Jizyah

Jizyah

Dschizya (arabischجزية‎, DMG ǧizya, „Kopfsteuer, Tribut“) ist die Bezeichnung für die den nichtmuslimischen Schutzbefohlenen (Dhimmi) unter islamischer Herrschaft auferlegte Steuer.

Inhaltsverzeichnis

Die Dschizya im Koran und in der Koranexegese

Die Erhebung dieser Steuer von der unterworfenen nichtmuslimischen Bevölkerung, sofern es sich um so genannte Schriftbesitzer (ahl al-kitab), also Juden und Christen, handelt, gründet sich auf den Koran:

„Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören - von denen, die die Schrift erhalten haben - (kämpft gegen sie), bis sie kleinlaut aus der Hand Tribut entrichten.“

Sure 9, Vers 29

Der Koranvers, der nach übereinstimmenden Äußerungen der Koranexegese (tafsir) - zu nennen sind hier at-Tabari, Ibn Kathir, al-Zamachschari u.a. - vor dem historischen Hintergrund der Feldzüge Mohammeds gegen Byzanz und dessen arabischstämmige Verbündete im Norden der Arabischen Halbinsel im Jahre 629 entstand[1], war die Grundlage juristischer Erörterungen in der Rechtsliteratur des späten 7. und frühen 8. Jahrhunderts.[2] Die Höhe der Steuer war vom Umfang des jeweiligen persönlichen Eigentums des Steuerpflichtigen abhängig und demnach keine Kollektivsteuer. [3]

Die Dschizya im islamischen Recht

Die islamische Jurisprudenz behandelt die Dschizya in den Kapiteln des Dschihad und in den Schriften über das islamische Kriegsrecht, in denen die Rechte und Pflichten der Nichtmuslime ausschließlich aus islamischer Sicht näher geregelt sind. Durch die Entrichtung dieser Kopfsteuer wurden sie zu „Schutzbefohlenen“, die unter muslimischer Obrigkeit Schutz ihres Lebens und ihres Eigentums - dessen Umfang wiederum vom islamischen Recht festgelegt wurde - sowie das Recht auf die freie Ausübung ihrer religiösen Bräuche genossen, welche ebenfalls den Einschränkungen der geltenden islamischen Gesetze unterworfen waren.[4]

Die ältesten Rechtsbestimmungen über die Besteuerung von Nicht-Muslimen, deren Entstehung in die umayyadische Zeit zurückreicht und mit Namen wie al-Auzāʿī, Abu Hanifa, Malik ibn Anas und asch-Schafii verbunden ist, sind in at-Tabaris Werk „Die kontroversen (Lehrmeinungen) der Rechtsgelehrten“ erhalten.[5]

Zahlungspflichtig waren erwachsene, geistig und körperlich gesunde und zahlungsfähige Männer. Frauen, Kinder und Bettler, aber auch Mönche armer Klöster waren dschizya-frei. Die Kopfsteuer sollte bar oder in solchen Naturalien, die islamrechtlich zulässig sind, entrichtet werden. Der obige Koranvers ist für die Vertreter der islamischen Rechtsschulen (Madhab) einer der zahlreichen Beweise für die Herrschaft und Überlegenheit des Islam über die nichtmuslimischen Untertanen im islamischen Reich. Die Höhe der zu entrichtenden Steuer variierte je nach Region und Epoche des islamischen Reiches. Die Befreiung Steuerpflichtiger von der dschizya war nur durch Übertritt zum Islam möglich. Da die Abgaben der nicht-muslimischen Bevölkerung unter islamischer Herrschaft den größten Teil der steuerlichen Einnahmen der Muslime ausmachten, bestand auf muslimischer Seite wenig Interesse an einer Islamisierung der jeweiligen Gebiete.[6] Dies ging so weit, dass zu Beginn des achten Jahrhunderts die Konversion von Nicht-Muslimen zum Islam zeitweise verboten wurde.[7]

Arten der Besteuerung von Nichtmuslimen

Welche immense Bedeutung diese Art der Besteuerung im islamischen Staatswesen und im Fiqh hatte, bestätigen die umfangreichen Ausführungen des Juristen Ibn Qayyim al-Dschauziya (1292-1350) in seinem grundlegenden Buch unter dem Titel Ahkam ahl al-dhimma / ‏أحكام أهل الذمة ‎ / Aḥkām ahl al-ḏimma /„Rechtsvorschriften für die Schutzbefohlenen“, in dem er die Dschizya-Frage auf über 160 Seiten zusammenfassend darstellt.

Die Art der Besteuerung war unterschiedlich: a) Kopfsteuer in den durch einen Friedensvertrag (sulh) unterworfenen Gebieten - so der Vertrag Mohammeds mit den Christen von Nadschran auf der Wüstenroute zwischen Mekka und dem Jemen, b) die Kopfsteuer in den durch Gewalt (ʿanwa) unterworfenen Gebieten, deren Bevölkerung sich den Muslimen nicht freiwillig ergab. Bei der letzterwähnten Besteuerungsart lagen Umfang und Höhe der Steuern allein im Ermessen der muslimischen Obrigkeit, sie waren keine Gemeinschafts- sondern Personen(Kopf-)steuern. [8]

Die Legitimität der Besteuerung

Die Legitimität dieser Steuererhebung ist in der islamischen Rechtslehre eingehend und kontrovers diskutiert worden. Einstimmigkeit herrscht unter den Rechtsgelehrten darüber, dass die Legitimität der Kopfsteuer sowohl im Koran - in der oben genannten Sure 9, Vers 29 - als auch in der Sunna von Mohammed und seinen Anweisungen begründet sei. Rechtsgelehrte - wie asch-Schafii - waren der Ansicht, dass die Entrichtung der Kopfsteuer ein Zeichen der Unterwürfigkeit derjenigen sei, die die Lehren des Islam nicht annehmen wollen: „...bis sie kleinlaut aus der Hand Tribut entrichten. “ [9]

Spätere islamische Juristen sahen in der Erhebung der Kopfsteuer einen Anreiz zur „Rechtleitung“ derjenigen, die vor die Wahl gestellt wurden, entweder in den Islam einzutreten oder in ihrem "Unglauben" (kufr) zu verharren. Schließlich betrachtete man die Kopfsteuer - unter welchen Bedingungen auch immer sie verhängt wurde - als eine sichere Einnahmequelle für den islamischen Staat: „Sie gilt als eine Art Erniedrigung für sie (Nicht-Muslime) und eine (finanzielle) Unterstützung für uns“. Im zeitgenössischen Verständnis dieser Steuerpolitik in der islamischen Geschichte heißt es: „Die Geldeinnahme an sich ist bei der Legitimation der Dschizya nicht ausschlaggebend. Ausschlaggebend ist vielmehr die Unterwerfung der Schutzbefohlenen (ahl al-dhimma) der Herrschaft der Muslime, in ihrem Kreis zu leben, um die Vorzüge des Islam und die Gerechtigkeit der Muslime kennenzulernen. Damit diese Vorzüge für sie überzeugende Beweise dafür sind, sich vom Unglauben (kufr) abzuwenden und den Islam anzunehmen.“[10]

Die Dschizya im Osmanischen Reich

Das Dschizya-System bestand im Osmanischen Reich bis in die Zeit des Krimkrieges und wurde erst 1855 durch eine Militärbefreiungssteuer ersetzt. Erst nach der Revolution Atatürks wurde die Dschizya endgültig abgeschafft; seitdem leisten in der Türkei auch Christen Militärdienst.

Einzelnachweise

  1. Siehe auch: Theodor Nöldeke: Geschichte des Qorāns. Bd. 1. S. 223-224, Leipzig 1909
  2. al-mausu'a al-fiqhiyya. Bd. 15. S.149-207.
  3. Uri Rubin: Quran and Tafsīr. The case of „ʿan yadin“. In: Der Islam, Bd. 70 (1993), S.133-144
  4. Mark R. Cohen: Unter Kreuz und Halbmond: die Juden im Mittelalter. C.H.Beck, 2005. S. 71
  5. Joseph Schacht (Hrsg.): Das Konstantinopeler Fragment des Kitāb Iḫtilāf al-Fuqahāʾ des Abū Ǧaʿfar Muḥammad ibn Ǧarīr aṭ-Ṭabarī. Brill, Leiden 1933. S. 199-241
  6. Albrecht Noth: Früher Islam. In: Ulrich Haarmann (Hrsg.): Geschichte der arabischen Welt. C. H. Beck, 1987. S. 92 f.
  7. W. Montgomery Watt: Islamic Conceptions of the Holy War. In: Th. P. Murphy: The Holy war. Ohio State University Press, 1974. S. 149
  8. al-mausuʿa al-fiqhiyya,Bd. 15. S. 161
  9. al-mausuʿa al-fiqhiyya, Bd. 15. S. 158 gemäß der Koranexegese von asch-Schafii und anderen klassischen Quellen. Zur Interpretation des Koranverses siehe: Meir J. Kister: „'An yadin“ (Qur'ān, IX/29). In: Arabica 11 (1964), S. 272-278. Auch in: Rudi Paret (Hrsg.): Der Koran. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1975. S. 295-303
  10. al-mausuʿa al-fiqhiyya, Bd. 15. S. 159-160

Literatur

  • Daniel C. Dennett: Conversion and the Poll Tax in Early Islam. Harvard University Press, 1950
  • Abu Yusuf Yaqub ben Ibrahim Ançari, E. Fagnan (Hrsg., Übersetzer): Le livre de l'impot foncier (Kitab el-Kharâdj). Paris 1921
  • The Encyclopaedia of Islam. Bd. 2.559. Brill, Leiden
  • Al-mausu'a al-fiqhiyya (Lexikon des islamischen Rechts). Herausgegeben vom Ministerium für Waqf und Religiöse Angelegenheiten. Bd. 15. Kuwait. 4. Auflage. Kuwait 2002

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