Heinrich Köselitz

Heinrich Köselitz
Heinrich Köselitz

Heinrich Köselitz (* 10. Januar 1854 in Annaberg; † 15. August 1918 ebenda; besser bekannt als Peter Gast) war ein deutscher Schriftsteller und Komponist. Bekannt ist er als langjähriger Freund und Mitarbeiter von Friedrich Nietzsche.

Inhaltsverzeichnis

Jugend, Ehe, Bekanntschaft mit Nietzsche und eigenes Schaffen

Jugendbild von Heinrich Köselitz

Johann Heinrich Köselitz wurde 1854 als Sohn des Annaberger Vizebürgermeisters Gustav Hermann Köselitz (1822–1910) und dessen aus Wien stammender Frau Caroline (1819–1900) geboren. Sein jüngerer Bruder war der Maler Rudolf Köselitz. Heinrich studierte ab 1872 an der Universität Leipzig bei Ernst Friedrich Richter Musik. 1875 wechselte er an die Universität Basel, wo er Vorlesungen Jacob Burckhardts, Franz Overbecks und Friedrich Nietzsches hörte. 1877 griff er in einem Beitrag für eine Zeitschrift den Basler Musikdozenten Selmar Bagge scharf an, was einen kleinen Skandal verursachte.

Am 3. September 1900 heiratete er in Weimar Franziska Elise Wagner (1874–1947). Aus der Ehe ging die Tochter Johanna Elisa Carina Gast (* 25. Januar 1902 in Weimar; † 27. Oktober 1919 in Annaberg) hervor.

Zu Friedrich Nietzsche entwickelte sich bald eine Freundschaft. Köselitz las dem zeitweise fast blinden Nietzsche vor und ließ sich von ihm Schriften diktieren. Bei allen Werken Nietzsches ab 1876 war er bei der Erstellung des Druckmanuskripts behilflich, las Korrekturbögen und griff manchmal auch in die letzte Textgestaltung ein; er fungierte also als eine Art Sekretär. Nach übereinstimmender Meinung von Interpreten schätzte und überschätzte Nietzsche Köselitz als Musiker und helfende Hand, während Köselitz seinen ehemaligen Lehrer verehrte, wohl auch verklärte und ihm bis zur Selbstaufgabe zu Diensten war.

Bei einem gemeinsamen Aufenthalt in Recoaro im Frühjahr 1881 wurde für Köselitz von Nietzsche das Pseudonym „Peter Gast“ (auch: Petro Gasti) erfunden, unter dem er von nun an seine Werke veröffentlichte und in der Nietzsche-Rezeption bekannt wurde. Peter Gasts musikalisches Hauptwerk ist die „komische Oper in drei Akten“ Der Löwe von Venedig. Versuche Gasts und Nietzsches, sie schon in den 1880er-Jahren zur Aufführung zu bringen, scheiterten allesamt. Sie wurde im Februar 1891 in Danzig uraufgeführt – unter der Leitung des Nietzsche-Briefpartners Carl Fuchs und unter dem Originaltitel Die heimliche Ehe (Il matrimonio segreto). Unter dem von Nietzsche vorgeschlagenen Titel Der Löwe von Venedig erlebte sie 1930 noch elf Aufführungen im Chemnitzer Opernhaus und 1932 in Regensburg. Ausschnitte aus der Oper kamen letztmalig 1947 in Annaberg zur Aufführung.

Köselitz wurde finanziell von seinem Vater, zeitweise auch von Nietzsches Freund Paul Rée unterstützt. Außer als Musiker und Herausgeber von Schriften und Briefen Nietzsches (siehe unten) arbeitete er unter weiteren Pseudonymen (etwa Ludwig Mürner, Peter Schlemihl oder Petrus Eremitus) als Schriftsteller; er verfasste Beiträge – darunter Erzählungen und Fabeln – für verschiedene Zeitschriften.

Herausgeber Nietzsches

Eingriffe ins Druckmanuskript von Ecce homo

Nach dem geistigen Zusammenbruch Nietzsches 1889 beriet Peter Gast mit Franz Overbeck und Nietzsches Verleger über den weiteren Umgang mit Nietzsches Werk und sicherte die druckfertig hinterlassenen Schriften sowie den Nachlass; ab 1891 wollte er die erste Gesamtausgabe (mit eigenen Vorworten) herausgeben. Diese wurde von Elisabeth Förster-Nietzsche nach 1893 gestoppt und eingestampft; die Schwester des Philosophen übernahm nun die Kontrolle über das Werk und den Nachlass. 1899 konnte sie Gast für die Arbeit im von ihr gegründeten Nietzsche-Archiv gewinnen; er wurde vor allem gebraucht, weil er als einziger Nietzsches Notizen entziffern konnte. In den kommenden Jahren gab er gemeinsam mit Förster-Nietzsche das angebliche „Hauptwerk“ Nietzsches Der Wille zur Macht heraus, das tatsächlich eine fragwürdige Kompilation von Nachlassmaterial war. Gast beteiligte sich auch an Kampagnen gegen Kritiker am Archiv, darunter ehemalige Mitarbeiter sowie Franz Overbeck und Carl Albrecht Bernoulli. Erst 1909 brach er erneut mit Förster-Nietzsche und äußerte sich nun in privaten Briefen heftig gegen das Archiv.

Erst 1969 wurde von Mazzino Montinari in Köselitz' Nachlass die heute als endgültig geltende Fassung eines Kapitels von Nietzsches Ecce homo gefunden. Sie enthält schwere Angriffe Nietzsches gegen seine Mutter und Schwester. Die Nietzsche-Forschung geht heute davon aus, dass Gast und Förster-Nietzsche aufgrund eines zeitweiligen „Abkommens“ zusammenarbeiteten: beide besaßen Schriftstücke Nietzsches, die für den jeweils anderen unangenehm waren.

Ab 1910 lebte und arbeitete Heinrich Köselitz wieder in seiner Heimatstadt Annaberg. Hier schrieb er (auch unter dem Pseudonym "Peter Schlemihl") Gedichte, Essays und Humoresken (teilweise in erzgebirgischer Mundart), er setzte sich für die Bewahrung der Mundart sowie deren Reinheit und Verbreitung ein.

Am 15. August 1918 starb er als „Petrus Eremita“ in seinem „Epikur-Garten“, wie er sein Zuhause nannte. Es gibt in Annaberg einen Köselitz-Platz und eine Peter-Gast-Straße. In Berlin/Köpenick wurde die ehemalige Wendenstraße (1866-1939) in der Villenkolonie Wendenschloss 1939 in Peter-Gast-Weg umbenannt. Anlässlich seines 150. Geburtstages veranstaltete Annaberg – nach jahrzehntelangem Schweigen über ihn – eine Festwoche mit seinen Werken. Teile des Peter-Gast-Archivs befinden sich (teilweise aufbereitet) im Nietzsche Archiv in Weimar. Sein Annaberger Nachlass gilt als verschollen.

Werke (Auswahl)

  • Scherz, List und Rache (Komische Oper,nach Goethe-Text, 1880-1888)
  • Williram und Siegeer (Opernentwurf, Tragödie, 3 Akte (1878-1880), nur 3 Szenen des 1. Aktes vollendet, Libretto vom Komponisten
  • König Wenzel (Opernentwurf um 1889)
  • Miska-Csárdás (1885)
  • Helle Nächte (1887, Arnold Böcklein gewidmet, genannt "Ungarische Sinfonie")
  • Der Löwe von Venedig (Oper, 1. Fassung 1884-1891), Premiere 23. Januar 1891, Stadttheater Danzig, unter dem Titel Die heimliche Ehe), weitere 11 Aufführungen 1930 in Chemnitz und 1940 in Regensburg.
  • Lieder, Arien und musikalische Dichtungen wie z.B. Lethe, Nachtfeier, Waldweben, (entstanden zwischen 1893 und 1905)
  • Schauspielmusik zum Harzfestspiel Walpurgis von E. Wachler (1903)
  • Reichshymne für Kirche, Schule und Vaterland (Orgel, Chor, Posaunenchor, 1916)

Texte in Hochdeutsch und in erzgebirgischer Mundart

  • „Verwerrtes Volk“ (1893),
  • „Pfarrer Wildsche und einige andere Gedichte“ (1896)
  • „Aphorismen zur Lebensweisheit“ (um 1900)


Leseprobe eines Mundartgedichtes


Ze Rockn


Heit is de Reih´ an mir: Ihr Leit´

kommt ´rei! Iech will drzehln.

Weil nu de Kinner schlofn sei,

do braucht´s kä´ gruß´ Verhehln:


Iech red´, wie mir dr liebe Gott

ne Schobel wachsn ließ;

kimmt´s epper mol ze hanebieng,

do seid mer neer net bies!


Mir Bauern, die im´s liebe Brud

sich ploong Gahr aus, Gahr ei´,

mir känne net su zimperlich

als wie de Stadtleit´ sei.


Mir sei aus ganzn Holz geschnitzt,

mir redn daarb und racht,

mir redn vun dr Laaber wack

- bezacht wie u´bezacht!


Waar dodrmiet zefriedn is,

Glickauf! Dos is mei´ Ma´!

In dann stackt Witz! In dann stackt Kraft!

Daar is - kä´ Hubelspah´!...



  • „ze Rockn gih“ oder „hutzn gih“ heißt: nach dem Abendessen zu einer befreundeten Familie gehen, bei der sich meist noch Andere zu Geplauder, Singen und Arbeit zusammenfinden. Der erste Ausdruck deutet auf das ehemals dabei üblich gewesene Spinnen – erläutert Heinrich Köselitz sein Gedicht.

Literatur

  • Peter Gast: Friedrich Nietzsches Briefe an Peter Gast. Insel, Leipzig 1908.
  • A. Mendt (Hrsg.): Die Briefe Peter Gasts an Friedrich Nietzsche. 2 Bände. Nietzsche-Gesellschaft, München 1923/24.
  • Friedrich Götz: Peter Gast – der Mensch, der Künstler, der Gelehrte. Ein Lebensbild in Quellen. Annaberg 1934.
  • Christian Zemmrich: Peter Gast. Würdigung eines bedeutenden Sohnes unserer Stadt. Streifzüge durch die Geschichte des oberen Erzgebirges. Heft 7. Annaberg 1997, Download (PDF-Datei; 133 KB).
  • Gotthard B. Schicker: Nietzsches liebster Gast. In: Dicknischl. Erzgebirgsleute von damals und heute. Marienberg 2008, ISBN 978-3-931770-76-1, S. 45–62.

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