Interkulturelle Pädagogik

Interkulturelle Pädagogik

Interkulturelle Erziehung bezeichnet pädagogische Ansätze, die ein Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft fördern sollen. Dabei geht es insbesondere darum, im gemeinsamen interkulturellen Lernen einen Umgang mit Fremdheit zu finden.

Ausgangspunkt der interkulturellen Erziehung ist die Kulturkontaktthese, die besagt, dass das gemeinsame Leben von Menschen unterschiedlicher Kultur einen Lernprozess bei allen Beteiligten auslöst. Durch das Erkennen von Unterschieden und Gemeinsamkeiten können eigene bis dahin nicht hinterfragte Positionen überdacht werden und gegebenenfalls neue Lösungsstrategien erkannt werden. Dabei geht die interkulturelle Erziehung davon aus, dass alle Kulturen gleichberechtigt nebeneinander bestehen und der Lernprozess auf allen Seiten stattfinden kann.

Diesem Ansatz liegt ein dynamischer Kulturbegriff zu Grunde: Kultur wird hier als etwas verstanden, was ständig im Entstehen begriffen ist, nicht statisch verfestigt ist, sondern im Gegenteil durchlässige Strukturen entfaltet. Entscheidendes Moment dieses Entstehungsprozesses ist dabei die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen in dem oben beschriebenen Sinne. Insofern greift eine häufig angetroffene Vorstellung von Interkultureller Pädagogik als einer "Ausländerpädagogik" entschieden zu kurz. In den Schulen sind Mitschülerinnen und Mitschüler aus anderen Kulturen, insbesondere solche mit Migrationshintergrund, zwar Träger einer von der vorgefundenen unterschiedlichen Kultur; grundsätzlich aber handelt es sich um einen generellen pädagogischen Ansatz, der jegliche Differenz zwischen Menschen (also auch Geschlechterdifferenz, soziale Differenz, intellektuelle Differenz, usw.) zum Gegenstand der produktiven Auseinandersetzung macht. Dieses Verständnis von Kultur steht in komplementärem Gegensatz zu dem politisch populistischen Begriff der (deutschen) Leitkultur.

Interkulturelle Pädagogik hat sehr konkrete Absichten: etwa die Befähigung zu einer aktiven Auseinandersetzung mit Differenzen, wie sie für eine pluralistische Gesellschaft zumal konstitutiv sind. Sie ist gleichzeitig eine Absage an Gleichgültigkeit und einen falsch verstandenen Toleranzbegriff.

Inhaltsverzeichnis

Ziele

Interkulturelle Erziehung verfolgt unterschiedliche Ziele:

  • Fördern des Verständnisses unterschiedlicher Perspektiven
  • Aushalten von Widersprüchen (Ambiguitätstoleranz)
  • Erziehung zu Respekt vor anderen Menschen
  • Abbau von Vorurteilen
  • Anpassung (integrativ, aber auch assimilativ)
  • Bewahrung der Eigenständigkeit
  • gemeinsame Erziehung in sozpäd Einrichtungen (wechselseitige Lernerfahrungen anbahnen)

Zudem gibt es Überschneidungen zu anderen Erziehungsansätzen, die mit dem Konzept interkultureller Erziehung weiterentwickelt wurden:

Geschichte

Überlegungen, wie gemeinsame Schulung von Menschen unterschiedlicher Herkunft realisiert werden kann, bestehen schon lange – unter anderem einige Freischulen der Haskala haben versucht, einen gemeinsamen Unterricht jüdischer und christlicher Kinder zu realisieren. Mit der allgemeinen Schulpflicht wurde formal für alle Kinder der Besuch der staatlichen Schulen vorgeschrieben; erst in der Weimarer Republik wurde diese Verpflichtung für alle Kinder aus Minderheiten auch durchgesetzt. Durch die Erziehung im Nationalsozialismus wurde die gemeinsame Erziehung wieder rückgängig gemacht. Der Rassismus als staatlich gefördertes Lernziel steigerte sich zur systematischen Diskriminierung und schließlich Ermordung von Juden sowie Roma und Sinti.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus versuchten die Alliierten unter anderem durch interkulturelle Ansätze ("inter-group-education") den weit verbreiteten Rassismus entgegenzuwirken. In der Bundesrepublik Deutschland wurden die Bedürfnisse von Schülern aus Minderheiten lange Zeit ignoriert, was auch die Anwerbung von Arbeitsmigranten seit den 1950er Jahren nicht änderte. Erstaunlicherweise wurde erst kurz vor dem Anwerbestopp in den 1970er Jahren ein Programm zur Förderung ausländischer Schüler unter dem Begriff Ausländerpädagogik entwickelt. Dieses war aber vor allem darauf angelegt, die als "Defizit" verstandene Lernsituation aufzuarbeiten, indem die ausländischen Schüler durch ehrenamtliche Nachhilfe besonders gefördert werden sollten.

Aus dem Situationsansatz, das das pädagogische Bearbeiten von konkreten Lebenssituationen in der Frühpädagogik förderte, entwickelte sich zum Ende der 70er Jahre die interkulturelle Erziehung. Sie kritisierte die Ausländerpädagogik, da diese eine eurozentristische Zurichtung der ausländischen Schüler auf die Bedürfnisse der Schule betreibe und ein gemeinsames Lernen verhindere. Gerade angesichts der Globalisierung bekräftigen Vertreter der interkulturellen Pädagogik die Forderung des gemeinsamen Lernens als eine Garantie der Zukunftsfähigkeit.

Kritik

Kritiker werfen der interkulturellen Theorie vor, dass sie die Ebene struktureller und institutioneller Diskriminierung und Benachteiligung (Beispiel: Schulsystem) sowie die gesellschaftspolitischen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen einer nationalstaatlich verfassten Einwanderungsgesellschaft ausblende, wenn sie von einer Problemlösung durch ausschließlich gleichberechtigtes Lernen und Zusammenarbeiten ausgehe. Zudem hat die Fokussierung auf kulturelle Unterschiede beziehungsweise die Überbetonung der ethnischen Anteile an der Kultur und die Voraussetzung homogener Kulturen und (nationaler) Identitätszuschreibungen der interkulturellen Erziehung den Vorwurf eines naiven Kulturalismus eingebracht, da dies eher noch zur Verfestigung kulturalistischer Stereotype und zur Tradierung von Vorurteilen beitrage.

Weiterführende Angaben

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • G. Auernheimer: Einführung in die interkulturelle Erziehung, ³2003, ISBN 3534169247
  • G. Auernheimer [Hrsg.]: Migration als Herausforderung für pädagogische Institutionen, 2001, ISBN 3810029416
  • G. Auernheimer [Hrsg.]: Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität, 2002, ISBN 381003441X
  • M. Borrelli, G. R. Hoff [Hrsg.]: Interkulturelle Pädagogik im internationalen Vergleich, 1988, ISBN 3-87116-606-5
  • I. Diehm, F. O. Radtke: Erziehung und Migration, 1999, ISBN 3-17-014511-8
  • H. Essinger, O. Kula [Hrsg.]: Pädagogik als interkultureller Prozess, 1987, ISBN 3925257063
  • H. Essinger, A. Uçar [Hrsg.]: Erziehung: Interkulturell - Politisch - Antirassistisch, 1993, ISBN 3925257144
  • C. Földes/G. Antos (Hrsg.): Interkulturalität: Methodenprobleme der Forschung. Beiträge der Internationalen Tagung im Germanistischen Institut der Pannonischen Universität Veszprém, 7.-9. Oktober 2004, München: Iudicium 2007, ISBN 978-3-89129-197-9
  • M. Gomolla, F.-O. Radtke: Institutionelle Diskriminierung, 2002, ISBN 3810019879
  • F. Hamburger: Pädagogik der Einwanderungsgesellschaft, 1994, ISBN 3884420275
  • A. Holzbrecher: Interkulturelle Pädagogik (Studienbuch), 2004, ISBN 3589215607
  • M. Krüger-Potratz: Interkulturelle Bildung (eine Einführung) (= Lernen für Europa), Münster u.a.: Waxmann, ISSN 1430-2675, ISBN 3-8309-1484-9
  • Christiane Sautter: Was uns verbindet und was uns unterscheidet - Die Familie im Kontext der großen Religionen, Verlag für Systemische Konzepte 2005, ISBN 3-9809936-2-0

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