Irenäus von Lyon

Irenäus von Lyon

Irenäus von Lyon (altgriechisch Εἰρηναῖος ὁ Σμυρναῖος, „Irenäus aus Smyrna/ der Smyrner“; * um 135; † 202), ein Kirchenvater, war Bischof in Lugdunum in Gallien (heute Lyon/Frankreich). Er wird als Heiliger verehrt und gilt als einer der bedeutendsten Theologen des 2. Jahrhunderts und einer der ersten systematischen Theologen des Christentums. Seine Schriften waren in der frühen Entwicklung der christlichen Theologie wegweisend. Er prägte den Begriff von der Regula fidei, der "Regel des Glaubens". Sein Gedenktag ist der 28. Juni.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Über das Leben des Irenäus ist sehr wenig bekannt. Vermutlich war er Grieche aus Smyrna in Kleinasien (heute İzmir/Türkei). Gemäß Selbstzeugnis war er ein Schüler des Apostolischen Vaters Polykarp von Smyrna, der, wie Irenäus berichtet, seinerseits ein Schüler des Apostels Johannes war. Irenäus war der Überlieferung zufolge der zweite Bischof von Lyon. Der erste Bischof, Pothinus erlitt 177 während der Christenverfolgungen unter Marcus Aurelius das Martyrium. Irenäus war zu dieser Zeit in Rom. Er war ein Mann von Intellekt und Tat mit großem Einfluss auf das gesamte Abendland. Er verhandelte in Rom in Sachen des Montanismus, kämpfte gegen gnostisch-christliche Häresien und mahnte den Papst im Osterfeststreit zum Frieden.

Irenäus verfasste zahlreiche Bücher, von denen aber viele verloren sind; das wichtigste erhaltene ist die fünfbändige Entlarvung und Widerlegung der sogenannten Erkenntnis, auf Lateinisch Adversus haereses ("Gegen die Häresien") genannt. Es sind nur Fragmente in der griechischen Originalsprache erhalten, aber kurz nach der griechischen Veröffentlichung entstand eine vollständig erhaltene, relativ freie lateinische Übersetzung; die Bücher IV und V sind zudem in einer wörtlichen armenischen Übersetzung erhalten.

Der Zweck von Adversus haereses ist, gnostische und andere Lehren und Lehrer als häretisch vom Christentum abzugrenzen - wobei sich einige davon wohl selbst als Christen verstanden. Das Werk wurde als eine Goldmine bezüglich der Geschichte der Gnosis im 2. Jahrhundert bezeichnet; es bleibe auch nach Entdeckung der Bibliothek von Nag Hammadi im Jahre 1945 eine der wichtigsten Quellen für die Kenntnis des Gnostizismus.[1]

Eine besondere Bedeutung haben Irenäus' Auseinandersetzungen mit dem Judasevangelium gewonnen, seit im Jahr 1978 das Evangelium des Judas aus dem 4. oder 5. Jahrhundert gefunden wurde. Dieses Evangelium wurde von dem Religionshistoriker Gregor Wurst mit Computer-Hilfe rekonstruiert und von dem Genfer Koptologen Rodolphe Kasser übersetzt und regt seitdem die Diskussion um das Verhältnis zwischen der frühen Kirche und den gnostischen Bewegungen an.[2]

Irenäus von Lyon ist der Urheber des oft zitierten Satzes „Die Herrlichkeit Gottes ist der lebende Mensch, das Leben des Menschen die Gottesschau.“[3]

Irenäus wird als Märtyrer verehrt, obgleich es außer einer Erwähnung bei Gregor von Tours[4] dafür keine Belege gibt. Er starb vermutlich kurz nach der Wende zum 3. Jahrhundert. Er wurde unter der Kirche des Heiligen Johannes in Lyon begraben, die später zu seinen Ehren in Saint-Irenée umbenannt wurde. Sein Grab und seine Reliquien wurden 1562 von Hugenotten zerstört.

Theologie

Zentrum der Theologie des Irenäus, der als Begründer der christlichen Dogmatik gilt, ist die Einheit Gottes, im Gegensatz zur Aufteilung des gnostischen Gottes in eine Zahl göttlicher „Äonen“ und die gnostische Unterscheidung zwischen einem transzendenten „höchsten Gott“ und einem niederen „Demiurgen“, der die Welt erschaffen habe. Irenäus verwendet die Logostheologie, die er von Justin dem Märtyrer übernimmt, aber zieht es vor, vom Sohn und vom Geist als den beiden „Händen Gottes“ zu sprechen. Christus ist für ihn derjenige, welcher den unsichtbaren Vater für uns sichtbar gemacht hat.

Seiner Betonung der Einheit Gottes entspricht eine Betonung der Einheit der Heilsgeschichte. Irenäus besteht darauf, dass Gott die Welt erschaffen habe und sie seitdem beherrsche. Alles, was geschehen ist, ist ein Teil seines Planes für die Menschheit.

Alles, was geschieht, ist folglich von Gott geplant, der Menschheit zu helfen, ihre Unreife zu überwinden und aufzuwachsen. Diese Welt ist von Gott entworfen worden als eine Problemzone, wo die Menschen gezwungen sind, moralische Entscheidungen zwischen Gut und Böse zu treffen - nur auf diese Art können sie reifen (siehe: Willensfreiheit). Irenäus vergleicht den Tod mit dem Wal, der laut Bibel den Jona verschluckte: dieser fand sich nur dazu in der Tiefe des Bauches des Wals wieder, damit er sich Gott zuwenden und dessen Willen tun konnte. Tod und Leiden sind offenkundig das Böse, aber ohne dieses ist der Weg zur Erkenntnis Gottes nicht gangbar.

Höchster Punkt der Heilsgeschichte ist Christus. Irenäus legt Christi Rolle als Erlöser fest. Er sieht Christus als den neuen Adam, der das ungeschehen machte, was Adam durchkreuzte: wo Adam wegen der Frucht eines Baums ungehorsam war, war Christus sogar bis zum Tod auf dem Holz eines Baums gehorsam. Irenäus zieht als erster den bei späteren Christen immens populären Vergleich zwischen Eva und Maria und kontrastiert die Pflichtvergessenheit der ersteren mit dem Pflichtgefühl der letzteren: „Eva mußte notwendigerweise in Maria wiederhergestellt werden, damit eine Jungfrau, indem sie zur Anwältin einer Jungfrau werde, durch ihren jungfräulichen Gehorsam den jungfräulichen Ungehorsam rückgängig mache.“ (Zum Erweis der apostolischen Verkündigung [Epideixis], 33)

Weiterhin sieht Irenäus an Christus die Rekapitulierung des menschlichen Lebens. Dies heißt, Christus durchläuft das Stadium menschlichen Lebens, und heiligt es durch sein Leben mit seiner Göttlichkeit.

Nach Irenäus kommt das Heil im Wesentlichen durch die Inkarnation des Sohnes Gottes als Mensch. Tod und Vergänglichkeit sieht er als Strafe für die Sünden an. Gott aber ist unsterblich und unvergänglich; zur menschlichen Natur in Christus vereinigt, übermittelt er uns diese Qualitäten. Die Ansichten des Irenäus haben besonders die Theologie der Orthodoxen Kirche bis heute maßgeblich geprägt, während im Westen (bei Katholiken wie Protestanten) die Ansichten des Augustinus sich als die wirkmächtigeren erweisen sollten.

Irenäus zitiert aus den meisten Büchern, die im Kanon des Neuen Testaments enthalten sind, und zählt zudem den 1. Clemensbrief und den Hirt des Hermas dazu. Seine Schriften zitieren nicht Philemon, 2. Petrus, 3. Johannes und Judas. Irenäus hob als erster christlicher Autor alle vier auch heute gültigen kanonischen Evangelien als göttlich inspiriert hervor, vielleicht in Reaktion auf Marcions redigierte Version des Lukasevangeliums, das dieser als das einzige gültige Evangelium propagierte.

Werke

  • Norbert Brox (Hg.): Irenäus von Lyon, Adversus Haereses. Übersetzt und eingeleitet von Norbert Brox (griechisch-lateinisch-deutsch),
    • Band 1: Gegen die Häresien I. Herder, Freiburg u.a. 1993 (Fontes Christiani, Band 8.1), ISBN 3-451-22225-6.
    • Band 2: Gegen die Häresien II. Herder, Freiburg u.a. 1993 (Fontes Christiani, Band 8.2), ISBN 3-451-22226-4.
    • Band 3: Gegen die Häresien III. Herder, Freiburg u.a. 1995 (Fontes Christiani, Band 8.3), ISBN 3-451-22227-2.
    • Band 4: Gegen die Häresien IV. Herder, Freiburg u.a. 1995 (Fontes Christiani, Band 8.4), ISBN 3-451-22228-0.
    • Band 5: Gegen die Häresien V. Herder, Freiburg u.a. 2001 (Fontes Christiani, Band 8.5), ISBN 3-451-22229-9.

Literatur

  • Johann Evangelist Hafner: Selbstdefinition des Christentums. Ein systemtheoretischer Zugang zur frühchristlichen Ausgrenzung der Gnosis. Herder, Freiburg u.a. 2003, ISBN 3-451-28073-6.
  • Denis Minns: Irenaeus. An introduction. 2. erweiterte Auflage, T&T Clark, London u.a. 2010, ISBN 0-567-03365-1.
  • Helmut Moll: Die Lehre von der Eucharistie als Opfer. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung vom Neuen Testament bis Irenäus von Lyon, Hanstein, Köln/Bonn 1975, ISBN 3-7756-1226-2.
  • Bernhard Mutschler: Das Corpus Johanneum bei Irenäus von Lyon. Studien und Kommentar zum dritten Buch von Adversus Haereses, Mohr Siebeck, Tübingen 2006 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, Band 189), ISBN 978-3-16-148744-6.
  • Bernhard Mutschler: Irenäus als johanneischer Theologe. Studien zur Schriftauslegung bei Irenäus von Lyon, Mohr Siebeck, Tübingen 2004 (Studien und Texte zu Antike und Christentum, Band 21), ISBN 3-16-148284-0.
  • Eric Francis Osborn: Irenaeus of Lyons, Cambridge University Press, Cambridge u.a. 2001, ISBN 0-521-80006-4.

Einzelnachweise

  1. Ivor V. Davidson: The Birth of the Church, Baker History of the Church, Grand Rapids 2004, ISBN 0-8010-1270-8, S. 226.
  2. Der fremde Freund. (Artikel über die Geschichte der historischen und theologischen Sicht auf die Gestalt des Judas.) In: Süddeutsche Zeitung Magazin 11 / 14. März 2008, S. 12 - 16.
  3. Irenäus von Lyon, Adversus Haereses IV, 20, 7;
  4. Gregor von Tours, Decem libri historiarum, I, 29

Weblinks


Vorgänger Amt Nachfolger
Potheinus Bischof von Lyon
177–202
Zacharias

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