Isländische Literatur

Isländische Literatur
Deckblatt einer isländischen Abschrift der Snorra-Edda des Snorri Sturluson aus dem Jahr 1666

Die isländische Literatur umfasst die Erzählungen, die Dichtung und das Theater Islands.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Altnordische Literatur: Sagas und Skaldendichtung

Skírnismál, ein Gedicht aus der „Frühen Edda“
Hauptartikel: Altnordische Literatur und Hauptartikel: Isländersagas

Die altisländische Literatur ist ein Teil der altnordischen Literatur. In dieser Zeit ist sie nur schwer von der altnorwegischen Literatur zu unterscheiden, weil die beiden Sprachen sich sehr ähnlich sind. Da sich die isländische Sprache seit dem frühen Mittelalter so wenig verändert hat, können viele Isländer auch heute noch altisländische Texte im Original lesen.[1]

Die älteste und bedeutsamste literarische Gattung in dieser Zeit ist die Saga, die zuerst in mündlicher Form existierte und in der Folge – oft mehrere hundert Jahre später – verschriftlicht wurde. Die meisten Texte dieser Zeit entstanden zwischen 930 und 1050, späte Sagas wurden aber bis in das 13. Jahrhundert hinein verfasst – sie gelten als der Höhepunkt der Sagaliteratur. Man unterscheidet zwischen Sagas, die Familiengeschichten schildern und solchen, die Biografien von Königen oder Heldensagen erzählen. Die frühesten waren in Prosa geschrieben, während sich später die lyrische Form durchsetzte. Sagas sind darüber hinaus bis heute in der isländischen Literatur ein Gattungsbegriff für Geschichten aller Art.[2]

Typisch für die Sagaliteratur ist die Präzision ihrer geographischen Angaben, anhand derer man die Schauplätze der Erzählungen auch heute noch auffinden kann.[3] Sie verarbeiten die nordischen Göttersagen und bieten im übrigen die ältesten Zeugnisse der nordischen Kultur.[1]

Am Anfang stehen Historiografien, insbesondere das Íslendingabók („Isländerbuch“) von Ari Þorgilsson, das älteste bekannte Geschichtswerk Islands.[4]

Der Codex Regius, eine Handschrift aus dem 13. Jahrhundert, umfasst die „ältere Edda“, die auch Eingang in den Beowulf fand.[1] Daneben gibt es die Jüngere Edda von Snorri Sturluson ebenfalls aus dieser Zeit.

Die Skaldendichtung wurde wahrscheinlich von isländischen Autoren aus Norwegen übernommen. Sie hatte ihren Höhepunkt während der Wikingerzeit (9. bis 11. Jahrhundert).[1]

Mit der Annahme des Christentums im Jahr 1000 setzte eine Rezeption der klösterlichen Literatur aus Westeuropa ein. Es wurden zahlreiche Übersetzungen aus dem Lateinischen angefertigt. Auch eine nordische Fassung des Rolandslieds entstand in dieser Zeit.[1]

Nach Beginn der norwegischen Herrschaft 1264, später der dänischen, stagnierte die literarische Entwicklung, auch aufgrund von zahlreichen und andauernden Naturkatastrophen.[4]

Reformationszeit

Frontispiz der Bibelausgabe von Guðbrandur Þorláksson (1584)

Der bedeutsamste Autor der Reformationszeit ist der letzte katholische Bischof von Island Jón Arason, der die erste Druckerei auf der Insel einrichtete.

Im Zuge der Reformation wurde alle katholische Literatur verworfen und durch lutheranische Werke ersetzt, die vor allem aus dem dänischen und aus dem deutschen Raum übernommen wurden. Aus dieser Periode ist viel religiöse Gebrauchsliteratur überliefert.[5]

Der wichtigste Beitrag zur isländischen Literatur war die vollständige Übersetzung der Bibel von Guðbrandur Þorláksson, die 1584 gedruckt wurde.[1] Daneben sind die Passíusálmar („Passionshymnen“) von Hallgrímur Pétursson zu nennen (1666).

Romantik und nationaler Aufbruch

Zu Beginn der romantischen Periode wurde die Literaturzeitschrift Fjölnir gegründet. Der Name der Zeitschrift, die zwischen 1835 und 1847 erschien, geht auf die gleichnamige nordische Sagengestalt zurück. Fjölnir war ein Sprachrohr der isländischen Sprachpurismusbewegung. Ihr Mitherausgeber Jónas Hallgrímsson war von Heinrich Heine beeinflusst.[6] In dieser Zeit wurden auch Übersetzungen von Tausendundeine Nacht sowie von den Werken William Shakespeares angefertigt.[1]

Jón Thoroddsen veröffentlichte im Jahr 1850 den ersten modernen isländischen Roman (Piltur og stúlka; deutsch: Jüngling und Mädchen, übersetzt 1883), während Jónas Hallgrímsson als Begründer der isländischen Kurzgeschichte mit dem 1847 in der Fjölnir erschienenen Fragment der Erzählung Grasaferð (deutsch: Auf der Moossuche, übersetzt 1897)[7] gilt. Als „modern“ gelten dabei Stoffe, Personen und Szenerien, die dem damaligen zeitgenössischen Leben entstammten und in dem zu ihrer Zeit üblichen Sprachgebrauch geschrieben waren.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Theater zur wichtigsten Form der Unterhaltung in Island, das auch einen Beitrag zur Findung einer nationalen Identität gegen die Fremdbestimmung von außen leistete. Der Maler Sigurður Guðmundsson wurde der erste Bühnengestalter Islands. Matthías Jochumsson und Indriði Einarsson erarbeiteten insbesondere Übersetzungen der Stücke Shakespeares, die bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Bestand hatten, aber auch andere populäre Stücke, in denen volkstümliche Inhalte verarbeitet wurden. In dieser Zeit gab es drei Theater in Reykjavik, aus denen heraus im Jahr 1897 das Theater Reykjavik (englisch: Reykjavik Theatre Company, RTC) gegründet wurde, dessen erster Leiter Einarsson wurde.[8]

20. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Drama dominiert von Jóhann Sigurjónsson, während die Stoffe weiterhin aus der isländischen Folklore entnommen wurden.[1] Das Isländische Nationaltheater wurde 1950 gegründet.[8]

Halldór Laxness, ein 1923 zum Katholizismus konvertierter Autor des Realismus, ist der bis heute bedeutsamste isländische Schriftsteller. Sein Werk wurde 1955 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Gunnar Gunnarsson wurde viermal für den Nobelpreis nominiert, erhielt die Auszeichnung jedoch nicht.[9]

Seit den 1990er Jahren haben sich zahlreiche isländische Autoren dem Kriminalroman gewidmet. Als Pionier des Genres in Island gilt Arnaldur Indriðason. 2011 waren über hundert ins Deutsche übersetzte isländische Kriminalromane lieferbar.[10]

Bedeutung der Literatur im heutigen Island

Die Literatur genießt auch heute noch eine große Bedeutung in Island, sie ist, „länger als anderswo“, ein Leitmedium geblieben. Die isländischen Verlage veröffentlichen jedes Jahr rund 1.500 neue Titel, bei einer durchschnittlichen Auflage von 1.000 Exemplaren je literarischem Werk.[11]

Im Jahr 2011 war die isländische Literatur unter dem Motto „Sagenhaftes Island“ Gastland der Frankfurter Buchmesse.[11]

Zudem wurde Reykjavík am 2. August 2011 zur 29. UNESCO-Literaturstadt ernannt.[12][13]

Island gilt als eines der Länder mit der höchsten Umsatzquote in Öffentlichen Bibliotheken und 2005 führte das Land zusammen mit Norwegen den Human Development Index im internationalen Vergleich an, der u.a. die Alphabetisierungsquote von Erwachsenen und den Anteil von Schülern und Studierenden innerhalb ihrer Altersgruppe berücksichtigt.[14] Auch bei den von sich aus lesefreudigen Schülern lag Island 2009 im Vergleich laut der PISA-Studien der OECD in der Spitzengruppe.[15]

Isländischer Schriftstellerverband

Die erste isländische Autorenvereinigung wurde 1928 gegründet. Neben ihr bestand eine weitere Vereinigung. Beiden folgte der heutige Isländische Schriftstellerverband (Rithöfundasamband Ísland) im Jahr 1974 nach, der allen in- und ausländischen Autoren offensteht, die einen ständigen Wohnsitz in Island haben. Der Verband fungiert als Autorengewerkschaft und vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den Verlegern, um die Freiheit der Literatur in Island zu schützen. Er hat etwa 350 Mitglieder, darunter gut ein Drittel Frauen. Es gibt in Island etwa 70 Autoren, die von ihrem Beruf allein leben können. Dabei spielt das staatliche Künstlergehalt eine wichtige Rolle. Der Sitz des Verbands befindet sich im früheren Haus des Schriftstellers Gunnar Gunnarsson, dem Gunnarshús, in dem es auch eine Gästewohnung gibt, die ganzjährig von Autoren genutzt wird.[16][17]

Literaturpreise

Wichtige Literaturpreise sind der Isländische Literaturpreis und der Literaturpreis des Nordischen Rates.

Bedeutsame isländische Autoren

Siehe auch

Literatur

Primärliteratur
  • Klaus Böldl, Andreas Vollmer, Julia Zernack (Hrsg.): Die Isländersagas in 4 Bänden mit einem Begleitband. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-10-007629-8.[3]
Sekundärliteratur
  • Josef Calasanz Poestion: Isländische Dichter der Neuzeit in Charakteristiken und übersetzten Proben ihrer Dichtung. Mit einer Übersicht des Geisteslebens auf Island seit der Reformation. Meyer, Leipzig 1897 (Nachdruck: Severus-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86347-116-3, online Internet Archive).
  • Stefán Einarsson: A history of Icelandic literature. Johns Hopkins Press for the American-Scandinavian Foundation, New York 1957.
  • Wilhelm Friese: Nordische Literaturen im 20. Jahrhundert. Kröner, Stuttgart 1971, ISBN 3-520-38901-0.
  • Einar Sigurðsson: Island. In: Bibliotheken der nordischen Länder in Vergangenheit und Gegenwart. Reichert, Wiesbaden 1983, ISBN 3-88226-172-2, S. 131–162.
  • Sveinn Einarsson: A people's theatre comes of age : study of the Icelandic theatre, 1860 – 1920. University of Iceland Press, Reykjavík 2007, ISBN 978-9979-54728-0.
  • Hallgrímur Helgason: Die Saga-Maschine. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bilder und Zeiten, 8. Oktober 2011, Nr. 234

Weblinks

 Commons: Bilder von isländischen Schriftstellern – Sammlung von Bildern und/oder Videos und Audiodateien
 Wikisource: Die Edda (Simrock 1876) – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h Icelandic literature. In: Encyclopædia Britannica Online. Benedikt Sigurdur Benedikz, Jr., Walton Glyn Jones, Virpi Zuck, 5. August 2008, abgerufen am 1. Oktober 2011 (englisch).
  2. Robert Thomas Lambdin, Laura Cooner Lambdin: Saga. In: Encyclopedia of Medieval Literature. 2000, abgerufen am 1. Oktober 2011 (englisch, aus Credo Reference).
  3. a b Tilman Spreckelsen: Island-Sagas. Sindbad kam nie nach Thingvellir. In: FAZ. 12. September 2011, abgerufen am 1. Oktober 2011.
  4. a b Islande (Littérature). In: Larousse en ligne. Abgerufen am 1. Oktober 2011 (französisch).
  5. Vgl. Wilhelm Friese: Refomation und Literatur in Nordeuropa: In: Melanchton und Europa. Stuttgart 2001, S. 27-38. u. Sigudur Pétursson: Melanchton in Island. In: Melanchton und Europa. Stuttgart 2001, S. 117-128.
  6. Isländische Literatur. In: Munzinger Online/Brockhaus – Enzyklopädie in 30 Bänden. 30 Auflage. Brockhaus, 2011 (aktualisiert mit Artikeln aus der Brockhaus-Redaktion).
  7. Übersetzung in: J. C. Poestion: Isländische Dichter der Neuzeit in Charakteristiken und übersetzten Proben ihrer Dichtung. Leipzig, 1897, S. 367–379
  8. a b Iceland. In: The Cambridge Guide to Theatre. 2000, abgerufen am 3. Oktober 2011 (englisch, aus Credo Reference).
  9. Nobel Prize nominations. In: Skriduklaustur.is, abgerufen am 2. Oktober 2011.
  10. Thomas Wörtche: Der Islandkrimi-Boom. In: Büchereiperspektiven. Nr. 3, 2011, S. 16-17 (PDF-Datei; 96 KB).
  11. a b Aldo Keel: Das Island-Hoch. Wie sich die finanziell gebeutelte Saga-Insel die Frankfurter Buchmesse als kulturelle Zeitenwende imaginiert. In: NZZ. 28. September 2011, abgerufen am 1. Oktober 2011.
  12. Reykjavík wird UNESCO-Literaturstadt, Mitteilung vom 10. August 2011. Abgerufen am 2. Oktober 2011.
  13. Reykjavik designated as UNESCO Creative City, englisch, Mitteilung vom 4. August 2011. Abgerufen am 2. Oktober 2011.
  14. Wolfgang G. Stock, Frank Linde: Informationsmarkt. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2009, S. 87.
  15. PISA 2009 Ergebnisse: Lernfortschritte im globalen Wettbewerb: Veränderungen bei den Schülerleistungen seit 2000. (Band 5). OECD Publishing. 2011. S. 96.
  16. Isländische Literatur: Der Isländische Schriftstellerverband. In: Sagenhaftes Island. Abgerufen am 2. Oktober 2011 (Präsentation zur Frankfurter Buchmesse 2011).
  17. The Writer´s Union of Iceland. In: Rithöfundasamband Ísland. Abgerufen am 2. Oktober 2011 (englisch, Website des Isländischen Schriftstellerverbands).

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