Johannes Seluner

Johannes Seluner
Johannes Seluner

Johannes Seluner (auch Seluner) (* um 1828; † 20. Oktober 1898 in Nesslau) war ein Findelkind im Toggenburg in der Schweiz.

Im Sommer 1844 bemerkten einige Sennen auf der Alp Selun unterhalb der Churfirsten, dass ihre Kühe vorzeitig gemolken wurden und deshalb fast keine Milch mehr gaben. Die Sennen stellten Wachen auf und beobachteten, wie eine Gestalt die Milch der Kühe direkt vom Euter trank und danach in Richtung Wildenmannlisloch verschwand. Die Sennen legten sich auf die Lauer, und wenige Tage später wurde der Fremdling eingefangen. Es war ein dürftig bekleideter, völlig verwilderter junger Mann im Alter von etwa sechzehn Jahren, der kein Wort sprechen konnte.

Zuerst wurde er ins Armenhaus Alt St. Johann gebracht, wo er den Namen Johannes Seluner erhielt. Er gab nur urtümliche Laute von sich, zerriss die neuen Kleider, die man ihm gab und schlief am liebsten auf einem Heulager. Aufgrund der guten Behandlung wurde er zutraulicher, verlebte jedoch den Tag am liebsten allein irgendwo auf einem Stein sitzend. Stundenlang konnte er am Ufer der Thur sitzen und den Fischen zuschauen. Die Metallknöpfe seiner Jacke gefielen ihm so gut, dass er nicht genug von den glitzernden Dingen haben konnte. Eine besondere Vorliebe zeigte der Seluner, wie er überall genannt wurde, für Süssigkeiten und Obst. War er zufrieden, schnurrte er; geriet aber rasch in Zorn, wenn er von der Dorfjugend geneckt wurde. Sprechen gelernt hat Johannes Seluner nie.

Im November 1844 wurde er ins Armenhaus nach Nesslau gebracht, wo er eines Tages Besuch von einem „vornehmen“ Herrn erhielt. Johannes Seluner umarmte ihn freudig, woraufhin einige annahmen, dass die beiden sich kannten. Man nimmt an, dass er als geistig behindertes Kind zuerst versteckt gehalten, später im Jünglingsalter ausgesetzt wurde und einige Jahre im Wildenmannlisloch hauste.

Er lebte bei recht guter Gesundheit 54 Jahre im Armenhaus, bis er am 20. Oktober 1898 im Alter von vielleicht siebzig Jahren dort starb. Begraben wurde er auf dem Friedhof von Neu St. Johann – und mit ihm sank auch das Geheimnis seiner Herkunft ins Grab.

Seine Gebeine wurden 1926 ausgegraben und vom Anthropologen Otto Schlaginhaufen untersucht, dies in der vergeblichen Hoffnung, Merkmale eines Neandertalers zu finden.

Literatur

  • Brändle, Rea: Johannes Seluner, Findling. - Zürich : Limmat-Verl., 1990. - ISBN 3-85791-162-X

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