Johann Fichte

Johann Fichte
Johann Gottlieb Fichte

Johann Gottlieb Fichte (* 19. Mai 1762 in Rammenau bei Bischofswerda; † 29. Januar 1814 in Berlin) war ein deutscher Erzieher und Philosoph. Er gilt neben Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel als wichtigster Vertreter des Deutschen Idealismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugendzeit

Fichtes Vater war ein armer Bandweber in Rammenau bei Bischofswerda. Nachdem er in seiner frühen Jugend die Stadtschule in Meißen besucht hatte, ermöglichte ihm eine kuriose Geschichte eine höhere schulische Ausbildung: Eines Tages kam der Gutsherr Freiherr Haubold von Miltitz, der die Predigt des Sonntags verpasst hatte, nach Rammenau. Fichte bemerkte diesen Gutsherrn und versicherte ihm die Predigt wiederholen zu können. Daraufhin imitierte Fichte den Pfarrer so perfekt, dass der Gutsherr in seiner Entzückung dem Kind eine Ausbildung an der Fürstenschule Schulpforta bei Naumburg (Saale) finanzierte.

Fichte in späteren Jahren (Skizze)

Nach seiner Schulzeit zog Fichte nach Jena, wo er an der Universität studierte, was ihm seine finanzielle Lage aber erschwerte. So wurde ihm, als der gütige Gutsherr starb, ein weiteres Stipendium verweigert, weswegen er seine Studien abbrechen musste. Er schlug sich fortan mühsam mit Privatunterricht durch.

Ein rettendes Angebot aus Zürich kam, wo Fichte Hauslehrer werden sollte. Nach nicht langer Zeit wurde der Pädagoge jedoch des Hauses verwiesen, da Fichte die Auffassung hatte, dass man, bevor man Kinder erzieht, zu allererst die Eltern erziehen müsse. In Zürich verliebte und verlobte Fichte sich. Nach längerer Überlegung, ob eine Heirat ihm nicht die „Flügel abschneidet”, kam es zur Eheschließung mit Johanna, geborene Rahn, Tochter eines Wagenbauers.

Nach Ende der Hauslehrertätigkeit trieb es Fichte nach Leipzig. Fichtes Plan, Prinzenlehrer zu werden, scheiterte. Seine zweite Idee, eine „Zeitschrift für weibliche Bildung”, war jedem Verleger zu heikel. Trauerspiele und Novellen brachten ihm ebenfalls kein Geld.

Übergang zur Philosophie

Anno 1790 lernte Fichte die Philosophie Kants kennen, die sofort einen großen Einfluss auf ihn auszuüben begann. Kant inspirierte ihn zu seiner am Begriff des Ich ausgerichteten Wissenschaftslehre. Fichte sah eine rigorose und systematische Einteilung zwischen den „Dingen, wie sie sind“ und „wie die Dinge erscheinen“ (Phänomene) als eine Einladung zum Skeptizismus.

1791 besuchte Fichte Königsberg, wo Immanuel Kant ihm einen Verleger für seine Schrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792) verschaffte, die anonym veröffentlicht wurde. Das Buch galt zunächst als ein lange erwartetes religionsphilosophisches Werk von Kant selbst. Als Kant den Irrtum klarstellte, war Fichte berühmt und erhielt einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Jena, den er 1794 antrat.

Erlangen, Fichtes Wohnhaus 1805

Während seiner Jenaer Professur (1794-1799) wurde er zur Zielscheibe im so genannten „Atheismusstreit”. 1799 hatte eine zunächst anonyme Streitschrift Fichtes den Streit ausgelöst: Fichte wurde wegen Verbreitung atheistischer Ideen und Gottlosigkeit verklagt und zum Rücktritt gezwungen. 1805 bekam Fichte den Lehrstuhl für Philosophie in Erlangen, 1807 wirkte er als Zensor der „Hartungschen Zeitung” in Königsberg, wurde aber auf Befehl des preußischen Generals Ernst von Rüchel entlassen, 1810 wurde Fichte Dekan der philosophischen Fakultät und für kurze Zeit der erste gewählte Rektor der Berliner Universität.

Fichte war spätestens seit 1794 Mitglied der Freimaurerloge Günther zum stehenden Löwen in Rudolstadt und suchte auch nach seinem Umzug nach Berlin die dortigen Freimaurerkreise. 1799 traf er auf Feßler und arbeitete nach seiner Annahme am 17. April 1800 mit ihm an der Reform der Großloge Royal York zur Freundschaft. Schon bald kam es zum Streit und Fichte trat am 7. Juli 1800 aus der Freimaurerei aus[1]. Auch bei der Entstehung der Gesellschaft der freien Männer hatte er einen bedeutenden Anteil. In Berlin wurde er Mitglied der Deutschen Tischgesellschaft, ab Sommer 1811 deren „Sprecher” (Vorsitzender). Der sich früher als Anhänger der Französischen Revolution bezeichnende Fichte profilierte sich nun insbesondere durch die flammend patriotischen Reden an die deutsche Nation (als Text veröffentlicht bis 1808) als Gegner Napoleons.

Ein utopisches Gesellschaftsmodell - eine Art sozialistische Gesellschaft auf nationalstaatlicher Grundlage - findet sich in dem Werk Der geschlossene Handelsstaat (1800).

1813 erkrankte Johanna, Fichtes Frau, am sog. Lazarettfieber, welches sie sich bei der Pflege von Kriegsverwundeten zugezogen hatte. Auch Fichte sollte daran erkranken und konnte sich im Gegensatz zu seiner Frau von diesem Fieber nicht erholen. Er starb am 29. Januar 1814 in Berlin und wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt.

Fichtes Grabstein trägt einen alttestamentlichen Vers aus dem Buch Daniel (12,3): „Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.”

Fichtes „Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre“

Ein zentraler Kern in Fichtes Philosophie ist der Begriff des „absoluten Ich“. Dieses absolute Ich ist nicht mit dem individuellen Geist zu verwechseln. Später nutzte Fichte die Bezeichnung „Absolutes“, „Sein“ oder sogar „Gott“. Fichte beginnt in seiner "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" mit einer Aussage, die eine Handlungsweise des Ich zum Ausdruck bringen soll, deren Verständnis daher diese Handlung auszuführen erfordert:

“Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines bloßen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und That sind Eins und dasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung“ (GA I, 2, 259).

Fichte ging es um die praktische Umsetzung seiner Philosophie, weshalb er die Errichtung eines lückenlosen Systems als zweitrangig erachtete. Im Vordergrund stand für ihn die Verständlichkeit, d.h. die Art, seine Lehre so darzustellen, dass sie von jedermann verstanden werden konnte. Sein positives Menschenbild ging davon aus, dass in jedem Menschen – und nicht nur im Fachgelehrten – der Grund echter Selbsterkenntnis (und damit auch Gotteserkenntnis) gelegt ist und man lediglich auf diese verweisen müsse.

In seiner populären, z. T. polemischen Darstellungsweise schuf sich Fichte unter den Fachgelehrten viele Freunde, aber auch Feinde. In erbitterter Feindschaft stand er mit Friedrich Nicolai. Goethe urteilte skeptisch über ihn („Daß doch einem sonst so vorzüglichen Menschen immer etwas fratzenhaftes in seinem Betragen ankleben muß”). Trotz späterer Ablehnung übte Fichte großen Einfluss auf Schelling und Hegel aus. Auch Hölderlin bekannte, Fichtes Vorlesungen aus seiner Jenaer Zeit viel zu verdanken.

Fichtes Kantrezeption

Fichte reagierte auf die Frage, wie theoretische und praktische Vernunft zusammenhängen, indem er deutlich machte, dass die beiden Teile der Vernunft in einem hierarchischen Verhältnis zu setzen sind. Hierbei ist die praktische Vernunft der theoretischen übergeordnet. Letztere benötige die praktische Vernunft; diese aber sei autonom. Auch für Kant war die praktische Vernunft ein Vermögen des Willens – und damit autonom. Für Fichte mündet diese Tatsache in seiner Theorie zur Selbstsetzung. Der Wille bringt, indem er sich ein Gesetz gibt, zugleich sein Wesen als Vernunftwille hervor. Dieser Vernunftwille macht das aus, was wir sind – nämlich unser Ich. „Das absolute Ich ist, indem es sich setzt, und setzt sich, indem es ist.“ [2] Aus diesem Grund kommt der praktischen Vernunft absolute Freiheit zu. Fichtes Idealismus ist daher eine Konsequenz aus dem Primat der praktischen Vernunft.

Der Kritik am transzendentalen Argument bei Kant entzieht sich Fichte, indem er die praktische Vernunft als Bedingung für die theoretische Vernunft erklärt. Hierbei geht Fichte von der Handlung des Urteilens aus und schließt mithilfe eines transzendentalen Argumentes auf das sich setzende Ich als Bedingung hierfür. Alles Urteilen ist Handeln des menschlichen Geistes. Diesem liegt der Satz „Ich bin“ zugrunde. Das „schlechthin gesezte und auf sich selbst gegründete“ (GA I,2,258) ist der Grund des Handelns. Um dem Vorwurf zu entgehen, dass wir eventuell gar nicht urteilen, sondern nur zu urteilen glauben, führt Fichte die „intellektuelle Anschauung“ ein. Sie ist selbstverständlich auch praktisch zu verstehen als „Anschauen seiner selbst im Vollziehen eines Acts“ (GA I, 4,216). Wenn wir urteilen, beobachten wir uns nicht, sondern stellen handlungsorientierte Fragen. Diese Fragen gehen von der Annahme aus, dass man ein Vernunftwesen ist. Würde dem nicht so sein, könnten wir nicht urteilen – was konträr erscheint. Gleichwohl hat Fichte erkannt, dass daraus, dass man nicht an den Bedingungen vernünftigen Urteilens zweifeln kann nicht(!) folgt, dass man diese Bedingungen tatsächlich erfüllt.

Den schärfsten Bruch mit Kant bewirkte Fichte mit der Ablehnung der Konzeption eines „Dinges an sich“. Nur so kann in seinen Augen die absolute Freiheit des Ichs bewahrt werden (vgl. GA III, 2,298). Das „Ding an sich“ wird bei Fichte zu einem „Anstoß“ degradiert. Dieser ist ein irrationales Faktum innerhalb des Ichs, das das Ich zu bewältigen versucht. Die Folge ist der Ausschluss aus dem Ich, gleichsam hinaus in die Welt als „Nicht-Ich“. Ist das absolute Ich demzufolge also ein „Ding an sich“ auf der Seite des Subjekts? Fichtes Antwort: Nur wenn es erscheint. Das absolute Ich existiert nur im Handeln selbst. In der philosophischen Reflexion wird das absolute Ich herausgegriffen und zu etwas Objektivem gemacht. Für Fichte ist es gleichsam Artefakt der Theorie, keine Entität der realen Welt.

Jenaer Philosophie

Es stellt sich nun die Frage, warum das absolute Ich, welches autonom ist, auf einen „Anstoß“ reagiert. Fichte macht deutlich, dass das absolute Ich nur ist, wenn es sich seiner selbst bewusst wird. Dies kann nur geschehen, wenn es mit Material konfrontiert wird, auf das es zu reagieren hat. Würde es zu keinem Kontakt kommen, würde das Ich „ganz in seiner Tätigkeit aufgehen“ [3]. Um aber zu sein – und damit auch ein Selbstbewusstsein zu entwickeln –, muss es sich für den „Anstoß“ öffnen und dafür Sorge tragen, dass der „Stein des Anstoßes“ erhalten bleibt. Nach Fichte kann das Ich demnach als ein unendliches Streben nach Autonomie verstanden werden. Der „Anstoß“ ist hierbei gleichsam nur notwendige Bedingung des Selbstbewusstseins, keine hinreichende. Die weiteren Bedingungen für das Selbstbewusstsein finden sich in den jeweiligen Teildisziplinen der Wissenschaftslehre, die Fichte unterscheidet: Naturlehre, Rechtslehre, Sittenlehre und Religionslehre. Erstere hat Fichte, aufgrund des von ihm entwickelten Primats der praktischen Vernunft, nie ausgearbeitet.

Fichtes Rechtslehre

In „Grundlagen des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre“ von 1796/97 wird die Beziehung zwischen dem Selbstbewusstsein und – sozusagen – der Welt präzisiert. Das Bewusstsein kann sich nur als frei handelndes Wesen begreifen, wenn es „den Begriff eines frei handelnden Wesens auf sich anwenden kann.“ [4] Das kann es nur, wenn andere das Selbstbewusstsein auffordern etwas zu tun und gleichzeitig(!) die Freiheit eingestehen, dieser Aufforderung nicht nachzukommen. Da dieser Vorgang reziprok ist, folgt, dass das Sein des Selbstbewusstseins von der Anerkennung der Freiheit anderer abhängt. Es wird deutlich, dass sich Fichte nicht auf das Moralgesetz als die bindende Kraft des Rechts versteht, sondern das Eigeninteresse des selbstbewussten Ichs. Ein Rechtsverhältnis entsteht demnach aufgrund der bloßen Existenz eines Nicht-Ichs.

Auch Fichte definiert, wie so mancher Philosoph vor ihm, den Staat als Ausdruck des absoluten Willens, dessen Absicht es ist, die Freiheit und Rechte seiner Bürger zu garantieren. Kollektives Handeln und individuelles Handeln werden mit dem Ausdruck „sittliches Handeln“ in Eins gesetzt. Freiheit in der Geschichte sei nach Fichte die mehr oder weniger sittliche Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse der verschiedenen Völker.

Fichtes Philosophie lässt sich als ethischer Idealismus bezeichnen, wenn voraussetzt, dass nur der Staat Rechtsverhältnisse zwischen sich und den Bürgern bzw. unter den Bürgern schafft und dabei Beschränkungen seiner Bürger zugunsten eigener materieller Zwecke vornimmt.

Fichtes Sittenlehre

Im „System der Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre“ von 1798 geht Fichte davon aus, dass das Selbstbewusstsein des absoluten Ichs nur sein kann, unter der Bedingung des Bewusstseins des Sittengesetzes. Hierbei ist sich das Ich des Sittengesetzes niemals in abstracto bekannt, sondern „immer in Form konkreter Aufgaben und Pflichten der Welt“ [5]. Das Ich kann sich nur eine Tätigkeit zuschreiben, wenn diese mit der kausalen Wirklichkeit einer ihm unabhängigen Welt verbunden ist. Dies wiederum ist nur möglich, wenn es sich einen Körper zuschreibt. Da dieser Körper Teil der Welt ist, unterliegt er auch den Naturtrieben. Das Sittengesetz untersucht nun die Bedingungen der Manifestation eines zugleich verkörperten und von Naturtrieben beherrschten Ich.

Fichtes Religionslehre

Der Ausbruch des Atheismusstreits hinderte Fichte daran, seine Religionslehre systematisch auszuarbeiten. Während Kant noch von der Existenz Gottes ausgehen musste, da die Existenz Gottes notwendig im Hinblick auf die Bedingungen der Möglichkeit sittlichen Handelns erscheint, sah Fichte nur die Notwendigkeit zu einer „moralischen Weltordnung“. Diese ließe sich nicht zwingend auf eine höhere Instanz – also Gott – zurückführen. Die aktive Weltordnung selbst, der „ordo ordinans“, mag man als Gott bezeichnen. Wer aber dies tut, der „verkennt die unmittelbare Beziehung des Gottesbegriffs zum moralischen Bewusstsein und ist, so Fichte, der wahre Götzendiener und Atheist.“ [6]

Beitrag zur Französischen Revolution (1793)

Johann G. Fichte als Freiwilliger im Kampf gegen Napoleon
Zeitgenössische Karikatur

Deutlich wie wenige Denker und Politiker des damaligen Deutschland begrüßt Fichte die Französische Revolution. Er sieht in ihr nicht nur moralische Gründe, sondern auch einen rechtmäßigen Fortschritt zu mehr Gleichheit und Freiheit. Seine beiden Revolutionsschriften von 1793 („Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten“ und „Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution“) griffen in die Diskussion ein. Er begründet die Rechtmäßigkeit der Revolution in Anlehnung an Rousseaus „Contrat social“ mit dem Argument, dass es ein „unveräußerliches Recht des Menschen“ sei, einen Gesellschaftszustand „aufzuheben“, der zu einem System der Unterdrückung verkommen ist. Denn dieser behindere den geistigen Fortschritt des Menschengeschlechts, welcher zum wahren Endzweck des Menschen hin zu führen habe, zu seiner Autonomie: "völlige Unabhängigkeit von allem, was nicht Wir selbst, unser reines Selbst ist". Aus dem Kontrast zwischen dem wahren Endzweck des Menschen und der realen Verfasstheit der zeitgenössischen Staaten, welche diesem Endzweck vollkommen entgegengesetzt sind, entwickelt Fichte die tiefere, philosophische Legitimität der Veränderung der Staatsverfassung.[7]


Fichtes Antisemitismus

Die Äußerungen bezüglich der Stellung des Judentums in dieser Schrift wurden von Vielen als antisemitische Äußerungen bezeichnet. Fichte greift im besagten Abschnitt sowohl die Juden mit harschen Worten an, als auch das Militär und den Adel. Die antisemitische Stellung Fichtes lässt sich zum einen als Verschärfung seiner Kritik an der Religiosität, zum anderen als Aufnahme des im 19. Jahrhunderts gesellschaftlich gefestigten Judenhasses interpretieren. Das Judentum als Staat im Staate würde sich absondern. Die Juden, körperlich schlaff, hätten einen egoistischen Handelsgeist. Sie würden die übrigen Bürger übervorteilen, seien nur auf sich und ihre Sippe bedacht. Fichte übernimmt größtenteils die damals vorherrschenden Vorurteile, prangert aber vor allem immer wieder die separatistische Einstellung dieser Religion an. In einer Fußnote relativiert er z.T. seine Aussagen, spricht aber weiterhin von „Köpfe abschlagen“:

Fern sei von diesen Blättern der Gifthauch der Intoleranz, wie er es von meinem Herzen ist! Derjenige Jude, der über die festen, man möchte sagen, unübersteiglichen Verschanzungen, die vor ihm liegen, zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen- und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht, ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe. Nur verkaufe man mir nicht schönen Schein für Realität! – Möchten doch immer die Juden nicht an Jesum Christum, möchten sie doch sogar an keinen Gott glauben, wenn sie nur nicht an zwei verschiedne Sittengesetze, und an einen menschenfeindlichen Gott glaubten.

Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen; denn sie sind Menschen, und ihre Ungerechtigkeit berechtigt uns nicht, ihnen gleich zu werden. Zwinge keinen Juden wider seinen Willen, und leide nicht, daß es geschehe, wo du der Nächste bist, der es hindern kann; das bist du ihm schlechterdings schuldig. Wenn du gestern gegessen hast, und hungerst wieder, und hast nur auf heute Brot, so gib's dem Juden, der neben dir hungert, wenn er gestern nicht gegessen hat, und du tust sehr wohl daran. – Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.

Vorherrschende Toleranz der Juden in Staaten, wo für Selbstdenker keine Toleranz ist, zeigt sonnenklar, worauf eigentlich abgesehen wird. – Die Aufrechthaltung deines Glaubens liegt dir so sehr an deinem Vaterherzen. Siehe diese Juden; sie glauben überhaupt nicht an Jesum Christum; das mußt du nicht leiden; und ich sehe, daß du sie mit Wohltaten überhäufst. – »O, sie haben Aberglauben, und das ist mir genug. Glaube du doch an Zoroaster oder Konfuzius, an Moses oder Mahomed, an den Papst, Luther oder Calvin, das gilt mir gleich; wenn du nur an eine fremde Vernunft glaubst, Aber du willst selbst Vernunft haben, und das werde ich nie leiden. Sei unmündig, sonst wächsest du mir zu Kopfe.« – Ich will nicht etwa sagen, daß man die Juden um ihres Glaubens willen verfolgen solle, sondern daß man überhaupt niemand deswegen verfolgen solle.

Ich weiß, daß man vor verschiednen gelehrten Tribunalen eher die ganze Sittlichkeit, und ihr heiligstes Produkt, die Religion, angreifen darf, als die jüdische Nation. Denen sage ich, daß mich nie ein Jude betrog, weil ich mich nie mit einem einließ, daß ich mehrmals Juden, die man neckte, mit eigner Gefahr und zu eignem Nachteil in Schutz genommen habe, daß also nicht Privatanimosität aus mir redet. Was ich sage, halte ich für wahr; ich sagte es so, weil ich das für nötig hielt: ich setze hinzu, daß mir das Verfahren vieler neuerer Schriftsteller in Rücksicht der Juden sehr folgewidrig scheint, und daß ich ein Recht zu haben glaube, zu sagen, was und wie ich's denke. Wem das Gesagte nicht gefällt, der schimpfe nicht, verleumde nicht, empfindle nicht, sondern widerlege obige Tatsachen.

In seiner 1794 erschienen Streitschrift Eisenmenger der Zweite polemisierte Saul Ascher gegen die antisemitischen Äußerungen Fichtes, dem er den Namen des seinerzeit bekannten Judenfeindes Johann Andreas Eisenmenger, dem Autor des Pamphlets Entdecktes Judentum beilegte. Mit Fichte sei eine neue Dimension des säkularen Judenhasses zu verzeichnen.

Andererseits lernte Fichte mit David Veit einen Vertreter der jüdischen Haskala kennen und schätzen.

Im Kontext des Ersten Weltkrieges gewannen sowohl die Grundzüge als auch die Reden Fichtes erneut an Bedeutung, indem sie in den Dienst des nationalen Pathos und der Judenhetze gestellt wurden.

Siehe auch: Neufichteanismus.

Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)

In den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters entwickelt Fichte Ansichten zu einer Geschichtsphilosophie. Tragender Gedanke dieser Geschichtsphilosophie ist die Entwicklung der Menschheit von der Unfreiheit zur Freiheit.[8] Parallel zu jener inneren Entwicklung der Individuen, gehe die äußere Entwicklung ihrer Position und Bestimmung im Staate. Von der Rolle des Untertan hin zum freien Bürger. Im Vordergrund steht ein Entwicklungsmodell, das die Geschichte in fünf Epochen unterteilt, wobei Fichte seine eigene Epoche als das „Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit” verstand, während die Grundzüge die künftigen Epochen einleiten sollten. Diese Epochenentwicklung vollziehe sich in folgenden Stufen: 1. Instinktive Vernunft: Stand der Unschuld des Menschengeschlechts; 2. Äußerlich erzwungene, jedoch nicht durch Gründe überzeugende Autorität: Stand der anhebenden Sünde; 3. Emanzipation von jeder äußeren Autorität, Herrschaft des nackten Erfahrungsbegriffs: Stand der vollendeten Sündhaftigkeit; 4. Rückkehr der freien, innerlichen Vernunft, wo die Wahrheit als das höchste erkannt und geliebt wird: Stand der anhebenden Rechtfertigung; 5. Verwirklichung der freien, innerlichen Vernunft in allen äußeren Lebensbereichen, wo die Menschheit sich selber als Abdruck der Vernunft aufbaut: Stand der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung.[9]

Reden an die deutsche Nation (1808)

Die Reden an die deutsche Nation verstehen sich als Fortsetzung der Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. Drei Jahre nach diesen Vorträgen erklärt Fichte das Ende der dort beschriebenen dritten Epoche, die er in den "Reden ..." als die Epoche der Selbstsucht bezeichnet. Durch die Besetzung Deutschlands durch die napoleonischen Truppen sei diesem mit der Selbständigkeit gleichzeitig der Gehalt der Selbstsucht verloren gegangen. Es müsse ein neues Selbst gesucht werden, welches über die Nation hinausgehe. Dieses sei die Vernunft.[10]

In den Reden ruft Fichte im Bereich der Bildung zu einer Nationalerziehung nach Pestalozzischem Vorbild auf, die das menschliche Verhältnis zur Freiheit in der Vernunft- und Werterziehung verankern soll. Auch hier geht es wieder um die sittliche Bildung zur Freiheit, zur Selbständigkeit, zur Verdelung. In dieser Erhebung zur Vernunft, zum wahren Selbst, welches in der allgemeinen Vernunft zu finden ist, die jede Nation übersteigt, entfällt für Fichte auch die mögliche Feindschaft zu anderen freien Individuen und Nationen, denn der so gebildete Mensch strebe danach seine Mitmenschen zu achten und liebe ihre Freiheit und Größe, während ihn ihre Knechtschaft schmerze:"Aber es ist schlechthin unmöglich, dass ein solches Gemüt nicht auch außer sich an Völkern und einzelnen ehre, was in seinem Innern seine eigne Größe ausmacht: die Selbständigkeit, die Festigkeit, die Eigentümlichkeit des Daseins."[11]

Einzelnachweise

  1. Lennhoff/Posner S. 475-475
  2. vgl. Höffe, Otfried: Klassiker der Philosophie, 2. Bd., München 2008, S.32
  3. vgl. Höffe, Otfried: Klassiker der Philosophie, 2. Bd., München 2008, S.36
  4. vgl. Höffe, Otfried: Klassiker der Philosophie, 2. Bd., München 2008, S.37
  5. vgl. Höffe, Otfried: Klassiker der Philosophie, 2. Bd., München 2008, S.38
  6. vgl. Höffe, Otfried: Klassiker der Philosophie, 2. Bd., München 2008, S.38
  7. Siehe dazu: Willms,B.:Einleitung in: J.G.Fichte, Schriften zur Revolution, Herausgegeben und eingeleitet von Bernhard Willms, Frankfurt/M: Ullstein, 1973, S.33.
  8. Vergl. dazu: Diemer, A., Einleitung in: J.G.Fichte,Die Grundzüge des gegenwärtigenZeitalters, Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1978, S.XV.
  9. Hirschberger, J.,Geschichte der Philosophie, Band II, Neuzeit und Gegenwart,Freiburg im Breisgau, o.J., S.374.
  10. vgl.: Jacobs, W.,Johann Gottlieb Fichte, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbeck: Rowohlt, 1984, S.117/118
  11. Fichte,J.G., Reden an die deutsche Nation, Deutsche Bibliothek in Berlin, 1912, S.219.

Werke (Auswahl)

Wissenschaftslehre

Die Wissenschaftslehre, Fichtes Hauptwerk, wurde von ihm mehrfach überarbeitet. U.a.:

weitere Werke

  • Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794)
  • Grundlage des Naturrechts (1796)
  • System der Sittenlehre (1798)
  • Appellation an das Publikum über die durch Churf. Sächs. Confiscationsrescript ihm beigemessenen atheistischen Aeußerungen. Eine Schrift, die man zu lesen bittet, ehe man sie confsicirt (1799)
  • Der geschlossne Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik (1800)
  • Die Bestimmung des Menschen (1800)
  • Friedrich Nicolais Leben und sonderbare Meinungen (1801)
  • Philosophie der Maurerei. Briefe an Konstant. (1802/03)
  • Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806)
  • Die Anweisung zum seligen Leben oder auch die Religionslehre (1806)
  • Reden an die deutsche Nation (1807/1808)
  • Das System der Rechtslehre (1812)

Literatur

Ausgaben

  • Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 40 Bände. Hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs und Hans Gliwitzky, Stuttgart- Bad Cannstatt 1962 ff. ISBN 3-7728-0138-2.
  • Fichtes Werke. 11 Bände. Hrsg. v. Fichte Immanuel Hermann, Nachdruck der Ausgaben Berlin 1845/46 und Bonn 1834/35, Berlin 1971. ISBN 3-11-006486-3
  • Fichte im Kontext. Werke auf CD-ROM. Berlin ³2002, ISBN 3-932094-25-5.
  • Werke in 2 Bänden. Hrsg. Wilhelm G. Jacobs, Peter L. Oesterreich, Frankfurt a. M. 1997. ISBN 978-3-618-63073-9
  • Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1978, Philosophische Bibliothek Band 247. ISBN 3-7873-0448-7

Sekundärliteratur

  • Fichte, 1) Johann Gottlieb. In: Meyers Konversations-Lexikon. Bd. 6, 4. Aufl. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1885–1892, S. 234.
  • Christoph Asmuth: Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei J. G. Fichte Frommann-Holzboog 1999
  • Peter Baumanns: J. G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie. (Alber-Reihe: Philosophie). Freiburg 1990 ISBN 3-495-47699-7
  • Hans-Joachim Becker: Fichtes Idee der Nation und das Judentum Rodopi, Amsterdam 2000 ISBN 90-420-1502-0
  • Christoph Binkelmann: Theorie der praktischen Freiheit. Fichte - Hegel de Gruyter, Berlin 2007 ISBN 978-3-11-020098-0
  • Hans Duesberg: Person und Gemeinschaft. Philosophisch-systematische Untersuchungen des Sinnzusammenhangs von personaler Selbständigkeit und interpersonaler Beziehung an Texten von J. G. Fichte und Martin Buber Bouvier, Bonn 1970 (Reihe: Münchener philosophische Forschungen, 1) ISBN 341600633X (DNB nicht gelistet)
  • Wolfgang Janke: Artikel Fichte, Johann Gottlieb In: Theologische Realenzyklopädie 11 (1983), S. 157-171
  • Hans Michael Baumgartner & Wilhelm G. Jacobs: J.-G.-Fichte-Bibliographie Frommann, Stuttgart 1968
  • Erich Fuchs (Hrsg.): J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen 6 Bände, Fromann-Holzboog, Stuttgart 1978-1991 ISBN 3-7728-0707-0
  • Lore Hühn: Fichte und Schelling oder: Über die Grenze menschlichen Wissens Stuttgart 1994.
  • Wilhelm G. Jacobs: Johann Gottlieb Fichte Rowohlt, Reinbek ³1998 ISBN 3-499-50336-0
  • Christian Klotz: Selbstbewußtsein und praktische Identität. Eine Untersuchung über Fichtes Wissenschaftslehre nova methodo Frankfurt 2002 ISBN 978-3-465-03142-0
  • Peter L. Oesterreich & H. Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt Stuttgart 2006
  • Rainer Schäfer: Johann Gottlieb Fichtes >Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre< von 1794 WBG, Darmstadt 2006 ISBN 3-534-16666-3
  • Hans Schulz: Fichte und Biester hrsg. anlässlich der 200-Jahr-Feier der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer, Leipzig 1927
  • Ulrich Schwabe: Individuelles und Transindividuelles Ich. Die Selbstindividuation reiner Subjektivität und Fichtes Wissenschaftslehre. Mit einem durchlaufenden Kommentar zur Wissenschaftslehre nova methodo Paderborn 2007
  • Helmut Seidel: Johann Gottlieb Fichte zur Einführung Junius, Hamburg 1997 ISBN 3-88506-957-1
  • Armin G. Wildfeuer: Praktische Vernunft und System. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zur ursprünglichen Kantrezeption Johann Gottlieb Fichtes Frommann-Holzboog, Stuttgart 1999
  • Eugen Lennhoff/Oskar Posner: Internationales Freimaurer-Lexikon. Almathea-Verlag München 1980, Reprint von 1932, ISBN 3-85002-038-X

Weblinks


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