Judas Evangelium

Judas Evangelium
Erste Seite des Judasevangeliums (Seite 33 im Codex Tchacos)

Das Judasevangelium ist eine apokryphe Schrift, die zum ersten Mal von Irenäus von Lyon in Adversus haereses (um 180) erwähnt wird (Adv. Haer. I 31,1), aber bis vor kurzem als verschollen galt. Der wichtigste und älteste Zeuge bleibt bis heute Irenäus. Die Schrift ist wohl im 2. Jahrhundert n. Chr. in einer frühchristlich-gnostischen Sekte entstanden. Für die Gnostiker ist das höchste Ziel die Erkenntnis (griech.: γνῶσις; gnosis), aufgrund derer man sich selbst erlösen kann. Das Judasevangelium ist vergleichbar mit anderen apokryphen Evangelien wie z. B. dem Thomasevangelium oder dem gnostischen Evangelium der Wahrheit.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte des Dokumentes

Irenäus von Lyon hatte das Buch in der christlichen Gemeinde von Gallien entdeckt, in der Judas Ischariot von Teilen nicht als Verräter, sondern als Held und Elite-Jünger dargestellt wird. Der Verrat wird im apokryphen Judasevangelium als 'Mysterium der Erlösung' gedeutet: Jesus habe Judas um den Verrat gebeten, um von seiner körperlichen Hülle befreit zu werden und seiner Aufgabe als Messias vollkommen entsprechen zu können. Diese Sichtweise wird von Irenäus ebenso wie von weiteren Kirchenvätern, die das Buch erwähnten, strikt abgelehnt. Im 6. Jahrhundert hat sich die Spur des Buchs endgültig verloren.

Der Text des Judas-Evangeliums ist heute bekannt durch die Entdeckung des sogenannten Codex Tchacos[1] in Mittelägypten (in der Nähe der Stadt al-Minya) in den 1970er Jahren. Es handelt sich um einen Papyrus-Codex aus dem 4. Jahrhundert.[2] Man hat spekuliert, dass ein zugrundeliegender griechischer Text aus dem 1. Jahrhundert stammen könnte.[3] Kurz nach dem Fund wurde das Dokument von einem ägyptischen Händler überteuert zum Kauf angeboten. Nachdem es kurzzeitig gestohlen wurde und ein möglicher Verkauf doch nicht zustande kam, gelangte der Codex von Kairo über die Schweiz nach New York, wo er gut 16 Jahre in einem Bankschließfach des Händlers verschwand und im Februar 2002 von der Maecenas-Stiftung mit Sitz in Basel erworben wurde. Laut Rodolphe Kasser soll der Codex ursprünglich aus 31 auf Vorder- und Rückseite beschriebenen Blättern bestanden haben, von denen nur ein Teil noch vorhanden ist. Der Verbleib der fehlenden Blätter ist unbekannt.

Durch unsachgemäße Lagerung war der Codex in hunderte kleiner Fragmente zerfallen. Für die Rekonstruktion wurde jedes Fragment beidseitig fotografiert und von dem Religionshistoriker Gregor Wurst von der Universität Augsburg und seinen Kollegen am Computer zusammengesetzt. Im Lauf von drei Jahren konnten dabei fast 90 Prozent des Textes rekonstruiert werden. Das unter Leitung des Genfer Professors Rodolphe Kasser übersetzte Manuskript wurde 2006 publiziert. 2007 erschien eine kritische Ausgabe sämtlicher Texte des Codex.

Am 9. April 2006 veröffentlichte National Geographic weltweit auf seinen Fernsehsendern im Rahmen eines zweistündigen Doku-Specials die Ergebnisse der Untersuchungen. Nach der Übersetzung und Restaurierung der Schrift soll der Kodex nach dem Willen der Stiftung dem ägyptischen Staat für das Koptische Museum von Kairo übergeben werden.

Im Jahr 2009 wurde ein Großteil der noch fehlenden Fragmente, die in einem Versteck in den USA lagerten, durch einen Gerichtsbeschluss freigegeben. Sie sollen nun in Europa mit den bereits bekannten Teilen des Codex wiedervereinigt und ausgewertet werden. [4]

Inhalt

Hinweis: Die folgende Inhaltsangabe basiert auf der Übersetzung von Kasser et al. Deren Gültigkeit ist inzwischen heftig umstritten [5][6] und eine neuere Übersetzung durch Dr. April DeConick (2007: "The Thirteenth Apostle: What the Gospel of Judas Really Says") besagt, dass Judas im Judas-Evangelium keineswegs als Freund Jesu beschrieben würde, sondern in Wahrheit als ein Dämon. Die ursprüngliche Deutung durch National Geographic beruht laut DeConick eindeutig auf Übersetzungsfehlern.

  • Der Codex enthält außer dem Judasevangelium noch einen Brief von Petrus an Philippus und eine Apokalypse des Jakobus, die aber bereits aus anderen Texten (Nag-Hammadi-Schriften) bekannt waren. Darüber hinaus ist ein weiterer, bisher ebenfalls unbekannter gnostischer Text enthalten, der die vorläufige Bezeichnung „Buch des Allogenes“ erhalten hat.
  • Die Urschrift entstand nach Auffassung des Religionshistorikers Gregor Wurst um 160 n. Chr., also viel später als die biblischen Evangelien; die Kopie in koptischer Übersetzung stammt aus Mittelägypten von einem unbekannten „Judas-Priester“ aus dem 4. oder 5. Jahrhundert. Dies hätten erste paläographische Untersuchungen ergeben.
  • Es handelt sich beim Evangelium um eine 'kainitische' Gegenbibel. Bei den Kainiten handelt es sich um eine gnostische Splittersekte, die im 2. Jahrhundert Kain und Judas verehrte. Irenäus von Lyon schrieb dazu: „Sie haben eine fiktive Geschichte erschaffen, die sie das Evangelium des Judas nennen“. Kernaussage des Judasevangeliums ist, dass Judas der beste Freund von Jesus war und mehr Erkenntnis (Gnosis) besaß als alle anderen Jünger. Jesus habe deshalb Judas beauftragt, ihn um des Heils willen zu verraten, denn durch den Verrat habe Jesus seine leibliche Hülle verlassen und in das wahre göttliche Reich zurückkehren können. Judas habe Jesus daraufhin gefragt, was sein Lohn für den Verrat sei, und Jesus habe ihm sehr offen geantwortet, dass die ganze Welt ihn auf ewig hassen und verdammen werde, er aber als Erleuchteter ebenfalls in das wahre göttliche Reich eingehen werde. Der wahre Gott ist hier jedoch nicht der jüdische Gott, den die anderen Jünger anbeten, sondern eine weit übergeordnete Wesenheit. Der jüdische (und orthodox-christliche) Gott ist in diesem Evangelium nur eine nachrangige Gottheit mit einer mangel- und boshaften Schöpfung, die es durch die Erkenntnis der Wahrheit zu überwinden gilt. Sündenvergebung durch Jesu Tod und leibliche Auferstehung sind mit dem Kern der in diesem Evangelium ausgebreiteten Theologie völlig unvereinbar. Wesentliches theologisches Element des Textes ist die Offenbarung eines vollständigen Mythos von der Entstehung der Welt, mit dem die Unterscheidung zwischen Erleuchteten (den Gnostikern) und Nicht-Erleuchteten sowie die Ablehnung der frühchristlichen Orthodoxie begründet wird. Der Text endet mit einer Prophetie des Jesus, die den Untergang des alttestamentlichen Gottes und seiner gesamten minderwertigen Schöpfung beschwört. Dieser Untergang alles Irdischen wird wahrscheinlich (der Text ist hier nur sehr fragmentarisch erhalten) durch den Verrat des Judas und den leiblichen Tod Jesu ausgelöst.

Literatur

  • Rodolphe Kasser, Gregor Wurst: The Gospel of Judas together with the Letter of Peter to Philip, James, and a Book of Allogenes from Codex Tchacos. Critical Edition. National Geographic Society, Washington 2007, ISBN 978-1-4262-0191-2.
  • Das Evangelium des Judas. Hrsg. von Rodolphe Kasser, Marvin Meyer und Gregor Wurst. White Star, Wiesbaden 2006, ISBN 3-939128-60-0.
  • Herbert Krosney: Das verschollene Evangelium. White Star, Wiesbaden 2006, ISBN 3-939128-61-9.
  • James M. Robinson: The Secrets of Judas: The Story of the Misunderstood Disciple and His Lost Gospel. Harper, San Francisco 2006, ISBN 0061170631
  • Das Evangelium des Judas. Deutsche Übersetzung aus dem Koptischen. In: Uwe-Karsten Plisch: Was nicht in der Bibel steht. Apokryphe Schriften des frühen Christentums. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2006, S. 165-177. ISBN 3-438-06036-1. Auch enthalten in: Schriften des Urchristentums. Apokryphe Evangelien, erläutert von Uwe-Karsten Plisch; Apostolische Väter, erläutert von Klaus-Michael Bull. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2008 (CD-ROM), ISBN 978-3-438-02078-9.
  • Elaine Pagels, Karen L. King: Das Evangelium des Verräters. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-57095-7.

Online-Texte

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Benannt nach dem Vater der letzten Eigentümerin, Frieda Nussberger-Tchacos.
  2. Eine Radiokarbondatierung (Timothy Jull, University of Arizona) lieferte einen Zeitraum zwischen 3. und 4. Jahrhundert für die Entstehung des Manuskripts.
  3. Siehe z. B. H.-C. Puech, Beate Blatz: New Testament Apocrypha. Bd. 1, S. 387.
  4. Mathias Schreiber, Matthias Schulz: Das Testament der Sektierer. In: Der Spiegel 16 vom 11. April 2009, S. 110–121.
  5. http://www.nytimes.com/2007/12/01/opinion/01deconink.html?incamp=article_popular_3
  6. http://jesusdynasty.com/blog/2007/10/22/breaking-news-from-san-antonio/

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