Gleichgewicht (Physik)

Gleichgewicht (Physik)

Das Gleichgewicht beschreibt in Physik, Chemie, Biologie die Ausgeglichenheit aller Potentiale und Flüsse in einem gegebenen System einschließlich eventueller Zu- oder Abflüsse eines offenen Systems.

Inhaltsverzeichnis

Mechanik

Grundlagen

Gleichgewicht in der Mechanik ist der Zustand eines Körpers oder eines gekoppelten Systems von Körpern, in dem sich alle angreifenden, aus Bewegung, Trägheit, Reibung und externen Einflüssen resultierenden Kräfte beziehungsweise Drehmomente gegenseitig aufheben und die Summe aller wirkenden Kräfte Null ist.

Statisch ist ein Körper im Gleichgewicht, wenn sein Potential ein Extremum erreicht. Die erste Ableitung seiner Energie nach der Zeit ist dann Null, d.h. es findet kein Energiefluss statt. Der Teilbereich der Physik, der sich speziell mit solchen statischen Gleichgewichtssituationen beschäftigt, ist die Statik.

Formal ausgedrückt müssen im Rahmen der Newtonschen Mechanik folgende Bedingungen erfüllt sein (Gleichgewichtsbedingungen):

  1. \sum \vec F_{i} = 0  – Die Resultierende aller wirkenden Kräfte muss gleich null sein
  2. \sum \vec M_{i} = 0  – Die Summe aller Momente um einen beliebigen Punkt muss gleich null sein

bzw.

\frac{\mathrm dV}{\mathrm dt} = 0 – Das Potential V muss extremal sein

In der Summe sind Zwangs- und eingeprägte Kräfte bzw. Momente enthalten.

Gleichgewichtssituationen kommen in vielen Bereichen von Physik und Technik vor. Die Betrachtung muss sich auch nicht notwendig auf rein mechanische Kräfte beschränken, etwa können sich Gravitation und elektrische Anziehung in einem konservativen, Potential- und Flusserhaltenden System ausgleichen.

Des Weiteren lassen sich Systeme in wählbaren Grenzen als abgeschlossen betrachten, und von außen wirkende Kräfte durch Scheinkräfte oder virtuelle Flüsse kompensieren (Prinzip der virtuellen Kräfte oder der äußeren Kraft), wie auch durch Scheinkräfte nicht-inertiale Systeme analog zu inertialen behandeln (d'Alembertsches Prinzip).

Die Folgerung der Gleichgewichtsbedingungen ist:

Am starren Körper lassen sich alle statisch bestimmten Aufgaben mit den Gleichgewichtsbedingungen lösen.

Für Systeme miteinander verbundener Körper ist für jeden Körper ein solcher Satz von Gleichgewichtsbedingungen anzusetzen. Um die Elimination der Zwangskräfte aus dem Gleichungssystem zu vermeiden, können an Stelle der Gleichgewichtsbedingungen andere Theoreme der Mechanik verwendet werden, z. B. das Prinzip der virtuellen Arbeit.

Kräftegleichgewicht

Ein Körper befindet sich im Kräftegleichgewicht, wenn die resultierende Vektorsumme der auf ihn wirkenden Kräfte Null ergibt. Dies bedeutet keinesfalls, dass er in Ruhe ist. Auch in gleichförmiger Bewegung ist die Summe aller durch Antrieb, Reibung, Beschleunigung träger Massen etc. bedingten Kräfte immer ausgeglichen, Null.

Gleichgewichtslagen: stabil, labil, indifferent

Illustration der Gleichgewichtsarten: Pendel

Nach dem Maß ihrer Stabilität werden drei Typen von Gleichgewichten unterschieden:

  • Stabiles Gleichgewicht: Bei einer kleinen Auslenkung kehrt der Körper wieder in die vorige Lage zurück. Das Potential besitzt ein Minimum.
  • Labiles Gleichgewicht: Der Körper befindet sich momentan im Gleichgewicht, wird bei einer kleinen Auslenkung aber weiter von dieser Lage wegstreben. Das Potential besitzt ein Maximum.
  • Indifferentes Gleichgewicht: Der Körper nimmt nach einer kleinen Auslenkung eine neue Gleichgewichtslage ein. Das Potential ändert sich nicht.

Die drei Arten des mechanischen Gleichgewichts lassen sich für Körper, auf die nur die Gravitation wirkt, durch die Lage von Schwerpunkt und Angriffspunkt des Drehmomentes beschreiben:

Illustration der Gleichgewichtsarten: Kugel

Eine weitere Veranschaulichung ist die Betrachtung einer Kugel:

  • Liegt die Kugel in einer Schüssel, so ist sie im stabilen Gleichgewicht, sie wird bei einer Verschiebung zurückrollen.
  • Liegt die Kugel auf einer flachen Kuppe, so ist sie im labilen Gleichgewicht, sie wird bei einer Verschiebung wegrollen.
  • Liegt die Kugel auf einer Ebene, so ist sie im indifferenten Gleichgewicht, sie wird an dem Punkt, an den man sie verschiebt, liegenbleiben, bzw. bei einmaliger Krafteinwirkung und unter Vernachlässigung des Reibungswiderstandes in ihrem Bewegungszustand verharren (Massenträgheit).

Die Hysterese kann ein stabiles oder labiles Gleichgewicht in ein indifferentes verwandeln.

Siehe auch: Standfestigkeit, Stabilität

Stabiles und labiles Gleichgewicht im Drucksystem

Thermodynamik

Im thermodynamischen Gleichgewicht gilt grundsätzlich das Kräftegleichgewicht aus Gibbs freier Enthalpie:

\frac{\partial G}{\partial x}=0 \ .

Das heißt, dass keine Energie- bzw. Potenzialdifferenz zwischen den jeweiligen Punkten im Raum vorliegt.

Ohne innere Barrieren (z. B. Wände) und wirkende Kraftfelder (z. B. Schwerkraft) gilt die triviale Lösung. Sie setzt für zwei beliebige Punkte 1 und 2 des Systems

  • das thermische Gleichgewicht (s. u.) T1 = T2,
  • das mechanische Gleichgewicht (s. o.) p1 = p2 und
  • das Chemische Gleichgewicht μ1 = μ2

voraus. Ein System im thermodynamischen Gleichgewicht ist immer dann stationär, wenn die Flüsse Null werden, also keine treibenden Gradienten mehr die Potentialgrößen im System bewegen.

Ferner ist zu bemerken, dass reversible Prozesse nur entlang nahe beieinander liegender Punkte mit statischen Gleichgewichtsbedingungen möglich sind, da andernfalls die Entropie des Systems steigt.

Thermisches Gleichgewicht

Der Begriff thermisches Gleichgewicht wird in zwei verschiedenen Zusammenhängen benutzt.

Zum einen im oben verwendeten Sinne als Zustand eines einzelnen thermodynamischen Systems: Es befindet sich im thermischen Gleichgewicht, wenn es durch einige wenige makroskopische Größen beschrieben werden kann und wenn sich diese Größen zeitlich nicht ändern. Eine Flasche Schnaps im Kühlschrank befindet sich im thermischen Gleichgewicht, weil ihr Zustand durch Masse, Temperatur, Druck und Alkoholgehalt eindeutig bestimmt ist und (oft) über längere Zeit konstant bleibt. Ein Liter kochendes Spaghettiwasser befindet sich nicht im thermischen Gleichgewicht, weil für die Beschreibung seiner turbulenten Strömungsbewegung sehr viele Informationen erforderlich sind und es deshalb im strengen Sinne kein thermodynamisches System ist.

Zum anderen als Beziehung zwischen mehreren Systemen: Zwei Körper, die miteinander in thermischem Kontakt stehen, befinden sich miteinander genau dann im thermischen Gleichgewicht, wenn sie die gleichen Temperaturen besitzen. Ist ein System A sowohl mit einem System B als auch mit einem System C im thermischen Gleichgewicht, dann sind auch die Systeme B und C miteinander im thermischen Gleichgewicht. Diese Aussage bildet eine wichtige Grundannahme der Thermodynamik und wird zuweilen als Nullter Hauptsatz der Thermodynamik bezeichnet.

Lokales thermisches Gleichgewicht

Im thermischen Gleichgewicht stehen alle Prozesse im Gleichgewicht. Dies fordert u. a. auch, dass die Rate der Emission und Absorption von Strahlung im Gleichgewicht steht. Wenn das Strahlungsspektrum dem eines schwarzen Hohlraumstrahlers entspricht, gilt das thermische Gleichgewicht.

In vielen Fällen ist die Emissions- und Absorptionsrate jedoch selektiv; die Strahlung von Gasen und Flüssigkeiten sind über einen weiten Wellenlängenbereich optisch dünn, da nur bestimmte Energiezustände entsprechend der Quantenzahlen erlaubt sind. Gase oder Flüssigkeiten sind transparent für die Strahlung, deren Energie nicht zu einer Strahlungsanregung der Teilchen führen kann.

Mit dem lokalen thermodynamischen Gleichgewicht (engl. local thermodynamic equilibrium - Abkürzung LTE) wird das Verhältnis von angeregten zu nichtangeregten Molekülen beschrieben, das von der Temperatur und der Strahlungsintensität abhängt. Im isothermen Gleichgewicht von Strahlung und Molekülanregung wird dieses Verhältnis durch die Boltzmann-Statistik beschrieben. Wenn keine isothermen Bedingungen vorliegen, entstehen Abweichungen von der Boltzmann-Statistik. Sind diese Abweichungen gering, was hauptsächlich bei hoher Stoßhäufigkeit der Gasmoleküle der Fall ist, sind die Abweichungen zwischen der Boltzmann-Statistik und dem realem Verhältnis sehr gering, sodass man vom lokalen thermodynamischen Gleichgewicht spricht.

Dieser Fall des LTE liegt z. B. im größten Bereich der Erdatmosphäre vor. Erst in sehr großen Höhen, wo wegen des geringen Drucks die Stoßhäufigkeiten sehr gering sind, werden die Abweichungen von der Boltzmann-Statistik wesentlich und es liegt kein LTE mehr vor.

Quasistatische Prozesse

Wird ein thermodynamischer Prozess so ausgeführt, dass er ausschließlich als eine Abfolge von Gleichgewichtszuständen betrachtet werden kann, nennt man diesen Prozess quasistatisch oder quasistationär.

Hydrodynamik

In der Strömungslehre stellt sich das hydrostatische Gleichgewicht infolge des Ausgleichs einer gerichteten Kraft auf einen Körper und eines Druckgradienten in dem umgebenden Fluid dar.

In erweitertem Sinne können aber auch Teile des Fluids selbst zu Paketen zusammengefasst und wie ein Körper behandelt werden. Hierbei findet ein Ausgleich zwischen den mechanischen und den thermodynamischen Aspekten des Systems statt. Damit untersucht man etwa Konvektion und deren Gleichgewichtslagen, oder in der Meteorologie die Schichtungsstabilität der Erdatmosphäre.

Weitere Beispiele aus der Physik

Siehe auch


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