Grossgruppenkonferenz

Grossgruppenkonferenz

Großgruppenmoderation ist eine sozialpsychologische Methode, um große Planungs- und Entscheidungsgruppen von 50 bis 200 (oder sogar bis 1000) Teilnehmern in einem großen Versammlungsraum so zu steuern (Moderation), dass sie in kurzer Zeit, typisch sind 2 bis 3 Tage, zu umsetzbaren Ergebnissen kommen. Anwendungsfelder sind Unternehmen, Organisationen, Verwaltungen, Städte und Gemeinden, Bürgerbeteiligung etc.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

In den 1980er-Jahren wusste man in der Organisationsentwicklung schon gut mit Veränderungen in großen Organisationen umzugehen. "Betroffene zu Beteiligten machen" war längst als unerlässliche Bedingung bekannt. Es gab ein breites Instrumentarium, um solche Prozesse zu initiieren und zu begleiten. Man arbeitete mit Gruppen von 60 bis 100 Führungskräften unter indirekter und direkter Beteiligung von Mitarbeitern. Schwierigkeiten machte die Umsetzung in größeren Unternehmen, durch die begrenzte Teilnehmerzahl dauerten Veränderungen zu lange oder wurden über die vielen Ebenen verwässert. Hier hilft die Großgruppenmoderation. Eingebettet in Organisationsentwicklungsprozesse können so gemeinsam getragene Veränderungen auch in großen Unternehmen oder Kommunen (Bürgerbeteiligung) effizient umgesetzt werden.

Arbeit mit Großgruppen

Die ganze Organisation (oder ein repräsentativer Querschnitt aller Mitarbeiter) wird als Großgruppe in einen Raum geholt. Sie treffen sich, um in einer begrenzten Zeitspanne gemeinsam konkrete Aufgabenstellungen zu bestimmen und um gemeinsam Ergebnisse zu erarbeiten.

Ziel

Ziele können sein: großflächiger Wandel, schnelle Ergebnisse, kontinuierliche Verbesserung, Visionen finden, Strategien und Ziele festlegen, Werte bestimmen, Kultur gestalten, Ideen sammeln und in Programme umsetzen, Zukunft gestalten - und dabei die Betroffenen zu Beteiligten machen.

Methode

Kernelemente der Großgruppenmoderation sind: Energien vieler mobilisieren, Fähigkeiten und Fertigkeiten nutzbringend vernetzen (Synergie), Selbststeuerung und Lernautonomie, Selbstverantwortung, von unten nach oben arbeiten (Bottom-up)

Der Moderator (meist ein Team) begleitet, unterstützt und fördert den Prozess methodisch. Ein Organisationsteam sorgt für Raumverteilung, Technik und Material, Verpflegung und Getränke, und hilft bei der Visualisierung und bei der Sammlung der Ergebnisse.

Zukunftskonferenz

Die Zukunftskonferenz wurde von Marvin Weisbrod entwickelt und 1982 veröffentlicht.

Zukunftskonferenzen dauern drei Tage und sind geeignet für 32 bis 72 Teilnehmer. Ziel ist die Planung einer gemeinsamen Zukunft. Der Schwerpunkt liegt auf dem Finden von Gemeinsamkeiten und der Gestaltung der Zukunft, deshalb eignet sich die Zukunftskonferenz auch für Gruppen mit konkurrierenden Interessen oder konflikthafter Vergangenheit.

Sie hat einen festen Ablauf: Rückblick in die Vergangenheit, Analyse externer Trends, Bewertung der gegenwärtigen Situation im Unternehmen, Entwicklung gemeinsamer Visionen, Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Planung von konkreten Maßnahmen. Gearbeitet wird an Achter-Tischen in homogenen und gemischten Gruppen (Funktionen, Hierarchieebenen, auch Vertreter externer Gruppen) und im Plenum. Maßnahmen werden erst geplant, wenn Einigkeit über die gewünschte Zukunft erreicht ist.

Open Space

Open Space wurde von Harrison Owen in den frühen 1980er Jahren entwickelt.

Open-Space-Konferenzen dauern 2 bis 3 Tage und sind geeignet für 70 bis 1000 Teilnehmer. Sie sind inhaltlich und formal sehr offen: die Teilnehmer geben eigene Themen ins Plenum und gestalten dazu eine Arbeitsgruppe. Hier werden mögliche Projekte erarbeitet. Die Ergebnisse werden am Schluss gesammelt. Wichtig ist ein Steuerkreis, der für die anschließende Umsetzung sorgt. Open Space kann in kurzer Zeit eine unglaubliche Vielfalt von konkreten Maßnahmen produzieren.

Berühmt ist das "Gesetz der zwei Füße" als Ausdruck der Freiheit und Selbstverantwortung: der Teilnehmer bleibt nur so lange in einer Gruppe, wie er es für sinnvoll erachtet; und der Begriff "Hummeln und Schmetterlinge" als Ausdruck für unterschiedliche Beteiligung: die einen vertiefen ein Thema eher und die anderen bilden eine Brücke durch häufige Gruppenwechsel.

RTSC-Konferenz

Die RTSC-Konferenz (englisch: Real Time Strategic Change) wurde von Paul Tolchinsky und Kathleen Dannemiller entwickelt.

RTSC-Konferenzen dauern drei Tage und sind geeignet für bis 2200 Teilnehmer. Ziel ist, strategischen Wandel auf allen Ebenen und in allen Bereichen gleichzeitig in Gang zu bringen. Dabei sind die strategischen Ziele bereits vorgegeben. RTSC-Konferenzen sind immer in Organisationsentwicklungs-Prozesse eingebunden.

Die Konferenz ist stärker Top-down-organisiert und wird von einem Team aus den vorgesehenen Teilnehmern vorbereitet. Entscheidend ist die Eröffnung, bei der die Teilnehmer durch die oberste Leitung aufgerüttelt und motiviert werden. Die Arbeit geschieht an Achter-max-mix-Tischen, mit möglichst bunt gemischten Mitarbeitern, die als repräsentative Zellen ("Fraktale") der Organisation Bereichsgrenzen überwinden. Hier wird die Strategie geprüft und verbessert. In einer Nachtsitzung werden die Ergebnisse mit der Führung abgestimmt und am dritten Tag wird die Umsetzung gemeinsam und unternehmensweit geplant. Das Management hat einen großen Einfluss auf die Ergebnisse.

World Café

Das World Café wurde von Juanita Brown 1995 "erfunden".

Kaffee-Gespräche dauern 2 bis 3 Stunden und sind geeignet für Veranstaltungen ab 20 Personen (Betriebsversammlungen, Vertriebstagungen, Kundenveranstaltungen, Events). Je nach Thema heißen sie: Führungs-Kaffee, Strategie-Kaffee, Produktentwicklungs-Kaffee, Marketing-Kaffee, Kreativ-Kaffee, Wissens-Kaffee oder ähnlich.

In einer Kaffeehaus-Atmosphäre sitzen 4 bis 5 Personen. In thematisch aufeinander aufbauenden Gesprächsrunden besprechen sie parallel die gleichen Fragen zum Rahmenthema des Abends. Wichtige Gedanken werden auf den bunten Papiertischdecken festgehalten.

Nach jeder Gesprächsrunde wechseln die Teilnehmer an andere Tische. Eine Person bleibt jeweils als "Gastgeber" am Tisch, um die Ideen und Erkenntnisse des vorhergehenden Tischgespräches an die Neuankömmlinge weiterzugeben. So werden die Ideen und Erkenntnisse aus den Tischgesprächen miteinander verbunden. Nach der letzten Gesprächsrunde werden die wichtigsten Ideen und Erkenntnisse im Plenum mitgeteilt und visualisiert.

Appreciative Inquiry Summit

Der Appreciative Inquiry Summit (AI Summit) wurde von David Copperrider und Diana Whitney entwickelt und ist für Großgruppen von 50 bis 2000 Teilnehmer geeignet.

Diese Methode bezweckt, die klassische defizitorientierte Logik der Reparatur durch eine ressourcenorientierte Logik des Wachstums zu ersetzen und eine Änderung der Organisationskultur anzuregen. Daher kommen AI Summits oft bei Umstrukturierungen von Großfirmen und nach Fusionen zum Einsatz.

Im Vorfeld der Tagung wird das Prozeßziel festgelegt. Am ersten Tag werden die vorhandenen Ressourcen erforscht, der zweite Tag ist dem Erfinden (der Zukunft) und Entwickeln (neuer Situationen) gewidmet, am dritten Tag sollen Umsetzungsaktivitäten zur Entfaltung gebracht werden.

Themenorientierte Improvisation

Themenorientierte Improvisation (TOI) ist eine Theatermethode, mit der Zuschauer, Schauspieler und ein Moderator bzw. Moderatorin ein gemeinsames Thema oder Anliegen bearbeiten können.

Inspiriert vom Improvisationstheater, Forumtheater und Psychodrama entstand Ende der 90er Jahre diese Theater- oder Großgruppenmoderations-form, bei der zu einem für das Publikum relevanten Thema von speziell ausgebildeten SchauspielerInnen Szenen improvisiert und von den Zuschauern bearbeitet werden. Der Prozess von einer Moderationsperson gesteuert. Vor allem das Publikum, aber auch die SchauspielerInnen und die Moderation kann die Szenen jederzeit unterbrechen und verändern. Eine Vierte Wand wie bei naturalistischen Theaterformaten oder beim Seminar-Rollenspiel gibt es nicht. Zu jedem Zeitpunkt ist es möglich die Rollenfiguren zu befragen oder deren Innenleben durch theatrale Darstellungen sichtbar zu machen (Introspektion). Durch den engen Kontakt und die zahlreichen Interaktionen der SchauspielerInnen und der Moderation zum Publikum entsteht eine Quasirealität, die viele Perspektiven enthalten kann, die über die bisherige Sichtweise des Publikums hinausgeht. Durch einen Arbeitsauftrag an die Zuschauer sich mit einem alternativen Handlungsanweisungen für die Identifikationsfigur zu beschäftigen entsteht die Grundlage für das abschließende Theaterlabor.

Literatur

Siehe auch unter den Artikeln der jeweiligen Methoden.

  • Matthias zur Bonsen: Simultaneous Change in: Organisationsentwicklung 4/1995
  • Ulrich Martin Drescher: Großformen der Moderation. In: Sabina Bolender (Hrsg.): Managementtrainer. Campus Verlag, Frankfurt und New York 1998.
  • Josef W. Seifert: Grossgruppen-Moderation in: Zeitschrift für Systemdenken und Entscheidungsfindung im Management, Herausgeber: Falko E.P. Wilms, Fachhochschule Vorarlberg, 4. Jahrgang 2/2005, wvb, Berlin
  • Ruth Seliger: Einführung in Großgruppen-Methoden. Carl Auer Compact, Heidelberg 2008
  • "Unternehmenstheater Interaktiv", Themenorientierte Improvisation (TOI) in der Personal- und Organisationsentwicklung (Markus Berg/Peter Flume / Jörg Ritscher, Frank Michael Orthey / Friederike Tilemann / Reinhold Wehner) Belz 2002, ISBN 3407363850

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