Jan Hendrik Schön

Jan Hendrik Schön

Jan Hendrik Schön (* 1970) ist ein deutscher Physiker. Er löste 2002 einen Skandal wegen gefälschter Forschungsergebnisse aus, dem eine Debatte über die Verantwortlichkeiten von Ko-Autoren und Gutachtern von wissenschaftlichen Arbeiten folgte. Schöns Forschungsgebiete waren Nanotechnologie und Festkörperphysik.

Inhaltsverzeichnis

Karriere

Schön legte 1988 seine Matura am Bundesgymnasium im österreichischen Feldkirch ab. Er studierte Physik an der Universität Konstanz und erwarb dort 1993 sein Diplom. 1997 promovierte Jan Hendrik Schön bei dem angesehenen Photovoltaik-Experten Ernst Bucher über die Nutzbarmachung von Kupfergalliumdiselenid zur Herstellung von Solarzellen.

Ende 1997 wechselte er an die Bell Laboratories in die Arbeitsgruppe von Bertram Batlogg (jetzt ETH Zürich) und Christian Kloc und forschte zur Nanotechnologie mit organischen Halbleitern.

Im Jahr 2001 publizierte er im Durchschnitt alle acht Tage einen Fachartikel, 17 davon in den hochangesehenen Zeitschriften Nature und Science. Er kündigte mehrere bahnbrechende Resultate an, unter anderem Hochtemperatursupraleiter auf Fullerenbasis und einen Transistor, der nur aus einem Molekül besteht. Das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart beabsichtigte, ihn zum bis dato jüngsten Direktor zu berufen.

2011 war Schön als Ingenieur bei einem Chemieunternehmen beschäftigt.[1]

Vorwürfe und Folgen

2001 begannen einige Physiker, Zweifel an diversen Veröffentlichungen Schöns zu äußern, da ihnen die dort enthaltenen Messdaten im Sinne der Messgenauigkeit zu exakt erschienen und manche von Schöns Behauptungen allgemein akzeptierten physikalischen Erkenntnissen widersprachen. Bei eingehenderen Untersuchungen wurde anschließend entdeckt, dass Schön teilweise identische Messreihen zu völlig verschiedenen Experimenten veröffentlicht hatte. Zusätzlich erstellte er „Messreihen“ per Simulation am Computer, was jedoch erst nach Bekanntwerden der anderen Fälschungen erkannt wurde.

Am 21. September 2002 kam eine von den Bell Laboratories eingesetzte Untersuchungskommission zu dem Ergebnis,[2] dass Schön sich in 16 Publikationen durch das Fälschen von Messdaten des wissenschaftlichen Fehlverhaltens schuldig gemacht habe.[3]

Lucent Technologies (Eigentümerfirma der Bell Laboratories) entließ ihn daraufhin fristlos. Dies war der erste Fall eines bekanntgewordenen wissenschaftlichen Betruges in den Bell Labs. Die Max-Planck-Gesellschaft verzichtete auf eine Berufung, mehrere Auszeichnungen wurden zurückgegeben (Braunschweig Preis 2001) oder aberkannt (Otto-Klung-Weberbank-Preis 2001). Mehrere Artikel wurden zum Teil gegen den Willen Schöns zurückgezogen. Das Fachblatt Science zog am 31. Oktober 2002 insgesamt acht von Schön verfasste Publikationen zurück, das Fachblatt Nature am 5. März 2003 sieben solcher Publikationen.

Gefälschte Publikationen

Folgende Publikationen wurden als gefälscht enttarnt:

  • J. H. Schön, S. Berg, Ch. Kloc, B. Batlogg: Ambipolar pentacene field-effect transistors and inverters, Science 287, 1022 (2000)
  • J. H. Schön, Ch. Kloc, R. C. Haddon, B. Batlogg: A superconducting field-effect switch, Science 288, 656 (2000)
  • J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg: Fractional quantum Hall effect in organic molecular semiconductors, Science 288, 2338 (2000)
  • J. H. Schön, Ch. Kloc, A. Dodabala-pur, B. Batlogg: An organic solid state injection laser, Science 289, 599 (2000)
  • J. H. Schön, A. Dodabalapur, Ch. Kloc, B. Batlogg: A light-emitting field-effect transistor, Science 290, 963 (2000)
  • J. H. Schön, Ch. Kloc, H. Y. Hwang, B. Batlogg: Josephson junctions with tunable weak links, Science 292, 252 (2001)
  • J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg: High-temperature superconductivity in lattice-expanded C60, Science 293, 2432 (2001)
  • J. H. Schön, H. Meng, Z. Bao: Field-effect modulation of the conductance of single molecules, Science 294, 2138 (2001)
  • J. H. Schön, Ch. Kloc, B. Batlogg: Superconductivity at 52K in hole-doped C60. Nature 408, 549-552 (2000).
  • J. H. Schön et al.: Gate-induced superconductivity in a solution-processed organic polymer film. Nature 410, 189- 192 (2001).
  • J. H. Schön, H. Meng, Z. Bao: Self-assembled monolayer organic field-effect transistors. Nature 413, 713-716 (2001).
  • J. H. Schön et al: Superconductivity in single crystals of the fullerene C70. Nature 413, 831-833 (2001).
  • J. H. Schön et al: Superconductivity in CaCuO2 as a result of field-effect doping. Nature 414, 434-436 (2001).

Aberkennung der Doktorwürde

Schön räumte ein, dass die Daten in vielen dieser Arbeiten fehlerhaft waren. Er behauptete, dass die Verwechslungen durch ein Versehen aufgetreten seien. Dennoch gab er zu, gewisse Daten „angepasst“ zu haben, damit sie einen deutlicheren Beweis für das lieferten, was er in seinen Experimenten beobachtet habe[4]. Er besteht nach wie vor darauf, dass seine Experimente funktionsfähig seien.

Wissenschaftler an der Universität Delft und am IBM Thomas J. Watson Research Center haben seitdem ähnliche Experimente durchgeführt, konnten die Ergebnisse aber nicht bestätigen.

Im Juni 2004 versuchte die Universität Konstanz, Schön den Doktorgrad wegen „unwürdigen Verhaltens“ zu entziehen.[5] An diesem Schritt war ungewöhnlich, dass die Redlichkeit der Doktorarbeit selbst nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr ein bis dahin kaum beachteter Passus im baden-württembergischen Universitätsgesetz herangezogen wurde, nach dem der Titel auch entzogen werden kann, „wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten der Führung des Grades als unwürdig erwiesen hat“. Hierzu führte die Universität Schöns Fehlverhalten als Forscher in den USA an.

Schön legte Widerspruch ein und verhinderte so zunächst die Aberkennung des Doktorgrads.

Die Universität Konstanz entschied darüber im Oktober 2009, bestätigte ihre Entscheidung und erkannte Schön den Doktorgrad ab.[6][7]

Dagegen klagte Schön beim Verwaltungsgericht Freiburg, die zugrundeliegende gesetzliche Regelung sei zu unbestimmt und verfassungswidrig, selbst bei Gültigkeit der Regelung könne wissenschaftliches Fehlverhalten keine Unwürdigkeit begründen, und unabhängig davon sei ihm kein gravierendes oder vorsätzliches Fehlverhalten vorzuwerfen.[8][9]

Das Gericht urteilte im September 2010, Schön dürfe seinen Doktorgrad behalten, der Grad-Entzug sei vor allem eine Bestrafung Schöns, die durch das Ziel des Schutzes der Wissenschaftsgemeinschaft nicht gedeckt sei. Neben Problemen mit der Gleichbehandlung gebe es erhebliche grundsätzliche Rechtsunsicherheiten; bisher sei nicht bestimmt, was „gravierendes wissenschaftliches Fehlverhalten“ genau bedeute und wann dieses vorliege.[10]

Die Universität Konstanz ging daraufhin im November 2010 in Berufung. Aus übergeordneten Gesichtspunkten sei die Berufung notwendig, da vor dem Hintergrund der Bedeutung des wissenschaftlichen Fehlverhaltens Schöns das gesprochene Urteil nicht zu akzeptieren sei; mit der Berufung gehe es um die grundsätzliche Frage, wie Universitäten auf schwere wissenschaftliche Vergehen reagieren können. [11] Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschied letztinstanzlich im September 2011, dass die Entziehung rechtmäßig gewesen sei.[12][13]

Weblinks

Belege

  1. Fälscher verliert seinen Doktortitel, Südwestpresse, 15. September 2011. – Schön bleibt Doktor, pro-physik.de, 28. September 2010
  2. Report of the Investigation Committee on the Possibility of Scientific Misconduct in the Work of Hendrik Schön and Coauthors Bell Labs Research Review Report, September 2002, in Englisch
  3. Doktor? No!. Physik Journal 8 (2009) Nr. 12, S. 11
  4. Ikarus der Physik Der Spiegel vom 7. Oktober 2002
  5. Universität Konstanz entzieht Jan Hendrik Schön den Doktortitel Pressemitteilung 85 vom 11. Juni 2004
  6. Universität Konstanz weist den Widerspruch gegen Entzug des Doktorgrades zurück Pressemitteilung 163 vom 28. Oktober 2009
  7. Forschungsskandal: Uni entzieht Doktortitel Südkurier vom 29. Oktober 2009
  8. Doktorgrad darf nicht wegen nachträglichen wissenschaftlichen Fehlverhaltens entzogen werden Pressemitteilung des VG Freiburg vom 27. September 2010
  9. Nobelpreis-Aspirant kämpft um seinen Doktortitel Südkurier vom 21. September 2010
  10. Physiker Schön darf Doktortitel behalten Südkurier vom 27. September 2010, siehe auch Verfahren um Entzug des Doktorgrades von Dr. Jan Hendrik Schön - Keine ausreichende Rechtsgrundlage für Entzug Pressemitteilung 119 der Universität Konstanz vom 27. September 2010
  11. Einseitig gewichtet - Die Universität Konstanz geht in Sachen Schön in Berufung Pressemitteilung 163 der Universität Konstanz vom 30. November 2010
  12. Physiker verliert Doktortitel zu Recht. SWR, 14. September 2011, abgerufen am 16. September 2011.
  13. Schwerwiegendes wissenschaftliches Fehlverhalten rechtfertigt Entziehung des Doktorgrades wegen Unwürdigkeit. VGH Baden-Württemberg, 14. September 2011, abgerufen am 16. September 2011.

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