Göttin

Göttin
Schlangengöttin aus dem Palast von Knossos in Kreta, um 1600 v. Chr.
Sumerische Göttin, Fragment einer Stele von 2120 v. Chr.
Hinduistische Göttin Saraswati, Göttin der Kunst, Wissenschaft und Weisheit, in Kolkata für das Fest Vasant Panchami hergerichtet

Eine Göttin ist eine weibliche Gottheit. In vielen Religionen wurden und in einigen werden gegenwärtig Göttinnen verehrt, deren Vorstellung und Funktion sich oftmals mit Motiven der Fruchtbarkeit, Mutterschaft, dem Werden und Vergehen, teils auch der Erotik verbindet.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Göttinnen stehen, nicht anders als männliche Götter im Hinblick auf ihre Zeugungskraft, oft in Zusammenhang mit Weltschöpfungssmythen, denn das weibliche Prinzip wird mit der Geburt, also auch der Geburt des Kosmos, assoziiert. Hieraus resultieren die möglicherweise weit in die Vorgeschichte der Menschheit weisenden Vorstellungen einer Muttergöttin, auch Mutter Erde, die sich etwa durch die 100 bis 200 Venustatuetten aus dem Jungpaläolithikum (ab 40.000 Jahre vor heute, wie der jüngste Fund mit der Venus vom Hohlen Fels) historisch zu bestätigen scheinen, alles kleine figürliche Darstellungen nackter Frauenkörper unter besonderer Betonung weiblicher Geschlechtsmerkmale.[1] In der Jungsteinzeit (etwa ab 12.000 Jahre vor heute) findet man in der Großen Göttin oder auch Großen Mutter (Magna Mater) die Vorstellung einer Muttergöttin wieder, deren Weiblichkeit sinnbildlich für den „fruchtbaren Mutterschoß stand, aus dem alles Leben erneut hervorgeht".[2][3] Jedoch erscheint die Figur der Göttin in vielen Mythen auch als Gestalt, die dem heute geläufigen Bild des Weiblichen nicht zu entsprechen scheint. So wird sie auch mit scheinbar männlichen Attributen in Zusammenhang gebracht: mit Krieg, Jagd, Herrschaft, Gewalt und Macht, vollkommenem Geist und autonomer Sexualität, wie er dem bis heute historisch immer noch nicht aufgeklärten Mythos von den Amazonen zugrunde liegt. Darüber hinaus stellt sie auch das Prinzip des Todes dar, wobei das Leben gebende das Leben auch nimmt, wenn dies oft auch im Zusammenhang mit dem Glauben an einer hierdurch ermöglichten Wiedergeburt steht.[4] In der Rolle als Lebens- und Todesgöttin wird das Weibliche mit dem menschlichen Schicksal in Verbindung gebracht. Durch die gegensätzlichen Eigenschaften, die Göttinnen zugeschrieben werden, erscheinen viele (wie auch maskuline Götter) als Verkörperung der Vereinigung der komplementären Gegensätze wie Schöpfung/Zerstörung, Leben/Tod, Liebe/Hass, Gut/Böse, Geist/Materie, Licht/Dunkel.

Religionen des Altertums

Im mesopotamischen Raum gehören die Göttinnen mit zu den ältesten Gottheiten und einige Forscher vermuten, dass eine Dominanz weiblicher Gottheiten bis in die Vorgeschichte zurückreicht, da ein Großteil der gefundenen Skulpturen weiblich ist und männliche Skulpturen eher die Ausnahme bilden.

Umstritten ist in vielen Fällen, ob ein Primat von Göttinnen mit einem sozialen Matriarchat zusammenhing. Für den Kult der 'Großen Göttin' oder 'Großen Mutter', der in vielen Kulturen in unterschiedlichen Formen auftrat, wird eine Verehrung durch ein Patriarchat vermutet.[5]

Mit Ausnahme der hethitischen Sonnengöttin von Arinna stehen in den meisten Religionen des Altertums keine Göttinnen an der Spitze einer Götterhierarchie. Sie fungieren oft als Fruchtbarkeitsgöttinen, Muttergöttinen oder Erdgöttinnen oder auch nur „als spekulative Ergänzungen ihres Gatten ohne eigenen Tempel.“[6]

Die akkadische Ischtar - der sumerischen Innin und der westsemitischen Astarte entsprechend - war eine Kriegs-, Mutter- und Liebesgöttin. Als dominierende Göttin konnte ihr Name auch gleichbedeutend für Göttinnen überhaupt verwendet werden.[7]

Die Mythologie der Griechen und der Römer kennt auch zahlreiche Göttinnen. In der Antike galten neben den Parzen (Schicksalsgöttinnen) Artemis Eileithyia in Verbindung mit Hera, Juno und Lucina u. a. als Geburtsgöttinen.

Erd- und Fruchtbarkeitsgöttinen wurden auch in anderen Regionen verehrt, in denen Ackerbauern lebten, von Ägypten über den Orient und Kleinasien bis zu den Kelten, Germanen und Slawen (siehe Kalinka). Auch die amerikanischen Hochkulturen der Azteken, Mayas und Inkas verehrten Göttinnen.

Hinduismus, östliche und afrikanische Religionen

Bei Hindus auf der ganzen Welt ist der Glaube an die Gestalt Gottes in weiblicher Form sehr populär. Der Shaktismus, eine der drei Hauptströmungen, sieht die Göttin als über die männlichen Gottheiten dominierend an. Das Bild der schwarzen Göttin Kali, die triumphierend auf dem männlich gedachten, weißen Gott Shiva steht, drückt diese Überlegenheit aus. Dagegen zeigen andere Darstellungen dieselbe Göttin als tugendhafte, liebevolle Gattin Parvati an seiner Seite. Wieder andere weisen deutlich auf die Einheit von männlich/weiblich hin, wenn etwa die Tradition Rama und Sita in einer einzigen Lotusblüte darstellt oder das göttliche Liebespaar zu einer anscheinend untrennbaren Einheit umschlungen ist. In der Gestalt der Mahadevi hingegen erscheint die Göttin als höchste Gottheit und Allwesen, aus der die männlichen Götter hervorgehen.

Obwohl meist als polytheistisch bezeichnet, lehren alle hinduistischen Religionen das formlose göttliche Eine, wenn auch in unterschiedlichen Philosophien. Für Shaktianhänger ist dieses höchste Eine Shakti, die weiblich gedachte Form Gottes. Erscheint sie einmal als junge Frau ohne männliches Gegenstück wie Durga, ist sie dann wieder Ehefrau, Mutter oder sehnsuchtsvolle Geliebte; ist sie als Lakshmi die Göttin der Hausfrauen und der Schönheit, stellt sie als Saraswati die Herrin über Künste und Wissenschaften dar. Nicht nur die hinduistische Philosophie drückt die Einheit des Göttlichen aus, auch die Puranas und Tantras, Bücher, deren Wissen im Volk weit verbreitet ist, machen diese Tatsache in bildhafter Sprache, in Geschichten und in Gebeten deutlich:

Wie die Sonne, die sich in den Teichen spiegelt, als ungezählte Sonnen erscheint, so erscheinst auch du, O Mutter, als viele - Du Eine ohne Zweites, Höchstes Brahman! (aus der tantrischen Schrift Mahakalasamhita)

Auch in anderen östlichen Religionen ist der Glaube an Göttinnen nach wie vor verbreitet. So im Daoismus, im chinesischen Volksglauben, im Shintō, im Bön und im tibetischen Buddhismus. Auch in afroamerikanischen Religionen wie Candomblé, Santeria und Umbanda sowie in Naturreligionen werden Göttinnen verehrt.

Neuzeit

Während der Französischen Revolution wurde auf Betreiben Robespierres in den Jahren 1793 und 1794 versucht, die herkömmliche Religion durch den Kult einer allegorischen Göttin der Vernunft zu ersetzen. Bei den ersten Feierlichkeiten verkörperte eine Schauspielerin diese Göttin in der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Mit dem Ende der Herrschaft der Jakobiner scheiterte dieser Versuch eines atheistischen Staatskultes.

Mit dem Aufkommen von Wicca wurde die Idee einer Göttin auch in Europa und den USA wieder populär.

Siehe auch

Literatur

  • Art. Goddess Worship und Gods and Goddesses, in: Encyclopedia of Religion 2. A., Bd. 6, 3583-3624.
  • Stephen Benko: The Virgin Goddess: Studies in the Pagan and Christian Roots of Mariology, Studies in the History of Religions, Numen Bookseries 59, Leiden: E. J. Brill 1993
  • K.-H. Bernhardt: Art. Götter, fremde, in: Biblisch-historisches Handwörterbuch, Bd. 1, 590-593
  • Christoph Elsas: Art. Muttergottheit, in: Evangelisches Kirchenlexikon Bd. 3/8, 562-565
  • Marija Gimbutas: The Gods and Goddesses of Old Europe, 7000-3500 B. C.: Myths, Legends and Cult Images, Berkeley and Los Angeles 1974
  • W. Helck: Betrachtungen zur Großen Göttin und den ihr verbundenen Gottheiten (Religion und Kultur der alten Mittelmeerwelt in Parallelforschungen 2), München/Wien 1971
  • Monika Hörig: Dea Syria-Atargatis, in: W. Haase (Hrsg.): ANRW, II, 17.3, Berlin-New York 1984, 1536-1581.
  • Monika Hörig: Dea Syria. Studien zur religiösen Tradition der Fruchtbarkeitsgöttin in Vorderasien, Neunkirchen-Vluyn 1979.
  • E. O. James: The Cult of the Mother-Goddess. An Archeological and Documentary Study. New York/London 1959.
  • O. Keel / Christoph Uehlinger: Göttinnen, Götter und Gottessymbole: neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (Quaestiones disputatae 134), Freiburg i. Br. u. a. 1992; 5. A. 2001.
  • J. J. Preston (Hrsg.): Mother Worship, Theme and Variation, Chapel Hill/N. C. 1982
  • R. Stigliti: Die grossen Göttinnen Arkadiens, Wien 1967.
  • Christoph Uehlinger: Art. Nackte Göttin, B, in: Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie IX (1998-2001), 53-64.

Weblinks

  • Wiktionary Wiktionary: Göttin – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
  • Christl M. Maier: Artikel Göttin, in: Michaela Bauks/Klaus Koenen (Hrsg.), Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), 2006 ff.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Franz Sirocko (Hrsg.): Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung, 2009 Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, ISBN 978-3-534-22237-7, S. 79, Karte Verbreitung der Fundstellen von Venusstatuetten 34.000 -24.000 BP; Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Atlas der Vorgeschichte, 2009 Stuttgart, S. 28-29; vgl. auch Projekt Hypersoil Universität Münster, Mutter Erde in der Altsteinzeit
  2. Michael Dames: The Silbury Treasure, London, Neuedition Thames & Hudson, 1978, ISBN 978-0-500-27140-7; vgl. Harald Haarmann: Die Madonna und Ihre Töchter, Rekonstruktion einer kulturhistorischen Genealogie, Hildesheim-Zürich-New York 1996, Georg Olms, ISBN 3-487-10163-7, Seite 25 f.
  3. Manfred Kurt Ehmer: Die Weisheit des Westens, 1998 Düsseldorf, Patmos, ISBN 3-491-72395-7, S. 46
  4. Harald Haarmann: Die Madonna und Ihre Töchter, Rekonstruktion einer kulturhistorischen Genealogie, Hildesheim-Zürich-New York 1996, Georg Olms, ISBN 3-487-10163-7, Seite 34 ff.
  5. Carsten Colpe, Art. Gotteslehre, in: Evangelisches Kirchenlexikon (EKL) 2/4, 289
  6. K. H. Bernhardt, Art. Göttin, in: Biblisch-Historisches Handwörterbuch (BHH), Bd. 1, 600
  7. R. Border, Art. Ischtar, in: BHH 2, 778

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