Inzestverbot

Inzestverbot

Inzest (auch Blutschande) (von lat.: incestum „Unzucht“, „Blutschande“) ist ein Begriff kultureller, moralischer und juristischer Art der sexuelle Handlungen zwischen verwandten Personen beschreibt.

Kulturen, Gesellschaften und Religion haben oft sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein zu ächtender Inzest ist bzw. welcher Inzest von den Mitgliedern gewünscht oder sogar gefordert wird. Das Inzesttabu richtet sich in allen Kulturen nach der verwandtschaftlichen Nähe und es ist unterschiedlich, welcher Verwandtschaftsgrad negativ bewertet wird.

Der Begriff ist abzugrenzen von dem der Inzucht, welcher eher auf die genetische Komponente abzielt und in der Tier- und Pflanzenzucht als ein gebräuchliches Verfahren zur Stabilisierung bestimmter Merkmale angewendet wird. Die früher verbreiteten Eheschließungen unter nahen Verwandten im europäischen Hochadel, in abgelegenen, ländlichen Gegenden oder in Auslandsgemeinden werden insbesondere als soziale Inzucht bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Inzestverbote und Inzestgebote

Die Normen vieler Kulturen verbieten inzestuöse Ehen, die Normen anderer Kulturen gebieten dagegen inzestuöse Ehen. In beiden Fällen ist oft genau festgelegt, welche Ehen die „Verwandtschaft“ gebietet, zulässt oder verbietet. In Athen verboten die solonischen Gesetze die Geschwisterehe und die Ehe zwischen Eltern und Kindern. Andererseits gab es Geschwisterehen zwischen Herrschern im hellenisierten Ägypten. Bei den Römern galten aufgrund der Ablehnung des incestum (Unzucht, Befleckung; das deutsche Wort „Blutschande“ ist eine Lehnübersetzung von sanguinis contumelia) strenge Eheverbote zwischen Verwandten, sogar bis zum sechsten und siebenten Grad, deren Missachtung mit Zwang zum Suizid bestraft wurde (im 1. Jahrhundert v. Chr. auch durch Sturz vom Tarpejischen Felsen).

In Europa war die Vetternehe zwischen Angehörigen des Hochadels und vor allem regierender Dynastien bis ins 20. Jahrhundert hinein mehr Regel als Ausnahme. Fast jede königliche oder prinzliche Ehe wurde zwischen Cousins und Cousinen 2. oder höheren Grades geschlossen; aber auch Verbindungen zwischen Cousins und Cousinen 1. Grades kamen in allen Herrscherhäusern, vor allem aber im Haus Habsburg, überdurchschnittlich oft vor. Ein prominentes Beispiel ist die Verheiratung der Erzherzöge Franz (nachmals Kaiser Franz II./I.) und Ferdinand sowie der Erzherzogin Maria Klementine von Österreich mit den Prinzessinnen Maria Theresa und Maria Luisa sowie dem Kronprinzen Franz von Neapel-Sizilien im Jahre 1790 bzw. 1797: Diese Paare waren jeweils sogar zweifach Cousins und Cousinen 1. Grades, nämlich durch die doppelte Schwägerschaft ihrer Eltern Kaiser Leopold II. und Maria Ludovica von Spanien sowie König Ferdinand I. von Neapel-Sizilien (geborener Prinz von Spanien) und Maria Karolina von Österreich: Die Ehefrau des einen war jeweils die Schwester des anderen Mannes, so dass z. B. Franz mit Maria Theresa die Tochter seines Onkels mütterlicherseits und seiner Tante väterlicherseits heiratete. Dieses Beispiel soll nach verbreiteter Ansicht indessen auch die erbgesundheitlichen Gefahren der Vetternehe einleuchtend aufzeigen, obwohl über einen diesbezüglichen ursächlichen Zusammenhang nur spekuliert werden kann und es zahlreiche Kulturen (und Tiergesellschaften) ohne signifikante erbgesundheitliche Inzest(gebots)folgen gibt. Der älteste Sohn von Franz und Maria Theresa jedenfalls, der spätere Kaiser Ferdinand I. von Österreich, litt an Geistesschwäche und Epilepsie und war unfähig, die Regierung auszuüben.[1]

In manchen Stammesgesellschaften ist die Kreuzkusinenheirat vorgeschrieben (siehe auch Endogamie). Es kann sogar der eheliche Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern in hoher sozialer Position die Regel sein. Ein Beispiel geben die Pharaonendynastien (geschichtlich im antiken Ägypten, zumal der Ptolemäer) (304 v. Chr.30 v. Chr.), als Geschwisterehen des Pharaos häufig waren (vgl. Kleopatra VII.). Ihre Ursache lässt sich aus den antiken Quellen nicht exakt klären, ethnologisch werden sie als Resultat der Machtzentralisierung bei matrilinearer Erbfolge von Hohepriesterinnen bei gleichzeitiger Patrilinearität einer Erbmonarchie angesehen. Soziologisch voraussehbar waren immer auch ideologische Erklärungen („Reinerhaltung des Blutes“, „Ebenbürtigkeit“, „Göttlichkeit“). Theologisch wurde das göttliche Königsheil (nur) über die Frauen weitergegeben, weshalb (Halb-)Bruder und (Halb-)Schwester auf der Grundlage des Königsheils Kinder zeugten.

In polytheistischen Gesellschaften (z. B. dem antiken Griechenland, bei den Germanen) sind Geschwisterehen von Göttern nicht ungewöhnlich (vgl. Kronos).

Verbote in der Religion

Den Hebräern legte das Mosaische Gesetz im Alten Testament der Bibel etliche Inzestverbote auf (s. aber auch Leviratsehe mit der Schwägerin). Auch im mittelalterlichen Christentum war das Heiratsverbot zwischen Verwandten wesentlich breiter gefasst als heute (siehe auch Hammersteiner Ehe), viele reformierten Kirchen haben die Bestrafung von Übertretungen dieser Verbote noch verstärkt.

Islam

Im Islam gibt es ebenfalls Inzestverbote. Auch der Geschlechtsverkehr mit Frauen oder Männern, mit deren Geschwistern man Geschlechtsverkehr hatte, gilt im Islam als Inzest. Die konkretesten Inzestverbote sind im Koran erwähnt:

„Und heiratet keine Frauen, die eure Väter geheiratet hatten…“

Sura 4, Vers 22, Übersetzung: Spiegel-Online, Projekt Gutenberg: [2]

„Verboten sind euch eure Mütter, eure Töchter, eure Schwestern, eure Vaterschwestern und Mutterschwestern, eure Brudertöchter und Schwestertöchter, eure Nährmütter, die euch gestillt haben, und eure Milchschwestern und die Mütter eurer Frauen und eure Stieftöchter, die in eurem Schutze sind, von euren Frauen, mit denen ihr (die eheliche Beziehung) vollzogen habt…Ferner die Ehefrauen eurer Söhne aus eurer Abstammung, und ihr sollt nicht zwei Schwestern zusammen haben…“

Sura 4, Vers 23, Übersetzung: Spiegel-Online, Projekt Gutenberg: [3]

Römisch-katholische Kirche

Betreffend der Eheschließungen ist das kanonische Recht maßgeblich, das vom bürgerlichen Recht unabhängig ist. Die Ehe und also der Beischlaf zwischen Blutsverwandten ersten Grades verstößt gegen göttliches Recht, von dem unter keinen Umständen dispensiert werden kann. Für eine katholische Eheschließung zwischen Vetter und Kusine wäre eine kirchliche Dispens erforderlich.

Säkulare Verbote

In vielen Staaten, so auch in Deutschland, ist Inzest strafbar. In Frankreich wurde die Strafbarkeit von Inzest mit dem Code pénal français von 1810 abgeschafft.[4] Verschiedene Länder, die das französische Rechtssystem als Vorbild genommen haben, stellen Inzest ebenfalls nicht unter Strafe, dazu gehören Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Portugal, die Türkei, Japan, Argentinien, Brasilien und einige andere lateinamerikanische Staaten.

Verwandtschaftsgrad

Bei der Beurteilung von Inzest wird auch nach Verwandtschaftsgrad unterschieden. Für entfernte Verwandte wie beispielsweise Cousin und Cousine zweiten Grades (gemeinsame Urgroßeltern) besteht in keinem Land ein Ehehindernis. In manchen Gesellschaften gilt schon der Geschlechtsverkehr zwischen verschwägerten Personen als Inzest; auch in Deutschland wurden bis etwa 1750 Beziehungen zwischen Schwager und Schwägerin oder Taufpaten und Patentochter mit dem Inzesttabu belegt und bestraft.[5][6]

Geschlechtliche Beziehungen zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades (gemeinsame Großeltern) werden in Korea, den Philippinen und in vielen Balkan-Ländern verboten und gesellschaftlich tabuisiert, während diese verwandtschaftliche Beziehung vor allem im Kulturgebiet des Islams, also in Nordafrika, im orientalischen Raum und in Südasien als bevorzugte Form der Heirat gilt. In einigen islamisch geprägten Ländern ist eine solche Ehe mit Auflagen verknüpft. So müssen heiratswillige Paare in Saudi-Arabien, ob verwandt oder nicht, sich Gen-Tests unterziehen. Die Tests geben Aufschluss über die mögliche Gefährdung der künftigen Nachkommenschaft durch eine genetisch bedingte Sichelzellen- oder Mittelmeeranämie. Bei Gefährdung wird die Eheschließung verhindert.[7] In Deutschland ist es gesetzlich erlaubt, dass Cousin und Cousine geschlechtliche Beziehungen haben und heiraten. In der Vergangenheit aber war auch durch die Ehehindernisse der katholischen Kirche die Ehe zwischen Blutsverwandten, so auch zwischen Cousinen und Cousins, geächtet. Es konnte aber ein Dispens durch einen Bischof erteilt werden. Mit Einführung der Zivilehe hat das kanonische Eherecht an Bedeutung verloren.

Siehe auch: Bint ʿamm

Rechtslage International

██ Inzest grundsätzlich verboten
██ Inzest nicht verboten, inzestuöse Ehe verboten.
██ Inzest nicht verboten, inzestuöse Ehe unterliegt einer vorherigen Beratung.
██ Inzest unter Erwachsenen nicht verboten
██ Keine Inzest-Rechtsvorschriften / unbekannt

Rechtslage in Deutschland

Inzest wird in Deutschland und Österreich nur zwischen in gerader Linie Verwandten – also Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, und deren Kindern, Enkeln, Urenkeln – sowie zwischen Voll- und Halbgeschwistern (letzteres ist rechtlich umstritten) verfolgt. In Deutschland werden die Abkömmlinge und Geschwister nicht bestraft, wenn sie zur Tatzeit jünger als 18 Jahre waren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dabei gar keine Straftat vorliegt. Die Tat stellt bei Begehung durch Minderjährige eine gegenüber den Minderjährigen bloß nicht verfolgbare rechtswidrige Straftat (die dogmatische Einordnung ist strittig) dar. Damit bleiben aber jedenfalls etwa Anstiftung und Beihilfe dazu strafbar.

In Deutschland bleibt der Tatbestand erfüllt, auch wenn das Verwandtschaftsverhältnis im Sinne des Bürgerlichen Rechts durch Adoption erloschen ist. § 173 des deutschen Strafgesetzbuchs stellt nur den vaginalen Beischlaf zwischen engen Verwandten unter Strafe. Andere sexuelle Praktiken sind straffrei. Im Jahr 2003 gab es auf Grund des § 173 StGB auf dem Gebiet der früheren Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschlands) zehn Verurteilungen.

Die Strafbarkeit von inzestuellen Handlungen ist gesellschaftlich umstritten. U. a. hat der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Hassemer, dessen Senat 2008 über einen Inzest-Fall zu entscheiden hatte, das juristisch verankerte Inzestverbot in Deutschland als unplausibel und problematisch kritisiert und dessen Legitimierung in Frage gestellt.

Ein anderer Ausdruck des Inzestverbotes ist in Deutschland auch das Verbot der Verwandtenehe. Historisch war auch das Ehehindernis ein Mittel der katholischen Kirche, Inzestehen zu verbieten.

Aktuelle Debatte

In neuerer Zeit wird verschiedentlich argumentiert, dass das Inzestverbot im Prinzip überflüssig sei, da die genetisch bedingten Risiken für den aus Inzest resultierenden Nachwuchs bekannt seien und das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung höher zu werten sei. Zudem sei das Ziel eines solchen Verbots unklar, da die Verhütung potenziell erbkranken Nachwuchses kein Ziel des Staates sei. Es gilt aber in jedem Fall als notwendig, alle Inzestwilligen über diese Risiken und ihre Vermeidung (mittels Empfängnisverhütung) aufzuklären.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2008

Mit Beschluss vom 26. Februar 2008 entschied das Bundesverfassungsgericht, § 173 StGB sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.[8] Der Gesetzgeber verfolge Zwecke, die „jedenfalls in ihrer Gesamtheit die Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts legitimieren“: Als Strafgrund stehe der grundgesetzlich geforderte Schutz von Ehe und Familie an erster Stelle. Inzestverbindungen führten zu einer Überschneidung von Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Rollenverteilungen und damit zu einer Beeinträchtigung der in einer Familie strukturgebenden Zuordnungen. Zudem diene das Inzestverbot dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung. § 173 habe spezifische, durch die Nähe in der Familie bedingte oder in der Verwandtschaft wurzelnde Abhängigkeiten im Blick. Weiterhin rechtfertige auch der Schutz vor Erbschäden das Inzestverbot. Die Entscheidung erging mit 7:1 Stimmen.

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer gab dabei eine abweichende Meinung ab.[8] § 173 verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es liege kein Rechtsgut vor, dessen Verletzung im Inzestfall einen Strafgrund darstellen würde. Im Fall von volljährigen, konsensuell agierenden Geschwistern sei schlichtweg nicht klar, wessen Rechte durch den Geschlechtsverkehr eingeschränkt werden sollten. Es handele sich vielmehr um eine opferlose Straftat. Eine Hauptstütze des Inzestverbots seien sogenannte „eugenische Gesichtspunkte“, also die Verhinderung von Erbkrankheiten. Hierbei sei jedoch einerseits nicht klar, wieso das Gesetz auch bei erfolgender Verhütung und sogar bei vorheriger Sterilisation Anwendung findet. Zum anderen verbiete es sich schon von Verfassungs wegen, den Schutz der Gesundheit potentieller Nachkommen zur Grundlage strafgesetzlicher Eingriffe zu machen. Das Strafrecht kenne aus guten Gründen eine Strafbarkeit des Beischlafs selbst dort nicht, wo die Wahrscheinlichkeit behinderten Nachwuchses höher ist und die erwartbaren Behinderungen massiver sind als beim Inzest. Das Inzestverbot diene nicht dem Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, darauf habe sich noch nicht einmal der Gesetzgeber berufen. § 173 sei auch nicht geeignet, dem Schutz von Ehe und Familie zu dienen: Zu diesem Zweck sei die Vorschrift einerseits zu eng, weil sie nur den Beischlaf, nicht aber andere sexuelle Handlungen unter Strafe stellt und nicht-leibliche Geschwister nicht mit einbezieht, andererseits zu weit, weil sie Verhaltensweisen erfasse, die sich auf das Familienleben nicht (mehr) schädlich auswirken können.

Stellungnahme der GfH

Als Reaktion auf das Urteil hat die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik eine Stellungnahme veröffentlicht, in der die eugenische Argumentation des Bundesverfassungsgerichtes vom Standpunkt der Humangenetik aus kritisiert wird.[9] Eugenik bedeute „nach international übereinstimmendem Verständnis das dirigistische Bestreben nach einer – wie auch immer definierten – ‚Verbesserung‘ des kollektiven Erbgutbestandes einer Population.“ Nicht nur, dass Inzestverbindungen von Geschwistern ohnehin keinen nennenswerten Einfluss auf den Genpool einer Population haben, die, durchaus vorhandene, höhere Gefahr, dass Kinder aus solchen Beziehungen an rezessiv vererbten Krankheiten erkranken könnten, rechtfertige keinen juristischen Eingriff in die „reproduktive Freiheit“ eines Paares. Denn die Gefahr solcher Krankheiten (z. B.: Mukoviszidose oder Spinale Muskelatrophie) besteht selbstverständlich auch für Kinder nichtblutsverwandter Paare. Falls eine solche Erkrankung bereits bei einem Kind vorhanden ist, haben dessen mögliche zukünftige Geschwister ein Risiko von 25 Prozent, ebenfalls die Erbkrankheit zu bekommen. Bei manchen Krankheiten liegt dieses Risiko noch wesentlich höher. Eine Gesetzgebung aber, die in solchen Fällen einem Paar weiteren Geschlechtsverkehr verbietet, würde auf umfassende gesellschaftliche Ablehnung stoßen, und das Recht darauf, die mit einem Kinderwunsch verbundene Risikobewertung selbst vorzunehmen, zählt zum Kernbestand des Persönlichkeitsrechts.

Ob § 173 StGB mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist, wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu befinden haben.

Rechtslage in der Schweiz

In der Schweiz gilt i.G. die gleiche Regelung wie in Deutschland.

Rechtslage in Österreich

In Österreich ist die Strafbarkeit unabhängig vom zivilrechtlichen Verwandtschaftsverhältnis, nur das biologische zählt. Dieses muss im Gerichtsverfahren von Amts wegen geprüft werden. Das in Österreich im § 211 StGB als „Blutschande“ bezeichnete Tatbild wird in absteigender Linie mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Zwischen Geschwistern ist die Regelung folgendermaßen: „Wer mit seinem Bruder oder mit seiner Schwester den Beischlaf vollzieht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen.“ Auch im österreichischen Recht wird Inzest in Fällen von Minderjährigen nicht notwendigerweise verfolgt. In Österreich wird nicht bestraft, wer zur Tatzeit jünger als 19 Jahre war und zur Tat verführt wurde.

Wissenschaftliche Erklärungsansätze

Sowohl Biologie als auch Ethnologie, Anthropologie und Soziologie beschäftigen sich mit dem Phänomen von Inzestscheu (auf biologischer Ebene) und Inzestverbot (auf kultureller Ebene) sowie Inzesttabu. (Westermarck-Effekt) Manche Biologen sind der Ansicht, dass die Abneigung gegen Inzest genetisch veranlagt ist.[10]

Levi-Strauss

Der Ethnologe und Soziologe Claude Levi-Strauss (* 1908) widmete sich u. a. in seinem Buch Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft (1948, orig. Les Structures élémentaires de la parenté) dem Phänomen des Inzestverbots.

Seiner Meinung nach seien alle vorherigen Erklärungsansätze gescheitert: Um eine rational zur Verhinderung von Erbschäden bei Kindern inzestuöser Verhältnisse aufgestellte Regel könne es sich nicht handeln, da a) dieser Erklärungsansatz erst in der Neuzeit auftauche, das Inzestverbot jedoch ein weit älteres Phänomen sei und b) die Gefahr von Erbschäden überhaupt erst durch die Regel des Inzestverbots zustande käme, da nur die direkten inzestuösen Nachkommen eines exogam geprägten Elternpaares „extremen Variationen“[11] unterlägen und bei einer Etablierung der Endogamie die Folgegenerationen keine erhöhte Gefahr von Erbschäden zu erwarten hätten. „Die zeitweilige Gefahr endogamer Verbindungen resultiert, falls sie überhaupt existiert, offensichtlich aus einer Tradition der Exogamie oder 'Pangamie'; sie kann nicht deren Ursache sein“.[12]

Auch um eine Manifestation natürlicher Triebe könne es sich bei kulturellen Inzestverboten nicht handeln, da a) aufgrund psychoanalytischer Erkenntnisse am Vorhandensein einer Inzestscheu beim Menschen zu zweifeln sei (Freud vermutete stattdessen einen unterdrückten Inzesttrieb) und b) die Regel nicht so universal sei, wie ein universeller Trieb als Ursache sie machen würde: Inzest käme trotz Tabuisierung immer wieder vor. Levi-Strauss vermutet außerdem eine hohe Dunkelziffer an Inzestfällen.[13]

Levi-Strauss verortet angesichts der Erklärungsschwierigkeiten im Inzestverbot den Übergang von Natur zu Kultur. Jede Heirat sei „eine dramatische Begegnung zwischen der Natur und der Kultur, zwischen der Allianz und der Verwandtschaft“. Die Heirat sei die „Schlichtung zwischen zwei Lieben: der elterlichen Liebe und der ehelichen Liebe“.[14] Das Inzestverbot sei entstanden, weil „die biologische Familie nicht mehr allein ist und sich mit anderen Familien verschwägern muss, um zu überleben“.[15]

Hintergrund ist die Feststellung, dass nicht das Verbot der Endogamie am Inzesttabu primär ist sondern das Gebot der Exogamie. Der Tausch von Frauen unter Familien wirke einerseits solidarisierend und würde andererseits zur Eröffnung eines „Heiratspools“ beitragen, der allen beteiligten Familien die Auswahl von Partnerinnen für ihre Söhne ermöglicht.

Inzest in der Bibel

Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament der Bibel wird Inzest erwähnt. So im Alten Testament die Geschichte von Lots Töchtern (Gen 19,31 ELB), die dem berauschten Vater beiwohnten, aus Angst, nach Sodoms Untergang keine Männer mehr zu finden, um Nachkommen zu erzielen. Abrahams Frau Sara war seine Halbschwester (Gen 20,12 ELB). Mangels potentieller anderweitiger Geschlechtspartner müssten sich wohl, zumindest bei einer buchstäblichen Auslegung der Bibel, auch die Kinder von Adam und Eva inzestuös verhalten haben.
Mit Inzest wird aber nicht nur Geschlechtsverkehr zwischen nahen Blutsverwandten, sondern auch zwischen nahen angeheirateten Verwandten gemeint (Lev 18,6 ff ELB) und dort verurteilt.

Inzest in der Literatur

Neben den Inzesten, die in den Schöpfungsmythen vieler Völker vorkommen, kennt die Literaturgeschichte eine Vielzahl von gewöhnlich dramatischen Erzählungen, die das Thema des Inzestes behandeln. Klassisch ist die Ödipussage, in der ein ausgesetzter Sohn, ohne darum zu wissen, seine Mutter heiratet und mit ihr vier Kinder zeugt. Ebenfalls aus der griechischen Antike stammen die Mythen der Byblis (deren leidenschaftliche Liebe zu ihrem Bruder Kaunos diese in den Tod und ihn in die Fremde treibt) und der Myrrha (die sich infolge eines göttlichen Zorns in ihren Vater verliebt und ihn verführt). Auch in den Sagen um König Artus taucht der Inzest auf. So soll Artus mit seiner Halbschwester Morgana den Sohn Mordred gezeugt haben. Das Märchen „Allerleirauh“ der Brüder Grimm handelt von einem inzestuösen Begehren eines Vaters.

Innerhalb der romantischen Literatur erscheint der Inzest teilweise als auslösendes Moment einer tragischen Geschichte. In E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels erfährt der Leser gegen Ende durch die Genealogie der Protagonisten, dass ein Fall von Inzest für den ausbrechenden Wahnsinn der Hauptfigur und ihres Doppelgängers, die in ihrem Wirrspiel quasi telepathisch verbunden erscheinen, der Auslöser war. Die Auslöschung der inzestuös entstandenen Familie erscheint als Ziel jener magischen bzw. wahnsinnigen Zustände.

In Richard Wagners Oper Die Walküre entbrennen die Zwillinge Siegmund und Sieglinde in Liebe zueinander. In der Vereinigung der Geschwister (Zitat: „So blühe denn Wälsungenblut“) wird der Held Siegfried gezeugt.

Auch in Der Erwählte von Thomas Mann findet sich die Dualität von besonderer Tragik in Verbund mit einer gewissen Auserwähltheit. Hier wird der einer mittelalterlichen Erzählung, dem Gregorius Hartmanns von Aue, entstammende Protagonist am Ende nach langen Leidens- und Bußejahren zum Papst erhoben. In Thomas Manns Novelle Wälsungenblut ist das Thema Inzest zwischen Geschwistern ebenfalls zentral, in Joseph und seine Brüder taucht es (bei den Eltern des Potiphar) am Rande auf.

In Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez wird die Entwicklung der Familie Buendía charakterisiert, die mit Inzest beginnt (Verheiratung des Cousins mit der Cousine) und mit Inzest aufhört (Zeugung einer Missbildung zwischen Tante und Neffe). Des Weiteren ist die ganze Geschichte durchzogen mit inzestuösen Motiven der sexuellen Beziehung zwischen nahen Verwandten.

In der Schlüsselszene von Arundhati Roys Roman Der Gott der kleinen Dinge kommt es zum Inzest zwischen einem Zwillingspaar, um eine mystische Bindung wiederherzustellen, die durch eine jahrelange Trennung von Bruder und Schwester verloren gegangen war.

In Ian McEwans Der Zementgarten übernehmen der minderjährige Jack und seine Schwester Julie nach dem Tod beider Eltern deren Rolle, wobei es in letzter Konsequenz auch zum Inzest der beiden Geschwister kommt.

Eine moderne Version ist auch Max Frischs Homo faber, in dem die (tragisch endende) Geschichte einer inzestuösen Verstrickung von Vater und Tochter geschildert wird.

Eine mehr ersehnte als tatsächlich stattfindende Inzestliebe zwischen Bruder und Schwester wird weiters in dem Roman Partygirl (2003) von Marlene Streeruwitz geschildert, wobei der Roman deutlich auf die Erzählung Der Untergang des Hauses Usher des amerikanischen Autors Edgar Allan Poe rekurriert.

Eine sehr skurrile Liebe zwischen Bruder und Schwester wird in dem Roman Das Hotel New Hampshire von John Irving beschrieben.

In Jeffrey Eugenides’ „Middlesex“ ist der Geschwisterinzest zwischen Desdemona und Eleutherios Stephanides und der daraus resultierende Hermaphrodismus ihres Enkelkindes sowohl Triebfeder für die Handlung, als auch Ausgangspunkt für die Überlegungen zum Thema „sex“ versus „gender“, die im Text immer wieder angestellt werden. Interessant ist das Handlungskonstrukt aus Krieg und Vertreibung auf einen anderen Kontinent, der die Eheleute Stephanides gewissermaßen von einer Schuld am Inzest und dessen Folgen befreit und die Motivation zur lebenslangen Geschwisterehe eher bei den Umständen sucht, denen es sich zu beugen gilt

In "Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt" wird geschwisterlicher Inzest als gängige Praxis einer Wiener Unterschicht im 19. Jh. dargestellt. Für die auf engstem Raum zusammenlebenden und -schlafenden Familien hatte Sexualität zwangsläufig einen familiären Charakter, so dass die oft durch den elterlichen Geschlechtsverkehr aufgeklärten Geschwister die Sexualität gemeinsam entdeckten und auslebten. Aufgrund der nicht sicher geklärten Autorschaft, kann leider jedoch kaum eine Aussage gemacht werden, inwieweit die Darstellungen eine tatsächlich verbreitete Praxis oder Fantasien des Autors widerspiegeln.

Weiter lassen sich inzestuöse Motive feststellen in:

Film und Fernsehen

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1987, 1997. ISBN 3-518-01158-8
  • Volkmar Sigusch: Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Campus, Frankfurt a. M. 2005. ISBN 3-593-37724-1
  • Slavoj Zizek: Liebe deinen Nächsten? Nein, Danke! Die Sackgassen des Sozialen in der Postmoderne. Volk & Welt, Berlin 1999.
  • Claude Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1993
  • Klaus Thraede: Art. Blutschande (Inzest). In: Reallexikon für Antike und Christentum Suppl. 2, 9 (2002) 37-85
  • Danièle Sallenave: Das Schweigen der Mütter. Mißbraucht und für immer zerstört Nachw. Bettina Foulon. Aus dem Franz. (Viol) von Claudia Steinitz. Ullstein, Berlin 1999 ISBN 3548304370

Einzelnachweise

  1. vgl. Richard Reifenscheid: Die Habsburger in Lebensbildern. Von Rudolf I. bis Karl I. Graz u. a. 1982, S. 264f. ISBN 3222114315
  2. http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=58&kapitel=4&cHash=708305acd4sure4#gb_found
  3. http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=58&kapitel=4&cHash=708305acd4sure4#gb_found
  4. ZDF - Heute. Bundesverfassungsgericht: Sex zwischen Geschwistern weiter strafbar
  5. http://www.swr.de/-/id=1972410/property=download/18zpr1m/index.pdf
  6. http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/-/id=1969028/property=download/nid=660374/14bkkqa/swr2-wissen-20070329.rtf
  7. Saudi-Arabien: HIV-Pflichtest für Heiratswillige
  8. a b http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080226_2bvr039207.html BVerfG, 2 BvR Beschluss vom 26. Februar 2008 (Az. 2 BvR 392/07)
  9. Eugenische Argumentation im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Inzestverbot - Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH)
  10. Beitrag von Quarks & Co Über den Zusammenhang zum Körpergeruch und dessen Wahrnehmung; S. 14-16
  11. Claude Levi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Paris 1948, zitiert nach: Frankfurt am Main 1981, S. 60
  12. Claude Levi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Paris 1948, zitiert nach: Frankfurt am Main 1981, S. 61
  13. vgl. Claude Levi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Paris 1948, zitiert nach: Frankfurt am Main 1981, S. 64
  14. Claude Levi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Paris 1948, zitiert nach: Frankfurt am Main 1981, S. 653.
  15. Claude Levi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Paris 1948, zitiert nach: Frankfurt am Main 1981, S. 648.

Weblinks

  • Zur Gesetzeslage vergleiche:
    • Deutschland: § 173 StGB (mit Rechtsprechungshinweisen)
    • Österreich: § 211 StGB („Blutschande“), § 6 EheG
    • Schweiz: Art. 213 Vorlage:Art./Wartung/ch-Suche des Strafgesetzbuches
    • Katholische Kirche: c.1091 CIC
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