Gläserne Decke

Gläserne Decke

Der Begriff Gläserne Decke (engl. glass ceiling) wurde in den 1980er-Jahren in den USA geprägt. Es handelt sich um ein Erklärungsmodell für das Phänomen, dass die meisten hochqualifizierten Frauen beim Aufstieg innerhalb von Unternehmen oder Organisationen spätestens auf der Ebene des mittleren Managements „hängenbleiben“ und nicht bis in die Führungsetage kommen. Diese Theorie postuliert eine Bevorzugung der männlichen Mitarbeiter gegenüber ebenso leistungsfähigen weiblichen Kollegen. Das Erklärungsmodell geht von einer unsichtbaren Aufstiegsbarriere für Frauen aus, da solch eine Bevorzugung kein Teil einer veröffentlichten Firmenkultur ist. Daher auch der im englischen Sprachraum entstandene Ausdruck glass ceiling, eingedeutscht gläserne Decke (der Aufstiegsleiter). Seit den 1980er-Jahren sind zu diesem Phänomen international zahlreiche wissenschaftliche Studien erschienen, sowohl von Wirtschaftswissenschaftlern als auch von Soziologen. Im erweiterten Sinne spricht man auch von „gläserner Decke“ im Hinblick auf die eingeschränkten Aufstiegschancen von ethnischen Minderheiten oder bekennenden Homosexuellen.

Inhaltsverzeichnis

Statistik

Nach einer Untersuchung der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 1998 war in Deutschland nur ein Prozent der Spitzenpositionen in Aufsichtsrat oder Vorstand eines Unternehmens mit Frauen besetzt. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen betrug in großen Firmen etwa 5 %, im Mittelstand 11 %, im öffentlichen Dienst 6 %.

In der Schweiz, wo das Handelsregister kostenfrei öffentlich zugänglich ist, kann man die Entwicklung auf der Eigentümer- und Geschäftsleitungsebene gut nachvollziehen. Der Anteil der weiblichen Firmengründer stieg von 15% im Jahr 2000 auf 27% im Jahr 2010. In den Unternehmen bis 250 Mitarbeitern liegt der Frauenanteil mittlerweile bei 40%, bei größeren Unternehmen ist er erst auf 13% gestiegen. In der Schweizer Regierung, dem Bundesrat, ist der Anteil auf über 50% gewachsen, auch in anderen politischen Gremien auf Bundesebene steigt der Anteil ständig. Aus dem Handelsregister kann man auch ableiten, dass von Frauen geleitete Firmen weniger häufig pleite gehen.[1][2]

Mögliche Gründe

Als Gründe für die Existenz der „gläsernen Decke“ nennen Studien u. a. die stärkere Förderung männlicher Mitarbeiter durch männliche Vorgesetzte und den weitgehenden Ausschluss von Frauen aus wichtigen beruflichen Netzwerken. Außerdem gehen Personalchefs häufig stillschweigend davon aus, dass Frauen irgendwann eine „Familienpause“ einlegen werden, teilweise ohne die jeweilige Frau überhaupt dazu befragt zu haben.

Oft wird die Ansicht vertreten, dass Karriere und Kinder schwer vereinbar sind. In Deutschland beispielsweise besteht vielfach, auch unter Frauen in leitenden Positionen, die Ansicht, dass ab einer bestimmten Hierarchieebene eine klare Entscheidung zwischen Elternschaft und Karriere treten müsse. [3] Das wird auch gestützt durch Analysen einer "leaky pipeline" an Hochschulen, wo teilweise 30% der Studierenden weiblich sind, jedoch nur 10% als Professor ankommen. Langsam scheint sich auch die Ansicht durchzusetzen um Frauen wie Männern mit gleich langen Spiessen auszustatten. Konkret wird gefordert, mehr / bessere Kinderbetreuung zu haben um Frauen die Möglichkeit zu geben ihre Forschungsergebnisse international zu präsentieren, sich zu vernetzen. Es wird auch die Ansicht vertreten: Je einfacher eine Mutter ihr Kind extern betreuen lassen kann, desto höher ist der Anteil der Chefinnen.[4][5][6][7]

Die Publizistin Heleen Mees beschreibt die gläserne Decke als „Verschwendung von wertvollem Humankapital“ und betont, dass Karrierehindernisse für gut ausgebildete Frauen in Europa mehr in Unternehmenskultur, geschlechterbezogenen Verzerrungseffekten und Stereotypen begründet seien als in offener Diskriminierung, und dass sie mittels gruppendynamischer Vorgänge stattfinde.[8]

Christiane Funken, Professorin am Institut für Soziologie der TU Berlin, hat in mehreren Forschungsprojekten die Aufstiegschancen von Frauen und das Phänomen der „gläsernen Decke“ untersucht. Im Juni 2005 erklärte sie in einem Referat

Glass ceiling lässt sich als wirkmächtige Karriererestriktion beschreiben, die subtil und kaum messbar den Weg von Frauen in das gehobene Management verhindert. Die Angst vor einer geringeren Durchschnittsproduktivität von Frauen und vor höheren weiblichen Fluktuationsraten konnte jedoch durch zahlreiche nationale und internationale Studien eindeutig widerlegt werden. Stattdessen sorgen Stereotypisierungen und Homogenitätserwartungen bei der Einstellungs- und Beförderungspolitik in den karriererelevanten Netzwerken für Schließungsprozesse gegenüber Frauen.“

Christiane Funken[9]

Als eines der wesentlichen Hindernisse für den Aufstieg von Frauen stellte eine Erhebung von McKinsey vorherrschende Erwartungen heraus, die sich an dem Modell eines Mannes orientieren würden, dessen Frau die Verantwortung für Haushalt und Familie trage. Erwartungen wie die einer uneingeschränkten Mobilität, ständigen Verfügbarkeit und ununterbrochener Berufsbiografie grenzten insbesondere Mütter aus. Es fehlten weibliche Rollenvorbilder und eine Änderung der Kriterien für Beförderungen.[10]

Auch Sozialwissenschaftlerin Hildegard Maria Nickel sieht die Gründe vorwiegend in den innerhalb von Organisationen bestehenden informellen Praktiken und Regeln. Die Managementkultur sehe für Frauen „weder Platz noch Verhaltensmuster“ vor.[11] Hinzu komme, dass Schlüsselqualifikationen, die oft als soft skills („weiche Fähigkeiten“) oder auf den Sexus bezogen als feminine skills („weibliche Fähigkeiten“) bezeichnet werden, zwar auf unterer Führungsebene gefragt seien, auf höheren Hierarchieebenen aber gegenüber männlich zugeschriebenen Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen, Handlungsfähigkeit und Zielstrebigkeit zurückträten.[12]

Carsten Wippermann, Direktor Sozialforschung am Institut Sinus Sociovision, führte für das BMFSFJ eine repräsentative Studie Brücken und Barrieren für Frauen zu Führungspositionen durch, bei der 500 Männer und Frauen in Führungspositionen bei privatwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland befragt wurden, anschließend mit 30 Männern narrative Tiefeninterviews durchgeführt wurden sowie Personaldienstleistungsunternehmen befragt wurden. Er stellte als Ergebnis eine Unterscheidung in drei Mentalitätsmuster fest, deren Standpunkte zusammen genommen wie ein Sperrriegel wirkten. Der konservative Typus betrachte dabei die Führungsstufe als inneren Zirkel aus Männern, denen die Partnerin durch den heilen Familienhintergrund den Rücken frei halte; zudem seien Frauen oft Einzelkämpferinnen und seien zu sehr am operativen Geschäft verhaftet, wodurch sie nicht ausreichend delegierten. Der zweite Typus habe eine emanzipierte Grundhaltung, sehe aber für das oberste Management eine gnadenlose Effizienzorientierung und Härte als Voraussetzung an, die für eine Frau unpassend sei. Der dritte, individualistisch orientierte Typus verweise auf eine ununterbrochene Berufsbiografie als Voraussetzung für eine Führungsfunktion und darauf, dass Frauen durch das Nachahmen von Männern Authentizität und Flexibilität einbüßten. Diese Mentalitätsmuster erzeugten zusammen genommen „eine mehrfach gesicherte soziale Schließfunktion mit sehr selektiver Durchlässigkeit“.[13][14][15]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die etwas andere Statistik, moneyhouse, 11. Februar 2011.
  2. Die Frauen bei den Wahlen - Bundesebene, Bundesamt für Statistik, 2011.
  3. „Gespräche mit Frauen in leitenden Positionen“
  4. Frauen nicht gleich, sondern gleichwertig behandeln!, ETH Präsident Ralph Eichler und Renate Schubert, Delegierte für Chancengleichheit, im Interview zum kürzlich vorgestellten Gender Monitoring, 26. Januar 2011.
  5. Frauenquote ohne Kinderbetreuung sinnlos, Wirtschaftsjunioren Frankfurt, 19. Januar 2011.
  6. BESSERE KINDERBETREUUNG, Brüderle gegen Frauenquote, Frankfurter Rundschau, 23. Januar 2011
  7. Entwicklungsland Schweiz: Frauen belegen nur 12 Prozent aller Kaderpositionen, Aargauer Zeitung, 8. März 2011.
  8. Heleen Mees: Die gläserne Decke durchbrechen. Project Syndicate, 31. Januar 2007, abgerufen am 6. Juni 2010.
  9. Christiane Funken: [1] Glass ceiling - Fakt oder Fiktion? (pdf)
  10. Michaela Schießl: Aufstieg im Labyrinth. In: SPIEGEL Wissen. Abgerufen am 27. Mai 2008. Erschienen in: SPIEGEL special 1/2008 vom 26. Februar 2008, S. 58.
  11. Pavin Sadigh: Frauen wollen weibliche Karrieren. In: Zeit Online. 7. März 2008, abgerufen am 29. November 2008. S. 2
  12. Pavin Sadigh: Frauen wollen weibliche Karrieren. In: Zeit Online. 7. März 2008, abgerufen am 29. November 2008. S. 3
  13. Frauen in Führungspositionen: “Die Männer sind die Hüter der gläsernen Decke“. Zeit Online, abgerufen am 13. Februar 2010.
  14. Klartext: Warum weibliche Führungskräfte es nicht in den Vorstand schaffen. “Frauen sind eine Irritation”. Hamburger Abendblatt, 6. Februar 2010, abgerufen am 13. Februar 2010.
  15. Carsten Wippermann: Brücken und Barrieren für Frauen zu Führungspositionen. Abgerufen am 13. Februar 2010 (PDF).

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