Hammerflügel

Hammerflügel
Hammerflügel von Conrad Graf

Hammerklavier ist der Oberbegriff für besaitete Tasteninstrumente, deren Saiten durch kleine Hämmer, die in der Regel aus Holz bestehen und mit Filz oder Leder bespannt sein können, angeschlagen werden.

Inhaltsverzeichnis

Terminologie und Abgrenzung

Die Bezeichnung Hammerklavier diente damit ursprünglich der Abgrenzung zu besaiteten Tasteninstrumenten, bei denen die Saiten etwa wie beim Cembalo durch Federkiele angerissen oder wie beim Clavichord durch Tangenten zum Klingen gebracht wurden. Hammerklaviere treten in verschiedenen Bauformen in Erscheinung. Weiter unten werden die verschiedenen Bauformen näher beschrieben. An dieser Stelle jedoch des besseren Verständnisses wegen der Hinweis: Bei flügelförmigen Instrumenten spricht man in der Regel von Hammerflügeln, bei rechteckigen, tafelförmigen Instrumenten von Tafelklavieren.

Im Sinne dieser Terminologie ist auch das moderne Klavier ein Hammerklavier bzw. der moderne Flügel ein Hammerklavier oder auch Hammerflügel. In dem Maße, in dem nach 1800 Kielinstrumente und Clavichorde aus der Mode kamen und das Hammerklavier zum Standard-Tasteninstrument wurde, verkürzte sich der Name Hammerklavier auf den heute gebräuchlichen Begriff „Klavier“, eine Bezeichnung, die vorher – allerdings in der Schreibweise „Clavier“ – für das Clavichord benutzt wurde. Der so frei gewordene Begriff „Hammerklavier“ wurde indes im Rahmen der Renaissance historischer Tasteninstrumente wiederbelebt und wird inzwischen in der Regel für historisch frühe Bauformen der Hammerklaviere verwendet, die sich in verschiedenen Merkmalen vom modernen Klavier bzw. Flügel unterscheiden.

Merkmale

Das historische Hammerklavier unterscheidet sich vom modernen Klavier vor allem in folgenden Punkten:

Rahmenkonstruktion und Besaitung

Im Gegensatz zum modernen Klavier oder Flügel, bei dem die statische Belastung der Konstruktion durch den Saitenzug, die immerhin bis etwa 20 Tonnen betragen kann, von einem geschlossenen gusseisernen Rahmen getragen wird, besaßen Hammerklaviere zunächst keinen solchen Metallrahmen, sondern Rahmenkonstruktionen aus Holz, zum Teil punktuell unterstützt durch einzelne Streben oder Anhangplatten aus Metall. Das Fehlen eines geschlossenen metallischen Rahmens zur Aufnahme der Saitenzugspannung ist ein typisches Merkmal des Hammerklaviers und wird ermöglicht durch die beträchtlich niedrigere Saitenzugbelastung.

Die Besaitung des Hammerklaviers ist im Gegensatz zum modernen Klavier „leichter“ ausgeführt: weniger Saitenspannung, vergleichsweise dünne Saiten und besonders bei frühen Instrumenten in der Regel weniger Saiten. Die geringere Saitenanzahl ist einerseits Resultat des geringeren Tonumfangs: fünf Oktaven von Kontra-F bis f’’’ in der Zeit von ca. 1750 bis ca. 1800; sechs Oktaven (Kontra-F bis f’’’’) von ca. 1810 bis 1820; um 1825/30 sechseinhalb Oktaven; erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs der Tonumfang auf die heute übliche Größe an. Andererseits wurde der Bezug in Mittellage und Diskant zunächst zwei- und erst bei fortschreitender Entwicklung dreichörig ausgelegt.

Vor der Erfindung der heute üblichen kreuzsaitigen Bespannung, bei der die Bass-Saiten diagonal über die Saiten der Mittellage geführt werden, wurden alle Saiten parallel zueinander angeordnet. Diese gerade Ausrichtung und Aufhängung der Saiten macht sich beim Hammerflügel optisch im Gegensatz zum modernen Flügel in der dem Cembalo nahestehenden Flügelform bemerkbar.

Mechanik

Während heute einige wenige Ausführungen des gleichen Klaviermechanik-Typs den Markt beherrschen, gab es am Anfang der Geschichte des Hammerklaviers beinahe so viele Mechanik-Konstruktionen wie Klavierbauer. Zwei Grundtypen kristallisierten aber sich schnell heraus: die Prellmechanik, auch „Wiener Mechanik“ oder „Deutsche Mechanik“ genannt, und die Stoßzungenmechanik, auch „Englische Mechanik“ genannt. Während sich die Stoßzungenmechanik gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchsetzte, weiterentwickelt wurde und den heute standardisierten Mechaniktyp darstellt, findet sich die Wiener Mechanik heute nur noch in historischen Instrumenten und deren Nachbauten.

Die Hammerköpfe sind bei Hammerklavieren kleiner und leichter als heute. Bei einigen frühen Instrumenten (u. a. bei Tangentenflügeln und Instrumenten von Johann Andreas Stein) bestanden diese zunächst nur aus Holz, manchmal sogar aus Elfenbein, so dass der erzeugte Klang demjenigen eines Cembalos sehr nahe kam. Sehr bald aber wurden sie mit Leder bezogen. Schon bald wurde mit Kombinationen von Filz und Leder experimentiert. Erst nachdem Henri Pape 1826 ein Patent auf die Befilzung von Hammerköpfen angemeldet hatte, konnte sich Filz als alleiniges Hammerkopfbezugsmaterial immer mehr durchsetzen, bis sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts Filz als alleiniges Material etablierte.

Klang

Die genannten konstruktiven Unterschiede führen beim Hammerklavier zu einem Klangbild, das sich vom heute gewohnten Klavierklang deutlich abhebt. Der Klang des Hammerklaviers ist obertöniger, leiser, weniger voluminös, aber doch gesanglich und gut verschmelzungsfähig. Er ist „trockener“ und in den verschiedenen Lagen deutlich unterschiedlich; umgekehrt schneiden die Dämpfer den Klang nicht rigoros ab, sondern lassen die Saite noch ein wenig nachklingen. Während dieses von an den modernen Klavierklang gewöhnten Hörern zunächst als unausgeglichen empfunden werden kann, macht es doch den besonderen Reiz des Hammerklaviers aus. Manche Musik aus der Zeit der frühen Hammerklaviere erscheint, auf diesem Instrument gespielt, in einem ganz neuen Licht: Weil etwa der Bass des Hammerklaviers im Vergleich zum modernen Klavier viel heller, durchsichtiger und gut zeichnend klingt, klingen tiefliegende Akkorde ungewohnt klar.

Klangveränderungen

Viele Hammerklaviere des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts verfügen neben den noch im heutigen Klavierbau üblichen Klangvariationen

  • Forte bzw. Dämpfungsaufhebung (rechtes Pedal): Aufhebung aller Dämpfer, sodass Töne auch nach Loslassen der Tasten weiterklingen und durch gegenseitige Resonanzen den Klang verstärken;
  • Una corda (linkes Pedal): Verschiebung von Klaviatur und Mechanik mit Hämmern, sodass diese nicht mehr alle Saiten eines Saitenchors anschlagen;

über weitere Klangeffekte, die über Pedale oder Kniehebel eingeschaltet wurden. Die wichtigsten dieser sogenannten „Veränderungen“ waren:

  • Moderator: ein zwischen Hämmer und Saiten schiebbarer Filz-Streifen dämpft den Klang;
  • Fagott-Zug: eine Rolle aus Pergament auf den Saiten erzeugt eine schnarrende Klangfarbe;
  • Janitscharen-Zug: Trommel, Becken und Schellen der Janitscharenmusik, eines marschmusikartigen Schlagzeug-Effekts, werden durch einen gegen den Unterboden schlagenden Lederklöppel (Trommel), durch anzuschlagende Schalenglöckchen (Schellen) und durch einen Metallbügel, der auf die Bass-Saiten des Instruments schlägt und diese zum „Scheppern“ bringt (Becken), imitiert;
  • Harfenzug: ein an das Saitenende schiebender Filzkeil verringert das Obertonspektrum - vergleichbar mit dem Lautenzug des Cembalos.

Geschichte

Als Erfinder des Hammerklaviers gilt Bartolomeo Cristofori, der um 1711 erste Exemplare fertigte. Unabhängig davon erfanden auch der Franzose Jean Marius (1716) und der Nordhäuser Christoph Gottlieb Schröter (1717) ein Tasteninstrument, dessen Saiten nicht angezupft, sondern von Hämmern angeschlagen wurden. Ganz neu war die Idee, besaitete Tasteninstrumente mit einer Hammermechanik auszurüsten, zu dieser Zeit jedoch nicht. Bereits in einem mittelalterlichen Traktat des Arnault Henry de Zwolle wird eine Mechanik vorgestellt, die augenscheinlich eine primitive Hammermechanik zu sein scheint.

Für die Weiterentwicklung des Hammerklaviers im 18. Jahrhundert in Deutschland war vor allem Gottfried Silbermann (1683–1753) bedeutend, der nicht nur einer der berühmtesten Orgelbauer seiner Zeit, sondern auch innovativ im Bau besaiteter Tasteninstrumente wie Cembalo, Clavichord und Hammerklavier war. Seine Hammermechaniken gleichen denen Cristoforis relativ stark.

Der derzeit älteste datierte Wiener Hammerflügel (noch mit hölzernen Hammerkapseln) in der Sammlung alter Musikinstrumente im Kunsthistorischen Museum Wien wurde 1787 von Johann Gottfried Malleck gebaut (KHM/SAM 960).

Für das neue Instrument entstand bald eine eigene Sparte Musik. Während bei der „Clavier“-Musik des frühen 18. Jahrhunderts meist offen gelassen wird, auf welchem Tasteninstrument sie auszuführen ist, entwickelte sich für das Hammerklavier bald ein eigenes Genre. Ein Kuriosum ist diesbezüglich das Doppelkonzert für Cembalo, Hammerklavier und Orchester Es-dur (1788) von Carl Philipp Emanuel Bach, in dem der 74-jährige Bach die beiden Instrumente ausdrücklich aufeinander treffen lässt. Von den mittleren und späten Klavierwerken Mozarts und Haydns lassen sich viele relativ eindeutig dem Hammerklavier zuordnen. Ausdrücklich wird die Zuordnung jedoch in dieser Zeit nur selten erwähnt. Eine ausdrückliche Besetzungsangabe findet sich etwa für Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 29 op. 106, die sogenannte „Hammerklavier-Sonate“, während frühe Sonaten des Komponisten eher aus verkaufstechnischen denn aus musikalischen Gründen noch unter der Angabe „für Cembalo oder Hammerklavier“ veröffentlicht wurden: Da viele Musikliebhaber damals noch Cembali benutzt haben dürften, erschien es Verlegern und Komponisten wohl geraten, auf eine genaue Festlegung zu verzichten, um keine Kunden zu verlieren.

Das veränderte Klangideal am Ende des 18. Jahrhunderts führte schnell zum weitgehenden Aussterben des Cembalos. In England wurden Cembali noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts gebaut, die als Besonderheit ein Pedal zur Registerschaltung und manchmal eines zur Betätigung eines Schwellers aufweisen, da man auf diesen späten Cembali (v. a. Jacob und Abraham Kirkman) analog zum Pianoforte auch unterschiedliche Lautstärken erzeugen wollte. Auf dem europäischen Festland hatte sich zu dieser Zeit bereits das Hammerklavier fest etabliert.

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts machte die Entwicklung des Hammerklaviers große Fortschritte, insbesondere wurde der Tonumfang vergrößert, was die Belastung des nach wie vor weitgehend aus Holz bestehenden Rahmens vergrößerte. Dem Wunsch nach mehr Tonvolumen trugen die Klavierbauer mit einer verstärkten Saitenbespannung (dickere Saiten mit stärkerem Zug), zusätzlichen Saitenchören und einer massiveren Bauweise der Anschlagsmechanik Rechnung. Mit der stärkeren Zugbelastung der Saitenbespannung wurde auch eine Verstärkung der Rahmenkonstruktion notwendig. Während etwa die Hammerklaviere der Mozartzeit noch weitgehend ohne Metallstreben auskamen, wurden im 19. Jahrhundert metallene Streben und Spreizen – zum Teil kombiniert mit metallenen Anhangflächen – zur Regel.

Mit der Entwicklung von Hammerklavieren mit einem metallenen Rahmen, kombiniert mit kreuzsaitigem Bezug – erstmals realisiert bei einem Tafelklavier durch Henry Steinway 1859 – und der Doppelrepetitionsmechanik durch Sébastien Érard (ab 1823) wird der Übergang zum modernen Klavier eingeleitet, der deutlich fließend ist. Die Entwicklung zum modernen Klavier ist etwa um 1875 mit der Durchsetzung des vollen gusseisernen Rahmens, kombiniert mit kreuzsaitiger Bespannung und einer vergleichsweise kräftig ausgeführten Anschlagsmechanik, was in der Summe zu dem heute vertrauten voluminösen Klavierklang und der modernen Flügelform mit seinen Rundungen führt, weitgehend abgeschlossen.

Gegenwart

In den letzten Jahrzehnten erfuhr das Hammerklavier, besonders seine frühen Formen aus der Zeit gegen Ende des 18. Jahrhunderts, eine Neuentdeckung im Rahmen der historischen Aufführungspraxis. Inzwischen gibt es von den Solowerken und Klavierkonzerten C. P. E. Bachs, Mozarts und anderer Komponisten des Zeitalters Aufführungen und CD-Einspielungen mit originalen oder nachgebauten Hammerklavieren, die die Wiederbelebung eines Klangbilds anstreben, wie es den jeweiligen Komponisten und ihrem zeitgenössischen Publikum vor Ohren stand.

Seit einigen Jahren finden jedoch auch die Hammerklaviere der Frühromantik sowie die Übergangsformen zum modernen Klavier Beachtung, da auch sie aufgrund ihres spezifischen Klangbildes eine authentische Aufführung der für sie geschriebenen Musik ermöglichen.

Bezeichnungen und Bauformen

Pyramidenflügel von Christian Ernst Friderici im Goethe-Haus Frankfurt

Da durch die Klangerzeugung mithilfe von Hämmern eine Differenzierung von Lautstärken möglich wurde, benannte man Hammerklaviere auch nach dieser neuen Fähigkeit „Piano e Forte“ (= leise und laut) oder „Fortepiano“.

Durch die verschiedenen Anordnungsmöglichkeiten des Saitenbezugs ergaben sich verschiedene Bauformen mit zum Teil recht anschaulichen Namen:

  • Tafelklavier, Square Piano: ein Hammerklavier, bei dem die Saiten ähnlich wie beim Clavichord quer, dabei oft leicht schräg, zu den Tasten verlaufen
  • Hammerflügel, Grand Piano: ein Hammerklavier in Flügelform
  • Quer-Hammerflügel: ein Mischling aus Tafelklavier und Flügel, ähnlich den sogenannten Bentside-Spinetten
  • Pyramidenflügel: ein Hammerklavier mit aufrecht stehendem Saitenbezug (wie beim modernen Klavier) und Pyramidenform
  • Lyraflügel: dito in Lyraform
  • Giraffenklavier: dito in Giraffenform
  • Schrankklavier: dito in Schrankform
  • Pianino, Piano droit

Berühmte Erbauer von Hammerklavieren

John Broadwood & SonsJoseph BrodmannIgnaz BösendorferBartolomeo CristoforiJohann Christoph JeckelFriedrich EhrbarSébastien ÉrardConrad GrafJohann Adolph IbachHeinrich KistingJohann Gottfried Malleck, Pleyel & LyonMichael RosenbergerMichael SchweighoferMartin SeuffertGottfried SilbermannJohann Andreas SteinMatthäus Andreas und Carl SteinTheodor StöckerNannette StreicherAnton Walter • etc.

Weitere Klavierbauer finden sich in der Liste von Klavierbauern

Hersteller von Hammerklavier-Kopien im 20./21. Jahrhundert

  • Robert Brown, Oberndorf bei Salzburg
  • Ugo Casiglia, Cinisi, Palermo, Italien
  • Christoph Kern, Staufen im Breisgau
  • Paul McNulty, Divisov, Tschechien
  • J. C. Neupert (gegr. 1868), Bamberg
  • Andrea Restelli, Milano, Italien
  • Michael Walker, Altneudorf bei Heidelberg
  • Mirko Weiss, Niederscherli bei Bern, Schweiz
  • Ambrosius Pfaff, Locarno, Schweiz

Bekannte Pianisten, die Hammerklaviere spielen

Siehe auch

Literatur

  • Martha Novak Clinkscale: Makers of the Piano, 1700–1820. Oxford: Oxford Univ. Press, 1993.

Weblinks


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