Hundemensch

Hundemensch
Kynokephale aus der Schedelschen Weltchronik

Kynokephale (auch Kynokephaloi, griech.κῠνοκέφᾰλοι) sind zunächst generell Hundsköpfige.

Man bezeichnet damit hauptsächlich die menschenartigen Kynokephalen, die seit der Antike in Literatur und Kunst nachweisbar sind und im Mittelalter weitere Verbreitung fanden.[1] Sie gehören zu den Wundervölkern, bzw. monstra (auch Fabelvölker, monströse Menschenrassen), die man sich an den Rändern der Ökumene, also der zivilisierten Welt, vor allem in Indien oder Afrika vorstellte. Ob sie als real oder fiktiv gedacht wurden, lässt sich damit ebenso wenig abschließend erörtern wie die Frage nach der Realität von außerirdischen Lebensformen heutzutage.

Die Idee eines hundsköpfigen Menschen scheint auf der ganzen Welt verbreitet zu sein. Einige Wissenschaftler vermuten ihren Ursprung bereits in frühen Mythen, in denen sie als chthonische Dämonen auftauchen.[2] Es ist auch für das Mittelalter nicht unbedingt sinnvoll, zwischen Dämonen und Kynokephalen eine strenge Unterscheidung durchführen zu wollen.

Kynokephale im Kampf mit Alexander dem Großen

In der Literatur sind die Kynokephalen recht zahlreich vertreten. Um 700 v. Chr. nennt Hesiod monstra, darunter Hemikynes (Halbhunde). Einer der ersten ausführlichen Belege stammt von Ktesias von Knidos, der aus persischen und indischen Quellen schöpfte.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Äußeres

Kynokephale haben eine menschliche Figur, können aber zusätzlich zu ihrem Hundekopf noch andere Merkmale der Hunde, wie Fell oder Klauen haben. In frühen Texten hüllen sie sich dagegen lediglich in Tierfelle.[3]

Kultur

Des Öfteren beschrieben wird die Unfähigkeit zu sprechen, die sich aus dem absonderlichen Kopf erklären lässt.[4] Ktesias dagegen beschreibt die Hundsköpfigen als ein friedliches Volk, das auch Handel mit anderen Völkern treibt. Mehrfach taucht auch die Schilderung der Religion dieser Fabelwesen auf. Jean de Mandeville stellt die Kynokephalen als besonders gottesfürchtiges Volk dar. Dass sie aber auch als gefährliche Feinde verstanden werden konnten, zeigt eine Erwähnung blutrünstiger Kynokephalen in der Historia gentis Langobardorum des Paulus Diaconus. Strabon erwähnt Kynokephaloi als einen sagenhaften Stamm von Äthiopiern. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Plutarch und Aelian über einen Hundekönig berichten, der über die Äthiopier herrscht.[5] Diesen König nennt Plinius auch[6], darüber hinaus kennt er neben den Kynokephalen auch Kynomolgi mit Hundsköpfen. In der Geschichte der Diözese Hamburg, die Adam von Bremen gegen 1075 verfasste, werden die Männer eines Volkes, das bei den Amazonen lebt, als hundsköpfig beschrieben.

Diät

Uneinigkeit herrscht in Bezug auf die Diät der Hundsköpfigen. Nach Aussage des Alexanderromans ernähren sie sich nur von Fisch. Eine andere Variante zeigt eine Handschrift namens Cotton Tiberius. Der hier abgebildete Hundsköpfige scheint von den Blättern eines Baumes zu fressen. Interessant ist in dieser Hinsicht auch die Rasse der Cynomolgi. Friedman und Herkenhoff erklären, dass es sich hierbei zunächst um eine Variante der Kynokephalen handelt, die später, zumindest in einigen Quellen, zu einer eigenen Rasse avancierte, weil sie nicht mehr richtig verstanden wurde. Bei Plinius melken sie Hunde und trinken deren Milch, wohingegen sie in späteren Quellen als Anthropophagen gezeigt werden.[7]

Verbindung zur Realität

Hundsköpfige sind oft mit realen Völkern oder Lebewesen in Verbindung gebracht worden. Eine realistische Deutung ihrer Herkunft kann und soll hier nicht versucht werden, dennoch soll das Thema kurz angerissen werden. Es ist mehrfach angedacht worden, dass es sich um ein schwarzes Volk in Indien mit einem niedrigen kulturellen Niveau handeln könne. Ursula Düriegel vermutet dagegen, dass Kynokephale mit Pavianen gleichzusetzen sein könnten.[8] Schon mittelalterliche Autoren brachten Kynokephale mit Menschenaffen in Verbindung.[9] Ob der Mythos des Kynokephalen tatsächlich auf Affen zurückzuführen ist, oder ob die Affen lediglich als Kynokephale (miss)verstanden wurden und so vielleicht noch nachträglich das Bild dieses Wesens verändert haben, kann wohl nicht geklärt werden. Kretzenbacher legt auch die Verteufelung eines Wesens aus paganer Mythologie nahe.[10] Die Kynokephalen sind im Mittelalter ein beliebtes Beispiel in Diskussionen um die Menschlichkeit der sogenannten Wundervölker. Isidor z. B. meint, man müsse die Kynokephalen aufgrund ihres Gebells eher als Tiere einstufen.[11]

Kynokephale in der Kunst

Kynokephale im Tympanon von Sainte Marie-Madeleine in Vézelay

Eine Reihe von Beispielen für Kynokephale in der Buchmalerei gibt Zajadacz-Hastenrath an. Auch in der Bauornamentik, vor allem in Romanik und Gotik, gibt es Hundsköpfige.[12] Ein wichtiges Beispiel bietet das Tympanon von Sainte Marie-Madeleine in Vézelay. Die Kynokephalen nehmen hier eine prominente Stelle neben dem Haupt Christi ein und sind daher nicht als Dämonen zu verstehen, sondern als Volk, dem von den ausgesendeten Aposteln der christliche Glaube gebracht werden soll.[13] Auch in der Fensterrosette der Kathedrale Notre-Dame in Lausanne ist neben anderen Wundervölkern ein Hundsköpfiger abgebildet. Er ist mit der Beschriftung cinomolgi versehen, verzehrt aber gerade ein menschliches Bein. Die Erdrandbewohner dieses Fensters sind neben den Paradiesflüssen dargestellt und stehen so stellvertretend für exotische Gegenden. Optisch aus der Reihe fallen die Kynokephalen in den Kirchen St. Jakob in Kastelaz, St. Margareth in Lana und St. Martin in Zillis. Die beiden ersteren haben Flossen an Stelle von Füßen bzw. Klauen, der letztere verfügt sogar über einen doppelschwänzigen Fischleib, wie ihn sonst nur Sirenen aufweisen.

Kynokephale in der östlichen Tradition

In den Volksagen vor allem der Slowenen und Kroaten, auch bis nach Kärnten[14], finden sich die Hundsköpfigen (Pesoglavci) bis heute.[15] Der Konsens dieser Geschichten zeigt das Bild eines grausamen Menschenfressers, der es besonders auf Christen oder aber auf Frauen abgesehen hat. Die Hundsköpfe sind mehr oder weniger intelligent, häufig fungieren sie in der Rolle des überlisteten Räubers. Optisch unterscheiden sich die Hundsköpfigen östlicher Prägung manchmal etwas von ihren westeuropäischen Verwandten. Häufige Merkmale sind Bocks- oder Pferdebeine, Einäugig- und Einbeinigkeit. Auffällig ist darüber hinaus, dass die Pesoglavci in nahegelegenen Wäldern hausen.

Deutung in Antike und Mittelalter

Christophorus cynocephalus

Die Assoziationen zu den Hundsköpfigen sind eng mit denen zu Hunden im Allgemeinen verbunden. Die antiken und mittelalterlichen Assoziationen zum Hund sind sehr unterschiedlich, eine Tendenz zum Negativen hin ist aber unverkennbar.

Kynokephale können als Vorboten der Hölle und Heerscharen des Antichristen auftreten.[16] Dass sie aber auch als Beispiel für die Bekehrung der Erdrandbewohner stehen können, zeigen neben den Darstellungen in Vézelay und St.Etienne in Auxerre auch die Pfingstbilder aus der östlichen Tradition, in denen sie als Personen erscheinen, die von den Aposteln missioniert werden sollen.[17] Ganz eindeutig wird die Mission auch im Theodore Psalter aus dem 11. Jahrhundert dargestellt, wo Christus selbst Hundsköpfige belehrt.[18] Diese Funktion der Kynokephalen ergibt sich aus mehreren Quellen, namentlich der Christophorus- bzw. Christianuslegende und der Geschichte über die Apostel Bartholomäus und Thomas. Friedman beschreibt auch die Legende des heiligen Mercurius, der Kynokephale missioniert habe, die ihm dann als Helfer zur Seite stehen. Diese Legende ist aber im Westen nicht sehr verbreitet und taucht in der Sakralkunst nur in Ägypten auf. Zu der positiven Deutung, die die Geschichte des bekehrten Kynokephalen im christlichen Abendland verbreitet hatte, kommt die Interpretation der Gesta Romanorum, die die Kynokephalen mit Predigern vergleicht.

Im Gegensatz dazu steht die Interpretation des Thomas von Cantimpré, der die Kynokephalen wegen ihres unartikulierten Gebells als Symbol der üblen Nachrede versteht.[19]

Insgesamt kann man festhalten, dass die Kynokephalen sowohl als dämonische Höllenwesen, als auch als Sinnbild der Möglichkeit zur Bekehrung etabliert sind. Dass diese beiden Deutungen sich keineswegs völlig ausschließen, liegt nahe, wenn man bedenkt, dass als hoffnungsvolles Beispiel gerade ein Volk taugt, das man als besonders gefährlich einstufte.

Kynokephale werden bekehrt


Trivia

In der modernen Furry Subkultur werden anthropomorphe Wölfe meist fälschlicherweise als Werwölfe bezeichnet, da diese aber durch die Fähigkeit der Metamorphose definiert werden, welche die anthropomorphen Wölfe nicht besitzen, müssten diese korrekter Weise als Kynokephale bezeichnet werden.


Endnoten

  1. Allein unter dem Eintrag cynocephal* finden sich 111 Einzelbelege in der Patrologia Latina Database – Zajadacz-Hastenrath (Sp.766) nennt als weitere Bezeichnungen: cenocephales, cinomolgi, cynopenes, cynoprosopi, canicipites, equinocophali.
  2. So z. B. Wittkower S. 91; Kretzenbacher S. 30
  3. Zu den Klauen und der Verhüllung in Tierfelle. Lucidarius (I.53)
  4. Z. B. Konrad von Megenberg Buch der Natur (VIII.3), Lucidarius (I.53)
  5. Plutarch De comunibus notitiis (Kap. 16) Aelian De natura animalium (VII, 40.)
  6. Plinius Naturalis historia (6,35,192)
  7. Plinius Naturalis historia (Liber VI, 190 und Liber VII, 31)Vgl. dazu auch die Cynomolgi an der Kathedrale Notre-Dame (Lausanne) und bei Marco Polo (Kap. CLXXIII).
  8. Ursula Düriegel: Die Fabelwesen von St.Jakob in Kastelaz bei Tramin. Romanische Bilderwelt antiken und vorantiken Ursprungs. Wien 2003. S. 63, so auch Friedman S. 24f.
  9. Z. B. Solinus Collectanea rerum mirabilum (27,58), Albertus Magnus De animalibus libri (XXVI, 2,1,4), Isidor Etymologiae (XII, 2, 32), auch in den Texten der Ebstorfer Weltkarte.
  10. Interessant ist sicherlich auch ein möglicher Zusammenhang mit den hunde- bzw. schakalköpfigen Gottheiten Ägyptens (Upuaut, Anubis). Siehe hierzu die Arbeiten von Carl Albrecht Bernoulli und Zofia Ameisenowa.
  11. Isidor Etymologiae (XI, 3,15).
  12. So z. B. an den Kirchen Notre Dame de Cunault, der Kirche in Fleury-la-Montagne, der Pfarrkirche Saint-Nicolas (Maillezais) und Ols Kirke in Olsker.
  13. Ähnlich in einem Fenster der Kathedrale St. Etienne in Auxerre.
  14. U. a. in St.Jakob im Rosental lokalisiert. Sie stehen mit Türkenangriffen des 15.Jhs in Verbindung, scheinen aber insgesamt schon älter zu sein. Interessant wäre hier ein Vergleich des Sagengutes mit den Fresken u. a. in Tirol.
  15. Siehe hierzu Kretzenbacher.
  16. So im Tympanon der Kirche St. Pierre in Beaulieu-sur-Dordogne.
  17. Abb. bei Friedman S. 66.
  18. Handschrift Ms.Gr.Add.19352, fol.23r., 11. Jh., London, British library.
  19. Vgl. Ellen J. Beer: Die Rose der Kathedrale von Lausanne und der kosmologische Bilderkreis des Mittelalters. Zweiter Teil. (Dissertation Bern 1950) Bern 1952. S. 25 (Mit Abdruck einer Handschrift aus dem 14. Jh.) und Wittkower S. 112.

Literatur

  • John Block Friedman: The Monstrous Races in Medieval Art and Thought. Cambridge, Massachusetts/London 1981.
  • Leopold Kretzenbacher: Kynokephale Dämonen südosteuropäischer Volksdichtung. Vergleichende Studien zu Mythen, Sagen, Maskenbräuchen um Kynokephaloi, Werwölfe und südslawische Pesoglavci. (Beiträge zur Kenntnis Südosteuropas und des Nahen Orients, Band 5) München 1968.
  • Walter Loeschke: Sanctus Christophorus canineus. In: Georg Rohde (Hrsg.): Edwin Redslob zum 70.Geburtstag. Eine Festgabe. Berlin 1955. S. 33-82
  • David Gordon White: Myths of the Dog-Man. Chicago 1991.
  • Rudolf Wittkower: Die Wunder des Ostens: Ein Beitrag zur Geschichte der Ungeheuer. In: Rudolf Wittkower (Hrsg.): Allegorie und der Wandel der Symbole in Antike und Renaissance. Köln 2002. S. 87-150. (Originaltitel: Allegory and the Migration of Symbols. Colorado und London 1977. Erstmals erschienen ist der Artikel in: Journal of the Warburg and Courtauld Institute, V, 1942.
  • Salome Zajadacz-Hastenrath: Fabelwesen. In: Otto Schmidt (Hrsg.): Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte. (61. Lieferung, VI. Band) München 1978

Siehe auch

Weblinks


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