Insektenflug

Insektenflug
Fliegendes Insekt; eine Schwebfliege

Insekten nutzen verschiedene Techniken, um zu fliegen. Im ursprünglichen Bauplan der Fluginsekten (Pterygota) sind stets zwei Paare Flügel angelegt. Insektenflügel sind Hautausstülpungen, die meist aus einer zwischen Tracheen und Hämolymphkanälen gespannten Membran aus Chitin bestehen, auf der sich Borsten und Härchen befinden können.

Inhaltsverzeichnis

Fliegen bei geringen und mittleren Reynoldszahlen

Abhängig von der Größe des Insekts und seiner Fluggeschwindigkeit ist die Luft für das Insekt unterschiedlich „zäh“. Besonders kleine Insekten „schwimmen“ daher in der Luft, die für sie aufgrund ihrer Größe und Fluggeschwindigkeit so zäh ist wie Wasser (vergl. Reynolds-Zahl oder „Wenn die Luft klebrig wird“). Sie haben daher auch keinen strömungsgünstigen Flügel sondern nur pinselartige Widerstandserzeuger wie zum Beispiel die Borsten- oder Fransenflügler.

Größere oder schneller fliegende Insekten verwenden meist durchsichtige Hautflügel. Hiervon kann entweder das hintere Paar zu sogenannten „Schwingkölbchen“ reduziert werden, die lediglich zum Massenausgleich gegen die Flügel rotieren und als Kreiselinstrument genutzt werden (bei den Dipteren, wie den Stechmücken und Fliegen)

Gemeine Wespen im Nesteingang

Bei Fliegen erfolgt der Flügelabschlag von hinten oben nach vorne unten mit horizontaler Flügelstellung. Dadurch ist der Luftwiderstand in vertikaler Richtung maximal und in horizontaler Richtung minimal. So wird ein hoher Auftrieb und ein minimaler Rücktrieb erzeugt. Beim Flügelaufschlag wird der Flügel von vorne unten nach hinten oben bei vertikaler Flügelstellung bewegt. Daraus resultiert ein minimaler Luftwiderstand in vertikaler Richtung und ein entsprechend geringer Abtrieb, sowie ein maximaler Widerstand in horizontaler Richtung und entsprechend ein maximaler Vortrieb. Diese Aufgabenteilung der antagonistischen Muskelgruppen in Auf- und Vortrieb hat ein ungefähres Kräftegleichgewicht zur Folge, das für die gegenseitige Kontraktionsauslösung der Antagonisten bei der indirekten Flugmuskulatur durch Dehnung von nicht unerheblicher Bedeutung ist.

Aus dem vorderen Flügelpaar kann auch ein verhornter Deckflügel gebildet werden, der als Starrflügel im Flug Auftrieb erzeugt, während das größere, hautige hintere Flügelpaar für den Vortrieb zuständig ist (Beispiel Coleoptera, Käfer).

Schnellkäfer vor dem Abflug, deutlich sichtbar sind die verhornten vorderen und die zusammenfaltbaren hinteren Flügel

Aber es gibt auch zahlreiche Arten, bei denen beide Flügelpaare voll entwickelt sind. Der Libellenflügel der Großlibellen (Anisoptera) gilt dabei als Meisterstück der Natur. An jedem der vier Flügel formt sich mit Hilfe der Form der Tracheen und Membranen im Luftstrom ein durch eingelagerte Wirbelstromwalzen entstehendes widerstandsarmes Laminarprofil (also ein Flügelprofil mit hoher Dickenrücklage), das für Segelflug, stationären Schlagflug und zum Schnellflug genutzt werden kann. Trimmtanks, die in den Flügeln eingelagert sind (Pteristigmata) ermöglichen eine zusätzliche Steuerung. Obwohl der Flügel nur 2% des Gesamtgewichts der Libelle ausmacht, ermöglicht er unvergleichliche Stabilität und hervorragende Flugeigenschaften, wobei er mehr als 50% der Oberfläche des Tieres ausmacht. Dieses Verhältnis von Tragflächengewicht und Oberflächenanteil zu Gesamtgewicht ist in der gesamten menschlichen Luftfahrt unerreicht.

Kleinere Insekten nutzen zur Auftriebsgewinnung im Schlagflug meist die Technik des „leading edge vortex“. Durch den Auf- und Abschlag ihrer scharfkantigen Flügelvorderkante wird entlang dieser Kante ein Wirbel erzeugt, der direkt für den Auftrieb genutzt werden kann, in dem der hintere Teil dieser entstehenden Wirbelwalze beim Abschlag den Flügel nach oben saugt, beim Aufschlag den Flügel nach oben drückt. Dies erklärt die hervorragenden Flugeigenschaften von Schmetterlingen (Lepidoptera) von denen einige in ihrem Leben mehrere Interkontinentalflüge von bis zu 4000 km im Schlagflug absolvieren können, wie zum Beispiel der Monarchfalter.

Flugmuskulatur

Die Bewegung der Flügel erfolgt entweder mit der indirekten oder mit der direkten Flugmuskulatur. Der direkte „Antrieb“ wird als der ursprüngliche angesehen.

Als Flügelschlagfrequenzen für verschiedene Insekten wurden Werte von 0 (Libelle im Segelflug) bis zu 1046 Hz bei kleinen Mücken (Gattung Forcipomyia, Ceratopogonidae)[1] gemessen. Da es jedoch unmöglich ist, dass ein Muskel in dieser Frequenz durch direkte Nervenimpulse angesteuert wird, da die Latenzzeit und absolute Refraktärzeit des Aktionspotentials eines Nervs die maximal mögliche Frequenz auf etwa 800 bis 1000 Hz limitiert, kontrahieren bei Insekten mit indirekter Flugmuskulatur die Muskeln selbstständig bei Überdehnung. Da sehr kleine Insekten nur mit entsprechend hohen Flügelschlagfrequenzen die für den Flug nötigen Luftkräfte erzeugen können, besitzen sie stets eine indirekte Flugmuskulatur. Die flugfähigen Vertreter des ursprünglicheren, direkten Typs besitzen alle eine gewisse Mindestgröße (Heuschrecken, Libellen).

Indirekte Flugmuskulatur

Die Bezeichnung stammt daher, dass die Muskulatur nicht direkt an den Flügeln ansetzt, sondern die Muskelkraft indirekt über die Skelettelemente des Thorax auf die Flügel übertragen wird. Die für den Flügelabschlag zuständigen Muskeln sind längs des Thorax angeordnet (Longitudinalmuskeln), die für den Flügelaufschlag zuständigen Muskeln ziehen vom „Rücken“ des Thorax zu dessen „Bauch“ (Dorsoventralmuskeln). Die Verformungen des Thoraxskelettes übertragen die Muskelkraft auf die Flügel.

Während des Fluges beobachtet man in einigermaßen regelmäßigen Abständen Aktionspotentiale von Motoneuronen, die in den Flugmuskeln zur Ausschüttung von Calciumionen aus dem sarkoplasmatischen Retikulum führen. Die Calciumkonzentration im Cytoplasma der Muskelzellen (Myoplasma) ist bei diesem speziellen Muskeltyp jedoch nicht der Auslöser der Kontraktionen. Ausgelöst wird die Kontraktion einer Muskelzelle durch ihre Dehnung, die im Flugbetrieb durch ihren Antagonisten erfolgt. Das Vorhandensein einer bestimmten myoplasmatischen Calciumkonzentration ist eine notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für die Kontraktion der indirekten Flugmuskeln. Möglicherweise wird beim ruhenden System jedoch die erste Muskelkontraktion durch eine initiale Calciumausschüttung ausgelöst, die durch ein Aktionspotential eines Motoneurons hervorgerufen wird.

Angehalten wird das System durch das Ausbleiben von Aktionspotentialen der Motoneurone, da dann die Calciumkonzentration im Myoplasma durch Ionenrückaufnahme so stark absinkt, dass Kontraktionen nicht mehr erfolgen können.

Die Kontraktionen der Muskelzellen verlaufen anders als bei Muskelzellen üblich, da die Myosinköpfchen durch eine Konformationsänderung zwar umknicken, sich jedoch nicht vom Aktin ablösen um an einem weiteren Aktinabschnitt neu anzusetzen („biologisches Zahnrad“ der Muskeln). Daher ist die Verkürzung des Flugmuskels extrem gering und muss durch eine mechanische Übersetzung auf den Flügel übertragen werden. Diese Übersetzung wird unter anderem durch eine Kette von einarmigen Hebeln erreicht, indem die Kraft vom vorderen Teil des Thoraxrückens, dem Scutum, auf den hinteren Rückenteil (Scutellum) übertragen wird, um von dort über die auf beiden Seiten am Scutellum ansitzenden Tergalhebel wieder nach vorne zu den Flügelgelenken gebracht zu werden.

Schon wegen dieses Mechanismus, bei dem beide Flügel nur gleichzeitig auf- bzw. abgeschlagen werden können, hat die Fliege nicht die Möglichkeit, die Vortriebskräfte, die beim Kurvenflug auf beiden Seiten unterschiedlich sein müssen, durch eine unterschiedliche Schlagfrequenz zu erzeugen. Stattdessen kann sie die Amplitude des Flügelschlages, sowie den Anstellwinkel des Flügels auf beiden Seiten separat ändern. Dies wird durch eine hochkomplizierte Flügelgelenkkonstruktion und eine Reihe von dünnen Stellmuskeln erreicht, die das Gelenk jeweils passend einstellen können.

Die Flügelschlagfrequenz von Insekten mit indirekter Flugmuskulatur wird von den Luft- und Masseträgheitskräften bestimmt, die der Muskelkontraktion entgegenstehen. Die Flugmuskulatur kontrahiert aufgrund der dehnungsausgelösten Kontraktion entweder vollständig, oder gar nicht. Bei Änderungen von Flügelschlagamplitude oder Flügelstellung, die für die Flugsteuerung eingesetzt werden, ändert sich jedoch der Luftwiderstand am Flügel, der der Kontraktionskraft entgegensteht. Dadurch ändert sich dann die Flügelschlagfrequenz des Insektes. Im Experiment kann man an thoraxfixierten Fliegen durch Kürzen oder durch Beschweren des Flügels mit Wachs die Abhängigkeit der Schlagfrequenz von den mechanischen Eigenschaften des gesamten Systems, das man als Resonanzsystem auffassen kann, beobachten.

Die Steuerung der Flugmuskeln kann äußerst primitiv sein und an die Meldung von Bodenkontakt der Tarsen der Insektenbeine gekoppelt sein (wie zum Beispiel bei der Fliege). Zum Start springt die Fliege einfach vom Boden weg, alle Beine melden keinen Bodenkontakt und der Flugmuskel wird daraufhin gestartet.

Bei der Landung meldet ein oder mehrere Beine Bodenkontakt und die Flügelmuskeln werden gestoppt. Befestigt man eine Fliege an ihrem Thorax, ohne dass ihre Beine Kontakt zum Boden haben, schlagen ihre Flügel oft sehr lange.

Die indirekte Flugmuskulatur von Fliegen und anderen Insekten ist eines der Gewebe, die den höchsten Energieumsatz besitzen. Elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen eine extreme Dichte der Mitochondrien, die allen Zellen als „Energiekraftwerke“ dienen. Durch die enorme Abwärmeproduktion beim Flug wird ein effizientes Kühlsystem benötigt. Bienen und wahrscheinlich auch Fliegen verwenden hier - ebenso wie Säugetiere - die sehr effiziente Verdunstungskühlung. Die Insekten pumpen die von den Flugmuskeln im Thorax erhitzte Hämolymphe in den Kopf und würgen einen Flüssigkeitstropfen aus, der am Rüssel austritt und dann verdunstet. Bei Fliegen, die auf der Thoraxoberseite befestigt werden, kann man diesen Tropfen nach einiger Zeit sehr schön beobachten. Die Neigung der Insekten, zu fliegen, geht bei hoher Luftfeuchtigkeit stark zurück.

Direkte Flugmuskulatur

Bei ursprünglicheren Insekten, wie beispielsweise Libellen, findet man einen direkten Antrieb. Die Flügel sind hier direkt mit den antagonistischen Muskeln verbunden. Die Steuerung der Bewegung ist bei dem direkten Ansatz an den Flügeln analog zur Steuerung der Skelettmuskulatur bei Wirbeltieren (z.B. Beuger/Strecker bei Armmuskeln). Die Kontraktionen werden dabei direkt vom Nervensystem über Aktionspotentiale der Motoneurone ausgelöst. Wie bei Laufbewegungen sind im zentralen Nervensystem solcher Insekten bestimmte Nervenverschaltungen, die auch Mustergeneratoren genannt werden und das Kontraktionsverhalten der Flugmuskulatur als Aktionspotential-Sequenzen erzeugen.

Luftkampftechniken

Neuere Untersuchungen des Libellenfluges haben ergeben, dass Libellen in der Lage sind, ihre Position relativ zum Kopf und Komplexauge des Insekts, das sie angreifen wollen, konstant zu halten. Dadurch bleibt die Position der anfliegenden Libelle im Auge ihres Opfers konstant, die angreifende Libelle wird nicht wahrgenommen. Libellenmännchen kämpfen ferner mit den verstärkten Flügelvorderkanten untereinander, um bessere Fortpflanzungschancen zu haben, indem sie Konkurrenten vertreiben.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. C. W. Scherer: Book of Insect Records, Univ. Florida, Kap. 9, 1995

Literatur

  • Nachtigall, Werner: Insektenflug. Springer Berlin, 2003, ISBN 354000047X
  • Nachtigall, Werner und Rolf Nagel: "Im Reich der Tausendstel-Sekunde, Faszination des Insektenflugs". Gerstenberg, 1988, ISBN 3806720436
  • Hagemann & Steininger (Hrsg.): "Alles was fliegt - in Natur, Technik und Kunst". Kleine Senckenbergreihe Nr. 23, 1996, ISBN 3-7829-1143-1

Weblinks

 Commons: Insektenflug – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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