gebietserweiterungen. Die Wahl der zu erobernden Gebiete folgte vor allem strategischen Gesichtspunkten, so dass sich die Ungarn hauptsächlich an Gewässern, Flusstälern oder von Sümpfen geschützten Gebieten niederließen. Ein wichtiges Zentrum der ungarischen Stämme befand sich einigen Chroniken zufolge zu dieser Zeit auf der Insel Csepel im mittleren Abschnitt der Donau (ungefähr bei der heutigen Stadt Budapest).

Mit den Schlachten von Brezalauspurc 907 schlugen die Ungarn bayerische Truppen, eroberten bis 955 die östlichen Teile des heutigen Österreichs und zerstörten die Zentralmacht Großmährens. Um 925 eroberte eine Gruppe der ungarischen Stämme unter der Führung von Lél die heutige Südwestslowakei (siehe Neutraer Fürstentum).

In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts bestanden die von Ungarn beherrschten Gebiete aus einer Reihe von ungarischen Stammesgebieten, von denen jenes der Hauptlinie der Árpáden, also der Kern des späteren ungarischen Staates, nur im nördlichen Transdanubien lag. Seit etwa den 1070er Jahren war die Lage den vorhandenen Quellen zufolge so, dass den Árpáden neben dem bereits genannten Gebiet noch die Lehnfürstentümer von Neutra und von Bihar sowie das von Verwandten regierte Siebenbürgen indirekt unterstanden. Die restlichen Gebiete wurden von feindlich gesinnten ungarischen Stammesführern beherrscht und erst später von König Stephan sukzessive erobert und geeint. Allerdings regierten die Ungarn kein ethnisch homogenes Land. Die unterworfenen slawischen und germanischen Völker im Land waren ein wesentlicher Bestandteil der ungarischen Heere und des Staatsapparates, was sich durch die zahllosen slawischen und deutschen Lehnworte im Ungarischen nachvollziehen lässt.

Die Verteidigung der ungarischen Gebiete musste sich hauptsächlich nach Osten und Norden richten, da die Magyaren ihre Angriffe und Feldzüge stets nach Westen ausführten, oft als Verbündeter eines westlichen Staates. Im 10. Jahrhundert bestimmten diese Feldzüge die gesamte ungarische Außenpolitik. Sie beschafften sich durch Raub- und Beutezüge durch ganz Europa Luxusartikel und teure Waren – darunter auch Gefangene. Die Heere westlicher Staaten bestanden zur damaligen Zeit größtenteils aus schwer gepanzerter Reiterei, während die Reiter der Magyaren schnell und immer beweglich waren, ein Vorteil, der lange Zeit ihren Erfolg garantierte. Ihre Taktik war für die damalige Zeit recht außergewöhnlich: Sie versuchten das Heer des Gegners einzukreisen und vom Pferd aus mit Pfeilen zu beschießen. Nach einer Zeit täuschten sie die Flucht an, um sich dann im Überraschungsmoment umzudrehen und den Gegner so in die Falle zu locken. Mit dieser Taktik gelang es ihnen viele, auch kulturell und technisch hoch entwickelte Regionen Europas zu plündern. Auch andere Faktoren begünstigten die Erfolge der Magyaren: Die zermürbenden Kriege der einzelnen europäischen Staaten untereinander, aber auch der von innen schwächende Feudalismus. In Ungarn bewirkten die Streifzüge eine weitere Differenzierung der Bevölkerung. Die Führungsschicht des Staates wurde immer vermögender, hauptsächlich durch Kriegsbeute wie Silber, Tiere und teure Stoffe, später auch durch Tributzahlungen.

Auch 933 wollten die Ungarn vom ostfränkischen König Heinrich I. Tribut verlangen und zogen gegen das Ostfrankenreich in den Krieg. Heinrich rechnete aber mit einem Angriff und konnte eine starke Streitmacht aufbieten. In der Schlacht bei Riade wurden die Ungarn geschlagen. Der Glaube an die Unbesiegbarkeit der Ungarn war erschüttert. Allerdings gingen die Raubzüge der Ungarn weiter. Erst mit der vernichtenden Niederlage 955 bei der Schlacht auf dem Lechfeld nahe Augsburg wurde den Ungarn Einhalt geboten. Nach dieser Schlacht wurden drei ungarische Führer (Bulcsú, Lél, Súr), die in Gefangenschaft geraten waren, gehängt, Österreich fiel wieder an die Ostfranken und das Neutraer Fürstentum an die Árpáden.

Außenpolitisch wurde infolge dieser Niederlage ein neuer Kurs eingeschlagen. Der neue Großfürst Taksony setzte den Angriffen im Westen ein Ende. Er war bereit, auch unter Inkaufnahme von Gebietsverlusten, den Frieden mit dem Ostfrankenreich aufrechtzuerhalten. In südlicher Richtung gingen die Angriffe unterdessen aber weiter. So stellte Byzanz die Tributzahlung an Ungarn ein, so dass sich Taksony 959 für einen Feldzug gegen Byzanz entschied, der erst 11 Jahre später entschieden wurde. Die Magyaren konnten, selbst im Bündnis mit Petschenegen, Bulgaren und Russen, die entscheidende Schlacht bei Arkadiupolis nicht für sich entscheiden und mussten sich geschlagen geben. Damit war das Ende der Streifzüge der Magyaren besiegelt, Großfürst Géza (949–997), der den Thron von seinem Vater Taksony geerbt hatte, sah sich gezwungen, die Angriffe einzustellen, da ansonsten die Großmächte Europas Ungarn angegriffen hätten. Er musste sich auch Problemen im Inneren zuwenden. Die Streifzüge als Einnahmequelle waren versiegt, weshalb andere Einnahmen erschlossen werden mussten. Die außen- und innenpolitische Lage machten eine Staatsgründung immer dringlicher.

Géza und sein Sohn Vajk (Stephan I.) holten ostfränkische Missionare und Ritter ins Land, auch Missionare aus Byzanz und bauten eine Verwaltung auf. Mit dem gewachsenen Anhang schalteten sie innere Rivalen (Koppány) aus, so dass sich Stephan I. im Winter 1000/1001 zum König krönen lassen konnte.

Königreich Ungarn

Hauptartikel Königreich Ungarn

Mit der Herrschaft Stephans I. begann die Christianisierung des Landes. 1030 wehrte er den Angriff des römisch-deutschen Kaisers Konrad II. ab und sicherte so die Existenz seines Staates. Stephan I. wurde später im Jahr 1089 heilig gesprochen. 1102 kam durch Personalunion das Königreich Kroatien zu Ungarn.

Ungarns Innenpolitik wurde in den folgenden Jahrhunderten von dem Kampf zwischen dem König und dem Hochadel bestimmt, der im 13. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte. Ungarns Außenpolitik war von weitreichenden Heiratsbündnissen und (nach dem Machtverfall von Byzanz ab 1180) von einer Großmachtpolitik auf der Balkanhalbinsel bestimmt.

Im Jahr 1241 verwüsteten die Mongolen unter Batu Khan nach ihrem Sieg in der Schlacht bei Muhi das Land und töteten etwa die Hälfte der Einwohner,[1] so dass König Béla IV. (1235–1270) wieder viele deutsche Einwanderer ins entvölkerte Land holen musste, die hauptsächlich in Siebenbürgen (siehe Siebenbürger Sachsen) und in der heutigen Slowakei angesiedelt wurden. Nach dem Mongolensturm erweiterten die ungarischen Oligarchen ihre Macht, die schließlich zum Entstehen der Ungarischen Kleinkönigtümer nach dem Tod von König Andreas III. im Jahre 1301 führte. In den 1320er-Jahren beendete König Karl I. Robert in einer Reihe von Feldzügen die Macht der Oligarchen und stellte die Zentralmacht wieder her.

1396 verlor ein französisch-ungarisches Ritterheer unter König Sigismund die Schlacht von Nikopolis gegen die Osmanen. 1370–1386 und 1440–1444 wurde Ungarn mit Polen in Personalunion von den Anjou und Jagiellonen regiert. Auch 1444 gab es - unter dem Heerführer Johann Hunyadi - wieder eine schwere Niederlage, diesmal mit dem unierten Polen gegen das Osmanische Reich in der Schlacht bei Warna.

Gegen Ende des Mittelalters blühte Ungarn unter den Königen wie dem Luxemburger Sigismund (König seit 1387) oder dem vom Kleinadel gewählten Matthias Corvinus (1458–1490) auf. Von 1490–1526 wurde es von den polnisch-litauischen Jagiellonen in Personalunion mit Böhmen regiert. Mit dem Tod Ludwigs II. in der Schlacht bei Mohács (1526) wurde ein großer Teil Ungarns von den Osmanen unter Sultan Süleyman dem Prächtigen erobert.

Türkenkriege – Ungarn „dreigeteilt“

Entscheidend für das weitere Schicksal Ungarns in den nächsten 150 Jahren wurde die Doppelwahl von 1526 nach dem Tod Ludwig II. Der überwiegende Teil der ungarischen Stände wählte in Tokaj und wenig später in der alten ungarischen Krönungsstadt Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) Fürst Johann Zápolya zum ungarischen König. Der benachbarte Habsburger Erzherzog Ferdinand von Österreich, dem nach der gegenseitigen Erbvereinbarung von 1515 die Nachfolge im Königreich Ungarn zugestanden hätte, ließ sich von einer Versammlung vor allem west- und oberungarischer Adliger noch im Jahr 1526 in Pressburg ebenfalls zum König von Ungarn wählen.

Im folgenden Bürgerkrieg (1527–1538) gegen Johann Zápolya erwiesen sich die Truppen Ferdinands zunächst als überlegen und konnten die wichtigsten Städte West- und Zentralungarns besetzen, Zápolya sah sich auf seine Basis Siebenbürgen zurückgeworfen. Dennoch erkannte Ferdinand im Frieden von Großwardein 1538 (auch angesichts der drohenden Türkengefahr) Zapolya als König von Ungarn an, ließ sich allerdings für den Fall dessen Todes das Recht auf die Nachfolge zusichern. Allerdings änderte Zápolya seine Meinung, nachdem ihm aus seiner 1539 geschlossenen Ehe mit Isabella von Polen der Sohn und Nachfolger Johann Sigismund geboren wurde, dem er 1540 das Königreich vermachte. Der Tod Johann Zápolyas und die Unmündigkeit seines Sohnes riefen nun die Osmanen auf den Plan, die 1541 Buda/Ofen eroberten und bis 1543 mit Gran, Stuhlweißenburg und Fünfkirchen die wichtigsten Städte Zentralungarns besetzen konnten.

Nach Zápolyas Tod im Jahre 1540 wurde für fast 150 Jahre die Dreiteilung des Königreichs Ungarn zementiert: Die Gebiete, die weiterhin von den Habsburgern beherrscht wurden – das heutige Burgenland, die heutige Slowakei, West-Kroatien, Teile des heutigen Nordwest- und Nordostungarns – wurden unter der Bezeichnung Königliches Ungarn faktisch zu einer Provinz der Herrscher in Wien, die fortan mit den Türken um den Besitz des Landes kämpften. Formal wurden aber die Habsburger weiterhin als ungarische Könige gekrönt, allerdings vorerst in Konkurrenz zu Johann Sigismund, der bis zu seiner Abdankung 1570 in Siebenbürgen als Gegenkönig residierte. Hauptstadt des Königlichen Ungarns wurde Pressburg. Von den restlichen ehemaligen Gebieten wurde das Fürstentum Siebenbürgen ein türkischer Vasallenstaat, das es allerdings unter seinen ehrgeizigen Fürsten (häufig aus dem Haus Báthory) verstand, eine geschickte Schaukelpolitik zwischen der türkischen Oberherrschaft und den habsburgischen Ansprüchen auf Ungarn zu betreiben und somit das militärische Patt zu seinen Gunsten zu nutzen. Zentralungarn (der größte Teil des heutigen Ungarn) wurde eine Provinz des Osmanischen Reiches.

Stellten die Magyaren vor 1526 noch 80 % der Bevölkerung von 3,5 bis 4 Millionen, ging ihr Anteil durch die ständigen Kriege und Verwüstungen, auf die mit Neuansiedlungen regiert wurde, stark zurück. Um 1600 schätzte man die Bevölkerung auf etwa 2,5 Millionen, nach dem Rückzug der Türken auf rund 4 Millionen.[2]

Das Ende der türkischen Herrschaft in Ungarn und damit zugleich das Ende der Selbständigkeit Siebenbürgens kam kurz nach der gescheiterten Belagerung Wiens 1683 durch die Türken. Noch im gleichen Jahr gelang den Habsburgern die Eroberung Grans, und nach Einnahme Budas/Ofens 1686 und dem Sieg über ein osmanisches Heer 1687 in der Schlacht am Berg Harsány (auch bekannt als zweite Schlacht bei Mohács) und der folgenden Besetzung weiter Teile Ungarns und Siebenbürgens erkannten die ungarischen Stände noch im gleichen Jahr den neunjährigen Erzherzog Joseph, den Sohn Leopolds I. noch zu dessen Lebzeiten, als erblichen König von Ungarn an. Die Krönung am 9. Dezember 1687 in Pressburg bedeutete einen wesentlichen Schritt zur Verbindung Ungarns mit dem vom Kaiser als Landesherr regierten österreichisch-böhmischen Länderkonglomerat und zum inneren Aufbau der Großmacht Österreich.[3] Im Frieden von Karlowitz 1699 musste das Osmanische Reich endgültig den Verlust Ungarns anerkennen.

Vom Kuruzenaufstand bis zum Ausgleich mit Österreich

Die Ungarn missbilligten aber die absolutistische Herrschaft der Habsburger, so dass es 1703–1711 zum Kuruzenaufstand unter Fürst Rákóczi kam. Nach dessen Niederlage kam es 1711 zum Frieden von Szatmár, in dem die traditionellen Freiheiten der Adeligen im Königreich Ungarn erneuert und die Habsburger als Könige Ungarns wieder anerkannt wurden. Dieser Frieden und die anschließenden Landtagssitzungen in Pressburg von 1712 und 1714 beendeten den Aufstand.

Unter der Herrschaft von Maria Theresia kam es erneut zu deutschen Ansiedlungen im Königreich Ungarn, etwa der Donauschwaben. Während der Napoleonischen Kriege war das österreichisch-ungarische Verhältnis weitgehend spannungsfrei. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entwickelte sich jedoch dann eine starke liberale und nationale Bewegung in Ungarn. 1825 ersetzte das Ungarische die lateinische Sprache als Staatssprache. 1848/49 kam es zur Revolution gegen die Habsburger unter Führung von Lajos Kossuth, in deren Verlauf am 14. April 1849 in der Großen Reformierten Kirche von Debrecen der ungarische Reichstag zusammentrat und Lajos Kossuth die Entthronung des Hauses Habsburg und die Unabhängigkeit Ungarns verkündete. Nach der blutigen Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes bis August 1849, mit russischer Unterstützung, und einer Phase der Unterdrückung (Hinrichtung des ungarischen Ministerpräsidenten Batthyány sowie 13 weiterer Revolutionsführer am 6. Oktober 1849) kam es 1867 unter Kaiser Franz Joseph I. zum Ausgleich Österreichs mit Ungarn, um den Vielvölkerstaat auf eine breitere Basis zu stellen.

Siehe auch: Ungarische Revolution 1848/1849, Slowakischer Aufstand, Reformzeit in Ungarn

Teil Österreich-Ungarns

Ungarn (Nr. 16) als Teil Österreich-Ungarns, Kroatien und Slawonien (Nr. 17)

Der Ausgleich vollzog sich auf ungarischer Seite unter der Mitwirkung Ferenc Deáks („Der Weise der Heimat“). Ungarn war nun bis 1918 zweiter Hauptbestandteil der k.u.k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Die aus Deáks politischem Lager entstandene liberale Partei bestimmte in den folgenden Jahrzehnten die ungarische Politik. Die Regierung in Ungarn handelte 1868 den Ungarisch-Kroatischen Ausgleich aus, der die Autonomie des Königreichs Kroatien innerhalb des ungarischen Reichsteils der k.u.k. Doppelmonarchie regelte. Ab 1879 führte jedoch die zunehmende Magyarisierungspolitik im ungarischen Reichsteil zu erheblichen Spannungen mit anderen Volksgruppen.

Kálmán Tisza führte als Ministerpräsident (1875–1890) umfangreiche Reformen zur Modernisierung des Landes im Bereich Wirtschaft, Justiz, Sozialwesen und Politik durch. Mit Finanzminister Sándor Wekerle konnte er einen Staatsbankrott abwenden. Durch eine Steuerreform, die auch den großen Landbesitz einschloss, wurden die Staatseinnahmen vervielfacht.[4] Seine Regierung vergrößerte außerdem die Unabhängigkeit gegenüber dem österreichischen Reichsteil Cisleithanien, auch der ungarische Einfluss auf die gemeinsame Außenpolitik der Monarchie nahm stark zu. Die beachtlichen wirtschaftlichen Erfolge während Tiszas Regierungszeit begründeten das Prestige des Landes und modifizierten das Selbstverständnis der ungarischen Politik.[5]

Die lange Regierungsperiode Tiszas vermittelte den Eindruck großer Stabilität, vor allem verglichen mit dem österreichischen Teil der Doppelmonarchie, wo sich in dieser Zeit elf Regierungen ablösten. Die soziale Entwicklung konnte jedoch nicht mit der relativ konstanten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Schritt halten. Unruhen und wachsender Antisemitismus waren die Folge.[6]

Ethnographische Karte des Königreichs Ungarn

Unter der Regierung Tisza begann die Politik der Magyarisierung Ungarns, die nichtmagyarische Bevölkerung sollte durch mehr oder weniger sanften Druck die magyarische Sprache und Nationalität annehmen.[7] Zwischen 1880 und 1910 stieg der Prozentsatz der sich als Magyaren bekennenden Bürger Ungarns (ohne Kroatien) von 45 auf über 54 Prozent.[8]

Ministerpräsident Dezső Bánffy (1895–1899) institutionalisierte und bürokratisierte die Nationalitätenpolitik, verbunden mit Repressalien für die Minderheiten im Königreich.[9] Bánffy erhob dabei die Idee des ungarischen Nationalstaates zum Regierungsprogramm: Der Nationalstaat sollte unter anderem durch Magyarisierung von Ortsnamen, Familiennamen und durch intensiven Sprachunterricht verwirklicht werden.[10] Der Sprachenstreit mit den Minderheiten war für ihn nur vorgeschoben: Die Frage der Sprache ist nur ein Mittel, das eigentliche Ziel ist, eine föderalistische Politik in Ungarn einzuführen.[11] Der Dualismus war keineswegs ein stabiler politischer Zustand, es kam häufig zu Konflikten mit Wien, wie in der Ungarischen Krise 1905/06 oder bei den turnusmäßigen (Finanz-) Ausgleichsverhandlungen.

Kálmáns Sohn István Tisza führte Ungarn in den Ersten Weltkrieg, in dem Ungarn fast 4 Millionen Soldaten stellte und 600.000 Tote sowie 700.000 Gefangene zu beklagen hatte. Unter Ministerpräsident Tisza und Stephan Burián, der im Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten in Wien abwechselnd k.u.k. Reichsfinanzminister und k.u.k. Außenminister war, erreichte Ungarn so großen Einfluss auf die Außenpolitik Österreich-Ungarns wie nie zuvor. Der Einfluss Ungarns in Europa war dadurch so groß wie zuletzt am Ende des Mittelalters.[12]

Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg

Hauptartikel: Ungarn im Zweiten Weltkrieg

Die territoriale Aufteilung Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg im Vertrag von Trianon
Territoriale Erwerbungen 1938–1941

Nach der Niederlage 1918 wurde Ungarn wieder als gänzlich unabhängiger Staat errichtet, zunächst als demokratische Republik unter Mihály Károlyi (Ungarischer Nationalrat – Volksrepublik Ungarn). Nach dem viermonatigen Intermezzo der Räterepublik im Jahre 1919 unter Béla Kun wandelte sich Ungarn zu einem autoritär geführten, konservativen Staat, der 1920 durch den Vertrag von Trianon zwei Drittel seines Staatsgebietes verlor: das Burgenland, Kroatien und Slawonien, die Slowakei, Siebenbürgen, die Karpatenukraine, das Banat und die Vojvodina. Somit schrumpfte Ungarn von 279.090 km² um 186.060 auf 93.030 km². 63 Prozent der einstigen Länder der heiligen Stephanskrone befanden sich nach diesem Vertrag außerhalb der neuen Grenzen, darunter knapp 30 Prozent der Ungarn. Es verlor fast alle Gebiete mit Rohstoffvorkommen. Ungarn wurde als Nachfolgestaat der k.u.k. Monarchie wie Österreich zu Reparationszahlungen verpflichtet, die 33 Jahre lang abbezahlt werden sollten. Die Stärke des Heeres wurde auf 32.000 Mann beschränkt. Nominell war Ungarn immer noch ein Königreich, das jedoch von Miklós Horthy als Reichsverweser regiert wurde. Durch revisionistische Propaganda näherte sich Ungarn immer mehr der nationalsozialistischen Führung Deutschlands an. 1934 wurde ein Wirtschaftsabkommen geschlossen, in den Jahren 1937 bis 1941 folgten antijüdische Diskriminierungsgesetze. Ungarn schloss sich dem Antikominternpakt 1939, dem Dreimächtepakt 1940 an. 1941 unterstützte es das Deutsche Reich beim Balkanfeldzug gegen Jugoslawien und nahm schließlich am Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945 teil. Mit dieser Politik gewann es die Karpatenukraine und den nördlichen Teil Siebenbürgens zurück. Im ungarisch-rumänischen Gegensatz in der Frage Siebenbürgens ließ Hitler jedoch Sympathien für Rumänien erkennen, auf dessen Ölreserven das Deutsche Reich angewiesen war. Im Januar 1943 wurde die 2. ungarische Armee mit 200.000 Mann in der Woronesch-Charkiwer Operation von der Roten Armee eingekesselt. Es war eine Zäsur, die der Regierung von Miklós Kállay klarmachte, dass es besser sei, sich auf die Seite der Alliierten zu stellen.

Im August 1943 nahmen Teile der ungarischen Regierung ersten Kontakt mit den Alliierten auf, woraufhin das Land ab 19. März 1944 von deutschen Truppen besetzt wurde (Fall Margarethe). Am 23. März 1944 wurde eine neue Regierung unter Ministerpräsident Döme Sztójay gebildet. Innerhalb kürzester Zeit wurden mit Hilfe von 107 Gesetzen die Juden vollständig entrechtet. Anschließend setzten unter der Leitung von Adolf Eichmann am 27. April massenhafte Deportationen der Juden aus der ungarischen Provinz in die Vernichtungslager ein. Nach ausländischen Protesten wurde der Abtransport der letzten rund 200.000 Budapester Juden erst Anfang Juli 1944 von Horthy unterbunden und am 9. Juli vorläufig eingestellt. Bis dahin waren (nach einem Telegramm des deutschen Gesandten und Reichsbevollmächtigten Edmund Veesenmayer vom 11. Juli) innerhalb von nur gut zwei Monaten 437.402 Juden deportiert worden.[13][14]

Mitte Oktober wurde Reichsverweser Horthy gestürzt und die Macht an die faschistische Bewegung der Pfeilkreuzler von Ferenc Szálasi übergeben. Nach der Machtübernahme der Pfeilkreuzler (15. Oktober 1944) starben Tausende Juden auf den Todesmärschen im November (das Eisenbahnnetz war zusammengebrochen) und durch Waffen im Budapester Ghetto. Die Rote Armee besetzte im Oktober 1944 Teile Ungarns. 1944 wurde Budapest durch angloamerikanische Bombenangriffe teilweise zerstört. Die stärksten Zerstörungen der Hauptstadt erfolgten durch die von Ende Dezember 1944 bis Anfang Februar 1945 102 Tage andauernde Einschließung und Belagerung durch sowjetische Streitkräfte sowie durch die eingeschlossenen deutschen und ungarischen Truppen, die bei ihrem Rückzug auf die Budaer Seite des Kessels auch sämtliche Brücken über die Donau sprengten. 38.000 Budapester Zivilisten starben während der Kämpfe. Das Budapester Ghetto wurde am 18. Januar 1945 von der Roten Armee befreit. Die letzten Kampfhandlungen auf ungarischem Staatsgebiet endeten um 4. April 1945, einige ungarische Einheiten kämpften noch bis Anfang Mai in Österreich und Bayern weiter.

Siehe auch: Schuhe am Donauufer

Ungarische Volksrepublik

Zunächst sahen die Alliierten nach dem Krieg für Ungarn eine demokratische Verfassung vor. Als aber die Kommunisten bei den Parlamentswahlen in Ungarn 1945 eine empfindliche Niederlage erleiden mussten, begannen sie mit unsauberen Methoden (mit den „Blauen Stimmzetteln“ und der „Salamitaktik“) nach der Macht zu greifen. Auch nachdem die Unabhängige Partei der Kleinlandwirte, der Landarbeiter und des Bürgertums (FKgP) zerschlagen war, erreichten die Kommunisten bei den Parlamentswahlen in Ungarn 1947 lediglich 22 % der Stimmen. Daraufhin kam es zur Zwangsvereinigung mit der Sozialdemokratischen Partei im Mai 1948. Ihren Gipfel fanden diese Vorfälle in der Auflösung der anderen Parteien und einer Wahl, bei der nur noch eine Partei zugelassen war, die „Partei der Ungarischen Werktätigen“ (ungarisch Magyar Dolgozók Pártja). Am 20. August 1949 wurde eine Verfassung nach sowjetischem Vorbild beschlossen. Von 1948 bis 1953 verfolgte Ungarn unter Mátyás Rákosi einen stalinistischen Kurs.

Bis 1953 wurden mehrere Schauprozesse, Geheimprozesse veranstaltet. Die ungarische Staatssicherheit (ÁVH) war eine Terrororganisation. Sie wurde gefürchtet, auch und besonders in den eigenen Reihen der Kommunisten. Für die Verhaftung von László Rajk war János Kádár verantwortlich. Später, 1951 wurde auch János Kádár der Unterstützung Titos angeklagt und verhaftet. Nach dem Tod Stalins erfolgte die Rehabilitierung des hingerichteten László Rajk. Ein letzter Geheimprozess 1953 sollte die Ermordung des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg durch zionistische Verschwörer „beweisen“.

Nach dem Tod Josef Stalins schloss sich ab Juni 1953 unter Ministerpräsident Imre Nagy eine Periode vorsichtiger Liberalisierung an. Mit der Entmachtung Nagys 1955 durch die weitgehend unverändert gebliebene Parteispitze ging eine Restauration einher. Die politische Lage blieb angespannt. László Rajks feierliche Beerdigung 1956 beschleunigte die Unruhen in Ungarn.

Schließlich kam es am 23. Oktober 1956 zu einem Volksaufstand, in dessen Verlauf Imre Nagy erneut zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. Der Aufstand wurde jedoch durch die sowjetische Armee blutig niedergeschlagen. Insgesamt fünf sowjetische Divisionen waren zwischen dem 1. November und 4. November daran beteiligt; als Besatzungsarmee verblieben etwa 100.000 sowjetische Soldaten in Ungarn. Imre Nagy wurde im Juni 1958 in einem Geheimprozess zum Tode verurteilt und am gleichen Tag gehängt. Bis 1963 wurden ca. 400 Menschen, vorwiegend Arbeiter, als Vergeltung für den Aufstand hingerichtet. Über 200.000 Ungarn verließen nach dem gescheiterten Volksaufstand das Land und emigrierten nach Westeuropa und Nordamerika.

Unter János Kádár, Parteichef von 1956 bis 1988, erfolgten ab 1968 Wirtschaftsreformen. Die Ära Kádár ist auch unter dem Begriff Gulaschkommunismus bekannt geworden.

1988 setzte der friedliche Systemwechsel mit der Bildung erster Oppositionsgruppen ein. In der Partei übernahmen Ende 1988 Wirtschaftsreformer die Macht, Miklós Németh wurde Ministerpräsident. 1989 wurde Imre Nagy rehabilitiert und am 23. Oktober die dritte ungarische Republik ausgerufen.

Am 2. Mai 1989 begann Ungarn, die Grenzanlagen zu Österreich abzubauen. Ausschlaggebend waren dafür Kostengründe; die fällige Reparatur des in die Jahre gekommenen Grenzzauns war der ungarischen Regierung schlicht zu teuer. Die symbolische Öffnung eines Grenztors zwischen Österreich und Ungarn beim Paneuropäischen Picknick am 19. August 1989 mit Zustimmung beider Regierungen galt als erste „offizielle“ Öffnung des Eisernen Vorhangs. Die mittelfristigen Auswirkungen dieser zunächst von der Weltöffentlichkeit nicht sonderlich beachteten Maßnahme waren dramatisch und trugen letztendlich entscheidend zum Fall des Kommunismus und zur Demokratisierung Osteuropas sowie zur Deutschen Wiedervereinigung bei.

Demokratie und westliche Integration

Am 23. Oktober 1989 – dem Jahrestag des Ungarischen Volksaufstands – wurde die Republik Ungarn als demokratische und parlamentarische Republik ausgerufen. Am 25. März 1990 fanden freie Wahlen statt, die das Ungarische Demokratische Forum (MDF) mit 42,75 Prozent der Stimmen gewann. Es bildete zusammen mit der Unabhängigen Partei der Kleinen Landwirte (FKGP) und der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) die Regierung. Der Vorsitzende des MDF, József Antall, wurde zum Ministerpräsidenten ernannt. Das vorrangige Ziel der Regierungspolitik bestand in der Einführung der Marktwirtschaft sowie der Integration Ungarns in die Europäische Union. Ein erster Schritt war am 26. Juni 1990 der Beschluss, aus dem Warschauer Pakt auszutreten. Das Parlament wählte am 3. August Árpád Göncz zum Staatspräsidenten. Aufgrund einer Vereinbarung von 1990 verließen die 50.000 stationierten Soldaten der sowjetischen Armee bis Ende 1991 das Land. Am 8. Februar 1994 wurde das Land Mitglied in der Partnerschaft für den Frieden, im April wurde der Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestellt.

Die Parlamentswahl am 8. Mai 1994 gewann die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) mit 53 Prozent der Stimmen und bildete zusammen mit den Freien Demokraten (SZDSZ) die Regierung. Neuer Ministerpräsident wurde Gyula Horn. Am 19. März 1995 wurde der slowakisch-ungarische und am 16. September 1996 der ungarisch-rumänische Grundlagenvertrag unterzeichnet. Die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union begannen am 31. März 1998, im gleichen Jahr wurde auch ein Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO gestellt.

Am 10. Mai 1998 fanden Parlamentswahlen statt, die ein Bündnis aus dem Bund Junger Demokraten (FIDESZ) und der Ungarischen Bürgerlichen Partei (MPP) mit 38,3 Prozent der Stimmen gewann. Dieses bildete zusammen mit der Unabhängigen Partei der Landwirte (FKGP) und dem Ungarischen Demokratischen Forum (MDF) eine Koalition. Ministerpräsident wurde der Vorsitzender des FIDESZ Viktor Orbán. Am 12. März 1999 wurde Ungarn Mitglied der NATO. 2000 wurde Ferenc Mádl zum Staatspräsidenten gewählt.

Die Parlamentswahl am 7. April 2002 gewann mit 41,5 Prozent der Stimmen die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP). Diese bildete zusammen mit den Freien Demokraten (SZDSZ) eine Regierung, der parteilose Péter Medgyessy wurde neuer Ministerpräsident. Am 12. April 2003 fand eine Volksabstimmung über den Beitritt Ungarns zur Europäischen Union statt, 83,8 Prozent der Wähler stimmten dafür. Am 16. April 2003 wurden die Verträge über den Beitritt unterzeichnet, seit dem 1. Mai 2004 ist Ungarn im Zuge der EU-Osterweiterung Mitglied der Europäischen Union. Bei der Präsidentschaftswahl am 6. und 7. Juni 2005 setzte sich der ehemalige Präsident des Ungarischen Verfassungsgerichtes László Sólyom gegen die Parlamentspräsidentin Katalin Szili im dritten Wahlgang mit 185 zu 182 Stimmen durch. Seine Amtseinführung fand am 5. August statt.

In Ungarn ist es bis 2006 bei jeder Parlamentswahl zu einem Sieg der Opposition und somit zu einem Regierungswechsel gekommen. Erst bei den Wahlen im April 2006 wurde eine amtierende Regierung wiedergewählt.

Die Ministerpräsidenten seit 1990:

Siehe auch:

Einzelnachweise

  1. Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2004, ISBN 3-205-77193-1, S. 459.
  2. Paul Lendvai: Die Ungarn. Eine tausendjährige Geschichte. Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-15122-8, S. 117.
  3. Harm Klueting: Das Reich und Österreich 1648–1740. Lit-Verlag, Münster 1999, ISBN 3-8258-4280-0, S. 78.
  4. András Gerő: Modern Hungarian society in the making. The unfinished experience. Verlag Central European Univ. Press, Budapest 1995, ISBN 1-85866-024-6, S. 115-122 und 129-136.
  5. Anikó Kovács-Bertrand: Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon (1918-1931). Verlag Oldenbourg, München 1997, ISBN 3-486-56289-4, S. 25
  6. Rolf Fischer: Entwicklungsstufen des Antisemitismus in Ungarn 1867–1939. Die Zerstörung der magyarisch-jüdischen Symbiose. Verlag Oldenbourg, München 1988, ISBN 3-486-54731-3, S. 93.
  7. Robert Bideleux, Ian Jeffries: A history of Eastern Europe. Crisis and change. Verlag Routledge, London 1998, ISBN 0-415-16111-8, S. 365.
  8. Wolfdieter Bihl: Der Weg zum Zusammenbruch. Österreich-Ungarn unter Karl I.(IV.). In: Erika Weinzierl, Kurt Skalnik (Hrsg.): Österreich 1918-1938: Geschichte der Ersten Republik. Graz/Wien/Köln 1983, Band 1, S. 27-54, hier S. 44.
  9. Anpassungskrise der sächsischen und rumänischen Nationalbewegung; und Gerald Volkmer: Die Siebenbürgische Frage 1878–1900. Der Einfluss der rumänischen Nationalbewegung auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien. Verlag Böhlau, Köln/Wien 2004, ISBN 3-412-04704-X, S. 229.
  10. Ákos Moravánszky: Die Architektur der Jahrhundertwende in Ungarn und ihre Beziehungen zu der Wiener Architektur der Zeit. Wien 1983, ISBN 3-85369-537-X, S. 48.
  11. Zoltán Horváth (Hrsg): Die Jahrhundertwende in Ungarn. Geschichte der zweiten Reformgeneration (1896–1914). Verlag Corvina, Budapest 1966, S. 55.
  12. Norman Stone: Hungary and the Crises of July 1914. In: The Journal of Contemporary History 1, No 3 (1966), S. 153-170, hier: S. 155.
  13. Martin Gilbert: The Routledge Atlas of the Holocaust. Routledge, New York 2002, ISBN 0-415-28145-8, S. 249.
  14. Randolph L. Braham, Scott Miller: The Nazis' Last Victims. Indiana University Press 2002, ISBN 0-253-21529-3, S. 423.

Literatur

  • Thomas von Bogyay: Grundzüge der Geschichte Ungarns. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 19904, ISBN 3-534-00690-9.
  • Gyorgy Dalos: Ungarn in der Nußschale. Geschichte meines Landes. Beck, München 2004, ISBN 978-3-406-52810-1.
  • Holger Fischer, Konrad Gündisch: Eine kleine Geschichte Ungarns. edition suhrkamp, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-518-12114-6.
  • István Lázár: Kleine Geschichte Ungarns. Corvina, Budapest 1989, ISBN 963-13-4293-X.
  • Paul Lendvai: Die Ungarn. Eine tausendjährige Geschichte. Goldmann, München 2001, ISBN 3-442-15122-8.
  • Miklós Molnár: Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. (hrsg. und übersetzt von Bálint Balla) Krämer, Hamburg 2004, ISBN 3-89622-031-4.
  • Andreas Schmidt-Schweizer: Politische Geschichte Ungarns. Von der liberalisierten Einparteienherrschaft zur Demokratie in der Konsolidierungsphase. Oldenbourg, München 2007, ISBN 978-3-486-57886-7.
  • Istvan György Toth (Hrsg.): Geschichte Ungarns. Corvina, Budapest 2005, ISBN 963-13-5268-4.

Weblinks

 Commons: Geschichte Ungarns – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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