Horst Wagner (NS-Diplomat)

Horst Wagner (NS-Diplomat)

Horst Wagner (* 17. Mai 1906 in Posen; † 13. März 1977) war der Verbindungsmann zwischen Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop und Reichsführer SS Heinrich Himmler.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Der Sohn eines Amtsrats im Reichskriegsministerium erwarb ohne Abitur nach eigenen Angaben 1929 an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen ein Diplom, das aber sein Biograf Sebastian Weitkamp als Fälschung entlarvte.[1] Wagner arbeitete von 1930 bis 1936 u.a. als Sportjournalist und freier Mitarbeiter für das Berliner Tageblatt. Am 1. Mai 1936 wurde er in das Protokoll-Referat der sogenannten Dienststelle Ribbentrop übernommen. Nach der Ernennung Ribbentrops zum Reichsaußenminister folgte er diesem ins Auswärtige Amt, wurde zunächst als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Protokoll tätig, 1939 dem persönlichen Stab des Reichaußenministers zugeteilt und 1940 zum Legationsrat ernannt.

Wagner wurde 1937 NSDAP-Mitglied (Nr. 5.387.042) und schon ein Jahr vorher in die SS aufgenommen, bei der er es mit Datum vom 1. Januar 1944 bis zum SS-Standartenführer brachte. Anfang 1944 schlug er eine „Arbeitstagung der Judenreferenten“ vor, die am 3. und 4. April unter dem Signet "Antijüdische Aktionsstelle" oder "Antijüdische Auslandsaktion" in Krummhübel stattfand und auf der Franz Alfred Six die „physische Beseitigung der Ostjuden“ forderte, wie der Judenreferent des Auswärtigen Amtes Eberhard von Thadden protokollierte.[2]Weitere bekannte Teilnehmer der Aktion sind Harald Leithe-Jasper, Adolf Mahr, Gustav Richter, Heinz Ballensiefen, Hans-Otto Meissner als Konsul in Italien, Peter Klassen, Paris und Hans Hagemeyer.[3]

Wagner fungierte bis Kriegsende als Leiter des Referats „Inland II“ des Auswärtigen Amtes, dessen Aufgabe von der Rekrutierung volksdeutscher „Freiwilliger“ für die Waffen-SS in Südosteuropa, über den Einbau ausgewählter SD-Agenten und Judenreferenten in diplomatische Missionen bis zur diplomatischen Absicherung der Vorbereitung und Durchführung antijüdischer Maßnahmen in Südosteuropa, ab 1944 vor allem in Ungarn, reichte. Zudem wurde er von Ribbentrop zum Verbindungsführer des Auswärtigen Amtes zur SS berufen und im Gegenzug von Himmler zu seinem alleinigen Verbindungsführer zum Auswärtigen Amt bestimmt. Wagners auf dieser doppelten Beauftragung basierende Verbindungstätigkeit bestand vor allem in der wechselseitigen Übermittlung und Koordination der Wünsche und Anregungen Himmlers bzw. Ribbentrops sowie in der Durchsetzung der zwischen beiden Ressortchefs abgestimmten außenpolitischen und judenfeindlichen Maßnahmen.

Als der Schweizer Gesandte Peter Anton Feldscher am 12. Mai 1943 im Auftrag der britischen Regierung beim Auswärtigen Amt anfragte, ob Bereitschaft bestünde, 5000 jüdische Kinder aus dem deutschen Herrschaftsbereich nach Palästina ausreisen zu lassen, ließ Wagner von Eberhard von Thadden für das Referat Inland II eine von ihm selbst unterstützte und von verschiedenen Abteilungsleitern des AA gebilligte propagandistische Zurückweisung dieses, im Amtsjargon als Feldscher-Aktion bezeichneten Rettungsversuches ausarbeiten, was dazu führte, dass eine Rettung der Kinder vereitelt wurde.[4]

Nach einem Bericht der Berliner Zeitung wurden im Jahr 2010 Stasi-Unterlagen aus den 70er-Jahren gefunden, die Wagner erheblich belasten. Er vermerkte für Ribbentrop am 31. Dezember 1944:

Im Zusammenhang mit der Verurteilung von 15 deutschen Kriegsgefangenen durch amerikanische Kriegsgerichte wegen ihres Vorgehens gegen Mitgefangene hat der Führer den Vorschlag des Herrn RAM[5] genehmigt, sofort die Verurteilung einer entsprechenden Anzahl amerikanischer Kriegsgefangener zur Todesstrafe herbeizuführen.

Vom 28. - 30. Dezember 1944 seien bereits zehn US-Soldaten zum Tode verurteilt worden, ein weiteres Todesurteil liegt vor. Drei Tage später ist Ribbentrops Wunsch vollständig erfüllt, dank des Einsatzes der verantwortlichen Beamten, die für das Kriegsverbrechen sogar ihren Weihnachtsurlaub unterbrochen haben. Wagner bittet zufrieden um eine Belobigung.

Bei der auf Anweisung des Herrn RAM (...) herbeigeführten Verurteilung von amerikanischen Kriegsgefangenen haben sich verschiedene Herren (...) unter Zurückstellung von ursprünglichen juristischen Bedenken besondere Verdienste erworben...(3. Januar 1945 an Ribbentrop)

Der schlägt vor, den Verantwortlichen sollen "gelegentlich (...) einige anerkennende Worte (...) im Namen des Herrn RAM mündlich in geeignet erscheinender Weise" ausgesprochen werden.[6]

Im Sommer 1945 wurde er von den Alliierten bis zur Überstellung nach Nürnberg im luxemburgischen Camp Ashcan in Bad Mondorf zusammen mit hohen NSDAP-Funktionsträgern und hohen Wehrmachtsangehörigen interniert.

Als Aktenfunde nach dem Krieg den Anteil der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes und insbesondere von Wagners Abteilung bzw. Referatsgruppe „Inland II“ an den Verfolgungsmaßnahmen gegen die europäischen Juden offenbarten, sollte gegen ihn im Wilhelmstraßen-Prozess Anklage erhoben werden. Als die Liste der Angeklagten um Mitglieder anderer Dienststellen mit Sitz in der Wilhelmstraße erweitert wurde, strich man Wagners Namen.[7] Wagner entzog sich 1948 der zu erwartenden Strafverfolgung durch Flucht nach Südamerika. Nachdem er 1952 unter falschem Namen als Korrespondent argentinischer Zeitungen nach Europa zurückgekehrt war, ermittelte nach seiner Enttarnung ab 1958 die Staatsanwaltschaft Essen und erhob schließlich 1967 beim Landgericht Essen Anklage wegen Beihilfe zum Mord an 356.624 Juden – so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel vom 9. Oktober 1972. Ein Prozess gegen den anfänglich von Ernst Achenbach verteidigten Wagner kam nicht zustande, Achenbach legte kurzfristig vor dem Termin das Mandat nieder und Hans Laternser musste sich erst einarbeiten, dann starb Laternser und Fritz Steinacker übernahm die 20 Bände Akten und 20 000 Dokumente.[8] Immer neue Krankmeldungen – bestätigt unter anderem durch Gutachten des Hamburger Psychiaters Hans Bürger-Prinz – verschleppten das Verfahren und wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten wurde das Strafverfahren 1974 vorläufig eingestellt, ehe es dann schließlich mit Wagners Tod am 13. März 1977 sein Ende fand.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der „Endlösung“ . J.H.W. Dietz. Bonn 2008, S.445.
  2. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. München 2010, S. 197 ff.-- Die Aktion ist auch als "Inf. XIV" (für "Informationsstelle 14") in den Akten präsent.
  3. lt. Teilnehmerliste April 1944 SS-AA-Tagung.- Paulus von Stolzmann wird seit Nov. 2010 nach einem Pressebericht Online ebenfalls dazu gerechnet, nachdem die Beteiligung Wagners an der völkerrechtswidrigen Ermordung amerikanischer Kriegsgefangener publik wurde. In den zugrunde liegenden Stasi-Unterlagen wird Stolzmann im Zusammenhang mit dieser "Aktion" geführt.
  4. Sebastian Weitkamp: Braune Diplomaten. Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der „Endlösung“ . J.H.W. Dietz. Bonn 2008. ISBN 978-3-8012-4178-0, S. 209-230.
  5. Reichsaußenminister
  6. Bericht der Berliner Zeitung vom 28. Oktober 2010
  7. Dirk Pöppmann: Robert Kempner und Ernst von Weizsäcker im Wilhelmstraßenprozess. Zur Diskussion über die Beteiligung der deutschen Funktionselite an den NS-Verbrechen. S. 173. In: Irmtrud Wojak, Susanne Meinl: Im Labyrinth der Schuld. Frankfurt/M 2003, ISBN 3-593-37373-4
  8. Kriegsverbrechen, Der Spiegel 42/1972, Seite 55 (vom 9. Oktober 1972]

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