Jahrhundertring

Jahrhundertring

Als Jahrhundertring werden die Aufführungen von Richard Wagners Ring des Nibelungen zum 100-jährigen Bestehen der Bayreuther Festspiele im Jahr 1976 bezeichnet. Die Inszenierung wurde fünf Festspielsommer lang (von 1976 bis 1980) in 16 Aufführungen des kompletten Ring-Zyklus sowie vier zusätzlichen Aufführungen von Einzelwerken in Bayreuth gezeigt. Im zweiten Jahr wurden einige Veränderungen und Weiterentwicklungen im szenischen Bereich vorgenommen: So erhielt der "Walkürenfelsen", der 1976 noch wie ein Matterhorn aus Pappe aussah, seine endgültige Gestalt, die der "Toteninsel" von Arnold Böcklin nachempfunden war. Auch die 1976 eher missglückte optische Erscheinung der Götterburg Walhall wurde 1977 wesentlich verbessert.

Die musikalische Leitung des Ring des Nibelungen zum 100-Jahre-Jubiläum der Bayreuther Fespiele hatte der Dirigent und Komponist Pierre Boulez (mit seinem Assistenten Jeffrey Tate). Regie führte Regisseur Patrice Chéreau, das Bühnenbild entwarf Richard Peduzzi, die Kostüme schuf Jacques Schmidt.

Die Premiere schockierte große Teile des Publikums und führte zu Protestaktionen im Bayreuther Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. Es kam zu Schlägereien, Unterschriftenlisten gegen diese Inszenierung wurden ausgelegt und Flugblätter verteilt. Chéreaus Verlegung der Handlung mithilfe des Bühnenbildners Richard Peduzzi in die Zeit der Frühindustrialisierung bewegte damals viele Altwagnerianer dazu, sich zu einer Bürgerinitiative zu formieren, die für ein "zukunftsorientiertes Verständnis des Wagnerschen Werkes" eintrat und "Werkschutz für Wotan" forderte. Es kam im ersten Aufführungsjahr sogar zu vehementen Störungen einzelner Vorstellungen, die beinahe zum Abbruch führten. Auch Mitglieder des Orchesters wandten sich im ersten Jahr gegen die musikalische Interpretation durch Pierre Boulez. Der SPIEGEL schrieb: "Just zum Jubeljahr [...] hatten sich die Konservativen wohl eine Art musikalisches Burgtheater erwartet: würdig und langweilig. Nun war es - scheinbar - respektlos und sicher unterhaltsam. Dem Altgedienten verging Hören und Sehen." Die konservativen Kritiker sahen Wagners Ring in den Händen eines linken Revoluzzers. Die anfängliche Ablehnung bei Teilen des Publikums wich jedoch von Jahr zu Jahr wachsender Begeisterung, was auch daran liegen mag, dass die Berichterstattung des Premierenjahres diejenigen, die sich eine konventionelle Aufführung erhofften, von dem Besuch der Aufführung in den kommenden Jahren abhielt. Schon 1980, nach den letzten Aufführungen, war der Zorn, zumindest bei denjenigen, die die Aufführungen noch besuchten, gewichen oder die hohe darstellerische und szenische Intensität dieser Inszenierung erkannt worden und schlug zum Teil sogar in kritiklosen Fanatismus um: Mit einem Applaus von neunzig Minuten Länge und der eindrucksvollen Zahl von 101 Vorhängen wurde die Inszenierung verabschiedet.

Die Inszenierung wurde 1979 und 1980 als Bild- und Tondokument aufgezeichnet. Eine Buchdokumentation beschreibt die Arbeit der Protagonisten.

Literatur

  • Der Ring, Bayreuth 1976-1980. Universitas, München ISBN 3-607-00020-4
  • Der Jubiläums-Ring in Bayreuth 1976. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Neu-Inszenierung der Tetralogie zum hundertjährigen Bestehen der Festspiele, Berlin 1976

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