Großreich

Großreich
Kaiser Karl V. herrschte als Erster über ein globales Imperium, in dem „die Sonne niemals unterging“; Gemälde von Rubens

Als Weltreiche bezeichnet man Reiche, die sowohl große Teile der jeweils bekannten Welt umfassten als auch bedeutenden Einfluss auf die geschichtliche Entwicklung (politisch, geographisch, technologisch, sozial, kulturell, religiös oder sprachlich) hatten. Oft schließt ihr jeweiliges Selbstverständnis den Anspruch ein, entweder die ganze Welt zu beherrschen oder zumindest die größte Macht der Erde zu sein. In verschiedenen historischen Epochen tauchen verschiedene Begriffe für ein solches Weltreich auf.

Inhaltsverzeichnis

Imperium

Die Bezeichnungen „Imperium“ und „Weltreich“ werden meist synonym gebraucht. Das achämenidische Perserreich gilt als das erste „echte“ Weltreich der Geschichte; in den davor liegenden Jahrhunderten gab es zwar mehrere Großreiche, die kurz- oder mittelfristig die umliegenden Territorien und Völker beherrschten, jedoch war ihre Größe mit der des Perserreiches nicht vergleichbar. Insofern ist deren Einordnung als Weltreich umstritten. Das größte vor dem Perserreich existierende Großreich war das heute relativ unbekannte Neuassyrische Reich, das sich zur Zeit seiner größten Ausdehnung vom Süden Ägyptens bis zum persischen Golf und dem heutigen Armenien erstreckte.

In seiner Ausdehnung fast noch übertroffen wurde das Perserreich vom Reich Alexanders des Großen, das von Nordgriechenland und Ägypten bis zum Indus reichte. Es war zwar nur äußerst kurzlebig (333 v. Chr.–323 v. Chr.), bewirkte aber über seine Nachfolgestaaten, die Diadochenreiche, die Entstehung eines einheitlichen hellenistischen Kulturraums im östlichen Mittelmeer.

Das klassische Beispiel für ein Weltreich ist das Imperium Romanum. Es umfasste in seiner Blütezeit nicht nur große Teile Europas, Vorderasiens und Nordafrikas, sondern übte auf die von ihm über längere Zeit beherrschten Gebiete auch einen tiefgreifenden und nachhaltig prägenden zivilisatorischen, kulturellen und sprachlichen Einfluss aus, der (auch durch die spätere Verbindung mit dem Christentum) in vielen Bereichen bis heute nachwirkt. Heutige sprachliche und staatliche Strukturen können in vielen Fällen direkt mit dem römischen Imperium in Verbindung gebracht werden.

Außereuropäische Weltreiche

Infolge des vorherrschenden eurozentrischen Geschichtsbildes wurde und wird bis heute nur unzureichend wahrgenommen, dass die meisten Weltreiche bis zum Beginn der Frühen Neuzeit außerhalb des europäischen Kontinents existierten. Bis zum Ende der Antike gab es mindestens drei europäische Weltreiche: das Alexanderreich, das Römische Reich und das Byzantinische Reich. Nach dem Untergang des Römischen Reiches in der Spätantike konnte kein Weltreich mehr Fuß fassen auf dem europäischen Kontinent, nur noch imperiale Peripherien anderer, außereuropäischer Weltreiche erstreckten sich über Randgebiete Europas. Byzanz bildete hier als europäisches Reich zunächst noch eine Ausnahme, war aber seit der Islamischen Expansion im 7. Jahrhundert praktisch ebenfalls kein Weltreich mehr. Stattdessen bildeten sich in Europa erst die Personenverbandsstaaten und dann das komplexe System der Territorialstaaten heraus. Mit Beginn der Europäischen Expansion im 15. Jahrhundert schufen diese Staaten dann ihrerseits außereuropäische Weltreiche (Kolonialreiche) auf anderen Kontinenten.

Aber beispielsweise sowohl beim Mongolenreich Dschingis Khans, als auch beim Reich der Kalifen (ca. 700 – 900 n. Chr.) und beim Chinesischen Kaiserreich (ca. 200 v. Chr. – 1800), lassen sich längerfristige historische Nachwirkungen ebenfalls nicht bestreiten. Auch sie waren alle für die Entwicklung ihrer Region nachhaltig bestimmende historische Größen.

Kolonialreich

In der Zeit des Kolonialismus und Imperialismus bauten einige europäische Länder Weltreiche auf und prägten nachhaltig die Länder, die sie kolonisierten. So wurden Lateinamerika durch Spanien und Portugal, Nordamerika, Afrika und Asien durch Frankreich und Großbritannien sprachlich und kulturell geformt. Die Tatsache, dass das Britische Empire die größte Kolonial- und Handelsmacht der Welt war, hatte die weltweite Verbreitung der englischen Sprache zur Folge, so dass Englisch heute zur universellen Welt- und Verkehrssprache geworden ist.

Universalmonarchie

Insbesondere das chinesische Kaiserreich sah sich als Universalmonarchie, d. h. dem Kaiser als dem „Sohn des Himmels“ kam die Oberherrschaft über alle anderen Fürsten der Welt zu. Eine ähnliche Vorstellung verband man im Europa des Mittelalters mit dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, unter Berufung auf den heiligen Hieronymus, der den Bibeltext Dan 2, 21ff. vom Traume Nebukadnezars so auslegte, dass es nur vier Weltreiche geben werde: das babylonische Reich, das Reich der Meder und Perser, das Reich Alexanders des Großen und das Römische Reich, das bis ans Ende der Tage dauern sollte. Unter dieser Voraussetzung konnte das Heilige Römische Reich sich nur als Nachfolger des römischen fühlen, eine Kontinuität, die von Karl dem Großen bewusst hergestellt wurde (Translatio Imperii). Allerdings verband sich mit diesem universalen Anspruch keine entsprechende reale Macht. Erst nach der Entdeckung Amerikas lässt sich unter Karl V., in dessen Reich „die Sonne nicht unterging“, wieder von einem Weltreich sprechen.

War das Deutsche Reich ein Weltreich?

In neuerer Zeit melden sich zunehmend Historiker zu Wort, die die Meinung vertreten, dass auch das Großdeutsche Reich zur Zeit des Zweiten Weltkrieges als Weltreich bezeichnet werden sollte, da es fast ganz Europa beherrschte.

Gegner dieser Idee kritisieren den Vorschlag, da der Großteil des Reiches zur Zeit seiner größten Ausdehnung im Jahre 1942 nur aus einzelnen eroberten Ländern und Gebieten mit loser administrativer Gliederung bestand und keinen festen Staat mit akzeptierten Grenzen bildete. Befürworter halten dagegen, dass das auch bei den Reichen der Hunnen, der Mongolen oder dem Alexanderreich der Fall war, die alle drei nur kurze Zeit Bestand hatten und sehr rasch wieder zerfielen. Trotzdem würden diese zu den „klassischen“ Weltreichen gezählt, ähnliches gilt auch für das französische Kaiserreich unter Napoléon Bonaparte.

Liste der bekannten Weltreiche

Reich Fläche in km² Einwohnerzahl Jahr der größten Ausdehnung Karte
Ägyptisches Reich
(Neues Reich)
1.000.000 1450 v. Chr.
Neuassyrisches Reich 1.400.000 671 v. Chr.
Neubabylonisches Reich 1.000.000 580 v. Chr.
Achämenidenreich
(Altpersisches Reich)
6.500.000 42.000.000 500 v. Chr.
Alexanderreich 6.200.000 47.000.000 323 v. Chr.
Maurya-Reich 40.000.000 250 v. Chr.
Qin-Reich 30.000.000 221 v. Chr.
Reich der Parther 1.900.000 141 v. Chr.
Han-Reich 6.000.000 50.000.000 100 v. Chr.
Römisches Reich 8.300.000 62.000.000 117 n. Chr.
Byzantinisches Reich 4.500.000 34.000.000 550
Sassanidenreich
(Neupersisches Reich)
629
Tang-Reich 40.000.000 669
Arabisches Weltreich
(Umayyaden-Kalifat)
13.200.000 60.000.000 750
Reich der Seldschuken 1071
Song-Reich 60.000.000 1081
Mongolenreich 33.000.000 100.000.000 1274
Reich der Timuriden 1405
Ming-Reich 6.500.000 50.000.000 1424
Aztekenreich 1521
Inkareich 2.000.000 1532
Portugiesisches Kolonialreich 4.000.000 14.000.000 1580
Spanisches Kolonialreich
(Iberische Union)
24.000.000 64.000.000 1600
Niederländisches Kolonialreich 3.700.000 1650
Osmanisches Reich 5.700.000 21.000.000 1683
Mogulreich 4.000.000 100.000.000 1707
Qing-Reich 13.000.000 300.000.000 1790
Russisches Reich 22.000.000 78.000.000 1866
Deutsches Kolonialreich 3.500.000 70.000.000 1914
Französisches Kolonialreich 12.900.000 112.000.000 1919
Britisches Weltreich 37.000.000 500.000.000 1921

Mögliche „Postkoloniale Imperien“

Auch in der Weltordnung nach 1945 könnte man gemäß einiger Autoren imperiale Strukturen feststellen, die deutliche Parallelen zu vorherigen Weltreichsordnungen aufweisen. So wäre etwa der Kalte Krieg eine Auseinandersetzung zwischen einem östlich-kommunistischen und einem westlich-kapitalistischen Weltreich. Prinzipiell wäre die Herrschaft der postkolonialen Imperien nicht an Territorien gebunden, sondern äußert sich maßgeblich in der Kontrolle der Weltwirtschaft sowie einem überstarken und zugleich globalen Einfluss auf Politik, Technologie, Migration, Sprache und ganz besonders deutlich auf die Kultur. Münkler spricht sich für ein Amerikanisches Weltreich aus, in dem die EU eine Art imperiales Subzentrum bildet. Posener plädiert für ein Europäisches Weltreich und spricht den USA jegliche Imperialität ab. Bollmann versucht beide Positionen zu versöhnen und identifiziert eine Art Westliches Imperium, wobei EU und USA gemeinsam dessen imperiales Zentrum bilden. Der gesamte Globus wird demnach mehr oder minder indirekt vom „Westen“ dominiert. Es ergibt sich eine Aufteilung der Welt in verschiedene Peripherien: Dabei bilden z. B. NATO und OECD die transatlantische Klammer zwischen den beiden imperialen Kernräumen. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass je weniger ein Land in Richtung EU/USA integriert ist, desto mehr gehört es der Peripherie an.

Kernraum Fläche in km² Einwohnerzahl Jahr der größten Ausdehnung Karte
Sowjetunion [1] 22.402.223 262.000.000 1979
Vereinigte Staaten [2]
(Außengebiete der USA)
9.826.630 306.000.000 noch nicht bestimmbar
Europäische Union [3]
(Spezielle Gebiete der EU)
6.500.000 500.000.000 noch nicht bestimmbar
Westliche Welt [4] ~ 36.500.000 ~ 1.000.000.000 noch nicht bestimmbar

Anmerkungen

  1. Vgl. Münkler, Herfried: Imperien: Die Logik der Weltherrschaft, Rowohlt, Berlin 2007.
  2. Vgl. Münkler, Herfried: Imperien: Die Logik der Weltherrschaft, Rowohlt, Berlin 2007.
  3. Vgl. Posener, Alan: Imperium der Zukunft. Warum Europa Weltmacht werden muss, Pantheon, München 2007.
  4. Vgl. Bollmann, Ralph: Lob des Imperiums: Der Untergang Roms und die Zukunft des Westens, wjs verlag, Berlin 2006.

Siehe auch

Literatur

  • Demandt, Alexander: Das Ende der Weltreiche, Nikol, Berlin 2007. ISBN 3-937-87267-1
  • Doyle, Michael: Empires, Cornell Studies in Comparative History, New York 1986. ISBN 0-801-49334-X
  • Kennedy, Paul: Aufstieg und Fall der großen Mächte, Fischer, Frankfurt 2000. ISBN 3-596-14968-1
  • Münkler, Herfried: Imperien: Die Logik der Weltherrschaft, Rowohlt, Berlin 2007. ISBN 3-499-62213-0

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