Himmelbett-Verfahren

Himmelbett-Verfahren

Das Himmelbett-Verfahren bezeichnet eine Kette von Radar-Systemen zur Leitung der Nachtjäger der deutschen Reichsverteidigung und wurde nach dem Schöpfer und Organisator Generalmajor Josef Kammhuber auch als Kammhuber-Linie bekannt. Im Endausbau erstreckte sich diese Luftverteidigungslinie entlang der deutschen Reichsgrenze von Dänemark bis nach Südfrankreich und erreichte über 1.000 Kilometer Länge.

Inhaltsverzeichnis

Beginn und Aufbau

1940 begann die britische Royal Air Force (RAF) mit ersten regelmäßigen Bomberangriffen auf Deutschland, die – zum Schutz von Maschinen und Besatzungen – vorwiegend in der Nacht durchgeführt wurden. Zur Bekämpfung einfliegender RAF-Bomber errichtete die deutsche Luftwaffe entlang der deutschen Reichsgrenze eine Luftraumüberwachung aus Sektoren, die – überlappend aneinandergefügt als eine durchgehende Kette von Dänemark bis Südfrankreich – mit über 1000 km Länge die Kammhuber-Linie bildeten.

Die Funktionsweise des Himmelbett-Verfahrens

Ein Sektor umfasste eine mittels Radar überwachte Kampfzone von ca. 32 km Länge (von Norden nach Süden) und ca. 20 km Breite (von Osten nach Westen), die üblicherweise aus drei Radar-Geräten, einer Leitstelle für zwei Nachtjäger sowie unterschiedlich vielen Flak-Scheinwerfern und Flak-Kanonen bestand.

Zur Ersterfassung einfliegender RAF-Bomber diente jeweils ein simples Radargerät des Typs „Freya“ mit ca. 120 km Reichweite, zur genauen Zielverfolgung ein Radar-Gerät „Würzburg“ mit ca. 35 km Reichweite (später folgte „Würzburg-Riese“ mit doppelter Leistung), welches auch die Höhe der Bomber bestimmen konnte. Ein weiteres „Würzburg“-Gerät erfasste die aufsteigenden Nachtjäger der deutschen Luftwaffe. Alle Positionsmeldungen ergingen an den „Himmelbett“-Gefechtstand und wurden auf einem Auswertetisch (dem Vorläufer eines „Seeburg“-Tisches) manuell koordiniert. Ein Leitoffizier führte dann die deutschen Nachtjäger mittels Sprechfunk an die RAF-Bomber heran, um diese zu bekämpfen.

Die Evolution des Himmelbett-Verfahrens

Zu Anfang des Krieges stand die gelenkte Nachtjagd bzw. adäquate Nachtjäger sowie die praktisch anwendbare Radar-Technologie noch in der Erprobung. Daher erlebte das erst später so benannte Himmelbett-Verfahren von 1940 bis 1942 mehrere Evolutionsstufen.

Die Dunkle Nachtjagd (so die erste Bezeichnung) umfasste nur ein „Freya“- und ein „Würzburg“-Gerät, wo Bomber und Nachtjäger gemeinsam erfasst und dirigiert wurden. Dabei hatten deutsche Nachtjäger meist Probleme, in Dunkelheit (ohne Mondlicht) oder bei leichter Bewölkung die Ziele zu finden, denn Bordradargeräte gab es noch nicht. Zudem konnte nur ein Nachtjäger von der Bodenleitstelle aus dirigiert werden.

Die Helle Nachtjagd bestand aus der obigen Standard-Konfiguration eines Himmelbettes. Hierbei wurden die RAF-Bomber mit Flak-Scheinwerfern angestrahlt, und ein Nachtjäger konnte so das Ziel leicht finden und effektiv bekämpfen.

Die Kombinierte Nachtjagd bestand aus üblicherweise drei Himmelbetten, die um strategische Ziele gelegt wurden (z. B. Städte oder Industriegebiete). Einfliegende Bomber wurden mit Scheinwerfern angestrahlt und zuerst mittels Nachtjägern bekämpft, danach erhielt die Flak genaue Zieldaten und konnte präzises Sperrfeuer schießen.

Das Seeburg-Lichtenstein-Verfahren verbesserte ab Frühjahr 1942 die deutsche Nachtjagd. Die deutschen Nachtjäger bekamen das erste serienreife Bordradar „Lichtenstein“ eingebaut und konnten sich die letzten Kilometer selbst an die RAF-Bomber leiten, womit die Flakscheinwerfer zur Zielfindung obsolet waren und großteils abgezogen wurden. Zudem wurden alle Positionsmeldungen im Gefechtsstand automatisch auf den sogenannten Seeburg-Tisch (per Lichtpunkt von unten auf eine Mattscheibe) projiziert. Weiters konnten nun immer zwei Nachtjäger pro Kampfzone an einfliegende Bomber herandirigiert werden.

Da die Anzahl einfliegender britischer Bomber Jahr für Jahr zunahm, wurden bei Bedarf mehrere Himmelbetten in die Tiefe gestaffelt, um Bomber länger und mit mehr Nachtjägern bekämpfen zu können. Die Gefechtsstände wurden ironischerweise „Kammhubers Opernhäuser“ genannt, und 1942 entwickelte sich auf deutscher Seite der Begriff Himmelbett-Verfahren, der bis Kriegsende gültig blieb.

Krieg der Technik

Gegen die Effektivität der deutschen Nachtjagd bei wenigen Bombern reagierten die Engländer mit „Bomber-Strömen“, die das Himmelbett-Verfahren latent an die Kapazitätsgrenze brachten und letztendlich überforderten. Im Februar 1942 bombardierten 464 Bomber Lübeck, und Ende Mai 1942 flogen erstmals 1047 RAF-Bomber einen Angriff auf Köln (Operation Millennium). Die schwerste Niederlage des Himmelbett-Verfahrens kam mit den Bombenangriffen der Operation Gomorrha, die Hamburg im Feuersturm versinken ließen. Dabei wurde durch massenhaft abgeworfene Düppel, die auf die fix eingestellten Frequenzen deutscher Funkmess-Geräte zugeschnitten waren und tausendfaches Radarecho erzeugten, das Himmelbett-Verfahren nahezu wirkungslos.

Da Hamburg bei der deutschen Führung einen Schock und Kontroversen zwischen Hermann Göring und Kammhuber auslöste und die Abschuss-Zahlen mittels Himmelbett-Verfahren über Monate hinweg kaum noch relevant waren, testeten die Deutschen neue Taktiken wie die sogenannte „Wilde Sau“: Einsitzige Tagjäger wie die Messerschmitt Bf 109 und Focke-Wulf Fw 190 wurden – ohne Bord-Radar – auch zum Einsatz gegen Nachtbomber geschickt, während Flak-Scheinwerfer den Himmel flächig ausleuchteten. Zudem sollten die verdunkelten Städte hell erleuchtet sein. Dadurch waren die Konturen der RAF-Bomber theoretisch wie auf einem Lichtteppich gut zu erkennen und diese abzuschießen. Aber negativ wirkte: die RAF-Bomber konnten sich – ohne Verdunkelung – besser orientieren, und praktisch hielten weder Piloten noch Tagjäger die doppelte Belastung lange aus.

Durch technische Nachrüstungen bis Herbst 1943 (u. a. verstellbare Frequenzen bei Radar-Geräten sowie Maßnahmen gegen die Störung durch Düppel) erlangte das Himmelbett-Verfahren zwar wieder Funktionalität, aber mittlerweile wurde die Kammhuber-Linie durch hunderte RAF-Bomber Nacht für Nacht förmlich überrollt.

Als bessere Lösung erwies sich die Taktik namens „Zahme Sau.“ Die deutsche Luftwaffe sorgte für die massive elektronische Aufrüstung ihrer Nachtjäger, die damit in größerer Anzahl weitgehend unabhängig von Bodenleitstellen in der Nacht operieren konnten. Zum neuesten Lichtenstein SN2-Bordradar mit auf 7-8 km verdoppelten Reichweite kam u. a. das Zielfindungsgerät „Flensburg“, welches die in einigen RAF-Bombern eingebauten Radarwarngeräte anpeilen konnte, sowie verbesserte elektronische „Freund-Feind-Erkennung“, um zu verhindern, dass sich deutsche Piloten untereinander mit RAF-Bombern verwechselten und versehentlich gegenseitig abschossen (Anmerkung: deutsche Nachtjäger waren üblicherweise zweimotorig. Die RAF verwendete neben viermotorigen auch zweimotorige Bomber).

Neue Radar-Stationen mit größeren Reichweiten (u. a. „Jagdschloss“, „Wassermann“, „Elefant“, „Mammut“) erhöhten die Vorwarnzeit bei Luftangriffen und erlaubten das Zusammenziehen von Nachtjägern aus allen Teilen des Reiches für den konzentrierten Einsatz gegen einfliegende Bomberverbände.

All diese Maßnahmen ermöglichten den deutschen Nachtjägern 1944, mit dem Himmelbett-Verfahren neue Erfolge zu erringen und der RAF schwere Verluste beizubringen. Ein großer Erfolg wurde im März 1944 erzielt, als in einer Nacht 95 Bomber der RAF, die einen Angriff auf Berlin flogen, abgeschossen wurden und eine Bomberflotte über Nürnberg zersprengt wurde. Bei zwei Nachtangriffen über Österreich (29. Juni und 6. Juli) verlor die RAF zuletzt 23 Prozent der eingesetzten Maschinen, worauf die nächtlichen Bomberangriffe auf das Gebiet Österreichs (damals „Ostmark“ genannt) kurzfristig eingestellt wurden. Dies ist vor allem bemerkenswert, weil die deutsche Luftwaffe zu dieser Zeit gegen die Tagesangriffe der USAF-Bomber mangels guter und erfahrener Piloten kaum noch effektiven Widerstand leisten konnte.

Epilog

Ab Sommer 1944 nach Einnahme französischer Flugplätze konnten die alliierten Bomberverbände mit Jäger-Begleitschutz bis tief in das Reichsgebiet operieren, was Bestand und Einsatzpersonal der Luftwaffe drastisch dezimierte. Als dann die Amerikaner bei Tag und die Briten bei Nacht bevorzugt die deutsche Treibstoffherstellung bombardierten, fiel die Flugbenzin-Produktion von 175.000 t pro Monat (April 44) auf lediglich 5.000 t (September 44). Der sich daraus ergebende chronische Treibstoffmangel, der Mangel an erfahrenen Piloten sowie die Zerstörung der notwendigen Infrastruktur reduzierte die Anzahl der Nachtjäger-Einsätze und damit deren Erfolge kontinuierlich. Das Himmelbett-Verfahren diente bis Kriegsende weiterhin als Vorwarn-System und zur Dirigierung der Flak-Scheinwerfer und Flak-Kanonen.

Die damals gewonnenen Erkenntnisse sind heute noch Grundlage moderner Luftkrieg-Methoden bzw. Zielzuweisung für Jäger und gelenkten Raketen im Luftkampf. Elementarer Unterschied ist hierbei jedoch der technologische Fortschritt der Radar-Technologie.

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