Hermann Stehr

Hermann Stehr
Hermann Stehr
Stehrs Signatur

Hermann Stehr (* 16. Februar 1864 in Habelschwerdt, Landkreis Habelschwerdt; † 11. September 1940 in Oberschreiberhau, Riesengebirge, Schlesien) war ein deutscher Schriftsteller aus der Grafschaft Glatz.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hermann Stehr wurde als Sohn eines armen Sattlers geboren und arbeitete ab 1887 als Volksschullehrer. Kirchenkritische Veröffentlichungen sorgten dafür, dass er mehrfach in die entlegensten Dörfer der Grafschaft Glatz strafversetzt wurde, zuletzt nach Dittersbach bei Waldenburg. Ab 1915 war er freier Schriftsteller mit Wohnsitz in Warmbrunn. Das Erscheinen seines Bestsellers „Der Heiligenhof“ 1918 befreite ihn aus seinen finanziellen Nöten, und er stieg zu einem gefeierten Dichter auf.

In der Gründungsphase der Weimarer Republik trat Stehr als Wahlredner der Deutschen Demokratischen Partei für seinen Freund Walther Rathenau auf.[1]

Saniertes Grab Hermann Stehrs auf dem Floriansberg in Habelschwerdt (2010)

Stehr siedelte sich 1926 mit finanzieller Unterstützung seines Mäzens, des Textilunternehmers Max Pinkus, in dem idyllischen Schreiberhau an. Er war 1926 Gründungsmitglied der Preußischen Dichterakademie, einer Unterabteilung der Preußischen Akademie der Künste. Anschließend näherte er sich der Blut-und-Boden-Ideologie an.[1]

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten gehörte er weiterhin der „gesäuberten“ Akademie der Dichtung an. Nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gehörte Stehr im August 1934 zu den Unterzeichnern des Aufrufs der Kulturschaffenden zur „Volksbefragung“ über die Zusammenlegung des Amts des Reichspräsidenten und Reichskanzlers in der Person Hitlers.[1] Ebenso schrieb er eine Rechtfertigung zur Legalisierung der Morde anlässlich des Röhm-Putsches in der Deutschen Allgemeinen Zeitung.[1] Der nationalsozialistische Kulturbetrieb feierte Stehr als „Künder der deutschen Seele“ und pries ihn wegen seiner „völkischen Erdverbundenheit“, doch entzog er sich weitgehend der Vereinnahmung und er schrieb auch keine Lobgesänge auf Adolf Hitler. Stehr widmete sich zunehmend „Gottsucherromanen“ in bäuerlicher Umgebung.

Er starb 1940 zurückgezogen in Schreiberhau im Alter von 76 Jahren und wurde auf dem Habelschwerdter Florianberg bestattet. Sein zwischenzeitlich nicht lokalisierbares Grab wurde 2007 auf dem Florianberg an der alten Stelle wiedergefunden. Es war unberührt, lediglich die Aufbauten waren abgetragen und verschwunden. In mühevoller, im Jahr 2009 abgeschlossener Arbeit stellten ehemalige und heutige Bewohner das Grab wieder her.

In Wangen im Allgäu gab es ein Hermann Stehr-Archiv, das mit über 1000 ungedruckten Gedichten sowie den Vorarbeiten zu 12 ungedruckten Romanen aufwarten konnte (heute Literatur Archiv Marbach Neckar). Der Teilnachlass von Hermann Stehr befindet sich in der Handschriftenabteilung der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund.

Hermann Stehr und der Eskapismus

Das Wort „Eskapist“ lässt wohl auf eine gewisse Art der Zurückgezogenheit schließen. Es handelt sich bei den dieser Gruppierung zugehörigen Autoren (wobei die Bezeichnung „Eskapisten“ nicht von den Autoren selbst gewählt wurde) vorwiegend um deutsche Autoren zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, die ihr Heimatland Deutschland nicht verlassen haben, sei es aus Gründen der Verabsäumung oder anderen.

Im Unterschied zu den bekannten Exilliteraten entschieden sich diese Autoren dafür im Land zu bleiben und lebten in Zurückgezogenheit, wo sie sich größtenteils fantastischen bzw. surrealen Themen widmeten. Aufgrund ihrer - man könnte sagen doppelten - Flucht, einerseits ins ländliche Abseits, andererseits durch die Behandlung realitätsfremder Themen, dienten die entsprechenden Autoren der kulturellen Meinungsmache als negatives Beispiel, das zwar nicht als erstrebenswert galt, aber auch nicht verboten war. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden kritische Stimmen laut, die den im Lande gebliebenen Autoren deren vordergründige Untätigkeit in Sachen Widerstand gegen den Nationalsozialismus vorwarf (Stichwort: innere Emigration). In Zusammenhang mit diesem Themenstrang sollte auch Frank Thiess genannt werden, der zwar nicht zu den Eskapisten zu zählen ist, der aber eine Schlüsselrolle im Streit um den unterlassenen Widerstand einnahm.

Nur allzu oft wird ebendieser Rückzug in romantische Bereiche, der wohl eine Mystifizierung der Natur miteinschließt, mit der heutzutage zur Nazi-Trivialität verkommenen Blut und Boden-Thematik gleichgesetzt. Es ist somit ein Unterschied anzunehmen zwischen einer plump faktischen Bodengebundenheit und Handfestigkeit, wie sie Ideologieliteraten in einem Jargon der Eigentlichkeit daherpredigten, und einer vernünftig unvernünftigen Abwendung von der naturalistischen Darstellung. Ebenso entspricht das einfache Stichwort „innere Emigration“ aber auch nicht dem geistigen Rückzug der Eskapisten. Wo ersteres erst nach Beendigung des Krieges die sich damals nicht am Naziregime Beteiligenden bezeichnet, meint letzteres den Ausweg in eine mystische, surreale Welt, die schon den Nazis selbst Realitätsflucht bedeutete und ihnen, wie oben erwähnt, schon zu Zeiten des Krieges, z.B. mit Hermann Stehr, als nicht unbedingt anzustrebendes Beispiel diente.

Der Heiligenhof

Bezeichnend für Stehrs Verbindung zu dieser Art der inneren Flucht sind z.B. die unzähligen Stellen mystischen Charakters, die in seinem bekanntesten Werk, „Der Heiligenhof“, anzutreffen sind.

Wie in den meisten Erzählungen Stehrs steht der Roman von Beginn an in Verbindung mit der deutschen, bzw. auch nordeuropäischen Volksdichtung, was uns ebenfalls den Eindruck einer Wiederkehr romantischen Gedankenguts verschafft, deren exemplarischste Ausführung in der bürgerlichen Aufarbeitung der Volksdichtung, in „Des Knaben Wunderhorn“ von Achim von Arnim und Clemens Brentano, zur Ansicht kommt. Stehr spielt in seiner Darstellung mit einer Bandbreite von Geistersehern bis, und dies vorwiegend, zu einer religiös-mystischen Symbiose zwischen einigen Protagonisten. Die Hauptfigur, der Bauer Sintlinger, erfährt im Laufe der Zeit eine Wandlung vom lärmenden Trunkenbold zum gläubig zurückgezogenen Einzelgänger, der in seinem blinden Kind das Erdendasein eines Engels zu erkennen glaubt.

Zitat

Hermann Stehr über den Schlesier:

  • Der Schlesier legt sich schlafen wie ein Vlame, springt wie ein draufgängerischer Franke in den Tag, arbeitet wie ein Pole und verliert sich, von einem sentimentalen Böhmen oder Wenden an der Linken, von einem verträumten Thüringer an der Rechten geführt, durch den Abend in die Nacht. Der Charakter der Schlesier ist wie eine Volksversammlung, die erregt debattiert, aber keine Resolution faßt..... Quelle

Auszeichnungen und Ehrungen

Anlässlich des 73. Geburtstags des Schriftstellers benannte der Rat der Stadt Habelschwerdt am 16. Februar 1937 den Stadtbergturm nach dem Torwächter Willmann aus Stehrs Roman Drei Nächte in Willmannsturm.

Die Gemeinde Waldenburg-Dittersbach, in der er viele Jahre als Lehrer tätig war, ehrte ihn, indem sie eine Straße nach ihm benannte.

Werke

  • Auf Leben und Tod. Zwei Erzählungen. Berlin, S. Fischer, 1898
  • Der Schindelmacher. Novelle. Berlin, Fischer, 1899
  • Leonore Griebel. Roman. Berlin, Fischer, 1900
  • Das letzte Kind. Novelle. Berlin, Fischer 1903
  • Meta Konegen. Drama in fünf Akten. Berlin, Fischer, 1904
  • Der begrabene Gott. Roman. Berlin, Fischer, 1905
  • Drei Nächte. Roman. Berlin, Fischer, 1909
  • Geschichten aus dem Mandelhause. Berlin, Fischer, 1913
  • Das Abendrot. Novellen. Berlin, Fischer, 1916
  • Der Heiligenhof. 2 Bände. Berlin, Fischer, 1918
  • Lebensbuch. Gedichte aus zwei Jahrzehnten. Berlin, Fischer, 1920
  • Die Krähen. Novellen. Berlin, Fischer 1921
  • Wendelin Heinelt. Ein Märchen. Trier, Friedrich Lintz Verlag 1923
  • Der Schatten. Novelle. Chemnitz, Gesellschaft der Bücherfreunde 1924
  • Peter Brindeisener. Roman. Trier, Friedr. Lintz Verlag, 1924
  • Hanns Fechner: Menschen, die ich malte. Mit 17 Abbildungen nach eigenen Werken. Vorwort von Hermann Stehr. (Über Wilhelm Raabe, Anton von Werner, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann, Wilhelm Bölsche u.a). Berlin, Rembrandt-Verlag 1927
  • Der Geigenmacher. Eine Geschichte. Berlin, Horen-Verlag 1926
  • Nathanael Maechler. Roman. Berlin-Grunewald, Horen-Verlag 1929
  • Das Haus zu den Wasserjungfern. Leipzig, Paul List Verlag 1929
  • Das Märchen vom deutschen Herzen. Drei Geschichten. Leipzig, Paul List Verlag 1929
  • Mythen und Mähren. Leipzig, Paul List Verlag 1929
  • Meister Cajetan. Berlin, Horen-Verlag 1931
  • Über äußeres und inneres Leben. Leipzig und Berlin, Horen-Verlag 1931
  • An der Tür des Jenseits. Zwei Novellen. München, Albert Langen/Georg Müller 1932
  • Die Nachkommen. Leipzig, Paul List Verlag 1933 (2. Band der Roman-Trilogie "Das Geschlecht der Maechler, Roman einer deutschen Familie")
  • Gudnatz. Leipzig, Insel-Bücherei, Insel-Verlag 1934
  • Das Stundenglas. Reden/Schriften/Tagebücher. Leipzig, Paul List Verlag 1936
  • Der Mittelgarten. Ausgewählte frühe und neue Gedichte. Leipzig, Paul List Verlag 1936
  • Schlesien. Bielefeld, Velhagen und Klasing 1937 (Einleitung zu einem Bildband)
  • Der Himmelsschlüssel. Eine Geschichte zwischen Himmel und Erde Lpz., Paul List 1939
  • Von Mensch und Gott. Worte des Dichters. Ausgewählt von Emil Freitag, Paul List, Leipzig 1939
  • Droben Gnade drunten Recht Das Geschlecht der Maechler. Roman einer Deutschen Familie. Leipzig, List 1944 (Neufassung)
  • Damian oder Das große Schermesser Leipzig, List, (1944) "Das Geschlecht der Maechler Band 3".
  • Cajetan Novelle, Leipzig,Paul List Verlag, 1944, Sonderauflage, Frontbuchhandelsausgabe für die Wehrmacht. Im Auftrag des OKW hergestellt von der Wehrmachtspropagandagruppe beim Wehrmachtsbefehlshaber Norwegen. Gedruckt in Oslo.(zuerst 1931)
  • Hermann Stehr. Walter Rathenau. Zwiegespräche über den Zeiten. Geschichte einer Freundschaft in Briefen und Dokumenten. Hrsg. von Ursula Meridies-Stehr.Leipzig und München, Paul List 1946
  • Das Mandelhaus, München, List, 1953
  • Hermann Stehr Schlesier, Deutscher, Europäer. Ein Gedenkbuch zum 100. Geburtstag des Dichters,Würzburg, Holzner Verlag. 1964

Literatur

  • Wolfgang Baumgart: Hermann Stehr. 3. Aufl. Breslau: Gauverl.-NS.-Schlesien 1943.
  • Hermann Böschenstein: Hermann Stehr. Einführung in die Stimmung seines Werkes. Breslau: Priebatsch 1935. (= Sprache und Kultur der germanisch-romanischen Völker; Reihe B, Germanistische Reihe; 15)
  • Ulrich Erdmann: Vom Naturalismus zum Nationalsozialismus? Zeitgeschichtlich-biographische Studien zu Max Halbe, Gerhart Hauptmann, Johannes Schlaf und Hermann Stehr. Mit unbekannten Selbstzeugnissen. Frankfurt am Main u.a.: Lang 1997. ISBN 3-631-30907-4
  • Emil Freitag: Hermann Stehr. Gehalt und Gestalt seiner Dichtung. Groningen u.a.: Wolters 1936.
  • Martin Krebs: Hermann Stehr. Sein Werk im Zusammenhange des religiösen Bewußtseins der Gegenwart. Limburg: Limburger Vereinsdr. 1932.
  • Stephan Lobe: Wirkungsgeschichte Hermann Stehrs und seines Werkes. Köln: Univ. Diss. 1976.
  • Wilhelm Meridies: Hermann Stehr. Sein Leben und Werk. Würzburg: Holzner 1964.
  • Hans Moritz Meyer: Das Übersinnliche bei Hermann Stehr. Nachdr. d. Ausg. Berlin 1936. Nendeln/Liechtenstein: Kraus 1967.
  • Werner Milch: Hermann Stehr. Seine dichterische Welt und ihre Probleme. Berlin: Goldstein 1934.
  • Erich Mühle: Hermann Stehr. Ein deutscher Gottsucher der Gegenwart. Stuttgart: Truckenmüller 1937. (= Deutsches Wesen; 4/5)
  • Fritz Richter: Hermann-Stehr-Bibliographie. 1898-1964. Würzburg: Holzner 1965.
  • Walter Schlusnus: Die Frage der Polarität und der Einheit im Werk Hermann Stehrs. Königsberg: Univ. Diss. 1938.
  • Wilhelm Meridies (Hrsg.): Wege zu Hermann Stehr. Festschrift des Hermann Stehr-Archivs zum 100. Geburtstag des Dichters. Würzburg: Holzner 1964.
  • Peter Sprengel Hermann und Hedwig Stehr im Briefwechsel mit Gerhart und Margarete Hauptmann, Erich Schmidt Verlag, 2008
  • Wojciech Kunicki (Hg.), ...und steigert meine Furcht zum Zorn., Leipziger Universitätsverlag, 2009
  • Joseph Wittig: Hermann Stehrs Siebziger Geburtstag, Guda Obend 1935

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 587.

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