Alkoholentzug

Alkoholentzug

Eine Alkoholkrankheit oder -abhängigkeit, früher auch „Dipsomanie“, „Potomanie“, „Trunksucht“, „Alkoholsucht“ oder „Alkoholismus“ genannt, ist eine Abhängigkeit von der psychotropen Substanz Ethanol. Es handelt sich um eine progressive Krankheit, in deren Verlauf sich die Beschaffung und der Konsum von Alkohol zum lebensbestimmenden Inhalt entwickeln kann. Typische Symptome sind der Zwang zum Konsum, fortschreitender Kontrollverlust, Vernachlässigung früherer Interessen zugunsten des Trinkens, Leugnen des Suchtverhaltens, Entzugserscheinungen bei Konsumreduktion, Nachweis einer Toleranz gegenüber Alkohol („Trinkfestigkeit“)[1] sowie der Veränderung der Persönlichkeit[2].[3] Der übermäßige Konsum wird auch als Alkoholabusus oder Alkoholmissbrauch (Alkoholkonsum mit nachweislich schädlicher Wirkung) bezeichnet, im medizinischen Jargon manchmal stark vereinfachend auch als C2-Abusus (Die chemische Summenformel von Ethanol ist C2H5OH, C steht für Kohlenstoff).

Klassifikation nach ICD-10
F10.2 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol (Abhängigkeitssyndrom)
ICD-10 online (WHO-Version 2006)
Geleerte Flaschen hochprozentigen Alkohols

Inhaltsverzeichnis

Krankheitsverlauf und -bild

Es gibt keinen einheitlichen Krankheitsverlauf. Die Vorstellung von einer Alkoholabhängigkeit als einer einheitlich verlaufenden, chronisch-progredienten, schließlich zu sozialem Abstieg oder Tod führenden Erkrankung hat sich als falsch erwiesen. Es wird allerdings aus Gründen der Vollständigkeit der Ansatz von Jellinek dargestellt, welcher heute aber nur noch historischen Wert hat.[4]

Das ICD-10 klassifiziert Alkohol in der Kategorie F10 „Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol“. Die Kodierungen im amerikanischen System DSM IV sind 303.90 für Alkoholabhängigkeit und 305.00 für Alkoholmissbrauch.

Um den Krankheitswert der Störung zu betonen, aber auch um die Hemmschwellen bezüglich Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe abzubauen, wird in der heutigen Beratungsliteratur weitgehend auf den in der wissenschaftlichen Literatur verwendeten Ausdruck „Alkoholismus“ verzichtet.

Die Alkoholkrankheit kann bereits durch den regelmäßigen Konsum kleinerer Mengen beginnen. Nicht immer fallen die Betroffenen durch häufige Rauschzustände auf. Die Alkoholkrankheit eines Betroffenen ist nicht immer nach außen hin bemerkbar. Ist der Betroffene weiterhin leistungsfähig, spricht man von einem funktionierenden Alkoholiker. Die Alkoholkrankheit verläuft relativ unauffällig und langsam (meist über mehrere Jahre hinweg). Den erkrankten Personen wird die Schwere ihrer Erkrankung oft nicht bewusst und von den Süchtigen wird diese oft ganz negiert.

Noch immer sind Männer weitaus häufiger betroffen als Frauen. Von den mehr als 2,5 Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland[5] sind etwa 70 Prozent Männer, wobei die Tendenz bei Frauen steigend ist. Auch beginnt der Krankheitsverlauf bei Männern meist früher: Während Frauen im Regelfall erst im mittleren Lebensalter beginnen, auffällig zu trinken, sind bei Männern die Anfänge eines exzessiven Trinkverhaltens meist schon in der frühen Jugend erkennbar.

Wegen des hohen Abhängigkeitspotentials von Ethanol wird häufig der ausnahmslose Verzicht auf alkoholische Getränke, Speisen, Medikamente usw. propagiert. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht man Unterstützung, etwa durch Selbsthilfegruppen und Psychotherapien.

Übermäßiger Alkoholkonsum kann schwere und bleibende psychische und körperliche Folgeerkrankungen verursachen. Die Alkoholkrankheit verläuft nicht selten tödlich, wenngleich die direkten Todesursachen meist durch die Folgekrankheiten (Leberzirrhose und multiple Organschädigungen, Herzinfarkt, Demenz) bedingt sind.

siehe auch Abschnitt → Folgekrankheiten (im Artikel)

Ursprünglich angenommener Krankheitsverlauf (nach Jellinek)

Der amerikanische Physiologe Elvin Morton Jellinek formulierte 1951 ein bis heute weit verbreitetes Modell vom Verlauf der Alkoholkrankheit. Hierbei werden vier Phasen unterschieden:

Symptomatische Phase

Der Beginn des Konsums alkoholischer Getränke ist immer sozial motiviert. Im Gegensatz zu durchschnittlichen Trinkern empfindet der spätere Alkoholiker befriedigende Erleichterung, entweder weil seine inneren Spannungen größer sind oder er – im Gegensatz zu anderen – nicht gelernt hat, mit diesen umzugehen. Anfangs schreibt der Trinker seine Erleichterung eher der Situation zu (lustige Gesellschaft) als dem Trinken. Er sucht Gelegenheiten, bei denen beiläufig getrunken wird.

Im Laufe von Monaten bis Jahren lässt seine Toleranz für seelische Belastungen so sehr nach, dass er praktisch tägliche Zuflucht im Alkohol sucht. Da er nicht offen betrunken ist, erscheint sein Trinken weder ihm noch seiner Umgebung verdächtig. Mit der Zeit erhöht sich die Alkoholtoleranz. Der Alkoholiker entwickelt einen gesteigerten Bedarf. Nach weiteren Monaten bis Jahren geht das Stadium vom gelegentlichen zum dauernden Erleichterungs-/Entlastungstrinken über. Für die gleiche Wirkung wird immer mehr Alkohol benötigt.

Vorläufer-Phase

In der Vorläufer-Phase (prodromale Phase) der Abhängigkeit können plötzlich Erinnerungslücken, Amnesien ohne Anzeichen von Trunkenheit auftreten. Der Trinker kann Unterhaltungen führen und Arbeiten leisten, sich aber am nächsten Tag tatsächlich nicht mehr erinnern. Bier, Wein und Spirituosen hören auf, Getränke zu sein, sondern werden zur dringend benötigten Droge („Medizin“). Dem Trinker wird allmählich bewusst, dass er anders trinkt als andere. Er beginnt, sich zu schämen und vor Beurteilung durch andere zu fürchten. Er trinkt heimlich bei geselligen Gelegenheiten und legt sich Verstecke mit größeren Alkoholvorräten an. Der Alkoholiker denkt dauernd an Alkohol. Wegen der verstärkten Abhängigkeit tritt das „gierige Trinken“ auf, das Herunterkippen des ersten Glases oder der ersten Gläser. Der Alkoholiker spürt, dass etwas nicht stimmt, und entwickelt Schuldgefühle und Scham wegen seiner Trinkart. Er vermeidet Anspielungen auf Alkohol und Trinkverhalten in Gesprächen.

Oft verdrängt er eigentliche Bedürfnisse oder ist zu depressiv, etwas zu ändern. Teils entlähmt der Alkohol und hilft, wie gehabt zu funktionieren.

Der Alkoholkonsum ist bis hierhin schon hoch, fällt aber nicht besonders auf, da er zu keinem deutlichen Rausch führt. Diese Phase endet mit „zunehmenden Gedächtnislücken“. Durch die täglichen Betäubungen mit Alkohol verändern sich Nerven- und Stoffwechselvorgänge. Die körperliche Leistungsfähigkeit und Abwehrkräfte nehmen langsam ab. Es kommt häufiger zu Erkältungskrankheiten oder Kreislaufstörungen.

Die kritische Phase

In der kritischen Phase erleidet der Kranke Kontrollverluste. Schon nach dem Konsum kleiner Mengen Alkohols entsteht ein intensives Verlangen nach mehr, das erst endet, wenn der Trinker zu betrunken oder zu krank ist, um mehr zu trinken (Craving). Ein Rest von Kontrolle besteht noch. Der Betroffene versucht, sich zu „beherrschen“. Er verspricht Abstinenz und versucht, sie auch einzuhalten, scheitert damit aber auf Dauer. Er sucht Ausreden für sein Trinken. Jeder Kontrollverlust habe einen guten äußeren Grund gehabt.

Die Erklärungsversuche seines Verhaltens sind ihm wichtig, da er außer dem Alkohol keine anderen Lösungen seiner Probleme kennt. Parallel erweitert sich ein ganzes Erklärungssystem, das sich auf das gesamte Leben ausdehnt. Er wehrt sich damit gegen soziale Belastungen. Wegen seiner Persönlichkeitsveränderung entstehen immer häufiger Konflikte mit der Familie. Der Süchtige kompensiert sein schrumpfendes Selbstwertgefühl durch gespielte übergroße Selbstsicherheit nach außen.

Das Erklärungssystem und die Konflikte isolieren den Kranken zunehmend. Er sucht aber die Fehler nicht bei sich, sondern bei den anderen und entwickelt ein auffälliges Verhalten. Als Reaktion auf den sozialen Druck durchlebt mancher Kranke Perioden völliger Abstinenz. Er versucht eine andere Methode, sein Trinken zu kontrollieren. Er ändert das Trinksystem und stellt Regeln auf (nur bestimmte Alkoholarten an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten). Dabei trifft er oft auf mangelndes Verständnis seiner Umgebung („ein Bier ist doch o.k.“, „Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren…“, „Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils“). Der Trinker verliert das Interesse an seiner Umgebung, richtet seine Tätigkeiten nach dem Trinken aus und entwickelt ein auffallendes Selbstmitleid. Die soziale Isolation und die Verstrickung in Lügen und Erklärungen sind besonders auffällig.

Das Familienleben ändert sich. Die Familie, die den Trinkenden oft noch „deckt“ (Co-Alkoholismus, Co-Abhängigkeit), isoliert sich gesellschaftlich oder – ganz im Gegenteil – flüchtet sich vor dem häuslichen Umfeld in ausgiebige Aktivitäten. Der Alkoholiker reagiert mit grundlosem Unwillen. Wenn der „Stoff“ fehlt, startet er abenteuerliche Beschaffungsversuche. Er versucht, seinen Vorrat zu sichern, indem er Alkohol an den ungewöhnlichsten Orten versteckt. Körperliche Folgen treten auf, wie Händezittern, Schweißausbrüche und sexuelle Störungen wie Impotenz.

Die chronische Phase

Die chronische Phase endet in der Zerstörung des Menschen. Der Alkoholiker baut ethisch ab, Rauschzustände werden länger.

Bei einigen treten alkoholische Psychosen wie Schizophrenie auf. Der Betroffene trinkt mit Personen weit unter seinem bisherigen sozialen Niveau. Falls keine alkoholischen Getränke verfügbar sind, konsumiert er unter Umständen sogar vergällten Alkohol (etwa Brennspiritus).

Ein Verlust der Alkoholtoleranz fällt auf, der Alkoholiker verträgt weniger. Es treten undefinierbare Angstzustände und Zittern auf. Auf die Entzugssymptome reagiert der Alkoholiker mit zwanghaft-maßlosem Trinken. Viele Alkoholiker entwickeln unbestimmte religiöse Wünsche. Die Erklärungsversuche werden schwächer; es kommt der Punkt, an dem das Erklärungssystem versagt. Der Süchtige gibt seine Niederlage zu. Der Kranke bricht zusammen, nicht wenige begehen Suizid.

Trinkt der Kranke weiter, treten im Alkoholdelirium Alkoholpsychosen mit Halluzinationen, Angst und Desorientierung auf. Die schwerste Folge ist das lebensgefährliche Delirium tremens, das bei plötzlichem Alkoholentzug auftreten kann. Jetzt werden auch Schizophrenie oder Epilepsie mit lebensbedrohlichen Zuständen offensichtlich. In dieser Endphase ist der Kranke am ehesten bereit, Hilfe anzunehmen. Eine Einweisung in eine spezielle Entgiftungsklinik ist für ihn lebensrettend – und der mögliche Einstieg in eine Entwöhnungsbehandlung. Die Erfolgsraten sind jedoch gering, mehrfache Langzeittherapien die Regel.

Ursprünglich angenommene Ausprägungen der Krankheit (nach Jellinek)

Auf Jellinek geht auch die gebräuchlichste Einteilung von Erscheinungsformen der Alkoholkrankheit zurück:

  • Der Alpha-Typ (Erleichterungstrinker) trinkt, um innere Spannungen und Konflikte (etwa Verzweiflungen) zu beseitigen („Kummertrinker“). Die Menge hängt ab von der jeweiligen Stress-Situation. Es besteht vor allem die Gefahr psychischer Abhängigkeit, da noch keine körperliche Abhängigkeit eingetreten ist. Alphatrinker sind nicht alkoholkrank, aber gefährdet.
  • Der Beta-Typ (Gelegenheitstrinker) trinkt bei sozialen Anlässen große Mengen, bleibt aber sozial und psychisch unauffällig. Betatrinker haben einen alkoholnahen Lebensstil. Gesundheitliche Folgen entstehen durch häufigen Alkoholkonsum. Sie sind weder körperlich noch psychisch abhängig, aber gefährdet.
  • Der Gamma-Typ (Rauschtrinker, Alkoholiker) hat längere abstinente Phasen, die sich mit Phasen starker Berauschung abwechseln. Typisch ist der Kontrollverlust: Er kann nicht aufhören zu trinken, auch wenn er bereits das Gefühl hat, genug zu haben. Auch wenn er sich wegen der Fähigkeit zu längeren Abstinenzphasen sicher fühlt, ist er alkoholkrank.
  • Der Delta-Typ (Spiegeltrinker, Alkoholiker). Die Bezeichnung Spiegeltrinker bezieht sich bei dieser Alkoholismusform auf den Blutalkoholspiegel, also die Konzentration des Alkohols im Blut des Abhängigen; diese wird von ihm möglichst gleichbleibend im Tagesverlauf (und auch nachts) gehalten. Dabei kann es sich durchaus um vergleichbar geringe Konzentrationen handeln, die aber im Verlauf der fortschreitenden Erkrankung und der damit sich erhöhenden Alkoholtoleranz ansteigen. Der Abhängige bleibt lange Zeit sozial unauffällig („funktionierender Alkoholiker“), weil er selten erkennbar betrunken ist. Dennoch besteht eine starke körperliche Abhängigkeit, so dass er ständig Alkohol trinken muss, um Entzugssymptome zu vermeiden. Durch das ständige Trinken entstehen körperliche Folgeschäden. Deltatrinker sind nicht abstinenzfähig und alkoholkrank.
  • Der Epsilon-Typ (Quartalstrinker, Alkoholiker) erlebt in unregelmäßigen Intervallen Phasen exzessiven Alkoholkonsums mit Kontrollverlust, die Tage oder Wochen dauern können. Dazwischen kann er monatelang abstinent bleiben. Epsilon-Trinker sind alkoholkrank.

Folgekrankheiten

Bei einmaligem Alkoholmissbrauch

Übermäßiger Alkoholkonsum schädigt den Körper auf vielfältige Weise. Ab einer gewissen Blutalkoholkonzentration tritt eine Alkoholvergiftung ein. Der Schweregrad reicht von leichten Rauschzuständen (0,5 bis 1,0 Promille) bis zum alkoholischen Koma. Blutalkoholkonzentrationen von über vier Promille führen häufig zum Tode, es wurden jedoch auch schon höhere Werte im Zuge von Verkehrskontrollen bei Autofahrern dokumentiert.

Bei chronischem Alkoholmissbrauch

Langfristiger Alkoholmissbrauch führt zu zahlreichen chronischen Folgekrankheiten. Alkoholkonsum beeinträchtigt den Stoffwechsel, insbesondere den Fettstoffwechsel. Typische alkoholbedingte Schädigungen der Leber sind etwa Fettleber, Alkohol-Hepatitis und Leberzirrhose. Äußerlich können sie von Leberhautzeichen begleitet sein. Die Bauchspeicheldrüse kann sich akut oder chronisch entzünden (Pankreatitis). Während eine akute Pankreatitis direkt tödlich sein kann, kann als Folge einer chronischen Pankreatitis eine exkretorische Insuffizienz oder ein Diabetes mellitus auftreten. Das Muskelgewebe der Skelettmuskulatur und des Herzmuskels wird geschädigt (alkoholische Myopathie). Weitere Erkrankungen sind Gicht und hormonelle Störungen.

Chronischer Alkoholismus führt zu verringerter Produktion des Proteins Folattransporter 1 in Nierenzellen und damit zu verringerter Wiederaufnahme ausgeschiedener Folsäure (ein Vitamin). Auf der anderen Seite nimmt der geschädigte Darm nur noch ein Bruchteil der Folsäure auf, die ohnehin in der Nahrung nicht ausreichend vorhanden ist. Aus beiden Fakten erklären sich erniedrigte Folat-Plasmagehalte bei diesen Kranken und, in der Folge, weitere Stoffwechselstörungen und Fehlgeburten.[6][7]

Chronischer Alkoholkonsum, oft in Verbindung mit Fehlernährung oder Tabakkonsum, schädigt die Schleimhäute in Mund, Rachen, Speiseröhre und Magen. Am häufigsten sind Speiseröhrenentzündungen und Magenschleimhautentzündungen (Gastritis). Krebserkrankungen im Nasenrachenraum und Kehlkopfkrebs sind bei Alkoholkranken häufiger als in der übrigen Bevölkerung. Besonders hochprozentige Getränke begünstigen Speiseröhrenkrebs. Als Folge der Leberzirrhose können sich auch Krampfadern in der Speiseröhre bilden. Die gerötete Knollennase (Rhinophym) wird durch Alkoholkonsum nicht verursacht, aber verschlimmert.

Das Herz-Kreislauf-System ist ebenfalls betroffen. Alkoholmissbrauch kann zu Bluthochdruck, Herzmuskelerkrankungen, koronarer Herzkrankheit und Anämie beitragen.

Alkoholkonsum beeinträchtigt Gehirn und Nervensystem. Schon bei einzelnen Räuschen treten Gedächtnislücken („Filmrisse“) auf. Langfristig bilden sich chronische neuropsychologische Defizite in den Bereichen Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis, Lernfähigkeit, räumliches Vorstellungsvermögen, Zeitwahrnehmung und Problemlösungsstrategien. Dazu kann es zu sozialen Störungen wie dem alkoholischen Eifersuchtswahn und zu sexuellen Deviationen kommen.

Eine über Jahre bestehende Alkoholkrankheit führt häufig zum Absterben der Purkinjezellen in der Kleinhirnrinde. Die Folge davon sind Ataxie und andere Symptome einer schweren Kleinhirnschädigung. Weitere Krankheiten in diesem Zusammenhang sind das Wernicke-Korsakow-Syndrom, die hepatische Enzephalopathie, die alkoholbedingte Polyneuropathie, der alkoholische Tremor, die funikuläre Myelose, die zentrale pontine Myelinolyse, eine allgemeine oder umschriebene Hirnatrophie, Hirngefäßschädigungen (die das Risiko für Schlaganfälle und Hirnblutungen erhöhen), epileptische Anfälle und das Delirium tremens. Bedingt durch die epileptischen Krampfanfälle und die damit verbundene Übersäuerung des Muskelgewebes kann es zu einer Erhöhung des Kreatininspiegels kommen, was zu einer irreversiblen Schädigung der Nieren führen kann.

Krankheitsursachen

Individuelle und familiäre Ursachen

Die Hauptursache für die Erkrankung scheint in der psychosozialen Entwicklung zu liegen. Alkohol – und Drogen allgemein – werden häufig zum Abbau innerer Spannungen eingesetzt. Ein Grund für Spannungen entsteht, wenn das Selbstbild eines Menschen (etwa besonders männlich oder erfolgreich zu sein) durch gegenteilige Erfahrungen in der Realität gefährdet wird. Drogenkonsum ist daher häufig bei Menschen zu beobachten, die dem narzisstischen Persönlichkeitstypus entsprechen.

Allerdings werden auch genetisch verursachte Unterschiede diskutiert, etwa im Alkoholabbau (Effizienz der Alkoholdehydrogenase) oder im Neurotransmitterstoffwechsel des Gehirns. Grundsätzlich muss wohl – wie bei vielen psychischen Erkrankungen – von einer multifaktoriellen Entstehung ausgegangen werden, die auch von der so genannten Vulnerabilität (psychischen Verletzlichkeit) des Einzelnen abhängt.

Erbliche Faktoren spielen in vielen Fällen eine entscheidende Rolle. Viele Alkoholiker haben oder hatten bereits Suchtkranke in der Familie. Wissenschaftler und Ärzte sind sich jedoch nicht schlüssig, ob das Suchtverhalten in diesen Fällen wirklich vererbt oder eher erlernt/abgeguckt ist. Einige Studien (vor allem an Zwillingen) lassen jedoch vermuten, dass die Vererbung eines erhöhten Suchtpotentials wahrscheinlich ist.

Neuere Untersuchungen gehen von einer 50- bis 60-prozentigen genetischen Disposition aus. Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) teilten in der Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“ mit, dass Untersuchungen zufolge zwei Mutationen im CRHR1-Gen die Anfälligkeit zum gesteigerten Alkoholkonsum beeinflussen. Dieses Gen ist für ein Protein verantwortlich, welches bei der Verarbeitung von Stress und der Steuerung von Gefühlen eine Rolle spielt. Das Risiko der Erkrankung von Kindern, die getrennt von ihren alkoholkranken Eltern aufwuchsen, ist immer noch drei- bis viermal höher als das von Kindern nicht alkoholkranker Eltern. Eine Veränderung des MAOA-Gens scheint mit Alkoholismus, Drogenmissbrauch und antisozialem Verhalten in Verbindung zu stehen.[8]

Die Probleme eines Alkoholkranken werden oft vom Lebenspartner und von der ganzen Familie mitgetragen oder kompensiert. Einerseits gewinnen sie aus ihrer Hilfeleistung eine persönliche oder gesellschaftliche Anerkennung, andrerseits auch eine Entwertung. Denn auf lange Sicht entwickelt sich bei ihnen ein Ausgebranntsein, das so genannte Burnout-Syndrom. Das Gefühl, dem Alkoholkranken zu helfen, kann anfangs das persönliche Selbstwertgefühl steigern, aber später bleibt nur ein Gefühl der Hilflosigkeit. Dieses Verhalten ist unter dem Namen Helfersyndrom bekannt. In Selbsthilfegruppen – Al-Anon – wird die Alkoholkrankheit als Familienkrankheit gesehen. Der Grund: In der Partnerschaft und in der Familie tragen alle dazu bei, dass die Sucht besteht, und zwar durch Verleugnung der Probleme und der Denkmuster, und natürlich durch das Verhalten der Angehörigen selbst, wodurch die Sucht des betroffenen Alkoholikers stabilisiert und gefördert wird. Partner, die solchen Mechanismen unterliegen, werden auch als Co-Alkoholiker bezeichnet.[9]

Gesellschaftliche Ursachen

Alkohol ist in vielen Kulturen eine gesellschaftlich anerkannte, einfach und billig zu beschaffende Droge, deren Konsum in manchen Situationen geradezu erwartet wird. Beispiele sind die „bürgerliche“ Trinkkultur (Wein, Sekt, Whisky) oder das „proletarische“ gemeinsame „Saufen“ von Bier und Schnaps. Die Grenzen sind hier jedoch fließend, so ist beispielsweise das „Feierabendbierchen“ auch in „höheren“ Schichten eine Normalität. Alkohol ist in vielen Nationen in den Alltag integriert. Besonders „trinkfeste“ Männer gelten als bewundernswert männlich und erfahren. Dies erschwert die Auseinandersetzung mit dem Problem und begünstigt Alkoholmissbrauch und Alkoholsucht. Es konnte außerdem nachgewiesen werden, dass Belastungen der Arbeitswelt das Suchtrisiko fördern[10] (siehe dazu auch: Gratifikationskrise).

Weitere Schutz- und Risikofaktoren

Stillen schützt vor Alkoholismus, wie eine Auswertung der „Copenhagen Perinatal Cohort“ Studie ergab. Die Langzeituntersuchung umfasst die Daten von 6562 inzwischen 44- bis 46-jährigen Kopenhagenern. Das Risiko, alkoholabhängig zu werden, war für Probanden, die als Kind nur kurz gestillt, fast um 50 Prozent höher als das von Teilnehmern, die lange gestillt wurden.[11]

Verbreitung und Ausmaß der Krankheit

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Die Verbreitung und die Folgen der Alkoholkrankheit werden meist unterschätzt. Nach aktuellen Schätzungen gibt es 2,5 Millionen alkoholabhängige Menschen in Deutschland[5], darunter 30 Prozent Frauen. Weitere etwa fünf Millionen konsumieren Alkohol in riskanter (suchtgefährdeter) Weise. Das Statistische Bundesamt zählte im Jahr 2000 16.000 Tote durch Alkoholkonsum; dabei trat der Tod in 9.550 Fällen durch Leberzirrhose ein. Das Deutsche Rote Kreuz berichtet sogar von 40.000 Todesfällen als Folge übermäßigen Alkoholkonsums in Deutschland[5], davon 17.000 an Leberzirrhose (zum Vergleich: Drogentod durch illegale Drogen 1.477, Tod als Folge des Tabakrauchens: 110.000). Hinzu kommen jährlich etwa 2.200 Kinder, die wegen des Alkoholmissbrauchs ihrer Mütter geschädigt zur Welt kommen (siehe Fetales Alkoholsyndrom). Weiterhin wird geschätzt, dass etwa 250.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene unter 25 Jahren stark alkoholgefährdet oder schon abhängig sind. Alkoholiker findet man in allen gesellschaftlichen Schichten. Vor allem jugendliche Alkoholkranke kommen nicht selten aus gehobenen Schichten. Ihnen fehlt meist die Zuneigung der immerzu beschäftigten Eltern (siehe Jugendalkoholismus).

Das gesellschaftliche Ausmaß des Alkoholismus bei älteren Menschen wurde in der Vergangenheit unterschätzt. Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung und der demografischen Entwicklung kann von keiner sich selbst begrenzenden Krankheit ausgegangen werden.

Gesellschaftliche Folgen

Gustav Imlauer: Ihr zu Füßen

Die Folgekosten der Alkoholkrankheit sind enorm, da neben den Belastungen des Gesundheitswesens auch indirekte Kosten wie die Verluste an volkswirtschaftlicher Produktivität durch Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung sowie Folgekosten von alkoholbedingten Verkehrsunfällen, Straftaten und erhöhte Scheidungsraten von Alkoholkranken zu berücksichtigen sind. Das Robert Koch Institut schätzt den jährlichen volkswirtschaftlichen Schaden auf 20 Milliarden Euro;[12] andere Schätzungen belaufen sich auf 15 bis 40 Milliarden Euro. Dem stehen staatliche Einnahmen an Alkoholsteuern von zurzeit etwas mehr als 2,2 Milliarden Euro gegenüber. Die Umsätze der Alkoholindustrie Deutschlands belaufen sich auf gleich bleibend zwischen 15 und 17 Milliarden Euro, die mit rund 85.000 Beschäftigten erzielt werden.

Neben diesen materiellen Kosten muss man auch die seelischen „Kosten“ im Sinne des verursachten Leides berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere die Folgen im sozialen Bereich: in Partnerschaften, Familien, Freundschaften und im Kollegenkreis. Besonders leiden Kinder und Jugendliche, die in alkoholbelasteten Familien aufwachsen. Sie haben unter anderem durch die dadurch entstehende Zusatzbelastung in der Schule und beim Berufseinstieg vielfach schlechtere Chancen. Viele haben ein Leben lang, zum Teil auch (epi-)genetisch bedingt, psychische oder Alkoholprobleme. Wegen der schlechten Erfassbarkeit ist dies die am wenigsten beachtete Gruppe.

Wesensveränderung durch Alkoholabhängigkeit

Die Anzeichen der Alkoholkrankheit entwickeln sich über viele Jahre. Der alkoholabhängige Mensch zeigt eine Wesensveränderung. Nicht nur der Körper, sondern auch die Seele ist am Ende ruiniert. Die alkoholtoxische Wesensveränderung ist eine Vergiftung durch langjährigen, regelmäßigen Alkoholkonsum. Persönlichkeitsmerkmale treten stärker in Erscheinung. Betroffen sind auch die Reaktionsmuster des Betroffenen auf alltägliche Belastungen und Konflikte. Stimmungsschwankungen, Antriebsstörungen, vermindertes Durchhaltevermögen, mangelhafte Konzentration, Interessenverarmung und Unzuverlässigkeit lassen den Alkoholkranken in seiner Gesamtpersönlichkeit als unharmonisch-entdifferenziert erscheinen. Die Wesensveränderung kann sich in Kritik- und Urteilsschwäche, Unehrlichkeit und sozialer Unangepasstheit zeigen. Sie ist immer Ausdruck einer veränderten Persönlichkeit, die nicht mehr fähig ist, das Leben so anzunehmen, wie es ist. Realistische Pläne für die Gegenwart und für die Zukunft können nicht mehr entworfen werden. Man spricht von einer „Scheinwelt“, in der ein Alkoholabhängiger lebt.

Zur Wesensveränderung gehört auch die Neigung, die Alkoholkrankheit zu leugnen oder zu bagatellisieren. Die Struktur der Wesensveränderung ist bei jedem Alkoholabhängigen anders. Aber sie hat immer Auswirkungen im zwischenmenschlichen und sozialen Bereich. Der Alkoholkranke leidet, ohne dies richtig wahrzunehmen. Um das eigene Unglück zu verdrängen, lässt er andere Menschen leiden – durch seine Reizbarkeit, Wut und Aggression, durch Egoismus, Intrigen, Unehrlichkeit und Launen. Für die Partner des Alkoholabhängigen ist das Zusammenleben sehr schwierig, für Kinder ein Schicksalsschlag, für Kollegen eine Nervenprobe. Deshalb ist die alkoholtoxische Wesensveränderung die schwerwiegendste Alkoholismus-Folge überhaupt.

Diagnostik

ICD–10

Die ICD-10 definiert sechs Kriterien, von denen mindestens drei erfüllt sein müssen, um die Diagnose Alkoholkrankheit stellen zu können:

  • starker Wunsch oder Zwang, Alkohol zu trinken
  • Kontrollverlust in Bezug auf die Menge, den Beginn oder das Ende des Konsums
  • körperliche Entzugserscheinungen bei Konsumstopp oder Konsumreduktion
  • Toleranzentwicklung
  • Vernachlässigung anderer Tätigkeiten, um stattdessen zu konsumieren, Alkohol zu beschaffen, oder sich vom Konsum zu erholen
  • trotz nachgewiesener körperlicher Spätfolgen weiterer Alkoholkonsum

Screening

Als Screening-Instrument für den Allgemeinarzt bewährte sich das CAGE-Interview. Mindestens zwei „Ja“ auf die folgenden Fragen weisen auf eine Alkoholabhängigkeit hin.

  • C = Cut down: „Haben Sie (erfolglos) versucht, Ihren Alkoholkonsum einzuschränken?“
  • A = Annoyed: „Haben andere Personen Ihr Trinkverhalten kritisiert und Sie damit verärgert?“
  • G = Guilty: „Hatten Sie schon Schuldgefühle wegen Ihres Alkoholkonsums?“
  • E = Eye Opener: „Haben Sie jemals schon gleich nach dem Aufstehen getrunken, um ‚in die Gänge zu kommen‘ oder sich zu beruhigen?“

Eine ausführlichere Differentialdiagnostik ist mit dem „Trierer Alkoholismusinventar“ (TAI) möglich, einem aus 90 Punkten bestehenden Fragebogen zum Suchtverhalten, das folgende sieben Dimensionen abbildet: „Schweregrad“, „Soziales Trinken“, „Süchtiges Trinken“, „Motive“, „Schädigung“ sowie im Fall bestehender Partnerschaften „Partnerprobleme wegen Trinken“ und „Trinken wegen Partnerproblemen“.

Laborparameter

  • Enzymerhöhungen:

da die Leber mit dem Abbau des Alkohols überfordert ist, kommt es zu einer sukzessiven Leberschädigung durch nicht mehr (vollständig) abgebaute Stoffwechselprodukte, die in mehreren Stadien abläuft:

  • Fettleber:
    • nur allein γ-GT ↑ ist erhöht
  • Fettleberhepatitis:
    • jetzt auch Erhöhung der sog. Transaminasen:
    • AP
  • Leberzirrhose:
    • bei weiterer Schädigung kommt es zu einem fortschreitenden (irreversiblen) Lebergewebeuntergang, bzw. Umbau in bindegewebiges funktionsuntüchtiges Gewebe. Jetzt sind auch alle Stoffe erniedrigt, die die Leber herstellt, etwa:
  • den Alkoholkonsum kann man (etwa zur Klärung der Schuldfrage nach einem Autounfall) nachweisen durch:
    • direkte Blutabnahme oder einen Atemalkoholtest einige Stunden nach Alkoholeinnahme
    • ETG ↑ (Ethylenglukuronid) → Neuer, seit 2003 verwendeter, empfindlicher Kurzzeitmarker. Nachweis eines (auch einmaligen geringen) Alkoholkonsums bis zu drei Tage, man kann also damit schon den einmaligen Konsum von einer halben Flasche Bier nachweisen, auch wenn die Person nie zuvor oder danach je Alkohol zu sich genommen hat
    • CDT ↑ → Langzeitmarker (ab dem fünften bis zum ca. 21. Tag nachweisbar) Mit CDT kann man die konsumierte Alkoholmenge in den letzten drei Wochen nachweisen oder abschätzen
  • MCV ↑ (makrozytäre Anämie als Folge eines ernährungsbedingten Folsäuremangels)

Behandlung

Entzug

Bei einem Alkoholentzug wird der Alkohol abrupt abgesetzt. Dabei können heftige bis lebensbedrohliche Entzugserscheinungen auftreten. Deshalb erfolgt die Entgiftung stationär unter ärztlicher Aufsicht in einer speziellen Entgiftungsstation für Alkoholkranke. Dort wird dann auch die Langzeittherapie eingeleitet und der Kontakt mit Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen geknüpft. Die stationäre Entgiftung dauert acht bis 14 Tage. Entzugssymptome sind Übelkeit, Nervosität, Schlafstörungen, der starke Drang, Alkohol trinken zu müssen („Saufdruck“), Gereiztheit und Depression. Ist die körperliche Abhängigkeit schon weiter fortgeschritten, kommen zum Beispiel starkes Schwitzen, Zittern (vor allem der Hände), grippeähnliche Symptome und – in äußerst schlimmen Fällen – zerebrale Krampfanfälle, mit Zungenbiss und Halluzinationen bis zum Delirium tremens hinzu. Entzugserscheinungen werden medikamentös behandelt. In Deutschland üblich ist die Verwendung von „Distraneurin“ (Wirkstoff Clomethiazol) oder eines Präparates vom Benzodiazepin-Typ (etwa Diazepam, Clorazepat) sowie oftmals blutdrucksenkende Mittel der Wirkstoffgruppe der Imidazoline (etwa Catapresan). Um die Gefahr von Entzugskrampfanfällen zu reduzieren, empfiehlt sich die Verwendung eines Antiepileptikums. Hat der Patient den Entzug überstanden, ist sein Körper vom Alkohol entgiftet.

Therapie

Direkt anschließend an den Entzug beginnt die eigentliche Therapie. Sie besteht aus Langzeitentwöhnung einerseits und Persönlichkeitsentwicklung und sozialem Training andererseits. Entsprechende Therapien werden meist in speziellen Suchtkliniken (psychosomatische Klinik) als Langzeit- oder Kurzzeittherapie durchgeführt, seltener ambulant. Wesentliche Methoden sind: therapeutische Gemeinschaft, soziales Kompetenztraining, Selbsthilfegruppe, pharmakologische Aversionstherapie, Reizexpositionsverfahren, systemische Familientherapie.

Die Therapien finden meistens in Gruppengesprächen und gelegentlich Einzelgesprächen statt und werden von Sozialpädagogen, Psychiatern, Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Heilpraktikern und Pfarrern durchgeführt. Erste Anlaufstellen für eine ambulante oder stationäre Therapie sind Suchtberatungsstellen oder psychosoziale Beratungsstellen. Auch die Gesundheitsämter können weiterhelfen.

Die wesentliche und notwendige Erkenntnis in der Therapie ist, dass der Zustand der „Alkohollosigkeit“ unabdingbare Voraussetzung für die „Trockenheit“ ist, dass aber die eigentliche Trockenheit durch persönliche und soziale Entwicklung erreicht wird und dies ein lebenslanger Prozess ist.

Seit vielen Jahren haben sich Selbsthilfegruppen, wie Anonyme Alkoholiker, Blaues Kreuz, Guttempler oder Kreuzbund bewährt. Hier treffen sich in regelmäßigen Abständen trockene Alkoholiker, die über ihr gemeinsames Problem sprechen. Beim Kreuzbund e. V. wird auch die Familie mit einbezogen. Selbsthilfegruppen wirken außerordentlich unterstützend auf den Therapieerfolg, in manchen Fällen können sie sogar als Alternative zur klassischen Therapie in Betracht gezogen werden, insbesondere, wenn der Patient genügend Rückhalt durch Familie und Freunde hat.

Alkoholabhängigkeit ist immer auch als Interaktion mit den Mitmenschen zu betrachten. Diese sind deshalb in die Behandlung einzubeziehen. Lebenspartner, Kinder und ggf. Kollegen spielen bei der Änderung auch des eigenen Verhaltens eine wichtige Rolle. Auch für Angehörige und Freunde von Alkoholikern gibt es Selbsthilfegruppen, sowohl gemeinsam mit wie auch getrennt von den Selbsthilfeangeboten für Alkoholkranke, etwa Al-Anon.

Ambulante Therapien werden seit 1996 von Kostenträgern übernommen. Voraussetzung für eine ambulante Behandlung ist eine mittelfristige Abstinenz von mindestens zwei bis drei Monaten. Unabdingbar ist dabei eine soziale Einbindung (etwa durch Arbeitsplatz, Familie, Freundes- und Bekanntenkreis, Selbsthilfegruppe).

Medikamente

Bei Alkoholkranken ist die Übertragung vieler Botenstoffe im Gehirn gestört. Beispielsweise erhöht sich die Anzahl der Glutamat-Bindungsstellen. Daher wurde versucht, durch die Opioid-Antagonisten Acamprosat und Naltrexon regulierend einzugreifen und die psychischen Entzugserscheinungen zu mildern – ein Verfahren, das bei Opioidsüchtigen bewährt ist. In den USA wird derzeit eine injizierbare Depotformulierung von Naltrexon klinisch erprobt (Handelsname Vivitrex®). Schon wesentlich länger im Gebrauch ist die Substanz Disulfiram (Antabus®), die einen anderen Mechanismus nutzt: Durch Hemmung eines für den Alkoholabbau wichtigen Enzyms erhöht sich bei Alkoholkonsum der Acetaldehyd-Spiegel, was schwere Kopfschmerzen und Brechreiz auslöst und somit das Trinken unmöglich macht.

Für die Wirksamkeit von Acamprosat und Naltrexon in der Therapie der Alkoholabhängigkeit gibt es zurzeit eindeutige Hinweise; bei Disulfiram sind die Ergebnisse weniger klar. Aktuell wird untersucht, ob auch Medikamente, die in den Stoffwechsel des Botenstoffs Serotonin eingreifen (etwa Fluoxetin und Ondansetron), zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit geeignet sind.[13] Viele der oben genannten Medikamente werden oft auch als Anti-Craving-Substanzen bezeichnet.

Zur Behandlung bei Suchtkrankheiten wird auch Akupunktur verwendet, allerdings bislang ohne wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit.

Jetzt erhoffen sich Forscher neue Erfolge bei der Suchtbekämpfung durch die körpereigene Substanz GDNF, die direkt ins Gehirn gespritzt helfen soll, das Verlangen nach Alkohol zu stoppen. Bislang verliefen Tests an Ratten, denen der Wachstumsfaktor injiziert wurde, erfolgreich. Man hofft, diese Erkenntnis auch auf den Menschen übertragen zu können, da die Sucht nach Alkohol bei Ratten und Menschen ähnlichen Prozessen zugrunde liegt.

Prognose

Dauerhaftigkeit der Abstinenz und Rückfall

Der Erfolg hängt meist weniger von der Art und Dauer der Therapie als von der Motivation des Süchtigen ab. Trotzdem gilt: Je eher eine Alkoholkrankheit behandelt wird, desto besser ist die Erfolgsaussicht. Ist der Patient einsichtig und hat er den starken Wunsch mit dem Trinken aufzuhören, hat er recht gute Chancen. Immerhin schaffen es etwa 50 Prozent, langfristig abstinent zu bleiben.

Schwere Rückfälle machen einen erneuten Entzug mit anschließender Therapie unumgänglich. Viele Patienten gelangen erst nach mehreren Therapiemaßnahmen zu einer stabilen Trockenheit. Zu Rückfällen kann es nach Jahren und sogar Jahrzehnten noch kommen. Eine Heilung im eigentlichen Sinne gibt es somit nicht. Die Krankheit kann durch Abstinenz gestoppt, aber nicht geheilt werden.

Kontrolliertes Trinken

Vollkommene Abstinenz wird nicht mehr als einzige Möglichkeit gesehen, der Alkoholkrankheit entgegenzutreten. So ist es nach Davison et al. (2007) in gesellschaftlichen Situationen durchaus hilfreich, kontrolliert trinken zu können, um eine Stigmatisierung der Person erfolgreich zu verhindern. So konnten Dawson et al. (2006) in ihrer Veröffentlichung zeigen, dass ein gewisser Teil von Alkoholikern durchaus längerfristig mit kontrolliertem Trinken ein vergleichsweise normales Leben führen können. Eine vollkommene Abstinenz ist damit nicht mehr die einzige Möglichkeit, die Krankheit zu beherrschen.

Jedoch ist es nach Lindenmeyer (2006) problematisch, im deutschen Sprachraum diesen Ansatz zu verfolgen, da immer noch etwa alle wichtigen Selbsthilfegruppen die vollkommene Abstinenz zum Ziel haben. Außerdem ist nach Davison et al. (2007) kontrolliertes Trinken eher für jüngere und weniger abhängige Trinker besser; Abstinenz dagegen das bessere Ziel für ältere und stärkere Trinker. Will man Personen mit riskantem oder schädlichem Alkoholkonsum für eine Behandlung motivieren, sind anstelle von vollkommener Abstinenz offenere Trinkziele wie zum Beispiel kontrolliertes Trinken besser geeignet.

Leben ohne Alkohol

Für trockene Alkoholkranke wird durch Fachkliniken, Selbsthilfegruppen und Therapeuten totale Abstinenz von allen alkoholischen Lebensmitteln empfohlen, weil laut Erfahrungsberichten schon geringe Mengen Alkohol das Verlangen nach mehr entwickeln können. So kann der alte Kreislauf von Abhängigkeit neu entstehen, manchmal reicht eine Praline mit Alkohol aus. Das kann sogar nach Jahrzehnten der Abstinenz geschehen.

Das gilt auch für „alkoholfreies Bier“ und andere Getränke wie Wein oder Sekt, die als alkoholfrei verkauft werden. Diese enthalten oft bis zu 0,5 Prozent Alkohol, ohne dass das gekennzeichnet werden muss. Hier sind jedoch Geschmack und Geruch sowie die äußerliche Ähnlichkeit der entsprechenden Getränke die verantwortlichen Faktoren für erneutes Alkoholverlangen. Der 0,5%ige Alkoholgehalt findet sich als natürliches Nebenprodukt ungekennzeichnet auch in Fruchtsäften oder ähnlichen zuckerhaltigen Getränken oder Nahrungsmitteln.

Künstlerische Rezeption

Hans Baluschek: Porträt einer Säuferin

Literatur

Film

Musik

Mehrere Interpreten haben sich der Thematik Alkoholkrankheit bedient und in ihren Werken (gesellschafts-)kritisch darüber reflektiert, etwa Herbert Grönemeyer mit seinem Lied Alkohol (1984) oder Marius Müller Westernhagen mit Johnny W. (1978). Bekannt sind auch die autobiographisch beeinflussten Lieder von John Michael "Ozzy" Osbourne (z. B. Demon Alcohol, Suicide Solution).

Verweise

Siehe auch

Literatur

  • Abrolat, Corinna: Schweregradbestimmung bei chronischer Alkoholabhängigkeit: Die Evaluation des EuropASI-Interviews im Hinblick auf Reliabilität und Validität an einer Stichprobe von 65 Tübinger Alkoholkranken [2]
  • Ingrid Arenz-Greiving: Die vergessenen Kinder. Kinder von Suchtkranken. Wuppertal: Blaukreuz, 1998
  • B. Croissant1, K. Mann: Qualifizierter Entzug – Die stationäre Entzugsbehandlung von Alkoholabhängigen und ihre ambulante Fortführung. Klinikarzt 2003; 32: 306–312 [3]
  • Flurschütz, Carola: Prognosefaktoren, Langzeitverlauf und Komorbidität alkoholabhängiger Frauen und Männer – Zehn-Jahres-Katamnesen, Diss. Universität Tübingen 2007 [4]
  • Havemann-Reinecke, Ursula; Siegfried Weyerer, Heribert Fleischmann (Hrsg.): Alkohol und Medikamente, Mißbrauch und Abhängigkeit im Alter. Freiburg i.Br. Lambertus, 1998
  • Hartmann, Isabelle Katrin: Der Langzeitverlauf nach einer kombiniert stationär-ambulanten Psychotherapie alkoholabhängiger Patienten – eine 25-Jahreskatamnese, Diss. Universität Tübingen 2005 [5]
  • Joachim Körkel, Gunter Kruse: Rückfall bei Alkoholabhängigkeit. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2005, ISBN 3-88414-362-X
  • S. Loeber, K. Mann: Entwicklung einer evidenzbasierten Psychotherapie bei Alkoholismus. Der Nervenarzt Bd. 77/2006, S. 558–566,
  • Hans Praschniker: soziodemographischer Hintergrund, Alkoholismuskarriere, Abstinenzdauer, Selbstbild und Persönlichkeit von Genesenden Alkoholikern – eine Erkundungsstudie an Anonymen Alkoholikern in Österreich; Dissertation Universität Graz, 1984
  • Robert, Kerstin: Evidenzbasierte Literaturrecherche für eine Leitlinie zur Früherkennung und Frühbehandlung von riskantem Alkoholkonsum und Alkoholabhängigkeit in der hausärztlichen Praxis, Diss. Universität Tübingen 2005 [6]
  • Dirk R. Schwoon: Umgang mit alkoholabhängigen Patienten. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2004, ISBN 3-88414-367-0
  • Jellinek, E. M., The Disease Concept of Alcoholism, Hillhouse, (New Haven), 1960
  • Simon Borowiak: ALK – Fast ein medizinisches Sachbuch, Eichborn-Verlag, 2006, ISBN 3-8218-5644-0
  • Ralf Schneider: Die Suchtfibel. 13. Auflage. Schneider Verlag, Hohengehren 2001, ISBN 3-89676-474-8
  • Bernhard van Treeck: Drogen- und Suchtlexikon. Lexikon-Imprint-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-89602-221-0 (erweiterte Neuauflage, Schwarzkopf und Schwarzkopf, Berlin 2004, ISBN 3-89602-542-2)
  • Wilhelm Feuerlein: Alkoholismus: Warnsignale, Vorbeugung, Therapie. C. H. Beck, München – 5. Auflage 2005, ISBN 3-406-45533-6
  • Gunter Kruse, Joachim Körkel, Ulla Schmalz: Alkoholabhängigkeit erkennen und behandeln. Mit literarischen Beispielen (Lehrbuch). 2. Auflage. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2001, ISBN 978-3-88414-244-8
  • Lindenmeyer, J.: Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit. In: Wittchen, H., & Hoyer, J.: Klinische Psychologie & Psychotherapie. Springer Verlag, Heidelberg 2006.
  • Dawson et al. (2006). Recovery from DSM-IV Alcohol Dependence: United States, 2001–2002. Alcohol Research & Health, 29 (2), 131–142. [7]
  • Davison, G. C., Neale, J. M., & Hautzinger, M. Klinische Psychologie. Beltz Psychologie Verlags Union, 7. Auflage 2005, ISBN 3-621-27614-9
  • Hasso Spode: Alkoholismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (hg. v. Bundeszentrale für pol. Bildung) 28/2008 [8].

Weblinks

Einzelnachweise

  1. http://www.izb.fraunhofer.de/b2b/suchtpraevention/index.html?/b2b/suchtpraevention/phasen.html
  2. http://www.uni-essen.de/ap/10_05_Alkohol_Nikotin_aktuellsteVersion.pdf
  3. http://www.charite.de/psychiatrie/lehre/alkohol2.pdf
  4. Lindenmeyer, J.: Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit. In: Wittchen, H., und Hoyer, J.: Klinische Psychologie und Psychotherapie. Springer, Berlin, 2006, ISBN 3-54028-468-0
  5. a b c http://www.drk.de/dls/frameset.htm?http://www.drk.de/krankenhilfe/suchtberatung.htm (abgerufen am 04.März 2009, 14:40 Uhr)
  6. Hamid A, Kaur J: Decreased expression of transporters reduces folate uptake across renal absorptive surfaces in experimental alcoholism. In: J. Membr. Biol.. 220, Nr. 1-3, December 2007, S. 69–77. doi:10.1007/s00232-007-9075-3. PMID 18008023
  7. Keating E, Lemos C, Gonçalves P, Martel F: Acute and chronic effects of some dietary bioactive compounds on folic acid uptake and on the expression of folic acid transporters by the human trophoblast cell line BeWo. In: J. Nutr. Biochem.. 19, Nr. 2, February 2008, S. 91–100. doi:10.1016/j.jnutbio.2007.01.007. PMID 17531458
  8. http://www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/abstract/112475446/ABSTRACT MAOA-uVNTR polymorphism in a Brazilian sample: Further support for the association with impulsive behaviors and alcohol dependence
  9. Die Presse vom 8. Juni 2007: Bericht von Elke Schuster (Pseudonym): Mein Sohn, der Trinker. Chronik einer Selbstvernichtung
  10. Münster Universitätszeitung (17. November 1999): „Wenn Arbeit zur Sucht wird: Sozialwissenschaftler untersuchten Zusammenhang zwischen Gratifikation und Stresstrinken“
  11. Dr. Regiona Albers: „Suchtforschung: Stillen schützt vor Alkoholismus“. Focus online vom 25.04.06 [1]
  12. Robert-Koch-Institut: „Kosten alkoholassoziierter Krankheiten“
  13. Williams SH: Medications for Treating Alcohol Dependence Volltext (englisch)
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