Hawthorne-Experimente

Hawthorne-Experimente

Der Hawthorne-Effekt ist ein Phänomen der gruppenbasierten Beobachtungsstudien, das in den 1920er Jahren bei Experimenten in den Hawthorne-Werken (Illinois, USA) entdeckt wurde.

Der Hawthorne-Effekt ist unter zwei Blickwinkeln interessant:

  • In der Soziologie und Psychologie bzw. deren Methodenlehren versteht man darunter den Effekt, dass Versuchspersonen ihr natürliches Verhalten ändern können, wenn sie wissen, dass sie Teilnehmer an einer Untersuchung sind. Es kann also sein, dass die Ergebnisse einer Studie durch die Studie selbst verfälscht oder erst durch sie hervorgerufen werden. Damit stellt der Hawthorne-Effekt eine mögliche Bedrohung der externen Validität von Untersuchungsergebnissen dar.
  • In der Betriebswirtschaftslehre war die Entdeckung des Hawthorne-Effekts ein Mitauslöser für die Erkenntnis, dass menschliche Arbeitsleistung nicht nur von den objektiven Arbeitsbedingungen, sondern ganz wesentlich auch von sozialen Faktoren geprägt ist (siehe Human-Relations-Bewegung).

Inhaltsverzeichnis

Entdeckung

Die Entdeckung des Effektes geht auf die sog. Hawthorne-Experimente von Roethlisberger und Dickson zurück. Dies ist eine Reihe von Studien, die zwischen 1924 und 1932 in der Hawthorne-Fabrik der Western Electric Company in Chicago (USA) im Auftrag des National Research Council und der amerikanischen Elektrizitätsindustrie[1] durchgeführt wurden, um festzustellen, wie man die Arbeitsleistung von Angestellten steigern kann. Dabei wurden unterschiedliche Designs und Zielstellungen betrachtet.

Experiment 1

Die Industriearbeit wurde damals noch vom Taylorismus beherrscht. Typisch für diesen ist die Zerlegung des Arbeitsvorgangs in möglichst kleine, aber hochoptimierte Schritte. Zur weiteren Optimierung begann man mit den Hawthorne-Studien. Man untersuchte zunächst, ob die Veränderung der Lichtverhältnisse Auswirkungen auf die Arbeitsleistung hat. Tatsächlich stieg die Arbeitsleistung der Experimentalgruppe bei verbesserten Lichtverhältnissen. Allerdings stieg die Leistung auch in der Kontrollgruppe, die bei unverändertem Licht arbeitete. Die Leistungssteigerung blieb sogar erhalten, als wieder zur ursprünglichen Beleuchtungsstärke zurückgekehrt wurde.

Das Beleuchtungsexperiment machte die Forscher auf den psychologischen Effekt aufmerksam, dass allein die Anwesenheit der Forscher und das Bewusstsein der Arbeiterinnen, Teil eines Versuchs zu sein und beobachtet zu werden, die Leistungssteigerung hervorrief. Die erfahrene Beachtung und Anerkennung durch die Forscher führte, nach eigenen Aussagen der Arbeiterinnen, zur Leistungssteigerung. Die Forscher sahen das zunächst noch als psychische Störfaktoren und entwickelten neue Versuchsanordnungen, um diese auszuschließen.

Experiment 2

Die Arbeiterinnen der Experimentalgruppe wurden in einem separaten Arbeitsraum untergebracht, bekamen günstigere Arbeitszeiten, mehr Lohn und die Führungskräfte wie auch die Wissenschaftler pflegten ihnen gegenüber einen nicht-direktiven, verständnisorientierten Führungsstil. Daraufhin stieg die Produktivität dieser Gruppe um etwa 30 Prozent. Man führte hitzige Debatten darüber, ob dieser Anstieg eher auf ein günstigeres Lohngefüge oder den „menschlicheren“, nicht-direktiven Umgang der Führungskräfte zurückzuführen sei. Nachfolgende Experimente prüften beide Hypothesen und führten zu dem Ergebnis, dass sich dieser große Anstieg nur durch die Kombination beider Faktoren ergab.

Ergebnisse

Die Interpretation der Ergebnisse war politisiert zwischen Industrie und Gewerkschaften. Der aus den Hawthorne-Studien als Gegengewicht zum Taylorismus hervorgegangene Human-Relations-Ansatz suggerierte, dass den Arbeitern weniger an einer Lohnsteigerung gelegen sei, als vielmehr an einer sozioemotionalen Umgestaltung der Arbeitsbedingungen, besonders des Führungsstils. Von Elton Mayo, einem Wissenschaftler der Harvard Business School, der an den Hawthorne-Experimenten beteiligt war, wurden im großen Stil Führungskräfte im nicht-direktiven Führungsstil unterrichtet.

In den 60er und 70er Jahren lebte die Diskussion um die Hawthorne-Studien wieder auf, weil die erneute Prüfung der Daten ergab, dass der Einfluss von Lohnanreizen auf die Arbeitsleistung eher höher und derjenige sozialpsychologischer Faktoren eher niedriger anzusetzen ist, als dies die Forscher damals einschätzten.

Unabhängig davon bleibt es das Verdienst der Studien, dem damals dominierenden Taylorismus mit dem Human-Relations-Ansatz ein alternatives Denkmodell entgegengesetzt und ganz allgemein auf die Wirkung psychologischer Faktoren aufmerksam gemacht zu haben.

Kritik an den Hawthorne-Studien

H. Mcllvaine Parsons stellte in den 1970er Jahren fest, dass Elton Mayo und dessen Mitarbeiter wichtige Informationen unterschlagen haben.[2] Denn die Testpersonen arbeiteten unter privilegierten Bedingungen. Sie erhielten bessere Löhne, aber sie wurden auch von den Studienleitern mehrfach wegen ihrer Schwatzhaftigkeit gerügt. Den Mitarbeitern wurde sogar angedroht, wieder an ihre alten Arbeitsplätze zurückgeschickt zu werden, wenn sie ihre Arbeitsleistung nicht steigern würden. Zwei Frauen wurden durch "kooperationswilligere" ersetzt. Des Weiteren erhielten die Teilnehmer ein regelmäßiges Leistungs-Feedback, mit der Aufforderung, so schnell wie möglich zu arbeiten.[3] Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist der Hawthorne-Effekt ein Mythos. Allerdings hatte dieser den positiven Effekt, dass sich die Sichtweise über organisatorische Arbeitsbedingungen fundamental verändert hat.

Siehe auch

Literatur

  • Fritz Jules Roethlisberger/William J. Dickson: Management and the Worker, [1939], 14. Aufl., Harvard University Press, Cambridge/Mass. 1966
  • Alfred Kieser (Hg.): Organisationstheorien, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1993
  • Erich Kirchler: Arbeits- und Organisationspsychologie, UTB, Wien 2005
  • Heinz Schuler: Lehrbuch der Personalpsychologie Hogrefe-Verlag, Stuttgart 2005
  • Jean-Paul Thommen: Management und Organisation, Konzepte, Instrumente, Umsetzung, Versus Verlag, Zürich 2002
  • Emil Walter-Busch: Das Auge der Firma. Ferdinand Enke, Stuttgart 1989

Einzelnachweise

  1. Birgit Althans: Der Klatsch in der Organisationstheorie In: dies.: Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit. Campus 2000, S. 366.
  2. H. McIlvaine Parsons: What happened at Hawthorne? In: Science Vol. 183 1974, S. 922-932.
  3. Heinz Schuler: Lehrbuch der Organisationspsychologie, Verlag Hans Huber, 3. Auflage 2004, S. 41.

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