Alraune (Kulturgeschichte)

Alraune (Kulturgeschichte)
Gemeine Alraune (Mandragora officinarum)

Die Gemeine Alraune (Mandragora officinarum) aus der Gattung Mandragora, ist eine giftige Heil- und Ritualpflanze, die seit der Antike als Zaubermittel gilt, vor allem wegen ihrer besonderen Wurzelform, die der menschlichen Gestalt ähneln kann. Benannt wurde sie nach Grimm von einer altgermanischen Seherin Alruna, der Ausdruck leitet sich von ahd. alb für ‚Alb, Mahr, Faun‘ und ahd. rûnen für ‚leise sprechen, heimlich flüstern‘, got. runa („Geheimnis“) oder nord. run („Geheimnis, Rune“) ab.

Andere Namen sind: der Alraun, das Alräunchen, ’s Alraunl („das Alraunerl“)[1], Araunl[1], Oraunl, Uraundl, Arun, das Alruneken, die Alruncke, Baaras, Galgenmännchen, Heinzelmännlein[2], Springwurz, Wurzelknecht, Dollwurz, Zauberwurzel, niederl. pisdiefje, isländisch þjófarót („Diebeswurzel“) und arabisch Teufelsapfel.

Inhaltsverzeichnis

Altes Testament

Wahrscheinlich ist, dass die u.a. in Genesis 30,14-16 OT und Hld 7,14 OT genannte Pflanze dudai (pl. duda'im דודאים ) mit der Alraune identisch ist, die sich bis heute auf den Bergen Hermon, Karmel und Gilboa findet. (vgl. Löw 1924, III, 363-368; Zohary 1986)

Das „Egressus autem Ruben tempore messis triticeae in agrum, reperit mandragoras, quas matri Liae detulit“ der Vulgata übersetzt die revidierte Luther-Bibel (Gen 30,14−16 LUT) mit: „Ruben ging aus zur Zeit der Weizenernte und fand Liebesäpfel auf dem Felde und brachte sie heim zu seiner Mutter Lea.“

Die sonst mit der Gabe der Prophetie verbundene Pflanze hat hier empfängnisfördernde Wirkung. (vgl. auch Mischra, Shir Hashirim 7,14). Dass hier die Alraune gemeint ist, war jedoch lange umstritten. Heinrich Heine schrieb von Helgoland an Ludwig Börne:

„Im Alten Testamente habe ich das erste Buch Mosis ganz durchgelesen. [...] Ich höre, wie sie blöken, die Schafe Jakobs [...] Unterdessen kommt Ruben nach Hause und bringt seiner Mutter einen Strauß Dudaim, die er auf dem Felde gepflückt. Rahel verlangt die Dudaim, und Lea gibt sie ihr mit der Bedingung, dass Jakob dafür die nächste Nacht bei ihr schlafe. Was sind Dudaim? Die Kommentatoren haben sich vergebens darüber den Kopf zerbrochen. Luther weiß sich nicht besser zu helfen, als dass er diese Blumen ebenfalls Dudaim nennt. Es sind vielleicht schwäbische Gelbveiglein. [...][3]

Noch 1879 findet sich in manchem Bibel-Register zu Dudaim, „dem Wortverstande nach: etwas liebliches, angenehmes. Ob es eine Blume oder Frucht gewesen, ist noch ungewiß“. Auch die Etymologie des Wortes duda'im bleibt unklar.

(hebr. מרדום, kann »der vom Stand her...« (vgl. Jes 24,4 EU; Ijob 5,11 EU; Koh 10,6 EU) oder „moralisch“ (vgl. Psalm 73,8 EU: „ ... Überlegene“) und qajah (קיא), „erbrechen“ bzw. qijah, „Erbrochenes“ (ebenso: gajach, „hervorbrechen“, „sprudeln“ von akka gahhu, „Husten“) bedeuten, wie ghiah Kraut heißen kann (vgl. HWbDA 1, 313). Alle diese Deutungen sind aber eher unwahrscheinlich. Auch das Kompositum aus griech. μάνδρα, „Stall“ und άγείρω, „sammeln“ zu erklären, ist wohl eher nachgereichte volksetymologische Deutung.)

Eine andere Deutung ist, dass sich der Name Mandragora aus persisch mardom, „Zauber wirkend“ herleitet.

In der Einheitsübersetzung wird das hebräische מרדום mit „Alraune“ übersetzt. (Gen 30,14−16 EU)

Antike

Ägypten

Die Mandragora war im alten Ägypten nicht heimisch, wurde dort aber schon sehr früh als Gartenpflanze angebaut. Im Grab des Pharao Tutanchamun (ca. 1332 bis 1323 v. Chr., 18. Dynastie) wurden Früchte und Erntedarstellungen gefunden, im Grab des Baumeisters Sennedjem (Grab TT1 in Theben-West) aus der Regierungszeit von Pharao Sethos I. (1290 bis 1279 v. Chr., 19. Dynastie) wurde sie zusammen mit Dumpalme, Sykomore, Dattelpalme, Klatschmohn und Kornblume dargestellt.

Nach Diskurides' Standardwerk „materia medica“ (1. Jh.) lässt das Aussehen auf die Wirkung schließen (Signaturenlehre). Seite aus dem Kodex Dioscurides neapolitanus (um 700)

Griechenland

In Griechenland waren die Früchte der Mandragoras der Göttin Aphrodite geweiht, die daher den Beinamen Mandragoritis trug. Ob hier die heute so bezeichnete Alraunwurzel gemeint ist, muss offen bleiben. Bei dem Aristoteles-Schüler Theophrast, der mit μανδραγóρας die Tollkirsche meinte (Hist. Plant. VI 2,9; †IX 8,8; 9,1), wird die Alraun-Pflanze explizit als Aphrodisiakum erwähnt, das von betrügerischen Wurzelgräbern angepriesen wurde. Bei der Ernte sollte die Alraune dreimal mit einem Schwert umkreist werden. Auszugraben war sie dann mit einem nach Westen gerichteten Gesicht. Derweil tanzte ein anderer im Kreis und besang die Liebeskraft.

Nach Plinius dem Älteren fiel Sappho in eine unglückliche Liebe zu Phaon durch die Zauberkraft der Alraunwurzel. Ansonsten lag Plinius bei Theophrast (vgl. Nat. hist. 25,148). Auch Dioskur legte im 1. Jahrhundert zwar das Wort nach dem Bestandteil Κιρκαία, „zur Kirke gehörend“ als Liebestrank aus, betonte aber dennoch die Zubereitung und die medizinische Wirkung:

„Aus der Rinde der Wurzel wird Saft bereitet, indem sie frisch zerstossen und unter die Presse gebracht wird; man muss ihn dann in die Sonne setzen und nach dem Eindicken in einem irdenen Gefäße aufbewahren. In ähnlicher Weise wird auch aus den Äpfeln der Saft bereitet, aber es wird aus ihnen ein schwächerer Saft gewonnen.“

„Die frischen Blätter sind mit Graupen als Umschlag ein gutes Mittel bei Entzündungen an den Augen und an Geschwüren; sie zertheilen auch alle Verhärtungen und Abscesse, Drüsen und Geschwulste; sie bringen ferner Male ohne Eiterung weg, wenn sie fünf bis sechs Tage sanft aufgerieben werden. Zu demselben Zwecke werden die Blätter in Salzlake eingemacht und aufbewahrt.“

„Die Wurzel, mit Essig fein zerrieben, heilt Rose, mit Honig oder Oel dient sie gegen Schlangenbisse, mit Wasser vertheilt sie Drüsen und Tuberkeln, mit Graupen lindert sie auch Gelenkschmerzen.[4]

Mittelalter

Alraunenernte mithilfe eines Hundes (Wiener Tacuinum Sanitatis (um 1390)

Die mittelalterlichen Beschreibungen beruhen in der Regel auf Texten von Flavius Josephus oder Aelian –- so wird die „Methode“, diese Wurzel von einem Hund herausziehen zu lassen, oftmals beschrieben. Überdies wird angemerkt, dass die Pflanze etwa am Falkenberg bei Neukirch und in der Muskauer Heide (Lausitz) besonders gut gedeihe. (HWbDA 1, 318f.; Kühnau 1926, II, 45). Es ist unklar, ob dies in Zusammenhang mit der Annahme steht, Alraunen wüchsen vor allem unter Galgen und Galgenbäumen. Dem Aberglauben zufolge entstehen solche Galgenmännchen aus Urin und Sperma Gehenkter.

Zur erfolgreichen Ernte wurde wie bei den Samen des Farns die Mitternachtsstunde zur Johannisnacht vorgeschlagen. (vgl. hierzu auch Knabenkraut, Echtes Johanniskraut und Johannishändchen). Auch dann stieß die Alraune noch einen Schrei aus, der nach mancher Überlieferung außer dem Schrecken beim Gärtner nichts bewirkte, nach manch anderer aber sofort dessen Tod herbeiführte. Gerade in diesem Zusammenhang wurde dann auch der Hund des Josephus gern wiederbelebt: Die Ohren mit Baumwolle, Pech oder Wachs verstopft, waren so erst drei Kreuze über dem Alraun zu schlagen, um dann den Hund, an dessen Schwanz die Wurzel befestigt worden war, diese herausziehen zu lassen. So reimt noch Thurneysser:

„ [...] der Grabt Alrauna undrem Gricht
Loufft weck das ers hör schreien nicht [...][5]

Lediglich Albert (de veget. VII 2, cap.12,379) wie auch Konrad von Megenburg (Natur, 406) beschränkten sich hierbei eher auf die Beschreibung des Wurzelaussehens.

Hildegard von Bingen, die der Alraun ein ganzes Kapitel in der Causae et Curae widmete, wähnte im 12. Jahrhundert dann den Teufel in der Pflanze wohnen. Das Ernten der Pflanze war nun nicht mehr problematisch, jedoch sollte danach der Alraun in queckborn (Quellwasser) gelegt werden, um das Böse hinauszudrängen – es sei denn, die Pflanze sollte explizit zu bösem Zauber verwendet werden. Bei (guter) Heilanwendung sollte die Pflanze gegen sexuelle Begehrlichkeiten wirken. Hierzu war eine weibliche Alraune zwischen Brust und Nabel des Kranken anzubinden, dann die Wurzel (?) in zwei Teile zu spalten und über die Lenden zu binden und zuletzt die linke Hand der schon völlig anthropomorph vorgestellten Wurzel zu zerreiben und mit Kampfer gemischt zu essen. Gegen Schwermütigkeit dagegen war hinreichend, die Wurzel mit ins Bett zu nehmen und bei deren Erwärmung ein bestimmtes Gebet zu sprechen. In beiden Fällen konnten Buchentriebe die Alraune ersetzen.

Männliche und weibliche Alraunen aus dem Hortus sanitatis (um 1498)

Nach anderen Sagen war, um einen Alraun besitzen und nutzen zu können, in jedem Fall ein Bündnis mit dem Teufel einzugehen. Einem verstorbenen Besitzer eines Alrauns musste Brot und Geld in das Grab gegeben werden. (Meyer 1884, 64). Auch das Weiterschenken vor dem Tod löste dies Problem nur bedingt, denn das Geschenkte ließ sich nicht weiter verschenken, sondern kehrte immer zum ersten Besitzer zurück. (Manz 1916, 99). Auch wurden Alraunen nicht nur als Wurzel gedacht, sondern zum Beispiel auch als Kröte (vgl. Lütolf 1862, 192f.), als goldene Eier legender Drache (vgl. Vernaleken 1859, 260) oder als undefiniertes Wesen mit rollenden Augen, was der Symptomatik einer Alraunen-Vergiftung nachempfunden scheint (Rauchholz 1856, II, 43).

Neuzeit

Frühe Neuzeit

Ebenso ausführlich wie Hildegard beschrieben die diversen Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts den Aberglauben. (vgl. Fuchs, Kreuterbuch, 1543, cap. 201; Bock, Kreuterbuch, 1551, 336r; Matthioli, Kreuterbuch, Prag 1563). Ab dem 16./17. Jahrhundert fanden sich nun auch zahlreiche Legenden und Fabeln um die Alraunen. Sie gehörten zu den begehrtesten pflanzlichen Talismanen und sollten als Amulette gegen bösen Zauber und bei Verwundungen aller Art helfen. Mit unechten, aus dem Orient eingeführten Alraunwurzeln, der Wurzel der Zaunrübe, des Blutwurzes (Tormentille), des Wegerichs oder des Knabenkrauts (oft mit dem Schnitzmesser nachbearbeitet) wurde reger Handel getrieben. Bächtold-Stäubli ging sogar davon aus, dass nahezu jede in Europa als Alraune verkaufte Pflanze keine echte war. (HWbDA 1,316). Auch nicht-psychedelisch wirkende Pflanzen, wie Knabenkraut und die Schwertlilie wurden wegen ihrer der Mandragora ähnlichen Wurzel nachgefragt.

Abendländische Alraune waren nun aber (im Gegensatz zu orientalischen Originalen) bekleidet. Zudem darf angenommen werden, dass je nach Aufwand der Schnitzerei, die diesen Alraun hervorbrachte, eine Weiterverarbeitung zunehmend unwahrscheinlich wurde. Unklar bleibt auch, ob sich bei der zunehmenden Bekleidung der Figuren schon kirchlicher Einfluss geltend machte und wie sich diese Tendenz (sofern vorhanden), den Liebestrank-Charakter zu entfernen, mit der zunehmenden Vergeschlechtlichung der Wurzeln übereinbringen lässt –- die auch dazu führte, dass man männliche von weiblichen Alraunen kaum noch unterschied. Die Alraunen-Krämer zählten somit zu Recht zu den Gauklern. Ob dies noch eher dem Magieaspekt oder schon demjenigen der falschen Alraune Rechnung trug muss ebenfalls offen bleiben. (vgl. HWbDA 1,319). In Hexenprozessen wurde in jedem Fall der erste Aspekt wieder in den Vordergrund gebracht und gegen die entsprechenden Kräuterkundler ausgelegt. Noch in einem Hexenprozess in Rottenburg (Württemberg) von 1650, den Bächtold-Stäubli erwähnte (HWbDA 1, 318 nach Birlinger 1874, I, 162), gestand der Angeklagte, er habe in der Nacht in einem Wald in ein Geschirr masturbiert und dieses vergraben, dass daraus ein Glücksbringer entstehe (der insbesondere für Reichtum sorgen sollte).

Nach verschiedenen Gegenden und Sagenbildungen konnte das Geld auch vom Alraun durch den Schornstein hereingebracht werden (vgl. Strackerjan in HWbDA 1, 320) um dann manchmal auf gleichem Wege das Haus wieder zu verlassen. Oder aber der Alraun, zu dem man ein Geldstück legte, verdoppelt dies (ebd.). Ebenso wurde die aphrodisische Funktion erweitert. Über die Geburtshilfe für Schwangere (vgl. Leithaeuser, Bergische Pflanzennamen, 1912, 6; nach HWbDA, a.a.O.) fanden die Alraune dann auch in den Kursus diffuser allgemeine Heilmittel Eingang. (vgl. auch Grimm, Sagen, 75).

Späte Neuzeit

Noch 1820 wurde auf dem Leineberg bei Göttingen angeblich ein „Alruneken“ mit Hilfe eines schwarzen Hundes aus der Erde geholt. In diesem Fall überlebte der Hund, was jedoch keine Verwunderung hervorrief (HWbDA 1, 319). Als hervorragende Ernteplätze galten nun auch Plätze unter dreigipfeligen Haselstauden oder solchen, die von einer Mistel befallen waren. (ebd.).

Noch um 1890 bot man in Ostpreußen so genannte Glückswurzeln an, die der gelben Schwertlilie (Iris pseudacorus) entstammten und Reichtum sowie Kindersegen versprachen (HWbDA 1, 318). Doch neben diesen beiden Aspekten, denen noch dunkel eine Ahnung von der Vermehrung zu Grunde liegen mochte, wurde zunehmend diffus jedwedes Glück an Alraunen gebunden. Anfang des 20. Jahrhunderts verkaufte nach einer Information von Bächthold-Stäubli (HWbDA 1, 318) das Berliner Kaufhaus Wertheim so genannte Glücksalraune für 2,25 Mark. Hierbei handelte es sich um Stücke von Allermannsharnisch und von Siegwurz, die in ein Medaillon gebracht wurden, um nahezu jedwede positive Veränderung herbeizuführen, für die je der Aberglaube sich Mittel erdacht hat: Sowohl Gesundheit, als auch Glück und Reichtum und zuletzt auch die Liebe der angebeteten Person sollte dies Medaillon verschaffen –- so bekundete ein beigefügtes Zettelchen.

Auch die Boland-Schwestern kannten noch die Alraune, die nicht mit der Bryonia verwechselt werden darf, als Talisman mit aphrodisischer Wirkung. Sie warnten vor der narkotischen Wirkung einer Überdosis.

Wirkungsgeschichte

Hans Sachs kannte schon gefälschte Alraunen (Werke 9, hg. v. A. Keller, 16) und Niccolò Machiavelli schrieb mit La Mandragola 1518 eine böse Korruptionssatire. Grimmelshausen kannte das „Galgenmännchen“. Shakespeare kannte die mandrake, wenn er Julia sagen lässt:

„Alack, alack, is it not like that I, So early waking, what with loathsome smells, And shrieks like mandrakes' torn out of the earth, That living mortals, hearing them, run mad-- [6]

Ebenso findet sich in Heinrich IV die Wurzel:

„Thou whoreson mandrake.[7]

und in Antonius und Cleopatra, wenn Cleopatra zu ihrer Dienerin Charmion spricht:

„Charmion...
Eu’r Hoheit?
Ach!
Gib mir Mandragora zu trinken!
Wie?
Dass ich die Kluft der Zeit durchschlafe,
Wo mein Antonius fort ist!.[8]

Zuletzt auch kennt Jagos im Othello die Mandragora, wenn er spricht:

„[... ] Der Mohr ist schon im Kampf mit meinem Gift: -
Gefährliche Gedanken sind gleich Giften,
Die man zuerst kaum wahrnimmt am Geschmack,
Allein nach kurzer Wirkung auf das Blut
Gleich Schwefelminen glühn. Ich sagt’ es wohl! -
Da kommt er. Mohnsaft nicht, noch Mandragora,
Noch alle Schlummerkräfte der Natur,
Verhelfen je dir zu dem süßen Schlaf,
Den du noch gestern hattest.[9]

In Ludwig Tiecks Erzählung Der Runenberg (1804) markiert das Ziehen einer Alraunenwurzel den Übergang zum Wahnsinn. Die Brüder Grimm überlieferten das Märchen Der Riese und der Schneider, indem es heißt:

„Der Kerl kann mehr als Äpfel braten, der hat einen Alraun im Leib. Sei auf der Hut, alter Hans, das ist kein Diener für dich.“

In Der kleine Sackpfeifer (aus Irische Elfenmärchen, von Wilhelm Grimm übersetzt) nennt der Erzähler ein Schabernack treibendes Kind, das später zu den Elfen geht, einen Alraun. Und bei Goethe findet sich Mephistos Erstaunen über den Aberglauben:

„Da stehen sie umher und staunen
Vertrauen nicht dem hohen Fund,
Der eine faselt von Alraunen,
Der andre von dem schwarzen Hund.[10]

Dann schrieben Ludwig Achim von Arnim (Isabella) und Fouqué 1827 (Mandragora. Eine Novelle) über den Alraun. Durch Fouqués Das Galgenmännchen etablierte sich dies als Bezeichnung neben dem Wort Alraun. Und der schon oben erwähnte Heine dichtet

„Die klügsten Waldgeister sind die Alräunchen,
Langbärtige Männlein mit kurzen Beinchen,
Ein fingerlanges Greisengeschlecht,
Woher sie stammen, man weiß es nicht recht.“

und an anderer Stelle:

„Wo sind die Alräunchen? Ich glaube, sie halten
Sich ängstlich verborgen in Felsenspalten.
Ihr kleinen Freunde, ich komme zurück,
Doch ohne Kranz und ohne Glück.“

Andrew Lang beschrieb dann den Alraunen-Schrei schon 1893:

„He who desires to possess a mandrake must stop his ears with wax so that he may not hear the deadly yells which the plant utters as it is being dragged from the earth. Then before sunrise on a Friday, the amateur goes out with a dog ›all black‹, makes three crosses 'round the mandrake, loosens the soil around the root, ties the root to the dog's tail and offers the beast a bit of bread. The dog runs at the bread, drags out the mandrake root and falls dead, killed by the horrible yell of the plant.[11]

Klabund nutzte in Borgia die Alraune, den Aberglauben und die Falschheit des Christentums an exponierter Stelle sichtbar werden zu lassen:

„Der Papst hatte schon Zuflucht zur Mandragora, zum Liebestrank, genommen, den ein Leibarzt aus seiner von einem schwarzen Hund bei Vollmondschein aus der Erde gezogenen Alraunwurzel gewonnen hatte. Aber der Trank hatte bisher nicht gewirkt. [...] In einer Vollmondnacht ohne Alraunwurzel und schwarzen Hund ergab sich Julia, die Junge, Alexander, dem Alten. [...] Alexander Borgia ließ Giulia Farnese als lebendige Heilige in feierlicher Prozession im Reliquienkasten einhertragen.“

Bei James Joyce fand sich das Wurzelextrakt dann 1925:

„THERE’s a coughmixture scopolamine
And its equal has never been seen
’T would make staid Tutankamen
Laugh and leap like a salmon
And hid mummy hop Skotch on the green.“

was Hans Wollschläger übersetzte mit

„S GIBT ’nen Hustensaft Scopolamin,
Da steckt wirklich Musieke drin:
Sogar Tut-ench-amen
Wär’ rasch beisammen
Göß ihm hinter die Binde man ihn.[12]

Bächtold-Stäubli nennt auch den Roman Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens (1911) von Hanns Heinz Ewers (HDA 1, 321). Nach einem Stummfilm, den Eugen Illés 1918 drehte, verarbeitete 1928 Henrik Galeen in dem Film Alraune mit Brigitte Helm bereits das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung einer Prostituierten mit dem Samen eines am Galgen hingerichteten Verbrechers. 1930 verfilmte Richard Oswald das Buch erneut, ebenfalls mit Brigitte Helm. In einer Inszenierung von Arthur Maria Rabenalt spielte 1952 in Alraune dann Hildegard Knef die besagte Tochter. Hieran scheint auch ein Alraune genanntes Musical nach einer Novelle von Dietmar Ludwig anzuknüpfen.

Heutige Populärkultur

Die Alraune erscheint in der gleichnamigen achtteiligen Erotik-Comicserie von Rochus Hahn. Den Namen verwendet auch der US-Comic Mandrake, der Zauberer (nach dem englischen Wort für Alraune). Auch Joanne K. Rowling benutzt dieses Motiv (siehe Alraune), schreibt aber der Wurzel rückverwandelnde Wirkung zu.[13]

Literatur

  • Hanns Bächtold-Stäubli (Hg.), Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens; 10 Bde., Berlin u. Leipzig, 1927-1942; 3. unveränd. Aufl., Berlin u. New York 2000 - abgek. als HWbDA
  • Italo Michele Battafarano, Mandragora – Alraun – Galgen-Männlin. Grimmelshausens Auseinandersetzung mit dem Aberglauben; in: Jb. f. Volkskunde NF 7 (1984), 179–194
  • Anton Birlinger, Aus Schwaben. Sagen, Legenden, Aberglauben. Neue Sammlung; 2 Bde., Wiesbaden 1874
  • Maureen & Bridget Boland, Was die Kräuterhexen sagen. Ein magisches Gartenbuch; München 1983
  • Robert Cermak, Der magische Roman; Diss., Wien 1950
  • Jochen Gartz: Halluzinogene in historischen Schriften. Eine Anthologie von 1913-1968, Nachtschatten-Verlag, Solothurn 1999
  • Rolf Giebelmann u.a., Kulturgeschichtliches zur Alraune; in: Toxichem + Krimtech. Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie 69 (2002), 73-76
  • H. Harms, Anregungen und Antworten. Zum Aufsatze von Prof. Dr. Killermann über Alraun (Mandragora) in Nr. 11; in: Naturwissenschaftliche Wochenschrift NF 16 (1917), 351f.
  • Walter Hävernick, Wunderwurzeln, Alraunen und Hausgeister im deutschen Volksglauben; in: Beiträge z. dt. Volks- und Altertumskunde 10 (1966), 17–34
  • Vera Hambel, »Die alte Heydnische Abgöttische Fabel von der Alraun«. Verwendung und Bedeutung der Alraune in Geschichte und Gegenwart, Dipl.-Arb., Passau 2002 (PDF)
  • Heidi Heres, Zuflucht zum Glauben – Flucht in den Aberglauben; (=Kulturgeschichte des Dachauer Landes 8); Dachau 1997
  • Juljan Jaworski, Die Mandragora im südrussischen Volksglauben; in: Zschr. f. österr. Volkskunde 2 (1896), 353–361
  • S. Killermann, Der Alraun (Mandragora). Eine natur- und kulturhistorische Studie; in: Naturwissenschaftliche Wochenschrift NF 16 (1917), 137–144
  • Friedrich S. Krauss, Ein Altwiener Alraunmännchen; in: Anthropophyteia 10 (1913), 29–33
  • Richard Kühnau, Breslauer Sagen; 2 Bde., Breslau 1926
  • Immanuel Löw, Die Flora der Juden; 4 Bde., 1924-34
  • Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden in den fünf Orten Lucern, Uri, Schwiz, Unterwalden und Zug; Lucern 1862
  • Werner Manz, Volksbrauch und Volksglaube des Sarganserlandes; (=Schriften der Schweizer Gesell. f. Volkskunde 12); Basel u. Straßburg 1916
  • Heinrich Marzell, Zauberpflanzen und Hexentränke. Brauchtum und Aberglaube; Stuttgart 1963
  • ders., Geschichte und Volkskunde der deutschen Heilpflanzen; Darmstadt 1967
  • Carl Meyer, Der Aberglaube des Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte; Basel 1884
  • Claudia Müller-Ebeling, Die Alraune in der Bibel; in: Alfred Schlosser 1912, Nachdr. 1987, 141–149
  • Christian Rätsch, Die Alraune heute; in: Adolf Taylor Starck 1917, Nachdr. 1997, 87–103
  • E. L. Rauchholz, Schweizersagen aus dem Aargau; 2 Bde., Aargau 1856
  • Alfred Schlosser, Die Sage vom Galgenmännlein im Volksglauben und in der Literatur; Diss., Münster 1912, (Nachdr. Berlin (Express) 1987)
  • Peter Schmersahl, Alraune - Heilpflanze und sagenhafte Zauberpflanze; in: Deutsche Apotheker Zeitung 147 (2007), 3666-3670
  • Wolfgang Schmidbauer, Die Magische Mandragora; in: Antaios 10 (1969), 274–286
  • E. Scholz, Alraunenfrüchte – ein biblisches Aphrodisiakum; in: Zschr. f. Phytotherapie 16 (1995), 109f.
  • Adolf Taylor Starck, Der Alraun, ein Beitrag zur Pflanzensagenkunde; Diss. (1916), Baltimore/Maryland 1917, (Nachdr. Berlin (Express) 1997)
  • Charles J.S. Thompson, The Mystic Mandrake; London (Rider) 1934
  • Theodor Vernaleken, Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich; Wien 1859
  • Gerlinde Volland, Mandragora – Ikonographie einer anthropomorphen Zauberpflanze; in: Jahrbuch für Ethnomedizin und Bewußtseinsforschung 6 (1997), 11–38
  • [Dr.] Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker; neu bearb. v. W. Binder; 3. Aufl., Stuttgart (Hoffmann’sche) 1874 (Wörterbuch online)
  • Michael Zohary, Pflanzen der Bibel; Stuttgart (Calwer) 1995 (ISBN 3-7668-3397-9)

Belege

  1. a b Idiotikon in: Johann Gabriel Seidl: Gedichte in der niederösterreichischen Mundart. Flinserln, Dritte Auflage, J. P. Solinger, Wien 1844, S. 283 (Online-Version in der Google Buchsuche) (Erstauflage der Flinserln mit Worterklärungen: 1837; Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche)
  2. Adelung Wörterbuch von 1811: Das Heinzelmännlein
  3. (18. Juli 1830; aus: Ludwig Börne. Eine Denkschrift; in: Heine, Werke; hg. v. H. Kaufmann, Bd. VII, 120f.)
  4. Des Pedanaios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre; übers. u. mit Erläut. v. J. Berendes; 1902 (ND 1988)
  5. (Thurneysser, Archidoxa; 1575, 49 V.
  6. Shakespeare, Romeo ans Juliet 4,3,45-48
  7. Shakespeare, Henry IV, 2, 1.2
  8. Shakespeare, Antonius und Cleopatra, 1, 5
  9. Shakespeare, Othello, 3, 3
  10. Goethe, Faust II; v4977-4980; (=MA 18.1, 116)
  11. Andrew Lang, Custom and Practice
  12. James Joyce, Kammermusik; Frankfurt a.M. 1982, 110
  13. Joanne K. Rowling, Harry Potter und die Kammer des Schreckens, 96f.

Weblinks


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