Inion

Inion

Die Kraniometrie (lat. craniumSchädel“ und gr. μέτρον métron „Maß“) ist ein Teilgebiet der Morphometrie und damit der quantitativen Anatomie.

Anhand von morphometrischen Schädelmerkmalen lassen sich, sowohl bei Menschen als auch Tieren, z. B. Art- und Geschlechtszuordnungen treffen. Diese Fragestellungen sind unter anderem in der Anthropologie, der Ethnologie und der Forensik von Bedeutung. Die Vermessung von Schädeln spielt heute vor allem in der Archäologie und der Paläoanthropologie eine Rolle, um Schädelfunde zuzuordnen.

Die Kraniometrie ist eine direkte Messmethode, bei der die Maße am lebenden oder toten Körperteil mechanisch erfasst werden. Sie ist nicht zu verwechseln mit ihrem Pendant in der Röntgenologie, der Cephalometrie, bei der die Maße indirekt am Röntgenbild abgenommen werden, das ja eine Projektion der knöchernen Strukturen ist. Hierzu müssen auch die Daten aus der Sonographie gerechnet werden.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

historisches Kraniometer
Typische kraniometrische Darstellung des 19. Jahrhunderts, in der eine angebliche Ähnlichkeit von Affen und Schwarzen dargestellt werden soll.[1] Der Schimpansenschädel ist fälschlicherweise vergrößerst gezeichnet und der Kiefer auf der mittleren Abbildung nach vorn gezogen, um so den Eindruck zu erwecken, die Schwarzen seien noch hinter den Affen einzuordnen.[2]

1764 veröffentlichte Louis Jean-Marie Daubenton einen bemerkenswerten Beitrag zur Kraniometrie: Mémoire sur les differences de la situation du grand trou occipital dans l’homme et dans les animaux (Über die unterschiedliche Lage des großen Hinterhauptlochs bei Menschen und Tieren). Sechs Jahre später veröffentlichte der Künstler und Anatom Peter Camper einige Vorlesungen mit einer Aufstellung kraniometrischer Methoden. Diese Arbeiten kann man mit gutem Recht als grundlegend für die folgende Entwicklung ansehen, die zwar allgemein anthropologische Forschung betraf, aber so unterschiedliche Studien einschließt, dass man weitere Unterteilungen treffen muss.

Wie erwähnt, befassten sich die Messungen zu Beginn damit, den Schädel des Menschen mit dem von anderen Tieren zu vergleichen. Der weite Bereich dieser Vergleiche bedingte erste Untergliederungen der kraniometrischen Forschung. Es kann angemerkt werden, dass schon in den ersten Messungen auch Winkelbestimmungen enthalten waren, und tatsächlich ist Campers Name in der anthropologischen Literatur durch den von ihm erfundenen Gesichtswinkel verewigt.

Im 19. Jahrhundert nahm die Zahl guter Beiträge zu den kraniometrischen Studien schnell zu. Es ist zwar unmöglich, jeden Beitrag zu analysieren, oder auch nur eine vollständige Liste der Autoren aufzustellen, aber es müssen wenigstens die weitreichenden Vergleiche zwischen Tier und Mensch von Paul Pierre Broca aus Frankreich und Thomas Henry Huxley aus England erwähnt werden.

Broca und Huxley bestellten ähnliche Felder der vergleichenden Rassenforschung. Auch der Name von Anders Adolf Retzius aus Stockholm muss genannt werden, dessen System sich dadurch auszeichnete, dass es den Schädel in mehreren Dimensionen erfasste, und der auf Basis der Vergleiche eine Klassifikation vorstellte.

Rassistische Ideologien machten sich den wissenschaftlichen Unterbau der kraniometrischen Theorien zunutze. Schon Campers Arbeit ging in die Rassentheorien des 18. Jahrhunderts ein; seine Winkelmessungen dienten dazu, die Schädel von Nichteuropäern mit Affenschädeln gleichzusetzen. Zuletzt missbrauchte auch die Genozid-Politik des Nationalsozialismus die anthropologische Wissenschaft. Der Gebrauch, den Rassisten und selbst anerkannte Wissenschaftler von kraniometrischen Messungen machten, wurde von Stephen Jay Gould gründlich beschrieben (The Mismeasure of Man, dt. Der falsch vermessene Mensch, 1981).

Im frühen 19. Jahrhundert versuchte Franz Josef Gall, durch die Untersuchung der Schädelformen Erkenntnisse über Charaktereigenschaften von Menschen zu gewinnen. Dieser Ansatz stellte sich jedoch als Irrweg und Missbrauch der Kraniometrie heraus.

Messpunkte

Messpunkte am Schädel

Die meisten der historischen Messpunkte sind auf den knöchernen Schädel bezogen. Glabella (der in der Mittellinie am weitesten vorspringende Punkt des Stirnbeines) ist der vordere Endpunkt, Opisthocranion der hintere Endpunkt des größten Längsdurchmessers des Schädels. Eurion ist beidseits der seitliche Endpunkt der größten Schädelbreite. Orbitale ist der tiefste Punkt der Augenhöhle. Nasion ist die Mitte der Naht zwischen Nasenbein und Stirnbein. Pogonion ist der in der Mittellinie vorderste Punkt des Unterkiefers, Gnathion der weiteste Vorsprung, Menton der tiefste Punkt. Gonion ist beidseits die Mitte des Übergangs zwischen Körper und aufsteigendem Ast des Unterkiefers. Bregma ist der Schnittpunkt von Pfeil- und Kranznaht. Lambda ist der Schnittpunkt aus Pfeil- und Lambdanaht. Zygion ist beidseits der äußerste Punkt des Jochbogens. Porion ist der Gehörgang, genauer: der höchste Punkt der knöchernen Gehörgangsöffnung. Mastoidale ist der tiefste Punkt des Mastoidvorsprunges. Basion ist die Mitte der vorderen Begrenzung des Foramen magnum in der Schädelbasis. Inion ist der äußerste Vorsprung des Hinterhauptbeines. Vertex ist der höchste Punkt des parallel zur Deutschen Horizontale ausgerichteten Schädels.

Weitere Punkte sind durch Weichteile des Kopfes definiert: Tragion liegt zwischen Tragus und Ohrmuschel. Otobasion inferius ist der tiefste, O. superius der höchste Ansatzpunkt der Ohrmuschel. Endocanthion ist der innere, Exocanthion der äußere Augenwinkel. Trichion ist der vordere Haaransatz in der Mittellinie.

Seit dem Niedergang der Kraniometrie im 20. Jahrhundert sind die meisten Bezeichnungen nicht mehr gebräuchlich. Einige Punkte werden noch in der plastischen Chirurgie benutzt. Die Deutsche Horizontale dient noch als Einstellhilfe für Röntgenaufnahmen und Computertomographien des Kopfes.

Die Verwandtschaftsbeziehungen der Völker werden heute hingegen vor allem mit genetischen Methoden erforscht, zum Beispiel durch die Analyse von Polymorphismen.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Josiah Clark Nott und George Gliddon: Types of Mankind, 1854
  2. Stephen Jay Gould: Der falsch vermessene Mensch. Frankfurt 1988, ISBN 3-518-28183-6, Seite 26f.

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