Hyperkorrektion

Hyperkorrektion

Hyperkorrektur (seltener: Hyperkorrektion) ist ein Phänomen in der Soziolinguistik. Hyperkorrektur tritt auf, wenn Sprecher ihren Sprachgebrauch an eine als vorbildlich angesehene Sprachvarietät anpassen und dabei eine über das Vorbild hinausgehende Veränderung vornehmen – was aus Sicht der für vorbildlich gehaltenen Sprachnorm einen Fehler darstellt. Hyperkorrektur wird typischerweise bei sozial Aufstiegswilligen beobachtet, die sich dem als Norm empfundenen Sprachgebrauch höherer Schichten anzupassen bemühen. Sie stellt eine Form der Übergeneralisierung dar.[1]

Viele Hyperkorrekturen sind durch die Einführung der Neuen deutschen Rechtschreibung zu beobachten.

Inhaltsverzeichnis

Beispiele

  • seien und tuen statt sein und tun, da sie die einzigen beiden Wurzelverben des Neuhochdeutschen sind und deshalb die Sprecher mit dem Streben nach Systematik sie in Analogie zu anderen Verben zweisilbig mit eingeschobenem e aussprechen.
  • Apfrikose. Erklärung: Niederdeutscher Sprecher, der weiß, dass Appel hochdeutsch Apfel heißt.
  • Kirche statt Kirsche, Gechichte statt Geschichte. Erklärung: Moselfränkischer Sprecher, der weiß, dass es im Standarddeutschen eine Unterscheidung von ch und sch gibt.
  • Küschentich statt Küchentisch oder grieschich statt griechisch, korrigiert zweimal in die falsche Richtung, vertauscht also ch und sch und kann im Rheinland vorkommen.
  • Prüter statt Brüder, vertauscht sog. "harte" und "weiche" Konsonanten (b/p, d/t, teilweise auch g/k), was vor allem in Franken und Sachsen auftritt, wenn der Sprecher sich um eine standarddeutsche Aussprache bemüht.
  • Brat statt Brot. Erklärung: falsche Analogiebildung bei Kindern, die eine bairische Dialektvariante sprechen, nachdem sie beim Sprachkontakt mit Standarddeutsch sprechenden Kindern die Erfahrung gemacht haben, dass das dialektale Hose oder Hos' hochdeutsch Hase heißt.
  • Aussprache und Schreibweise von scheußlich mit g am Ende statt mit ch, weil der Sprecher glaubt, ch sei Umgangssprache
  • Schreiben und Sprechen von Zwergfell statt Zwerchfell
  • Schreibung von „ss“ nach langem Vokal (masshalten statt maßhalten). Dies könnte man allerdings auch als Adoption der Schweizer Schreibung interpretieren, vor allem, wenn die Schreibung in einem Text durchgängig verwendet wird.
  • Eine Hyperkorrektur in die andere Richtung ist vergeßen statt vergessen.
  • Zwangstrennungen, vor allem bei Verben (zu zu lassen statt richtig zuzulassen oder zusammen fallen statt richtig zusammenfallen) und Adverbien (möglicher Weise statt richtig möglicherweise)
  • Großschreibungen (Ich bin Stolz auf dich. Das Schiff ist Leck geschlagen. Die Tochter streichelte Ihre Katze.)
  • Primärumlaut hyperkorrekt als ä geschrieben (quängeln statt richtig quengeln).
  • Besonders in Österreich drücken für drucken, da im bairischen Dialekt das ü teilweise als u gesprochen wird (durchgedruckt)

Hyperkorrektur kann auch beim Erlernen einer Fremdsprache auftreten; Einige deutsche Englischlerner sprechen den Laut [w] (Labialisierter stimmhafter velarer Approximant) auch in den Fällen wie in window, wenn im Englischen [v] wie in victim (Stimmhafter labiodentaler Frikativ) korrekt wäre, beispielsweise beim Wort valley (Tal).

Literatur

  • William Labov: Hyperkorrektheit der unteren Mittelschicht als Faktor im Sprachwandel. In: William Labov: Sprache im sozialen Kontext. Beschreibung und Erklärung struktureller und sozialer Bedeutung von Sprachvariation. Band 2. Hrsg. v. Norbert Dittmar und Bert-Olaf Rieck. Scriptor, Königstein 1978, S. 129-146. ISBN 3-589-20576-8. (engl. 1966)
  • William Labov: Sociolinguistic Patterns. Blackwell, Oxford 1972.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler Lexikon Sprache. Dritte, neubearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 978-3-476-02056-7.

Weblinks


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Synonyme:

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