Horten Ho 229

Horten Ho 229
Dreiseitenprojektion der H IX V 1

Die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gebaute Horten H IX war die konsequente Weiterführung des Nurflügelkonzeptes der Brüder Horten in das Jet-Zeitalter. Wie bei allen Horten-Flugzeugen handelte es sich um eine Nurflügel-Konstruktion. H IX war die Bezeichnung der ersten beiden Prototypen. Das Reichsluftfahrtministerium vergab für die Serienproduktion die Nummer 8-229, wobei die 8 eine Codenummer für Flugzeuge im allgemeinen war.

Teilweise wird auch die Bezeichnung Gotha Go 229 (nach der vorgesehenen Produktionsfirma Gothaer Waggonfabrik) verwendet. In der Praxis war jedoch im allgemeinen die Produktionsfirma für die Namensgebung unerheblich. Da die Brüder Horten keine Angestellten der Firma Gotha waren und zudem offiziell eine eigene Flugzeugfirma (wenn auch ohne nennenswerte Produktionskapazitäten) unterhielten, ist die Namensgebung Horten Ho 229 wahrscheinlicher. Diese Bezeichnung wurde auch in den Wochenberichten der Erprobungsstelle Rechlin verwendet.

Inhaltsverzeichnis

Konstruktionsmerkmale

Der Rumpf bestand im Wesentlichen aus einem Rohrgerüst, das mit Sperrholz beplankt wurde, die Tragflächen wurden komplett aus Holz gefertigt. Ausfahrbare Klappen nahe den Flügelenden fungierten als Seitenruder. Bemerkenswert ist auch die Aussage von Reimar Horten, nach der in die Außenhülle der H IX eine Mischung aus Kohlenstaub und Leim eingearbeitet wurde, um Radarstrahlen zu absorbieren. Damit wäre die H IX eines der ersten Flugzeuge gewesen, das bewusst als Stealth-Flugzeug ausgelegt wurde. Es gibt jedoch Zweifel, dass die Beimischung des Kohlenstaubes tatsächlich zu Radar-Tarnzwecken erfolgte. Das Das Flugzeug sollte ursprünglich mit einem federbetätigten Schleudersitz ausgerüstet werden. Da dieser jedoch von der Erprobungsstelle Rechlin als unzureichend betrachtet wurde, sollte schließlich ein mit einer Sprengkartusche betätigter Katapultsitz zum Einsatz kommen. Da keine Druckkabine vorhanden war, entwickelte die Firma Dräger für Flüge in großen Höhen einen ersten Druckanzug für den Piloten, den sogenannten „Watanzug“, der mit seinem Helm wie ein Vorläufer heutiger Raumanzüge anmutete, sich aber in der vorgesehenen Ausführung als unpraktisch erwies.

Entwicklungsgeschichte

Antriebsloser Prototyp Horten H IX V1

Die Entwicklung dieses Flugzeugs erfolgte innerhalb des eigens in Göttingen geschaffenen „Sonderkommandos IX“. Die Konstruktionsarbeit leistete fast ausschließlich Reimar Horten. Der erste Prototyp H IX V1 war noch ein unmotorisiertes Segelflugzeug, das von Heinz Scheidhauer am 1. März 1944 erstmals geflogen wurde. Scheidhauer hatte große Erfahrung mit den Nurflügelkonstruktionen von Horten und bescheinigte dem Flugzeug ein sehr gutes Flugverhalten. Das Flugzeug sollte die vom RLM gestellte Spezifikation eines Flugzeuges erfüllen, das 1000 kg Bombenlast tragen können, 1000 km/h schnell fliegen und 1000 km Reichweite haben sollte (Projekt 3000).

Der zweite Prototyp sollte bereits mit Strahltriebwerken ausgerüstet werden. Geplant waren zunächst die BMW 003-Triebwerke. Da die Entwicklung bei BMW aber nicht in gewünschtem Maße voranschritt, musste auf Junkers Jumo 004-Triebwerke ausgewichen werden. Dieses Triebwerk war jedoch vor allem im Durchmesser größer als das Aggregat von BMW, daher musste der Rumpf entsprechend umgebaut werden. Das Ergebnis war ein noch heute futuristisch anmutendes Düsenflugzeug, das vermutlich schon am 18. Dezember 1944 in Oranienburg mit Erwin Ziller einen kurzen unbeabsichtigten, und am 2. Februar 1945 den offiziellen Erstflug absolvierte. Auch hier wurden dem Flugzeug gute Flugeigenschaften bescheinigt. Bei einem Vergleichsfliegen mit einer Messerschmitt Me 262 zeigte die H IX aufgrund der geringeren Flächenbelastung ein besseres Kurven- und Steigflugverhalten.

Hermann Göring war von dem Konzept dieses Flugzeuges derart fasziniert, dass er direkt danach einen Fertigungsauftrag über 40 Flugzeuge an die Firma Gothaer Waggonfabrik erteilen ließ. Beim dritten, bzw. mit dem Probeflug vom 18. Dezember 1944 vierten Versuchsflug, kam es am 18. Februar 1945 nach zuvor etwa 45 Minuten Flugzeit beim Landeanflug jedoch zu einem tragischen Unfall. Vermutlich wurde er durch den Ausfall des rechten Triebwerkes ausgelöst, das zugleich die Hydraulikpumpe antrieb und bereits vor dem Start Probleme bereitet hatte. Erwin Ziller versuchte zuvor noch, im Wellenflug das Triebwerk in Gang zu bringen und fuhr bereits in 400 Metern Höhe mit Hilfe der Pressluftreserve das Fahrwerk aus. Er konnte das Flugzeug aber nicht mehr unter Kontrolle bringen und stürzte, ohne den Schleudersitz betätigt zu haben, mit dem Flugzeug vor einem Bahndamm ab. Beim Aufprall wurde er aus dem Flugzeug gegen einen Baum im Garten eines Schrankenwärterhäuschens geschleudert und dabei durch einen Genickbruch getötet. Die dort ankommenden Beobachter sahen zudem die aus dem Rumpf nach vorne herausgeschleuderten Triebwerke am Bahndamm liegen, von denen das linke noch auslief und warm war, während das rechte Triebwerk bereits erkaltet war.

Zu diesem Zeitpunkt stand die Front nicht mehr weit vom Flugplatz Oranienburg, auf dem die Versuche stattfanden, das „Sonderkommando IX“ löste sich nun faktisch auf.

Während des letzten motorisierten Flugversuches war keiner der Horten-Brüder anwesend. Reimar Horten arbeitete bereits mit Hochdruck an der Horten H XVIII, einem großen Langstrecken-Nurflügel-Bomber, mit dem Angriffe auf die USA durchgeführt werden sollten – zu diesem Kriegszeitpunkt war die Realisierung eines solchen Projektes allerdings völlig unrealistisch.

Der Bau bei Gotha

Während das „Sonderkommando IX“ sich auflöste, waren in Friedrichroda bereits weitere Prototypen unter der Leitung der Gothaer Waggonfabrik im Bau. Die Konstrukteure der Gothaer Waggonfabrik nahmen einige konstruktive Veränderungen vor, insbesondere einige Vereinfachungen im Hinblick auf die geplante Serienproduktion. Zunächst wurden V 3 bis V 5 in Auftrag gegeben. Die Serienproduktion wurde mit BMW 003 Triebwerken geplant, mangels Verfügbarkeit mussten V 3 bis V 5 jedoch noch mit Jumo 004 Triebwerken ausgerüstet werden, obwohl die Erprobungsstelle Rechlin dies als „wartungstechnisch und flugsicherheitsmäßig nicht zu verantworten“ bezeichnete. Bei der Gothaer Waggonfabrik wurde ein verändertes Mittelstück geplant, das einen breiteren Führersitz und einen größeren Triebwerksabstand haben sollte. Durch den größeren Triebwerksabstand hätten die Munitionskästen jedoch aus dem Mittelstück in die Außenflügel verlegt werden müssen, was auf Kosten der Treibstoffkapazität und damit der Reichweite gegangen wäre. V 6 bis V 8 wurden mit diesem geänderten Rumpf als Aufklärer geplant. Noch Ende März 1945 hat sich die „Technische Luftrüstung“ mangels ausreichender Erprobung auf keinen konkreten Verwendungszweck festlegen wollen. Es wurden aber noch 10 weitere Versuchsmuster V 6 bis V 15 in Auftrag gegeben. In Ilmenau wurde währenddessen außerdem eine Attrappe in der Auslegung der vorgesehenen V 6 gebaut. Diese sollte als Muster für die Serienproduktion dienen und wurde daher laufend mit den während der Konstruktion durchgeführten Änderungen versehen.

Am 14. April 1945 erreichten amerikanische Truppen die Fertigungsstätte in Friedrichroda und erbeuteten dabei neben Konstruktionsunterlagen den fast fertiggestellten Rumpf der V 3.

Der Konflikt zwischen Horten und Gotha

Die H IX sollte zunächst primär als Jagdflugzeug eingesetzt werden. Göring hatte bereits den Einsatz beim 1./JG 400 auf dem Flugplatz Brandis vorgesehen – dort waren zu diesem Zeitpunkt Me 163-Raketenflugzeuge stationiert. Bei der Gothaer Waggonfabrik zweifelte man an der Eignung dieses Flugzeuges als Jagdflugzeug, man sah es eher in der Rolle eines Bombers, da man durch das Fehlen eines konventionellen Leitwerks eine mangelhafte Fähigkeit des Anvisierens gegnerischer Bomber annahm. Die Horten Brüder setzten anstelle eines konventionellen Seitenleitwerks Luftbremsen nahe den Flügelenden ein. Bei Gotha versuchte man mit einem Gegenentwurf, der Gotha P.60, ebenfalls ein Nurflügelflugzeug durchzusetzen – dies jedoch mit einem konventionellen Leitwerk und Seitenruder.

Die Weiterentwicklung bei Horten und Gotha erfolgte weitgehend unabhängig voneinander, was teilweise zu Verwirrungen führt. So sollte die von Gotha geplante V 6, wie bereits oben erwähnt, ein verbreitertes Cockpit erhalten und V 6 bis V 8 als Aufklärer ausgerüstet werden. Die Brüder Horten entwickelten, offenbar in Unkenntnis über die Planungen bei Gotha, eine zweisitzige Variante mit der Bezeichnung H IXb, die ebenfalls als V 6 bezeichnet wurde, sowie einen zweisitzigen Nachtjäger mit der Bezeichnung V 7.

Verbleib und Überreste

Überreste der Ho-229 V3

Die V 1 wurde nach der Untersuchung durch die Amerikaner schwer beschädigt zurückgelassen und schließlich wohl verbrannt. Eine H IX gelangte nach Großbritannien, um in Farnborough untersucht zu werden. Es ist nicht geklärt, um welche Maschine es sich dabei handelte. Da Eric Brown, der zahlreiche erbeutete deutsche Flugzeuge für Großbritannien untersuchte, angab, die Maschine hätte ausgesehen als wäre sie abgestürzt, handelte es sich vermutlich um die Reste der V 2 aus Oranienburg. Der fast fertiggestellte Rumpf der V 3 wurde von den Amerikanern in Friedrichroda erbeutet. Die ebenfalls noch unfertigen Tragflächen wurden in Sonneberg konfisziert und vermutlich in den USA fertiggestellt. Es war ursprünglich vorgesehen, auf Freeman Field Testflüge zu unternehmen. Diese blieben jedoch insbesondere wegen der Bedenken gegen die unzuverlässigen Jumo 004-Triebwerke aus. Die V 3 wurde nach dem Krieg in den USA lackiert, um sie auf Beuteschauen zu zeigen. Danach wanderte sie in die „Garber Restauration Facility“ des National Air and Space Museum. Dort ist sie bis zum heutigen Tage eingelagert, um eines Tages restauriert zu werden. V 4 wurde von den Amerikanern als zu 2/3 fertiggestellt eingeschätzt. In das Rohrgerüst der V 4 waren bereits die Triebwerke eingebaut. V 5 war gerade erst begonnen worden, lediglich das Rohrgerüst war vorhanden. Der weitere Verbleib von V 4 und V 5 ist ungeklärt. Die Attrappe der V 6 war bei Eintreffen der Amerikaner in Ilmenau bereits zerstört. Lediglich einige der Steuerflächen der V 6 waren noch intakt.

Ähnliche Entwicklungen

Insbesondere in den USA und England wurden ebenfalls einige Versuche unternommen, Nurflügelflugzeuge zu bauen. Nennenswert sind beispielsweise die Baynes Bat und zahlreiche Konstruktionen bei Northrop. Es ist bekannt, dass sich insbesondere Mitarbeiter von Northrop die erbeuteten Horten-Konstruktionen genauer angesehen haben. Die Northrop-Konstruktionen wiesen immer wieder Probleme mit der Flugstabilität auf. Den Horten-Flugzeugen wurde jedoch nachgesagt, dass diese eine gute Flugstabilität gehabt hätten. Moderne Nurflügel-Jets, wie die Lockheed F-117 und die äußerlich der Ho IX sehr ähnliche Northrop B-2, werden durch Computersysteme stabilisiert. Die B-2 wird oft als direkten Ableger der H IX dargestellt – dies ist zwar nicht nachweisbar, aber durchaus plausibel. Theoretisch ist die B2 eine Ableitung von den Nachkriegs-Northrop-Konstruktionen XB-35 und YB-49. Als sicher gilt jedoch, dass bereits die Gebrüder Horten auf die erschwerte Ortbarkeit ihrer Nurflügler mittels Radar hinwiesen. Dagegen ist nicht bewiesen ob die Gebrüder Horten nur aus Materialknappheit oder aus Wissen ihr Luftfahrzeug aus Formholz auf Metallrahmen konstruierten. Das in Epoxydharz getränkte Formholz reflektiert Radarstrahlung deutlich schwächer als Metalloberflächen. Nur im Bereich der Triebwerke wurde zum Schutz des Materials vor der Hitze das Formholz mit Blechen geschützt. Heute wird dieses Wissen um die Abhängigkeit der Radar-Ortbarkeit von bestimmten geometrischen Formen und Materialbeschichtungen für Tarnkappentechnik ausgenutzt. Anfang des Jahres 2009 wurde bei Northrop für Radarvergleiche im Rahmen einer Dokumentation für den National Geographic Channel ein Nachbau der Ho 229 V3 fertiggestellt. Es sollen sowohl Untersuchungen mit alten britischen, als auch mit modernen Radargeräten unternommen werden. Ein Vergleich mit der Radarortbarkeit des B2 Bombers ist ebenfalls vorgesehen. Über Ergebnisse der Untersuchungen ist bisher noch nichts bekannt, die Dokumentation soll Mitte 2009 ausgestrahlt werden.

Siehe auch

Literatur

  • Reimar Horten und Peter F. Selinger: Nurflügel, Weishaupt/Pietsch Verlag 1983, ISBN 3900310092
  • David Myhra: The Horten Ho 9/ Ho 229 Retrospective, Schiffer Publishing, September 2002, ISBN 0764316664
  • David Myhra: The Horten Ho 9/ Ho 229 Technical History, Schiffer Publishing, September 2002, ISBN 0764316672
  • Huib Ottens und Andrei Shepelev: Horten Ho 229 Spirit of Thuringia, Classic Publications 29. September 2006, ISBN 1903223660

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