Jareer Weyne

Jareer Weyne
Bantu-Bäuerinnen bei Kismaayo, Südsomalia 1993

Die Somalischen Bantu (auch unter den Bezeichnungen Jarir/Jareer, (Wa)Gosha oder Muschunguli bekannt) sind ethnische Minderheiten gegenüber der überwiegenden Mehrheit der Somali in Somalia.

Der Begriff wird meist als Sammelbezeichnung für die Nachkommen von Angehörigen diverser Bantu-Volksgruppen im heutigen Tansania, Malawi, Mosambik und Kenia verwendet, die im 19. Jahrhundert als Sklaven nach Somalia verkauft wurden. Im weiteren Sinne werden auch andere Gruppen dazugezählt, die von Bantu abstammen sollen, die bereits zuvor im heutigen Somalia gelebt haben.

Sie leben hauptsächlich im Süden Somalias. Über ihre Bevölkerungszahl gibt es unterschiedliche Angaben, da einerseits Bevölkerungszahlen für Somalia allgemein unsicher sind und andererseits der Begriff somalische Bantu unterschiedlich weit gefasst wird. Generell bewegen sich die Schätzungen im Bereich von Zehntausenden bis Hunderttausenden.[1]

Wegen der Abstammung von Sklaven, ihrer sesshaft-bäuerlichen Lebensweise und ihrer von der Bevölkerungsmehrheit abweichenden äußeren Merkmale werden die Bantu von Teilen der somalischen Gesellschaft diskriminiert. Sie waren überproportional stark vom Bürgerkrieg in Somalia seit 1991 betroffen. Ein Teil von ihnen ist daher nach Kenia geflohen, von diesen sind seit 2003 rund 12.000 als Flüchtlinge in die USA umgesiedelt worden.

Somalische Bantukinder in Florida, 2007

Inhaltsverzeichnis

Begriffe und Bezeichnungen

Bantu“ ist eine Bezeichnung aus der Sprachwissenschaft und umfasst über 400 Volksgruppen mit rund 200 Millionen Menschen in Zentral-, Ost- und Südafrika, die Bantusprachen sprechen.

Die somalischen Bantu stellen keine homogene Ethnie dar und betrachteten sich traditionell mehr als Angehörige der einzelnen Dorfgemeinschaften oder Großfamilien, in denen sie leben, ihrer jeweiligen Bantu-Herkunftsvölker und/oder der somalischen Clans, denen sie sich teilweise angeschlossen haben, denn als eine einheitliche Volksgruppe. Ältere Beschreibungen, in denen sie als „ein Stamm von entflohenen Sklaven“ beschrieben werden[2], entsprechen insofern nicht der Realität. Erst in jüngerer Zeit hat sich insbesondere unter denjenigen somalischen Bantu, die vor dem Bürgerkrieg in Somalia in kenianische Flüchtlingslager geflohen sind, ein Bewusstsein um eine gemeinsame Herkunft und Identität und die Selbstbezeichnung Bantu herausgebildet. Zuvor war den meisten der Begriff „Bantu“ unbekannt.[3]

Die Sammelbezeichnung Bantu für jene Minderheiten in Somalia wurde erstmals in der Kolonialzeit von manchen europäischen Anthropologen und Kolonialbeamten verwendet, neben lokalen Begriffen (Gosha oder italienisch Goscia, Muschunguli) und Fremdbezeichnungen wie negri („Neger“) oder liberti („Freigelassene“ bzw. „ehemalige Sklaven“). In neuerer Zeit hat sich somalische Bantu (englisch Somali Bantu) seit Anfang der 1990er Jahre weitgehend im Sprachgebrauch westlicher Medien, internationaler Organisationen etc. durchgesetzt. In wissenschaftlichen Publikationen sind weiterhin differenziertere Bezeichnungen üblich, wie sie traditionell in Somalia von den „Bantu“ und von Somali verwendet wurden.

Karte der Volksgruppen in Somalia 1977; ethnische Minderheiten in Rot.
  • Meist bezieht sich der Begriff somalische Bantu auf die Nachkommen von Bantu-Sklaven aus Tansania, Mosambik, Malawi und Kenia, die in den Süden Somalias verkauft wurden und die sich nach ihrer Flucht oder Freilassung hauptsächlich im Tal des Flusses Jubba ansiedelten. Dieser Artikel behandelt hauptsächlich die Geschichte und Gegenwart dieser Gruppe.
  • „Negroide“, vielleicht ursprünglich Bantu-sprachige Volksgruppen haben wohl bereits vor Beginn des Sklavenhandels in den Tälern von Jubba und Shabeelle gelebt, ehe sie von den kuschitischsprachigen Somali und Oromo verdrängt wurden.[3] Heutige Minderheitengruppen, die als deren Nachfahren angesehen werden, werden teils ebenfalls in die Bezeichnung somalische Bantu mit einbezogen. Zu diesen zählen die Shidle und Makanne im Shabeelle-Tal bei Jawhar bzw. bei Beledweyne und die Reer Shabelle und Rer Bare in Äthiopien. Sie betreiben mehrheitlich Ackerbau und sind als „Klienten“ mit den benachbarten Somali-Clans verbunden. In englischsprachigen Publikationen werden sie daher oft als client-cultivator groups zusammengefasst[4].

(Wa)Gosha oder Reer Gosha bezeichnet die Bantu im unteren und mittleren Jubba-Tal (nördlich von Kismaayo etwa zwischen Jamaame und Bu'aale), die von ehemaligen Sklaven abstammen. Das Somali-Wort gosha bezeichnet wörtlich einen Galeriewald, in dem es Tsetsefliegen gibt; der Gosha genannte Abschnitt des Jubba-Tals war bis zur Ankunft der Bantu dicht bewaldet und weitgehend unbewohnt geblieben, da die Tsetsefliegen Krankheiten übertrugen und das Gebiet damit für die Hirten der Somali unattraktiv machten. Das Präfix Wa- steht in verschiedenen Bantusprachen für „mehrere Personen“, reer ist ein Somali-Wort für „Leute aus“, „Nachkommen von“. Wagosha/Reer Gosha lässt sich somit mit „Leute aus dem Wald“ übersetzen, mit spezifischem Bezug auf jenes Waldgebiet. Reer Goleed hat dieselbe Bedeutung, kann sich aber auf jeglichen Wald beziehen.

Diejenigen unter den Wagosha, die ihre Abstammung auf das Volk der Zigua oder Zigula in Tansania zurückführen und bis heute starke kulturelle Bindungen zu dieser früheren Heimat beibehalten haben, nennen sich auch Zigula, im Gegensatz zu den Shanbara, die sich ebenfalls anhand ihrer Bantu-Herkunftsvölker identifizieren, heute aber ausschließlich Somali sprechen. Die somalische Bezeichnung Muschunguli stammt wahrscheinlich von der Einzahlbezeichnung der Zigula, Muzigula. Sie bezeichnet streng genommen ausschließlich die Zigula, wurde und wird aber auch für sämtliche Gosha-Bewohner verwendet.[3]

Den genannten Gruppen – Sklavennachfahren und weitere Gruppen unbekannter Herkunft in Südsomalia – ist gemeinsam, dass sie von der Somali-Mehrheit anhand körperlicher Merkmale als unterschiedlich betrachtet und mit der Bezeichnung Jarir versehen werden (ausgesprochen „Dscharir“, in englischsprachigen Publikationen meist Jareer geschrieben). Es handelt sich um ein Somali-Wort für „harthaarig“ oder „kraushaarig“, welches im Gegensatz zu Jileec oder Jileyc ([dʒile:ʕ]) – „weichhaarig“ – (oder auch bilis, „Herr“ als Gegenteil von „Sklave“) für Nicht-Bantu bzw. Somali verwendet wird und nebst gekräuseltem Haar weitere Merkmale wie leicht dunklere Hautfarbe, bestimmte („weichere“) Gesichtszüge und Körperform impliziert.[5]

Adoon und Habash sind abwertende Begriffe, die mit „Diener“ oder „Sklave“ übersetzt werden. Manche Somali nennen die Bantu auch nach dem italienischen Wort für „heute“ Ooji, was von der Unterstellung herrührt, die Bantu könnten nicht über das Heute hinaus denken.[6]

  • Von den oben genannten Gruppen zu unterscheiden – und meist nicht als „somalische Bantu“ betrachtet – sind Angehörige der Swahili-Gesellschaft. Diese spricht die Bantusprache Swahili, ist an der ostafrikanischen Küste von Südsomalia bis zum Norden Mosambiks ansässig und nahm selbst am Sklavenhandel teil. Zu dieser Gruppe gehören in Somalia die Bajuni in Kismaayo sowie die Bewohner der Stadt Baraawe.

Geschichte

Arabische Sklavenjäger mit Gefangenen im Gebiet des Rovuma (Tansania/Mosambik), 1866

Sklavenhandel und Sklaverei in Südsomalia

Im 19. Jahrhundert kam es zu verschiedenen miteinander verbundenen Entwicklungen, die zu einem Aufschwung des Sklavenhandels in der Region führten: Sansibar stieg zum bedeutenden Handelszentrum auf, der Handel im Indischen Ozean wuchs, und die Plantagenwirtschaft kam in der ostafrikanischen Küstenregion auf. Im heutigen Somalia wurden vor allem im Shabeelle-Tal im Hinterland der Benadirküste Plantagen angelegt, die Überschüsse an Getreide, Baumwolle und pflanzliche Färbemittel für den Export produzierten. Dabei waren verschiedene Somali-Clans mit Landbesitz im Shabeelle-Tal beteiligt. Der Arbeitskräftebedarf dieser Plantagen wurde – wie auf den Gewürznelkenplantagen in Sansibar – mit importierten Sklaven gedeckt, zumal die meisten Somali die Arbeit im Ackerbau traditionell gering schätzen.[7]

Karte zur Geschichte der somalischen Bantu

1800–1890 wurden schätzungsweise 25.000 bis 50.000 schwarzafrikanische Sklaven über die Sklavenmärkte von Sansibar und Bagamoyo an die somalische Küste verkauft. (Insgesamt wurden im arabischen Sklavenhandel in Ostafrika im 19. Jahrhundert über eine Million Sklaven gehandelt.[8]) 1911 schätzte die italienische Kolonialverwaltung die Zahl der Sklaven in Südsomalia auf 25.000–30.000, bei einer Gesamtbevölkerung von 300.000[9]. Sie stammten hauptsächlich von den Bantu-Ethnien der Yao, Makua, Chewa (Nyanja, Nyasa) und Ngindo (Ngindu, Ngidono) aus Nordmosambik, Südtansania und Malawi und den Zigula (Zigua) und Zaramo im Nordosten Tansanias. Weitere Anteile kamen von den Mijikenda (Nyika) und anderen Volksgruppen aus Kenia.

Mündlichen Überlieferungen der Bantu zufolge kamen die Sklavenhändler zunächst in einer Zeit großer Hungersnot und versuchten die Menschen zu locken, indem sie ihnen Nahrung und Arbeit anboten.[10] (Tatsächlich hatte es in den 1830er Jahren in Tansania mehrere aufeinanderfolgende Dürre- und Hungerjahre gegeben, und bei etlichen weiteren Hungersnöten in der Region im Verlauf des 19. Jahrhunderts begaben sich Betroffene wissentlich oder unwissentlich in Sklaverei.) Später gingen die Händler bald zum gewaltsamen Menschenraub über. Entsprechend berichten die Nachkommen von später Versklavten größtenteils, dass ihre Vorfahren entführt worden seien[11].

Die meisten Bantu-Sklaven wurden an die Benadirküste (Baraawe, Merka, Mogadischu) und von dort weiter in das Landesinnere verkauft, hauptsächlich in die plantagenwirtschaftlich genutzten Gebiete im küstennahen Tal des Shabeelle. In kleinerem Umfang gelangten Sklaven auch in die Bay-Region weiter im Landesinneren, wo sie in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft der Rahanweyn (Digil-Mirifle) zum Einsatz kamen. Einige Tausend Sklaven verblieben in den Küstenstädten, wo sie im Besitz arabischer und somalischer Händler in der Textilindustrie (als Weber), im Betrieb von Sesamölmühlen, als Hausdiener, Träger und Hafenarbeiter tätig waren. Auch nomadische Somali betrieben Sklavenhaltung, allerdings war deren wirtschaftliche Bedeutung bei ihnen geringer, und hauptsächliche Beschaffungsquelle für Sklaven waren für sie Überfälle und Kriege gegen die benachbarten Oromo[12] (die nicht zu den Bantu, sondern wie die Somali zu den kuschitischsprachigen Völkern zählen).

Ansiedlung im Jubba-Tal

Für entlaufene Sklaven sowie Freigelassene, die nicht in einem Status der Abhängigkeit bei ihren Herren verbleiben wollten, gab es im Wesentlichen die Möglichkeiten, sich islamischen Bruderschaften (Tariqa) anzuschließen, in bestehende Dörfer freier Jarir-Bauern zu ziehen oder eigene Dörfer zu gründen.[13]

Ab den 1840er Jahren ließen sich aus dem Shabeelle-Tal entflohene Sklaven im Gosha-Gebiet im Jubba-Tal nieder, wo sie Dörfer gründeten und Ackerbau betrieben. Dieses Gebiet – in den heutigen Verwaltungsregionen Unter- und Mittel-Jubba gelegen – zeichnet sich durch dichte Bewaldung und das Vorhandensein von saisonalen Wasserreservoirs (dhasheegs) aus. Es war bis anhin abgesehen von den kuschitischsprachigen Jägern und Sammlern der Boni und Somali-Nomaden, die es saisonal durchquerten, unbewohnt geblieben[14].

Zu den frühesten der neuen Siedler gehörten die Zigula, die aus dem Nordosten des heutigen Tansania stammten. Mündlichen Überlieferungen zufolge waren sie infolge von Hungersnot in die Fänge von Sklavenhändlern geraten und hatten danach einige Jahre als Plantagensklaven in Somalia gelebt. In einer gemeinsamen, organisierten Flucht unter Führung einer Frau mit Namen Wanankhucha erreichten sie das Gosha-Gebiet; die Flucht sollte weiter nach Süden in das tansanische Herkunftsgebiet führen, endete aber im Jubba-Tal, da der Weg nicht ungefährlich war. Da die meisten der Zigula als Erwachsene in die Sklaverei geraten und wenige Jahre darin verblieben waren, behielten sie relativ starke kollektive Erinnerungen und kulturelle Bindungen an die frühere Heimat, einschließlich der Zigula-Sprache. Auch die übrigen frühen Siedler waren, wenn auch weniger stark ausgeprägt, ihrer Bantu-Herkunft verbunden, und meist zogen diejenigen in dasselbe Dorf, die sich auf dasselbe Herkunftsvolk zurückführten. Neben den Sprachen ihrer jeweiligen Herkunftsvölker verwendeten sie Swahili als Verkehrssprache. 1865 wurde die Einwohnerzahl des Gosha auf 4.000 geschätzt.[15]

Eine weitere Ansiedlung von ehemaligen Sklaven entstand in Haaway in sumpfigem Gebiet am Unterlauf des Shabeelle. Dort ließen sich ebenfalls ab den 1840er Jahren etwa 3.000 nieder.

Mithilfe von Feuerwaffen, die sie im Austausch gegen Elfenbein vom Sultanat Sansibar erworben hatten, unterwarfen die Ex-Sklaven im Gosha in den 1870er Jahren die Boni, denen sie anfangs Tribut hatten zahlen müssen. Zudem festigten sie ihre Beziehungen zu den nomadischen Somali-Clans (vor allem Ogadeni-Darod), die saisonal durch das Gebiet zogen und einerseits Handelspartner für Elfenbein und andere Waren, andererseits zunächst eine militärische Bedrohung für die neugegründeten Dörfer darstellten. Von den 1880ern bis in die 1900er Jahre etablierte der aus dem Volk der Yao stammende Nassib Bunda ein „Sultanat Goshaland“ als politische und militärische Einheit mehrerer Bantudörfer. Er wird in Überlieferungen dafür gerühmt, um 1890 den wichtigen Sieg über die Ogadeni-Darod errungen und Verhandlungen mit Ägypten, Sansibar und schließlich den britischen und italienischen Kolonialmächten geführt zu haben. Neben den gemeinsamen Kämpfen gegen Boni und Somali gab es auch Konflikte zwischen den – politisch und kulturell weitgehend eigenständigen – Bantudörfern und Rivalitäten zwischen deren Führungspersönlichkeiten. Viele Dörfer im Gosha waren zu dieser Zeit befestigt.[16]

Kontinuierlich gelangten neue Siedler in das Gebiet, und die Besiedlung im Gosha weitete sich nach Norden hin bis in den mittleren Teil des Jubba-Tals aus. Zugleich kam es zu einer zunehmenden „Somalisierung“ der Gosha-Bewohner: Die später Angekommenen waren im Unterschied zu den früheren Siedlern vielfach bereits im Kindesalter versklavt worden und hatten länger in Sklaverei gelebt, sodass ihre Bindung zum Herkunftsgebiet schwächer und die Beeinflussung durch die somalische Kultur und Gesellschaft größer war. Sie sahen sich weniger als Angehörige ihrer Bantuvölker denn als Mitglieder von Somali-Clans und gründeten neue Dörfer ab etwa nördlich von Jilib nach dem Muster dieser Clanzugehörigkeit. Bis um die Jahrhundertwende hatten die Gosha-Bewohner praktisch flächendeckend den Islam übernommen, da sie entweder bereits in der Sklaverei konvertiert waren oder durch das Wirken von Scheichs und Bruderschaften im Gosha islamisiert wurden. Mit Ausnahme der Zigula waren sie zum ausschließlichen Gebrauch der somalischen Sprache übergegangen. Aufgrund dieser Annäherung an die Somali-Gesellschaft und der „Befriedung“ der Ogadeni-Darod durch die britische Kolonialmacht verschwanden Feuerwaffen und Befestigungen von Dörfern weitgehend.[17] In den frühen 1900ern sollen etwa 35.000 ehemalige Bantu-Sklaven entlang des Jubba gelebt haben.

Freigekaufte Sklavenfamilie in Baraawe 1904 als Postkartenmotiv

Kolonialzeit und Abschaffung der Sklaverei

1873 verbot der Sultan von Sansibar auf britischen Druck hin den Sklavenhandel in Ostafrika. Dennoch bestand dieser Handel noch zumindest bis Ende des 19. Jahrhunderts fort. Zum Teil verlagerte er sich vom Seeweg auf Karawanenrouten, die über Luuq und Baardheere an die Benadirküste führten. Von dort aus wurden die Sklaven innerhalb Somalias verkauft oder nach Arabien verschifft.[18]

Die Benadirküste wurde 1892 an Italien übertragen und zunächst von privaten Gesellschaften verwaltet. 1895 befreiten die Behörden Italienisch-Somalilands erstmals eine Gruppe von 45 Sklaven[19]. Insgesamt gingen sie aber bei der Umsetzung des offiziellen Sklavereiverbots zögerlich vor, da sie einflussreiche sklavenhaltende Somali-Clans nicht gegen sich aufbringen wollten. Teilweise brachten sie gar entflohene Sklaven zu ihren Besitzern zurück. Dies führte 1902 zu Kritik an der Benadir Company in der italienischen Presse und Forderungen nach einem entschiedeneren Vorgehen gegen die Sklaverei in Somalia. Ab 1903 begann die Abschaffung in größerem Maßstab und weitete sich wie die gesamte italienische Herrschaft allmählich in das Landesinnere aus;[20] einige Gruppen von Bantu verblieben bis in die 1930er Jahre in Sklaverei[19].

Die Italiener errichteten in den Tälern von Jubba und Shabeelle exportorientierte Bananen-, Zuckerrohr- und Baumwollplantagen, wofür sie im unteren Jubba-Tal 14.000 Hektar Land von den Bantu enteigneten. Da nur wenige Somalier zur freiwilligen Lohnarbeit auf diesen Plantagen bereit waren und Arbeitskräftemangel somit ein erhebliches Problem darstellte, hatte man nicht zuletzt auf die ehemaligen Sklaven als Arbeitskräfte gehofft. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht, als sich nach der Befreiung weitere 20.000–30.000 Ex-Sklaven stattdessen in das Jubba-Tal begaben. Nach der faschistischen Machtübernahme in Italien wurde die Kolonialpolitik verschärft, und ab Mitte der 1930er Jahre wurden vor allem Bantu zur Zwangsarbeit auf Plantagen in italienischem Besitz herangezogen. Sie wurden hierfür in eigens errichtete Dörfer umgesiedelt und in Arbeitsbrigaden für die über 100 italienischen Plantagen in Südsomalia organisiert. Landenteignung und Zwangsarbeit führten zu verbreiteter Verarmung und Hunger vor allem im leichter erreichbaren unteren Teil des Gosha. Sie endeten mit der britischen Besetzung Italienisch-Somalilands 1941.[21]

Die beiden darauffolgenden Jahrzehnte (1941–1950 britische Militärverwaltung, 1950–1960 Treuhandgebiet Italienisch-Somaliland) bis zur Unabhängigkeit Somalias verliefen für die Bantu weitgehend friedlich, sie konnten relativ ungestört von der Regierung oder ihren Somali-Nachbarn ihre Landwirtschaft betreiben[22]. Weiterhin kamen Neuzuzüger in das Gosha-Gebiet, wenn auch in sinkender Zahl; zu ihnen gehörten Reer Shabelle, die 1920–1960 vor kriegerischen Auseinandersetzungen in ihrem Gebiet um Kalafo in Äthiopien flohen, freigelassene Oromo-Sklaven (die nach ihrer Entlassung aus der Sklaverei vielfach zunächst als mehr oder weniger unabhängige Viehzüchter gelebt hatten, ehe sie sich als Ackerbauern niederließen) und Somali-Hirten, die in Dürrezeiten ihr Vieh verloren hatten.[23]

Unabhängiges Somalia unter Siad Barre

Der Offizier und Angehörige des Marehan-Darod-Clans Siad Barre, der 1969 durch einen Putsch an die Macht gelangte, unternahm Bestrebungen, das traditionelle Clansystem und den „Tribalismus“ zu überwinden. Die Bantu profitierten eingeschränkt von der offiziellen Rhetorik, die die nationale Einheit betonte und alle Bewohner Somalias zu gleichberechtigten Staatsbürgern erklärte. Dies brachte sie bei Teilen der übrigen Bevölkerung in Verruf, Günstlinge der Diktatur Barres zu sein. Zugleich blieben sie auch vom Staat in vielerlei Hinsicht diskriminiert. So wurden sie bevorzugt als Soldaten für den Ogadenkrieg und spätere Kämpfe gegen Rebellen innerhalb Somalias (zwangs-)rekrutiert, weil sie leicht zu erkennen und die Hemmungen, sie im Krieg zu opfern, geringer waren.[24] Während einige Angehörige anderer Minderheitengruppen wie der Midgan/Madhibaan und der Benadiri bis in hohe Posten im Staatsapparat aufsteigen konnten[25], erreichten Jarir höchstens Ämter auf lokaler Ebene.

Ab den 1970er Jahren wuchs das Interesse des Staates am zuvor marginalen Jubba-Tal und dessen Landressourcen. Mit Unterstützung internationaler Geldgeber wurden umfangreiche Entwicklungsprojekte geplant (von denen etliche, etwa der Bau des zweitgrößten Staudamms in Afrika nach dem Assuan-Staudamm, nicht zur Umsetzung gelangten). Das Landgesetz von 1975 erklärte den Boden zu Staatsbesitz und verpflichtete Bauern dazu, Landtitel vom Staat zu erwerben; andernfalls handelten sie illegal und riskierten, ihre Landrechte zu verlieren. Die meisten Bantu-Bauern hatten jedoch praktisch keinen Zugang zum aufwändigen und kostspieligen Registrierungsverfahren. An ihrer Stelle erwarben vor allem Personen von außerhalb des Tals mithilfe von Verbindungen im Verwaltungsapparat Titel für Land im Gosha, wo schließlich das Land ganzer Dörfer auf dem Papier von Auswärtigen beansprucht war. Diese registrierten das Land vor allem zu Spekulationszwecken, nur ein kleiner Teil von ihnen machte davon tatsächlich Gebrauch. Land der Bantu wurde auch – namentlich in Marerey und Mugambo[26] – enteignet, um staatliche Reis- und Zuckerfarmen zu errichten und auf diesen vorwiegend ehemalige Nomaden und Flüchtlinge aus dem Ogadenkrieg anzusiedeln. Diese Farmen erwiesen sich als wirtschaftlich erfolglos.[27]

Heutige Situation

Somalische Bantufrau nahe Jamaame, 2007

Lebensweise und Kultur

Die Bantu in Somalia leben traditionell in Dörfern. Diese umfassen im oberen Gosha Hundert bis mehrere Hundert Personen[28]. Die Infrastruktur ist spärlich, die meisten Haushalte verfügen nicht über Elektrizität oder fließendes Wasser und nur über wenig materiellen Besitz. Ihre Lebensgrundlage ist der Ackerbau, den sie als Kleinbauern auf Feldern von durchschnittlich 0,4–4 Hektar Fläche betreiben, dies im Gegensatz zu den Somali, welche mehrheitlich nomadisch leben und Viehzucht betreiben. Die von den Bantu bestellten Böden gehören zu den ergiebigsten des Landes, da sie mit Wasser aus dem Jubba-Fluss bewässert werden können. Grundnahrungsmittel ist Mais, ferner werden Sesam, Bohnen und diverse Früchte und Gemüse angebaut. In kleinerem Umfang werden Cash Crops wie Baumwolle zum Verkauf produziert. Im Jubba wird Fisch gefangen, Milchprodukte und Fleisch werden von Somali-Nomaden eingetauscht oder gekauft. Wegen des Vorhandenseins von Tsetsefliegen, die Tierkrankheiten übertragen, halten die Bantu-Bauern kaum Vieh. Bantu, die nicht (ausschließlich) von ihrer Landwirtschaft leben oder sich in Städten – vor allem in Kismaayo und Mogadischu – niedergelassen haben, arbeiten meist in schlecht bezahlten Berufen mit geringen Bildungsanforderungen.[29]

Der Bildungsstand der Bantu ist niedrig, da es im abgelegenen Gosha-Gebiet kaum Schulen gibt, das Schulgeld für sie aus wirtschaftlichen Gründen schwer aufzubringen ist und die Kinder zudem früh in die Feldarbeit einbezogen werden; manche berichteten auch, ihnen sei Bildung absichtlich vorenthalten worden. Von den Bantu-Flüchtlingen im kenianischen Lager Dadaab konnten weniger als 5 % lesen und schreiben.[30]

Die Kultur der Bantu ist von Traditionen ihrer Herkunftsvölker einerseits und der Kultur Somalias andererseits geprägt. Dabei sind die kulturellen Bindungen an die Bantu-Herkunft im südlichen (unteren) Teil des Gosha – bei den Nachkommen der frühesten Siedler – am stärksten, während gegen den nördlichen (oberen) Teil hin der Einfluss der somalischen Kultur zunimmt.

Wie die Somali verwenden die Bantu die somalische Sprache (hauptsächlich deren Maay-Dialekt), nur eine Minderheit im untersten Teil des Gosha – die Zigula – hat bis heute ihre ursprüngliche Sprache und eine ausgeprägte eigenständige Identität behalten. Die meisten sind Muslime, wobei viele daneben noch animistische Gebräuche beibehalten haben. Ihre religiöse Praxis ist traditionell moderat. Wichtigste kulturelle Ausdrucksmittel sind Tanz und Musik, das Gosha-Gebiet ist für seine Vielfalt von traditionellen Tänzen bekannt. Bei den Bantu im unteren Jubba-Tal ist die Zugehörigkeit zu „Tanzgruppen“ (mviko), die Rituale gemeinsam ausführen, von großer sozialer Bedeutung. Diese Gruppen sind meist matrilinear organisiert, was im Unterschied zur großen Bedeutung der väterlichen Abstammungslinie bei den Somali steht. Bei vielen Ritualen nimmt das Spielen von Trommeln eine wichtige Rolle ein.[31] Da Frauen und Männer gemeinsam tanzen, sprechen sich manche lokale islamische Geistliche gegen die Tänze aus, dies jedoch mit bescheidenem Erfolg. Das übliche Heiratsalter liegt bei 16 bis 18 Jahren – in manchen Fällen auch früher –, Polygamie ist verbreitet. Das Leben in Großfamilien mit hohen Kinderzahlen ist üblich. Die unter den Somali verbreitete Beschneidung von Frauen und Mädchen wird auch von Bantu praktiziert[32].

Lage in der somalischen Gesellschaft

Manche Bantugruppen haben sich in das Clansystem der Somali eingegliedert, indem sie sich somalischen Clans anschlossen. Durch solche Verbindungen – ku tirsan für „sich anlehnen“ genannt – genießen sie einen gewissen Schutz gegen andere Clans, gelten aber in der Regel weiterhin als abgegrenzte und untergeordnete Gruppe innerhalb des Clans. So beteiligen sie sich in der Regel an Blutgeldzahlungen für andere Mitglieder des Clans, während Somali-Clanmitglieder kaum je zu entsprechenden Zahlungen für ein Bantu-Clanmitglied beitragen. Auch müssen sie hinnehmen, dass das Vieh der Somali Schäden an ihren Feldern anrichtet und dass sich „ihr“ Clan jeweils einen Teil ihrer Ernte nimmt, sie aber vor Plünderungen durch andere Clans schützt.[33] Ehen zwischen Somali und Bantu sind sehr selten.

Die Somali-Mehrheit unterscheidet die Bantu traditionell anhand körperlicher Merkmale von sich selbst, wie es in der Bezeichnung Jarir (siehe Abschnitt Begriffe und Bezeichnungen) zum Ausdruck kommt. Diese Kriterien entsprechen in etwa dem, was in europäischen Rassentheorien zur Kolonialzeit als „negroid“ oder „schwarzafrikanisch“ eingeordnet wurde; die Somali ihrerseits betrachten sich explizit nicht als Schwarzafrikaner, sondern betonen ihre (teilweise) arabische Abstammung.

Weiterhin bestehen diverse Vorurteile über die Bantu. Überregional bekannt sind etwa ihre Tänze, die verbreitet als „unrein“ und unislamisch gelten; generell wird ihre religiöse Integrität angezweifelt. Auch magische Fähigkeiten wie etwa diejenige, Krokodile für ihre Zwecke zu kontrollieren, werden ihnen zugeschrieben und gefürchtet. Als Ackerbauern, die kaum Vieh besitzen, gelten sie den Somali, die Viehzucht und Nomadentum hoch schätzen, als besonders arm.

Bis heute werden die Bantu von Teilen der Somali-Gesellschaft wegen ihrer Jarir-Merkmale, ihrer bäuerlichen Lebensweise und wegen der Abstammung von Sklaven als minderwertig betrachtet. Sie waren und sind von Diskriminierung in diversen Formen betroffen. Eine politische Teilhabe im somalischen Staat war praktisch nicht vorhanden.[34]

Die Bantu selbst strebten in dieser Situation größtenteils eine vermehrte Integration in die somalische (Clan-)Gesellschaft an, nicht etwa eine Abgrenzung oder offenen Widerstand.[35] Einige wenige Bantu mit höherer Bildung versuchten auf politischer Ebene für ihre Interessen zu wirken. So bestand unter der italienischen Treuhandverwaltung in den 1950er Jahren eine Partei der Jarir, die jedoch nie in einer Regierung vertreten war. Abdulkader Sheikh Sakawadin, eines der Gründungsmitglieder der bedeutenden Somali Youth League, war Jarir. 1986[36] gründeten Intellektuelle die Somali Agriculturalists Muki Organization SAMO. Auch sie verfolgten zunächst vor allem das Ziel, als gleichberechtigte Mitglieder der somalischen Gesellschaft anerkannt zu werden, weniger als spezielle Gruppe mehr Rechte einzufordern. Dies änderte sich nach Ausbruch des Bürgerkrieges. Unter ihrem Vorsitzenden Mohammed Ramadan Arbow wurde die SAMO in Somali African Muki Organization umbenannt.[37]

Insgesamt machten die Ereignisse im Bürgerkrieg (s.u.) aus Sicht der Bantu ihre Ungleichheit innerhalb und gegenüber der Somali-Gesellschaft deutlicher als zuvor. Die Anfang der 1990er Jahre innerhalb Somalias präsenten internationalen Organisationen und Medien nahmen die Bantu vermehrt als eigene Gruppe wahr, und in den Flüchtlingslagern des UNHCR, wo die somalischen Flüchtlinge nach Clanzugehörigkeit registriert wurden, wurden die „Bantu“ nun unter diesem Begriff kategorisiert[3]. Diese Faktoren trugen dazu bei, dass sich eine neue kollektive Identität der somalischen Bantu herausbildete.

Im Bürgerkrieg

Feldarbeit, 1993

Im Bürgerkrieg in Somalia seit 1991 verschärfte sich die Lage der Bantu. Verschiedene Kriegsparteien, Bewaffnete und Milizen durchquerten ihr Gebiet, plünderten dabei Nahrungsmittel und anderen Besitz und richteten Zerstörungen an der landwirtschaftlichen Infrastruktur an. Gewalttätige Übergriffe wie Vergewaltigungen von Frauen und Tötungen (vor allem von Männern) kamen verbreitet vor. Da sie über wenig Waffen und – vor allem im Fall der Zigula – auch nicht über den Schutz bewaffneter Clans verfügen, waren die Bantu besonders stark solchen Übergriffen und Plünderungen ausgesetzt. Folglich waren sie auch von der kriegsbedingten Hungersnot Anfang der 1990er überproportional betroffen. Dem Hunger fielen vor allem Kleinkinder in großer Zahl zum Opfer, sodass Mitte 1993 der Anteil unter 5 Jahre alter Kinder im mittleren Jubba-Tal auf gerade 8 % geschätzt wurde[38]. (Demgegenüber lag der Anteil dieser Altersgruppe gemäß Zahlen der UNICEF für das Jahr 2006[39] in Somalia bei rund 18 %, in Äthiopien und Kenia zwischen 16 und 17 %.) Die Gesamtzahl der Toten liegt im Bereich von Zehntausenden[40]. Einer Schätzung zufolge ist durch Gewalttaten, indirekte Kriegsfolgen, auf der Flucht oder in den Flüchtlingslagern (siehe unten) ein Drittel der Bantu-Bevölkerung umgekommen[41]. Die Anthropologin und Expertin für die somalischen Bantu Catherine Besteman bezeichnete die Gewalt, der die Bantu im Bürgerkrieg ausgesetzt waren, als „genozidal[42].

Verschiedene Somali-Clans und Kriegsparteien eigneten sich im Verlauf des Krieges das begehrte Land der Bantu an. Manche Bantu werden heute genötigt, unter Bedingungen zwischen Teilpacht und Zwangsarbeit auf dem ehemals ihrigen Land zu arbeiten. Andere mussten ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten näher an die Flussufer verlegen, wo die Gefahr von saisonalen Überflutungen ihrer Felder größer ist.[43] Zehntausende wurden in Somalia intern vertrieben oder flohen nach Kenia.[40] Die meisten Binnenvertriebenen verbleiben dabei im südsomalischen Raum. Einige gelangten bis in die nördlichen Gebiete Somaliland und Puntland, in letzterem vor allem in die wirtschaftlich prosperierende Hafenstadt Boosaaso. Dort arbeiten sie vorwiegend auf dem Bau[44].

In ihrem Bericht für 2006 stufte die Menschenrechtsorganisation Minority Rights Group Somalia als weltweit gefährlichstes Land für Minderheiten, darunter die Bantu, ein.[45]

Zum Teil haben sich die Bantu in Reaktion auf den Bürgerkriegszustand unterdessen bewaffnet und eigene Milizen gebildet.[46] Zuletzt übernahmen mit der Union islamischer Gerichte verbundene Milizen im Mai 2008 die Kontrolle über die Orte Jamaame, Kamsuuma und Jilib im Gosha-Gebiet. Über ihr Verhalten gegenüber den Bantu ist nichts Näheres bekannt.[47]

Flüchtlinge

Über Zehntausend Bantu flohen vor dem Krieg und seinen Folgen in das nahe Nachbarland Kenia, wo sie hauptsächlich in Flüchtlingslager wie diejenigen bei Dadaab gelangten. Auch dort waren sie von Schikanen und Übergriffen von Seiten der Somali-Mehrheit in den Lagern betroffen. Nach 1996 gingen manche dieser Flüchtlinge wieder nach Somalia zurück, die meisten gaben jedoch an, nie mehr zurückkehren zu wollen.

Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR stufte die Bantu-Flüchtlinge als besonders schutzbedürftig und damit als Kandidaten für eine Umsiedlung in Drittstaaten ein. Das anfängliche Vorhaben, sie nach Tansania umzusiedeln, scheiterte, da dieses Land bereits mit Flüchtlingsströmen aus Burundi, Kongo und vor allem nach dem dortigen Völkermord aus Ruanda konfrontiert war. Pläne für eine Umsiedlung nach Mosambik waren 1997 so weit gediehen, dass Listen von Umsiedlungskandidaten erstellt wurden. Bald darauf widerrief Mosambik allerdings sein Interesse, da es nicht über die nötigen Ressourcen für die Flüchtlinge verfüge und selbst mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen habe.

Umsiedlung in die USA

Schließlich erklärten sich die USA 1999 zur Aufnahme bereit, nachdem Kongressabgeordnete sowie Vertreter von Flüchtlingshilfsorganisationen und den Bantu-Flüchtlingen selbst auf diesen Schritt hingewirkt hatten. Manche Somali versuchten daraufhin, sich als Bantu auszugeben und somit die Erlaubnis zur Einwanderung in die USA zu erlangen. Hierzu schleusten sie sich in Bantu-Gruppen ein, erpressten Bantu oder bestachen sie. Aus diesem Grund wurden die Umsiedlungskandidaten einem Überprüfungsverfahren unterzogen, etwa 10.000 wurden von der weiteren Überprüfung ausgeschlossen. Fast 14.000 Personen wurden näher geprüft, davon wurden rund 12.000 zugelassen[48]. Damit waren die Bantu die bislang größte afrikanische Flüchtlingsgruppe, die Asyl in den USA erhielt.

Strengere Sicherheitsvorkehrungen nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 führten dazu, dass sich die Umsiedlung der Bantu-Flüchtlinge verzögerte. Sie wurden zunächst aus den Lagern bei Dadaab in das als sicherer geltende Kakuma gebracht und dort in Kursen (cultural orientation classes) auf das Leben in den USA vorbereitet. Im April/Mai 2003 trafen die ersten in den USA ein. Sie wurden in über 50 Städten jeweils in Gruppen angesiedelt, so etwa 1.000 in Salt Lake City[49] und weitere in Phoenix, Tucson, Houston, Nashville, St. Louis, Rochester, Concord[50] und anderen Orten.

Mancherorts gab es Bedenken wegen der geringen Bildung und der mangelnden Englischkenntnisse der somalischen Bantu. Es wurde befürchtet, sie würden schwer Arbeit finden und zur finanziellen Belastung werden. In den Kleinstädten Holyoke und Cayce verhinderten lokale Proteste geplante Ansiedlungen. Für Kontroversen sorgte auch der Umstand, dass die Bantu traditionell die in den USA illegale Beschneidung weiblicher Genitalien praktizieren. Berichten zufolge ließen manche Eltern, nachdem sie vom Verbot in den USA erfahren hatten, ihre Töchter möglichst rasch noch in den Flüchtlingslagern beschneiden. Die US-amerikanischen Behörden erwogen zunächst, die betreffenden Familien von der Umsiedlung auszuschließen. Infolge von Kampagnen, die auf die Risiken der Beschneidung hinwiesen, soll ein Großteil der Bantu-Flüchtlinge diese Praxis aufgegeben haben.[51][32]

Kritiker der heutigen Flüchtlingspolitik der Vereinigten Staaten bemängelten die hohen Kosten der Umsiedlung, die ihrer Ansicht nach besser in Flüchtlingshilfe vor Ort oder die Umsiedlung in ein Drittland innerhalb Afrikas investiert würden. Sie kritisierten allgemein die Vergabe von Asyl an ganze Gruppen von afrikanischen Flüchtlingen, die in den letzten Jahren vermehrt vorgekommen ist (sie wurde in den Jahren 1995 und 1996 je rund 4000 Benadiri und Brawanesen aus Somalia gewährt, 1997 und 1999 etwa 1500 Tutsi und mit solchen verheirateten Hutu aus Ruanda und zuletzt im Jahr 2000 über 3500 sogenannten „Lost Boys“ aus Sudan).[52]

Insgesamt wurden die Bantu in ihrer neuen Heimat positiv aufgenommen. Die Ansiedlung der Bantu, die bislang kaum Erfahrung mit Elektrizität, fließendem Wasser etc. gemacht hatten, in einem der modernsten Industriestaaten erhielt umfangreiche Medienaufmerksamkeit in den USA und darüber hinaus. In den Medienberichten ist allgemein davon die Rede, dass sie sich gut in die neuen Lebensbedingungen eingelebt und insbesondere den Wert einer guten Ausbildung für ihre Kinder rasch erkannt hätten. Vor allem Kritiker der US-Flüchtlingspolitik verweisen jedoch auch auf Beispiele aus Orten, in denen wenig Arbeitsplätze mit geringen Bildungsanforderungen vorhanden sind, viele Bantu folglich arbeitslos sind und staatliche Unterstützung erhalten. Insbesondere Lewiston (Maine) wurde in diesem Zusammenhang bekannt. Dorthin waren ab 2001 Tausende Somali und später auch Bantu gezogen, weil dieser Ort günstigen Wohnraum bietet und die Kriminalität niedrig ist.[53] Einem offiziellen Bericht zufolge sind 51 % der Einwanderer aus Somalia (Somali und Bantu) in Lewiston arbeitslos[54]. Da Bantu-Familien oft sehr kinderreich sind, gab es mancherorts auch Schwierigkeiten, genügend geeigneten Wohnraum zu finden, beispielsweise in Columbus (Ohio) 2005[55]. Zahlreiche Bantu zogen nach Louisville (Kentucky), das über ein großes Arbeitsplatzangebot, aber wegen steigendem Durchschnittsalter und niedrigen Geburtenraten über immer weniger Arbeitskräfte verfügt. Mit über 1.600 weist dieser Ort heute die größte Bantu-Bevölkerung in den USA auf. Die meisten Männer haben hier Arbeit, können jedoch nicht in allen Fällen vollständig für die Versorgung ihrer Familien aufkommen.[56][57]

Wissenschaftliche Studien und Zahlen zur Integration der somalischen Bantu in den USA gibt es bislang nicht.

Bantu-Flüchtlinge in Afrika

Weiterhin leben einige Tausend Bantu in kenianischen Flüchtlingslagern.[58]

Eine weitere Gruppe von etwa 3.000 Bantu, vorwiegend Zigula, war 1991 und 1992 auf dem Seeweg nach Mombasa und von dort weiter in die Region Tanga im Nordosten Tansanias gelangt, wo bis heute Zigula leben. Diese Gruppe lebte dort zunächst in der Flüchtlingssiedlung Mkuyu. 2003 konnten sie in die mit Hilfe des UNHCR gebaute Siedlung Chogo umziehen. Ihnen wurde Land zur Verfügung gestellt, um sich als Kleinbauern niederzulassen, und es wurde ihnen gestattet, die tansanische Staatsbürgerschaft zu beantragen.[59][60]

Siehe auch

Literatur

  • Catherine Besteman: Unraveling Somalia – Race, Violence, and the Legacy of Slavery, University of Pennsylvania Press 1999, ISBN 978-0812216882
  • Catherine Besteman: The Invention of Gosha und Francesca Declich: Identity, Dance and Islam among People with Bantu Origins in Riverine Areas of Somalia, in: Ali Jimale Ahmed (Hrsg.): The Invention of Somalia, Red Sea Press 1995, ISBN 978-0932415998
  • Lee V. Cassanelli: The Ending of Slavery in Italian Somalia, in: Suzanne Miers, Richard Roberts (Hrsg.): The End of Slavery in Africa, ISBN 978-0299115548

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der Fischer Weltalmanach (2008) gibt die Zahl von 100.000 an. Eine andere Schätzung (zit. in The Somali Bantu: Their History and Culture, 2002) gibt 600.000 bei einer Gesamtbevölkerung von 7.5 Millionen in Somalia an, eine weitere (Orville Jenkins: Profile: The Gosha) 85.000. Das CIA World Factbook nennt einen Bevölkerungsanteil von 15 % für „Bantu und andere Nicht-Somali“.
  2. Besteman: Unraveling Somalia, 1999: S. 121, 146f.
  3. a b c d Francesca Declich: Fostering Ethnic Reinvention
  4. Besteman 1999: S.52f.
  5. Besteman 1999: S. 116
  6. Somalia Bantu – Their History and Culture: People
  7. Besteman 1999: S. 51
  8. Christian Delacampagne: Die Geschichte der Sklaverei, 2004, ISBN 3-538-07183-7 (S. 226)
  9. Robert Hess: Italian Colonialism in Somalia, University of Chicago Press 1966; zit. in Besteman 1999: S. 56
  10. Flüchtlinge 3/2002, S.12
  11. vgl. entsprechende Überlieferungen bei Besteman 1999: S. 67, 74
  12. Besteman 1999: S. 57–60 (Sklaverei bei nomadischen Somali)
  13. Besteman 1999: S. 60f.
  14. Besteman 1999: S. 61f.
  15. Besteman 1999: S. 62–64 (zum Beginn der Besiedelung des Gosha)
  16. Besteman 1999: S. 64–66
  17. Besteman 1999: S. 66–68 (zur Besiedlung des mittleren Gosha)
  18. Besteman 1999: S. 54/55 (zur Verlagerung des Sklavenhandels auf den Landweg)
  19. a b The Somalia Bantu – Their History and Culture: History (zu ersten 45 befreiten Sklaven und teilweisem Verbleib in Sklaverei bis 1930er)
  20. Cassanelli: The Ending of Slavery in Italian Somalia, in: The End of Slavery in Africa (Quelle dieses Abschnitts, sofern nicht anders angegeben)
  21. Besteman 1999: S. 86–89, 182 (Zwangsarbeitspolitik, Landenteignung und deren Folgen)
  22. The Somali Bantu – Their History and Culture: Economy
  23. Besteman 1999: S. 78–90 (Besiedlung des oberen Gosha durch weitere Ex-Sklaven, Reer Shabelle, Oromo und Somali 1898–1988)
  24. Besteman 1999: S. 128f., 150–154
  25. Joint British, Danish and Dutch fact-finding mission to Nairobi, Kenya: Report on minority groups in Somalia (6.3.1)
  26. UN-OCHA: A study on minorities in Somalia
  27. Besteman 1999: S. 199–221 (Landgesetz und staatliche Entwicklungspolitik und deren Folgen im Jubba-Tal)
  28. Besteman 1999: S. 28
  29. The Somali Bantu – Their History and Culture: Economy (Hauptquelle dieses Abschnitts)
  30. International Organization for Migration: Somali Bantu Report, 2002
  31. Declich, Identity, Dance and Islam among People with Bantu Origins in Riverine Areas of Somalia
  32. a b BBC News: US rethinks genital mutilation threat
  33. Besteman 1999: S. 80, 141–143 (ku tirsan und Plünderungen)
  34. Besteman 1999: S. 113–128 (Wahrnehmung der Bantu durch Somali und europäische Kolonialherren, Diskriminierung)
  35. Besteman 1999: S. 132–158 (Reaktionen der Bantu auf ihre gesellschaftliche Lage)
  36. Andere Angaben nennen 1983.
  37. Virginia Luling: Somali Sultanate: The Geledi City-state Over 150 Years, 2001, ISBN 978-1874209980
  38. Besteman 1999: S. 3, 18
  39. UNICEF, Statistiken zu Somalia, Kenia und Äthiopien; berechnet aus Total population (thousands), 2006 und Population (thousands), 2006, under 5.
  40. a b Besteman 1999: S. 19 (By the mid-1990s, tens of thousands of people from the Jubba valley had died in the fighting or from starvation, tens of thousands still inhabited refugee camps within Somalia or in Kenya (...).)
  41. L. Fraade-Blanar: Somali Bantu Cultural Orientation in Kakuma Refugee Camp: Teaching The American Mind, unpublished research paper, American University, Washington DC 2004, zit. in Colleen Shaughnessy: Preliterate English as a Second Language Learners: A Case Study of Somali Bantu Women, 2006: S. 10
  42. Catherine Besteman: Genocide in Somalia’s Jubba Valley and Somali Bantu Refugees in the U.S.
  43. Internal Displacement Monitoring Centre: Land dispossession is the main driving force behind conflict in Somalia (2004)
  44. Joint British, Danish and Dutch fact-finding mission to Nairobi, Kenya: Report on minority groups in Somalia (6.3, 6.4)
  45. Somaliland Times: Somalia Tops Minority Report Danger List
  46. IRIN News: Somalia: Thousands displaced by fighting in Lower Juba
  47. UN-OCHA: Somalia: Situation Report No. 20 – 23 May 2008
  48. UNHCR: „Flüchtlinge“ 3/2002 (zu Betrugsversuchen und Zahlen)
  49. The Salt Lake Tribune: Somali Bantu refugees started arriving in Salt Lake City, Utah
  50. The New York Times: U.S. a Place of Miracles for Somali Refugees, 2003
  51. BBC News: US may ban genital mutilation parents
  52. Center for Immigration Studies: Out of Africa – Somali Bantu and the Paradigm Shift in Refugee Resettlement
  53. The New Yorker, 2006: Letter from Maine: New in Town
  54. Maine Department of Labor, 2008: An Analysis of the Employment Patterns of Somali Immigrants to Lewiston from 2001 through 2006 (PDF)
  55. Ohio Refugee Services: Somali Bantu in Columbus – Background and local response to the Somali Bantu homeless shelter crisis in Columbus, Ohio
  56. Wall Street Journal: Bourbon, Baseball Bats and Now the Bantu – Louisville, Ky., Welcomes Immigrants to Bolster Its Shrinking Work Force (auf http://louisvilleky.gov/)
  57. Courier Journal: Somali Bantu summit opens today
  58. Besteman/Colby College: The Somali Bantu Experience: Kenya and Refugee Camps
  59. BBC News: Tanzania accepts Somali Bantus
  60. UNHCR: Für somalische Bantu beginnt ein neues Leben

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