Amming

Amming
Heinrich Zille: Die Amme, 1904

Im eigentlichen Sinn des Wortes wird jede Frau zur Amme, sobald sie stillt.[1] Erst im übertragenen Sinn des Wortes gilt das Wort Amme für Frauen, die ein fremdes Kind gegen Bezahlung an die Brust legen.[2]

Im Norwegischen[3] und im Dänischen[4] bedeutet amme einfach stillen, im Schwedischen[5] heißt amma oder amning stillen. Den von der (Lohn-)Amme gestillten Säugling nannte man früher Amming. Dieses Wort ist heute außer Gebrauch gekommen. Die leiblichen Kinder der (Lohn-)Amme nannte man früher die "Milchgeschwister" des Ammings. Das Verb ammen kann mit Kind pflegen oder pflegen überhaupt übersetzt werden[6]. Das Wort Hebamme stammt nicht von Amme[7].

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Stillen der eigenen Kinder durch Lohnammen ist bereits im Altertum belegt. Beispielsweise enthielt schon das babylonische Gesetzbuch Hammurabis (ca. 1780 v. Chr.) einen eigenen Paragraph für Ammen[8], im Alten Ägypten hatten sie oftmals eine hohe Stellung in den Familien und am Hof[9], das Alte Testament berichtet über den Tod Deboras, der Amme der Rebekka, als einer wichtigen Persönlichkeit.[10] In der römischen Mythologie war die Amme der als Säuglinge ausgesetzten späteren Gründer Roms, Romulus und Remus, eine Wölfin.

Heinrich Zille: Spreewaldammen

Doch noch um 1880 waren im Stadtbild Berlins die mit ihren Pfleglingen ausgehenden Ammen aus der Niederlausitz in ihrer sorbischen Tracht auffällig (Volksmund: Wennste 'ne Spreewaldamme hast, | die Dich jenährt als Rangen, | dann kannste, wennste Zwanzig bist, | von ihr det nich valangen.) Das Stillen durch Lohnammen ging in Europa etwa ab den 20er/30er Jahren des 20. Jahrhunderts stark zurück, als brauchbare Ersatzmilch verfügbar wurde. In Berlin wurde das auch dadurch sichtbar, dass die auffällig gekleideten Spreewälderinnen und Iglauerinnen fast völlig aus dem Straßenbild verschwunden waren.[11]

In Bern wurden die letzten beruflichen Ammen in den 1950er Jahren in den Ruhestand geschickt.

Mütter, seid selbst
die Ammen eurer Kinder!
(propagandistischer Kupferstich, Frankreich 1784)

Als Lohnammen verdingten sich sowohl ledige als auch verheiratete Frauen. Eine Anstellung als Amme war für eine alleinstehende Mutter oft der einzige Ausweg aus einer sozialen Misere, bedeutete dann aber meist auch einen großen sozialen Aufstieg, weil die Amme in der Regel in weit bessere Verhältnisse kam, als sie jemals selbst erlebt hatte. Die Amme hatte in der Regel im Hausgesinde eine hohe Stellung und wurde sehr gut ernährt. Da man glaubte, dass schlechte Stimmungen über die Milch auf das Kind übergehen würden, erfuhr die Amme in der Regel auch sonst eine bevorzugte Behandlung.[12] Darüber hinaus war es zum Beispiel in Frankreich auch üblich, dass Bäuerinnen als nebenberufliche Ammen Säuglinge aus städtischen Familien aufnahmen, ohne dass regelmäßige Besuche stattfanden. Gerade diese (Un-)Sitte[13] und ihre Folgen waren es, die speziell in Frankreich zu Kampagnen führten, dass Mütter ihre Kinder wieder selbst stillen sollten.

Kritik

Das Einstellen fremder Ammen ist schon früh grundsätzlich kritisiert worden, hinzu kam aber, dass die völlige Gesundheit der zu dingenden Amme fast nie ganz sichergestellt werden konnte. Auch nahm man an, dass bestimmte Erbkrankheiten über die Milch auf das Kind übergehen könnten und anderes mehr. Deshalb wurden ab dem 19. Jh. in verschiedenen Ländern ärztliche Kontrollen vor der Ammenvermittlung nach dem damaligen Stand der Wissenschaft vorgeschrieben. Ganz ausräumen ließen sich die gesundheitlichen Bedenken trotz sorgfältiger Nachforschungen aber nie.

Soziologie

Soziologisch ist bedeutsam, dass sich – besonders in der europäischen Ober- und gehobenen Bürgerschicht bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts – Mütter als die geborenen „Dauerpflegepersonen“ früh von ihren Kleinstkindern verabschiedeten und an ihrer Statt die Ammen zum festen Bestandteil des Hausgesindes wurden. Daraus ergab sich für die heranwachsenden Kinder oft eine respektbetonte soziale Distanz zur leiblichen Mutter, hingegen zur vertrauten Amme eine intime soziale Nähe, was als Motiv in der Dichtung[14] häufig aufgegriffen wurde.

Schutzpatron

Die Heiligen Zwillingsbrüder Cosmas und Damian sind, aufgrund ihres Arztberufs unter anderem auch Schutzpatrone der Ammen.

Siehe auch

Belege

  1. Zitat: Auch die Mutter heißt, insofern das Kind von ihr genährt wird, Amme, in: Mittelhochdeutsches Wörterbuch. Mit Benutzung des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke ausgearbeitet von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1854-1866, 5 Bde. Stuttgart 1990
  2. Universallexikon der Sittengeschichte und Sexualwissenschaft. Band 3: Sexualwissenschaft. Hg.: Institut für Sexualforschung Wien 1928–1932
  3. Amme (norw)
  4. Amme (dän)
  5. Amming (sw)
  6. Matthias Lexer: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1872-1878 mit einer Einleitung von Kurt Gärtner, 3 Bde., Stuttgart 1992.
  7. Das Wort Hebamme stammt vom Hebanna, dem althochdeutschen hev(i)anna. Die heutige Schreibweise ist eine später entstandene Angleichung an Amme, doch davon abgeleitet ist Hebamme nicht. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 31, S. 1168; nach Allmer
  8. Bilderlexikon der Erotik, Band I., Stichwort Amme. Hg. Institut für Sexualforschung in Wien 1931
  9. D/ Stefanović, Göttinger Miszellen 216 (2008), S. 79-90
  10. Gen 35,8. Das hebr. Wort מֵינֶ֣קֶ bedeutet zunächst schlicht "die Stillende". Weitere Stellen: Gen 24,59; Ex 2,7 (der Säugling Mose); 2. Kön 11,2; 2. Chr 22,11; Jes 49,23.
  11. Stichwort Amme, in: Bilderlexikon der Erotik, Bd. I, hgg. vom Institut für Sexualforschung, Wien 1931
  12. Stichwort Amme, in: Louis Pappenheim, Handbuch der Sanitätspolizei. Nach eigenen Untersuchungen. Veröffentlicht 1858. Hirschwald.
  13. Aufzeichnungen des Polizeipräfekten Lenoir, 1780 Paris: 21.000 Geburten, davon 1.000 Kinder von den eigenen Müttern gestillt, 1.000 von Hausammen, 19.000 von Ammen, die auf dem Land zumeist als Bäuerinnen lebten.
  14. Vgl. William Shakespeares Romeo und Julia.

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