Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse

Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse

Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse ist eine von 4 Erzählungen Franz Kafkas aus dem 1924 erschienen Sammelband Ein Hungerkünstler. Josefine war Kafkas letztes Werk vor seinem Tod [1] am 3. Juni 1924.

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

Wie es der Titel sagt, handelt die Geschichte von der als Sängerin auftretenden Maus Josefine und dem Mäusevolk. Josefines Singen ist aber eher ein leises Pfeifen, das eigentlich auch jede andere Maus aus dem Volk von sich gibt oder geben kann. Dennoch ist ihre Kunst öffentlich unumstritten. Manchmal - nur unter sich- gestehen sich ihre Zuhörer die Wahrheit über Josefines Kunst ein.

Trotzdem hat aber ihr Gesang, vorgetragen im Habitus einer Diva, [2] eine große Wirkung auf das Mäusevolk, da im Rahmen dieser Zusammenkünfte das Zusammengehörigkeitsgefühl auf seltsame Weise gestärkt wird. Das Mäusevolk braucht die Konzerte als eine Art Ruhepunkte. Sein Dasein ist vielfältig bedroht. Zwar ist durch die große Zahl von Nachkommen der Fortbestand gewährleistet. Aber durch die fortwährend nachdrängenden neuen Generationen erhält ihre Existenz etwas beliebiges.

Josefine möchte aufgrund ihrer Sangeskunst von der sonstigen Arbeit freigestellt werden. Das gesteht ihr aber das Volk nicht zu und Josefine verschwindet. Der Erzähler beendet die Geschichte mit dem Satz: „Josefine...wird fröhlich sich verlieren in der zahllosen Menge der Helden unseres Volkes, und bald, da wir keine Geschichte treiben, in gesteigerter Erlösung vergessen sein wie all ihre Brüder.“

Eine Deutung

Erster Abschnitt

Diese relativ breit angelegte ausführliche Erzählung behandelt (ähnlich wie Der Hungerkünstler) das Verhältnis einer Künstlerpersönlichkeit zu ihrem Publikum. Sie ist damit auch eine Reflexion Kafkas über sein eigenes Künstlertum [3]. Obwohl man zunächst nicht glauben mag, dass Kafka sich selbst in der Person dieser skurrilen, unangenehmen Sängerin Josefine darstellt, sind doch deutliche Bezüge vorhanden. So z. B. Josefines Wunsch, von der sonstigen Arbeit freigestellt zu werden, um sich ganz der Kunst widmen zu können, auch ein großes Problem in Kafkas Leben. Die Erzählung wird nicht aus der Sicht der Sängerin, sondern der des Mäusevolkes, also des Publikums, vorgetragen. Gegen das Volk mit seinem schweren Leben erscheint die Sängerin von realitätsferner Primadonnenmanier. So identifiziert sich der Leser mit der Sicht des Mäusevolkes auch in der Frage der Arbeitbefreiung.

Kafka hat sich besonders in den Jahren ab 1921 intensiv mit den Schriften des zeitgenössischen ebenfalls jüdischen Satirikers Karl Kraus beschäftigt. Die Erzählung wird daher auch als allegorische Darstellung der Wechselbeziehung zwischen Karl Kraus und seinem vorwiegend jüdischen Publikum gedeutet [4]. Im unvollkommenen Pfeifen könnte die jüdische Sprechweise des Mauschelns thematisiert sein. Das Pfeifen Josefines, d.h. ihre Mäusesprache ist kein Mäusedeutsch, sondern ein Mauscheldeutsch.

Zweiter Abschnitt

Andererseits hat Josefine eine sehr wichtige Funktion für das Mäusevolk. „Dieses (Josefines) Pfeifen.... kommt fast wie eine Botschaft des Volkes zu dem einzelnen“ ..fast wie die armselige Existenz unseres Volkes mitten im Tumult der feindlichen Welt. „.. als dürfte sich der Ruhelose einmal nach seiner Lust im großen warmen Bett des Volkes dehnen und strecken.“ Josefines Gesang vermittelt – unabhängig von ihrer eigenen Intention – ein starkes Gefühl von Schutz, Geborgenheit und Ruhe. Und das ist in diesem unruhig huschenden, von enormer Population vorangetriebenen, gefährdeten Mäusevolk ein großes Bedürfnis. Ein deutlicher Bezug ist hier zum jüdischen Volk hergestellt mit seinen harten Lebensbedingungen und seinem weit verstreut sein [5].

Dem künstlerischen Schaffen wird hier eine große positive Wirkung zugeschrieben. Hat Kafka diese Wirkung seines eigenen Schaffens auf seine Leser so erwartet? Oder war das die Wirkung seines Schreibens auf ihn selbst?

Biografischer Hintergrund

Josefine war das letzte Werk Kafkas, das er im März 1924 abschloss, bevor die immer weiter voranschreitende Krankheit ein Schreiben unmöglich machte und er am 3. Juni 1924 starb. Er sieht darin ironisch auf sich und seinesgleichen als Künstler mit seinen Befindlichkeiten und Abgrenzungen zu den Normalmenschen. In Josefines Ende – „erlöst von Plagen... fröhlich sich verlierend“ – dürfte er sein eigenes bevorstehendes Ende gesehen haben. Josefine wird in „gesteigerter Erlösung vergessen sein wie alle ihre Brüder“.

Falls Kafka ein solches Ende im Vergessen auch für sich gesehen hat, hat er sich innerhalb gegenwärtiger literarischer Zeitspannen entschieden getäuscht.

Literatur

  • Ein Hungerkünstler. Vier Geschichten. Berlin: Verlag Die Schmiede, 1924. (Erstausgabe)
  • Paul Raabe: Franz Kafka: Sämtliche Erzählungen. Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1970, ISBN 3-596-21078-X.
  • Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4
  • Urban, Cerstin: Franz Kafka: Erzählungen I. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 279). Hollfeld: Bange Verlag 2005. ISBN 978-3-8044-1726-7

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4. S. 663
  2. Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4. S. 663
  3. Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4. S. 665
  4. Wendelin Schmidt-Dengler, Norbert Winkler Die Vielfalt in Kafkas Leben und Werk Vitalis 2005 ISBN 3-89919-066-1 S.273, 275 Hinweis auf Interpretation von Andre Nemeths
  5. Peter-André Alt: Franz Kafka: Der ewige Sohn. Eine Biographie. München: Verlag C.H. Beck, 2005, ISBN 3-406-53441-4. S. 665

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